1/6 (Arten, Dimensionen, Funktionen; Art. 8; VB (insb. GR-Berechtigung); Einzelfallgesetz; Wesensgehalt) Flashcards
(44 cards)
Funktionen der Grundrechte
Erlegen dem Staat eine Rechtfertigungspflicht auf
- Subjektiv-rechtliche Funktion
- objektiv-rechtliche Funktion
- Schutzfunktion
Funktionen der Grundrechte: Subjektiv-rechtliche Funktion der GR
a. Status negativus: Zustand der Freiheit vom Staat (staatlichen Eingriffen) wird gewährt, insbesondere wenn GR Abwehrrechte sind (zB Art 4 I : Glaubens- und Gewissensfreiheit, 10 I : Briefgeheimnis, 13 I : Unverletzlichkeit der Wohnung)
b. Status positivus: Zustand der Freiheit durch bzw. nicht ohne den Staat, insbesondere wenn Leistungs-, Anspruchs-, Schutz- oder Teilhaberechte (Art 19 IV: Justizgewährungsanspruch; Art 3 I: Gleichheitsgrundsatz)
c. Status activus: Zustand der Betätigung der Freiheit im und für den Staat, durch staatsbürgerliche Rechte ausgeformt (Art 33 I-III, Art 38 I 1)
Funktionen der Grundrechte: Objektiv-rechtliche Funktion der GR
- > Verstärkung des subjektiv-rechtlichen Schutzes
a. GR als negative Kompetenznormen (Staat darf nicht im grundrechtlich geschützten Bereich des Einzelnen handelnd)
b. GR als objektive Wertentscheidungen (BVerfG: Die ethischen Prinzipien, die im GG positiviert sind, sind als verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts maßgeblich) - GR haben nicht nur im verfassungsrechtlichen / öffR Bereich Relevanz, sondern prägen und durchdringen als Werte und Prinzipien alle anderen Rechtsbereiche (Privatrecht und Gesetzgeben des einfachen Rechts)
c. Einrichtungsgarantien: GR, die objektive Einrichtungen gewähren, die der Gesetzgeber nicht abschaffen darf
- > Institutsgarantien: privatrechtliche Rechtsinstitute (zB Art 6 I : Ehe, Art 14 I : Eigentum; Erbe)
- > Institutionelle Garantien: öffentlich-rechtliche Einrichtungen (Berufsbeamtentum)
Funktionen der Grundrechte: Schutzfunktion der GR
a. Gebot der grundrechtskonformen Auslegung (einfaches Gesetz darf nicht dazu führen, dass GR unverhältnismäßig eingeschränkt werden)
b. Schutz durch Teilhabe (Art. 3 GG) bei existierenden Einrichtungen und Leistungssystemen (Zugang zu Studienplätzen) -> darf nicht willkürlich geregelt werden
c. Schutz vor Gefahren (ins. Art 2 II 1), zB Schutz des ungeborenen Lebens vor Schwangerschaftsabbrüchen
-> Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers: Verletzung nur, wenn
α. Schutzvorkehrungen nicht getroffen wurden oder
β. Schutzvorkehrungen zur Erreichung des Ziels gänzlich ungeeignet oder unzureichend sind
Art. 8: Persönlicher Schutzbereich
- alle Deutschen (eA: alle EU-Bürger)
- Ausländer und Staatenlose: nach hM Art 2 I (str., s. § 1 I VersG)
- JurP allenfalls als Veranstalter (Art 19 III), nicht: Recht auf Teilnahme
- Nicht: Versammlung selbst (keine JurP iSv Art 19 III)
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich
- Versammlung: eine örtliche Zusammenkunft von mind. zwei (hL) Personen
- > innere Verbindung, die sich in einer gemeinsamen Zweckverbindung manifestiert
- > vs. bloße Ansammlung: Verfolgung des gleichen Zwecks, aber dieser ist kein gemeinsamer
- Körperliche Teilnahme erforderlich
- Friedlich
- Ohne Waffen
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich: P: Anforderung an gemeinsamen Zweck
- eA: keinerlei zusätzliche Anforderungen
pro: Versammlungsfreiheit soll die drohende Isolierung des Einzelnen verhindern und die Entfaltung in Gruppenform gewährleisten - aA: gemeinsame Meinungsäußerung und -bildung
con: gemeinsame Meinungsäußerung und -bildung geschützt durch Art 8 iVm Art 5
con: Art 11 EMRK: weiter Versammlungsbegriff, keine politische Inhaltsrichtung nötig
pro: historisch ist Art. 8 ein politisches KommunikationsGR - wA (BVerfG): gemeinsame Meinungsäußerung und -bildung bezüglich öffentlicher Angelegenheit erforderlich
pro: Komplementärfunktion zur Meinungsfreiheit (Kommunikationsgrundrechte)
pro: historische Bedeutung der Versammlungsfreiheit
pro: gesteigerter Schutz ggü Art. 2 I wird durch politische Bedeutung gerechtfertigt; “Spaßveranstaltungen” (Love-Parade) auch über Art. 2 I geschützt
con: weder Wortlaut noch Systematik: Art. 8 differenziert nicht zwischen öffentlicher und privater Meinung - > BVerfG: Brokdorf-Formel: garantiert ist Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich: Friedlichkeit der Versammlung
- eA: jedenfalls bei Rechtsverletzungen
- > con: zieht schon Gesetzesvorbehalt aus Art 8 II in den SB hinein
- aA: jedenfalls bei jedem Verstoß gegen das Strafrecht
- > con: auch hier ist der Gesetzesvorbehalt in den SB hineininterpretiert
- > con. Einfachrechtlicher Gesetzgeber würde verfassungsrechtlich gesetzten SB mitdefinieren
- wA (BVerfG): in Anlehnung an § 5 Nr. 3, 13 I Nr. 2 VersG: „wenn die Versammlung keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder ein solcher vom Veranstalter nicht angestrebt wird”
- > Gewalttätig: aktive körperliche Einwirkung des Täters auf Personen oder Sachen (aggressiv und von einiger Erheblichkeit)
- > Aufrührerisch: Umsturz als das Ziel der Versammlung, zum anderen auf das Mittel des aktiven gewaltsamen Widerstands gegen rechtmäßig handelnde Vollstreckungsbeamte
- Unfriedliches Verhalten Einzelner: erkennbar nicht von der Gesamtgruppe getragen, sondern nur durch Einzelne: Merkmal der Friedlichkeit besteht unbeschadet (BVerfG: “Kollektive Unfriedlichkeit” maßgeblich)
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich: ohne Waffen
- Waffen iSd § 1 WaffG als reine Merkhilfe, da einfaches Recht nicht den Schutzbereich bestimmen kann
- > Gegenstände, die objektiv gefährlich sind und zum Zweck der Gewaltanwendung mitgeführt werden
- (-) bei reinen Schutzgegenständen
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich für qualifizierten Gesetzesvorbehalt: unter freiem Himmel
- eA: Wortlaut: architektonische Unterscheidung
- aA (ganz hM; BVerfG): soziale Unterscheidung
pro: Telos: besonderes Gefährdungspotenzial von Orten, der dem allgemeinen Publikumsverkehr zugänglich ist - > soweit sich Flächen in der Hand privater Eigentümer liegen, geht damit eine Beschränkung ihrer GR einher, die aber zur Verwirklichung der Versammlungsfreiheit grds. gerechtfertigt ist
- > jedoch nicht gleichzusetzen mit versammlungsrechtlich: öffentlich vs. nicht-öffentlich (bemessen nach der für jedermann oder nicht jedermann bestehenden Zugänglichkeit)
Art. 8: P: Grundrechtsbindung
- Private Anbieter, aber an öffentlichen Orten (Bahnhöfe, Flughäfen) -> Staat hinter privater Rechtsform: Staat bleibt gebunden (s. Fraport)
- auch in privat betriebenen öffentlichen Räumen (bspw. in einem Einkaufszentrum) ?
- > nicht ohne Weiteres, jedoch: Erstreckung der Garantie auf solche privaten Flächen, wenn sie die Funktion eines öffentlichen Raums übernehmen (Zugänglichkeit für allgemeinen Publikumsverkehr)
con: gewisse Bindung Privater an GR
Art. 8: Eingriffe
- Ge- und Verbote sowie Pflichten aller Art (Anmeldepflicht)
- Auch auf faktische Maßnahmen, die Abschreckungseffekt haben und in ihrer Intensität imperativen Maßnahmen gleichstehen (bspw. Boykottaufrufe als Pressemitteilung)
- Auf Abschreckungseffekt auch bei staatlichen Überwachungsmaßnahmen abzustellen
- Eingriff auch bei „exzessiven Observationen und Registrierungen“ (BVerfG) (aus Angst werde lieber auf GR-Ausübung verzichtet)
Art. 8: Rechtfertigung für Eingriffe bezüglich Versammlungen in geschlossenen Räumen
- Umkehrschluss: Versammlungen in geschlossenen Räumen sind vorbehaltlos geschützt
- Rechtfertigung nur durch kollidierendes VerfassungsR
Art. 8: Rechtfertigung hinsichtlich Eingriffen in Versammlungen unter freiem Himmel
- Art. 8 II nur für versammlungsspezifische Eingriffe (Vorgehen gegen Versammlungen muss meinungsneutral sein)
- Art. 8 II: qualifizierter Gesetzesvorbehalt (Anknüpfung an „unter freiem Himmel“)
Art. 8: P: Anmelde- und Erlaubnispflicht (s. auch § 14 VersG)
- Ausschluss von Anmeldung und Erlaubnis in Art 8 I als Schranken-Schranke
- Obliegenheit hierzu kann jedoch statuiert werden
- > bei Nichterfüllung der Obliegenheit gibt es nicht die automatische Sanktion der Auflösung; die Versammlung riskiert lediglich, dass anders vermeidbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Polizei situativ zur Auflösung zwingen
- Verfassungskonformität von § 14?
- > pro: verfassungskonforme Auslegung (Epping: methodisch eher eine teleologische Reduktion) möglich für Spontan- und Eilversammlungen
- -> Spontanversammlungen (Versammlungen, die ohne Vorausplanung „spontan“ stattfinden): § 14 findet keine Anwendung
- -> Eilversammlungen (Versammlungen, die so kurzfristig stattfinden, dass die Anmeldefrist von 48 Stunden nicht eingehalten werden kann): Anmeldung nicht entbehrlich, Frist von 48h muss aber nicht gewahrt werden
Art. 8: P: Verfassungsmäßigkeit von § 7 I VersG (Bestellung eines Leiters)
- Bei größeren Versammlungen (+) (faktische Organisationsmöglichkeit; dient der Verwirklichung der Versammlungsfreiheit selbst)
- Bei kleineren Versammlungen (-) (ausnahmslose Pflicht zur Bestellung eines Leiters daher verfwidrig)
Art. 8: Rechtfertigung des Eingriff (Versammlungsverbot) wegen extremistischer Ziele/Inhalte
- eA: Wehrhafte Demokratie gebietet Eingriff
pro: GG als Gegenentwurf zur NS-Herrschaft
con: zulässig, solange extremistische Betätigung im Rahmen des geltenden Rechts - aA (BVerfG): kein inhaltsbezogenes Versammlungsverbot
pro: GG enthält Auftrag zur Abwehr mit den Mitteln des Rechtsstaats: insb. durch besondere Schutznormen des StGB und Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 sowie auch in Art. 26 Abs. 1 besondere Schutzvorkehrungen - > keine weitergehenden als positiv normierten Schranken
Verfassungskonforme Auslegung: Voraussetzungen
- Wortlaut der Norm lässt mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu
- Mindestens eine dieser Auslegungen ist mit dem Grundgesetz vereinbar
- Die gewählte Auslegung widerspricht nicht dem Sinn der Norm
Verbot des Einzelfallgesetzes, Art. 19 I S. 1 GG
- “Allgemein” = wenn sich wegen der abstrakten Fassung der gesetzlichen Tatbestände nicht absehen lässt, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet, wenn also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolgen möglich ist (BVerfG)
- > Ausnahme: wenn der Gesetzgeber einen Sachverhalt regelt, der nur einmalig auftritt, und es für die Regelung sachliche Gründe gibt
P: Garantie des Wesensgehalts, Art. 19 II GG
- eA: Theorie vom relativen Wesensgehalt: Bestimmung nicht nur gesondert für jedes einzelne GR, sondern auch für jeden Einzelfall – Antastung, wenn dem GR in der konkreten Frage das größere Gewicht beizumessen ist
- > con: wiederholt essentiell nur den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
- aA: Theorie vom absoluten Wesensgehalt: WG als eine feste, vom Einzelfall unabhängige Größe (Wesenskern, GRKern, - substanz)
con: unklare Definitionsversuche - > BVerfG: vom GR muss trotz aller Eingriffe etwas bleiben – fraglich: wem muss er bleiben?
- -> dem Einzelnen
- -> der Allgemeinheit
pro: finaler Todesschuss: negiert im Einzelfall komplett das Recht auf Leben gem. Art 2 II 1 GG, aber nicht im Allgemeinen
pro: Art. 19 II GG als kompetenzschützende Norm: nur der verfassungsändernde Gesetzgeber soll GR-Gehalt generell ändern können - wA: Identität mit jeweiligem Menschenwürdegehalt
- > con: Art 19 II wäre wegen Art 79 III sinnlos
- > con: nicht alle GR stehen im Zusammenhang mit der Menschenwürde
- > pro: wo ein solcher besteht, dürfte der MWgehalt regelmäßig mit dem WG des GR übereinstimmen
-> idR gleiche Ergebnisse
Schranke des kollidierenden Verfassungsrechts: P: Begründung
- BVerfG und hL: verfassungsimmanente Schranken aus kollidierendem Verfassungsrecht
pro: Einheit der Verfassung (Ausschluss von verfassungsimmanenten Konflikten)
pro: gem. Art. 1 III GG ist Staat nicht nur verpflichtet, Grundrechtsverletzungen zu unterlassen, sondern auch durch staatliches Tun Grundrechtsverletzungen anderer zu verhindern
con: Wortlaut der vorbehaltlos gewährleisteten GR
con: Nivellierung der ausdifferenzierten Schrankensystematik - mM Lit: engere und präzisere Fassung der Schutzbereiche
con: unklare Maßstäbe der Schutzbereichsbegrenzung (Rechtsunsicherheit)
Schranke des kollidierenden Verfassungsrechts: Begrenzungstaugliches Verfassungsrecht
- aus der Pflicht zur Unterlassung jedes Eingriff in ein schrankenlos gewährleistetes GR folgt, dass auf der Gegenseite eine hinreichend konkrete Pflicht des Staates zum Grundrechtseingriff gegenübersteht
1) Staatliche Schutzpflichten zugunsten GR Dritter
- > soweit die Schutzpflicht tatsächlich einen Eingriff in das Grundrecht des Störers verlangt und der Staat beim Unterlassen eines Eingriffs das Untermaßverbot verletzen würde
2) Staatsstrukturprinzipien und Staatszielbestimmungen
- > BVerfG: (+)
- > Literatur: Konkretheit fraglich
3) Bundesstaatliche Kompetenzvorschriften
- > BVerfG: (+)
- -> con: Abgrenzung von Zuständigkeiten, keine Normierung von Handlungspflichten oder gar Staatsaufgaben (hL, auch Böckenförde)
Schranke des kollidierenden Verfassungsrechts: Gesetzesvorbehalt
- unstr. (+)
pro: Erst-Recht-Schluss
Schranke des kollidierenden Verfassungsrechts: Auch bei GR mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt?
- eA (BVerfG): (+)
pro: Erst-Recht-Schluss - aA (Lit): (-)
pro: Nivellierung der ausdifferenzierten Schrankensystematik
pro: entgegen dem qualifiziertem Vorbehalt wird weite Einschränkungsmöglichkeit eröffnet - wA: auch GR bei einfachem Gesetzesvorbehalt
- > praktisch unbedeutend wegen ohnehin weiter Einschränkbarkeit