04.03 Suizidalität Flashcards Preview

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Flashcards in 04.03 Suizidalität Deck (6)
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Q

Definition Suizidalität

A

Psychischer Zustand, in dem Gedanken und Verhal- tensweisen darauf ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen oder diesen als möglichen Ausgang in Kauf zu nehmen

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Q

Störungsbild und Klassifikation

A
  • Suizididee: Nachdenken über Tod, Todeswünsche, suizidale Idee im engeren Sinne
  • Suizidalität: Es besteht latente oder manifeste Absicht, aktiv das eigene Leben zu beenden
  • Parasuizidalität: Übergangsbereich von Suizidalität zu Selbstverletzung
  • Suizidversuch: “Selbstinitiiertes, gewolltes Verhalten eines Patienten, der sich verletzt oder eine Substanz in einer Menge nimmt, die die therapeutische Dosis oder ein gewöhnliches Konsumniveau übersteigt und von welcher er glaubt, sie sei pharmakologisch wirksam”
  • Suizid: Ein Suizidversuch, der zum Tod geführt hat
  • Ziel einer suizidalen Handlung häufig nicht der Tod, vielmehr als einzige Möglichkeit zur Veränderung einer unerträglich, ausweglos und hoffnungslos erscheinenden Situation -> meist impulsive Kurzschlusshandlung
  • Schwanken zwischen Wunsch zu leben und zu sterben -> Ambivalenz wichtiger Ansatzpunkt für Behandlung
  • Konzept des präsuizidalen Syndroms: Drei Charakteristika
    1. Einengung in persönlichen Möglichkeiten
    2. Aggression und Frustration gegen eigene Person
    3. Suizidfantasien
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Q

Diagnostik

A

Suizidalität an sich Symptom, nicht psychische Störung:
- ICD-10 bietet Möglichkeit der Spezifikation der Art (des Versuchs) der Selbsttötung als Zusatzsymptom (X60-X84 Vorsätzliche Selbstbeschädigung)

Abklärung Suizidgefahr: Verbindlicher Bestandteil des diagnost. Erstgesprächs

  • Zudem: Abklärung Suizidgefahr als Symptom bei Diagnostik psychischer Störungen
  • Wiederholte Abklärung bei Krisen, Befindensverschlechterung usw.

Problematik:

  • Fehlen eindeutiger Kriterien zur Risikoabschätzung
  • Stattdessen eher Kontinuum, womit Therapeut individuelles Risiko subjektiv bestimmt
  • Möglichkeit validen Risikoeinschätzung stark abhängig von Kooperationsbereitschaft u. Offenheit d. Patienten
  • Screening: z.B. BDI-Item beachten, evtl. Fragebogen wie SAD PERSON Scale
  • Offenes, direktes u. empathisches Erfragen des Vorhandenseins von Suizidalität
  • Wichtig: Psychologische Testverfahren zur Feststellung von Suizidalität als alleiniges Verfahren ungeeignet, aber als Hilfe zur umfassenden Exploration suizidaler Patienten

Sammlung konkreter Informationen:

  • Ankündigung des Suizids
  • Klarheit und Persistenz der Suizidgedanken
  • Konkrete Planung, Vorbereitungen (Abschiedsbrief)
  • Frühere Suizidversuche
  • Familienanamnese von Suizidhandlungen
  • Gefühl von Hoffnungslosigkeit, Ausweglosigkeit
  • Kontaktreduktion, Interesselosigkeit
  • Perspektiven, zukunftsbezogenes Denken (Gründe fürs Leben)
  • Klärung der Bereitschaft des Pat., therapeutische Hilfe zu beanspruchen
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Q

Epidemiologie

A

Weltweit:

  • Suizidrate: 0,016% (Dunkelziffer höher)
  • Lebenszeitprävalenz Männer: 1,5%, Frauen: 0,7%
  • Geschlechterverhältnis: Männer 2-3 mal so häufig
  • Suizidrate steigt mit höherem Alter
  • Auf 8-10 Suizidversuche kommt ein vollendeter Suizid

Deutschland:

  • Suizid: Jeder 67. Mann, jede 143. Frau
  • Suizidraten europa- und weltweit im mittleren Bereich - In letzten Jahren stetig rückläufiger Trend

Suizidversuche:

  • Frauen 2-3 mal so häufig
  • Anzahl Suizidversuche bis zu 10- bis 20-mal höher als Suizide
  • Höchsten Suizidversuchsraten: Weibliche Jugendliche und junge Frauen von 15-30 Jahren.

Suizidmethoden:

  • 76% Suizide: Erhängen, Sturz aus Höhe, Erschießen, Überrollen lassen, Ertrinken
  • 80% Suizidversuche: Vergiftung mit Medikamenten, Stiche, Schnitte
  • Männer: “Harte” Methoden (Erhängen, Erschießen)
  • Frauen: “Weiche” Methoden (Tabletten, Gas)
  • > Höhere Wahrscheinlichkeit, rechtzeitig entdeckt zu werden

Motivation:

  • 80 % im Nachhinein mit Rettung einverstanden
  • 25 % wiederholen Suizidversuch
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Q

Ätiologie und Störungsmodell

A
  1. Risikofaktoren:
  • Psychische Erkrankungen: hoher Risikofaktor
    -> Erhöhte Suizidraten bei diversen Störungen
    • 15% Schwere Depression
    • 10% Schizophrenie
    • 3–10% Borderline-Persönlichkeitsstörung
    • 8% Narzisstischer Persönlichkeitsstörung
    • 15% Alkohol- und Substanzabhängigkeit
  • Komorbidität mehrerer psychischer Erkrankungen
  • > Höchstes Risiko: Depression und substanzbezogene Störungen
  • Chronische körperliche Erkrankungen
  • Schwierige soziale Bedingungen
  • Negative Lebensereignisse
  • Frühere Suizidversuche
  • Männliches Geschlecht und höheres Alter
  • Suizidales Verhalten in Familie
  • Entwicklungskrisen (Jugendliche)
  • Impulsivität
  • Erkrankungen, Arbeitsverlust, finanzielle Schwierigkeiten, Gefängnisaufenthalte, traumatische Erlebnisse, Suizidberichte in Medien
  1. Theorien zur Entstehung:

a) Psychodynamische Theorie:
- Suizidalität = Nach innen gerichtete Wut
- Schwächung des Ichs -> Todestrieb erscheint

b) Suizidalität als Problemlösestrategie:
- Suizidale Verhaltensmuster als mangelhafte Problemlösestrategien

c) Interpersonelle Theorie des versuchten und vollendeten Suizids:
Drei notwendige Bedingungen für Suizid
- Erworbene Fähigkeit zur Ausführung letaler Selbstverletzung
- Annahme, für andere Belastung darzustellen
- Annahme, zu keiner wertvollen sozialen Gruppe zu gehören
-> Erfüllung aller Bedingungen: Erhöhtes Suizidrisiko

d) Biologische Faktoren:
- Verminderte serotonerge Aktivität im präfrontalen Cortex -> mangelnde Inhibition impulsiven und aggressiven Verhaltens -> ausbleibende Hemmung suizidaler Verhaltensweisen

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Q

Behandlung

A
  1. Suizidprävention:
    - Umsetzung von Suizidgedanken in Handlungen verhindern
    - Gewinnt an Bedeutung, z.B. Suizidpräventionszentren, Notruftelefondienste
    - Maßnahmen zur Beeinflussung ungünstiger gesellschaftlicher Bedingungen (z.B. Waffengesetze)
    - Aufklärung der Bevölkerung
  2. Behandlung von Suizidalität:

a) Stabilisierung:
- Phase der Krisenintervention
• Schaffung sicherer Umgebung und Beziehungsaufbau
• Exploration u. Diagnosestellung
• Offene Ansprache von Suizidplänen
• Sanfte Umstrukturierung
- Maßnahmen:
• Einleitung von Entscheidungsprozess bzgl. Problematik und Suizidalität
• Perspektivenaufbau
• Erarbeitung und Umsetzung v. Lösungsmöglichkeiten
- Wichtig dabei:
• Kritisches Abwägen, Diskutieren der Vor- u. Nachteile v. Suizid
• Validierung d. emotionalen Erlebens d. Patienten
• Wenn Distanzierung nicht eintritt: gesetzliche Verpflichtung v. Behandler , Patienten in psychiatrischer Klinik unterzubringen

b) Behandlung zugrundeliegender psychischer Störungen (bzw. Probleme)

  1. Richtlinien für Behandlung suizidgefährdeter Patienten:
    - Sprechen Sie offen und objektiv über den Suizid.
    - Vermeiden Sie abwertende Erklärungen von suizidalem Verhalten und Motiven.
    - Bieten Sie eine Problemlösetheorie für das suizidale Verhalten an und machen Sie deutlich, dass der Suizid eine unangemessene und/oder eine ineffektive Lösung darstellt.
    - Beziehen Sie wichtige Bezugspersonen mit ein und auch andere Therapeuten
    - Planen Sie ausreichend häufig Sitzungen und berücksichtigen Sie auch die längerfristigen Ziele, damit wenigstens ein gewisser Teil der Therapiezeit für die längerfristigen Ziele übrigbleibt.
    - Seien Sie sich der Vielzahl der Einflüsse, die auf den Patienten einwirken, bewusst und vermeiden Sie eine omnipotente Einstellung oder die Übernahme der Verantwortung für das suizidale Verhalten des Patienten.
    - Führen Sie eine Konsultation mit einem Kollegen durch.
    - Halten Sie Kontakt zu den Personen, die eine Therapie ablehnen.
    - Antizipieren und planen Sie für Krisensituationen (Bsp.: Todestage von Angehörigen).
    - Überprüfen Sie ständig das Risiko für Suizid und suizidales Verhalten.
    - Seien Sie erreichbar.
    - Setzen Sie sich mit lokalen Notfall/Krisen/Suizid-Zentren in Verbindung.
    - Geben Sie dem Patienten eine Krisenkarte: Telefonnummer des Therapeuten, der Polizei, Krisenzentren, Kliniken, Bezugspersonen.
    - Behalten Sie die Telefonnummern und die Adressen der Patienten und ihrer Bezugspersonen bei sich.
    - Schließen Sie einen kurzfristigen Antisuizid-Vertrag und passen Sie ihn zeitlich an.
    - Nehmen Sie Kontakt zum Arzt des Patienten im Hinblick auf die Risiken der Überdosierung von Medikamenten auf.
    - Zwingen Sie den Patienten nicht dazu, sich durch Gespräche über Suizid oder entsprechende Vorstellungen ihre Zuwendung zu verschaffen.
    - Drücken Sie ihre Sorge offen aus; sorgen Sie für nichtkontingente Wärme und Zuwendung.
    - Klären und verstärken Sie nichtsuizidale Reaktionen auf Probleme.
    - Klären Sie den Patienten über die wahrscheinlichen Reaktionen des Therapeuten auf das suizidale Verhalten des Patienten auf (z.B., wenn der Patient stirbt, wird der Therapeut traurig sein, aber sein Leben weiter führen).
    - Stellen Sie sicher, dass der Patient realistische Erwartungen über die Reaktionen anderer auf zukünftiges suizidales Verhalten hat.