Besonderer Teil Flashcards
(31 cards)
Strafrechtssetzungskompetenz der EU - Ausganspunkt
Ausganspunkt ist das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 I 1, II 1 AEUV, d.h. keine Kompetenz-Kompetenz supranationaler Organisationen. Diese sind vielmehr an die Kompetenzen gebunden, welche ihnen durch die Mitgliedsstaaten ausdrücklich, vertraglich übertragen wurden.
Strafrechtssetzung der EU - Kompetenzgrundlagen
1) Art. 82 I AEUV
2) Art. 82 II AEUV
3) Art. 83 I AEUV
4) Art. 83 II AEUV
5) Art. 85 AEUV (str.)
6) Art. 86 AEUV (str.)
7) Art. 33 AEUV
8) Art. 79 II lit. c und d AEUV
9) Art. 325 IV AEUV
Betrügereien i.S.d. Art. 325 IV AEUV
Erforderlich ist eine europarechtskonformes Begriffsverständnis, nicht die deutsche Definition des Betruges ist maßgeblich. Demnach sind Betrügereien sämtliche Verhaltensweisen, welche einen gewissen Täuschungskern aufweisen, z.B. auch Urkundendelikte.
Möglichkeiten der Strafrechtsharmonisierung
1) Unionsrecht als Obergrenze für nationales Strafrecht, d.h. gem. Art. 4 III EUV ist es Verboten, dass MS unionsrechtswidrige Straftatbestände erlassen oder aufrecht erhalten. D.h. das europäische Primärrecht legt die Obergrenze für strafbares Verhalten und strafbare Sanktionen fest, auf der Grundlage supranationaler Grundprinzipien.
2) Unionsrecht als Untergrenze für nationales Strafrecht, d.h. gem. Art. 4 III EUV ist die EU dazu ermächtigt im Sinne einer Angleichungskompetenz entsprechende Minimalanforderungen an alle RO der MS zu stellen. Diese müssen nach den Vorgaben des EuGH die Mindesttrias erfüllen (wirksam, verhältnismäßig und abschreckend) oder zumindest den innerstaatlichen Sanktionen entsprechen, sofern diese eine vergleichbare Schärfe aufweisen.
Ausdrückliche Harmonisierungskompetenzen
1) Art. 83 I AEUV = Angleichungskompetenz zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität.
2) Art. 83 II AEUV = Annexkompetenz in Bereichen in welchen bereits eine Harmonisierung stattgefunden hat.
3) Art. 79 II lit. c und d sowie Art. 325 IV AEUV ermöglichen neben dem Erlass von Verordnungen auch jenen von Richtlinien, sodass hierein ebenfalls Harmonisierungskompetenzen zu sehen sind.
Notbremsenregelung des Art. 83 III AEUV
Als Schranke für den ausufernden Gebrauch der Harmonisierungskompetenzen, sodass einzelne Staaten im Lichte ihrer Gestaltungsfreiheit und Souveränität dazu ermächtigt sind dem Beschluss einer RL zu widersprechen und das Gesetzgebungsverfahren hierdurch zu unterbrechen, sofern grundlegende Aspekte der nationalen Strafrechtsordnung betroffen sind (insb. Grundprinzipien, wie z.B. Schuldprinzip, Gesetzlichkeitsprinzip).
Analoge Anwendung auf Art. 325 IV AEUV?
e. A. Ja, denn vergleichbares Verfahren, zum Schutze der Grundprinzipien erforderlich
a. A. Nein, denn Eigeninteresse der EU, sodass diese auf Mitwirkung der MS angewiesen ist, ferner keine Gefahr der Ausuferung wegen Bereichsspezifität.
Unmittelbar anwendbares EU-Recht auf nationaler Ebene
Verordnungen i.S.d. Art. 288 AEUV, supranationales Primärrecht bezüglich der Grundfreiheiten, sowie Richtlinien, sofern diese den dafür entwickelten Anforderungen des EuGH entsprechen.
Anforderungen des EuGH an die unmittelbare Anwendbarkeit einer EU-Richtlinie auf nationaler Ebene
1) Inhaltliche Unbedingtheit, d.h. es dürfen keine weiteren Maßnahmen für die Anwendbarkeit erforderlich sein, weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene und auch sonst keine weiteren Bedingungen bzw. Vorbehalte bestehen.
2) Hinreichende Genauigkeit, d.h. die RL muss rechtlich vollkommen sein, um aus sich heraus direkt im innerstaatliche Bereich Anwendung zu finden (=Bestimmtheit)
3) Die Umsetzungsfrist muss fruchtlos abgelaufen sein,, d.h. die unmittelbare Anwendbarkeit dient als Quasi-Sanktion für die ausgebliebene Umsetzung seitens der MS (venire contra Factum prorpium = widersprüchliches Verhalten)
4) RL muss einen Einzelnen begünstigen, d.h. keine Sanktionsregelungen, weswegen eine unmittelbare Anwendbarkeit im Rahmen des Art. 83 I, II AEUV ausscheidet.
Neutralisierungswirkung
Sofern einem deutschen Straftatbestand eine unmittelbar anwendbare EU-Vorschrift entgegensteht, handelt es sich um eine sog. echte Kollision, welche stets zugunsten der EU-Norm zu lösen ist, indem der nationale Tatbestand neutralisiert wird, d.h. es liegt bereits keine Tatbestandsmäßigkeit vor, der nat. TB darf nicht angewendet werden.
1) auf TB-Seite: bestimmtes Verhalten wird durch nationales Recht ausdrücklich verboten, durch Unionsrecht jedoch ausdrücklich erlaubt.
2) auf RF-Seite: Normwiderspruch zwischen Unionsrecht und Straffolge des nationale Rechts, z.B. durch Überschreiten einer unionsrechtlichen Obergrenze (Diskriminierungsverbot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).
Unionsrechtskonforme Auslegung
Berücksichtigung des gesamt (auch des nicht unmittelbar anwendbaren) Unionsrechts bei der Auslegung der nationalen Vorschriften.
1) bei unmittelbar anwendbarem EU-Recht: Kollisionsvermeidung i.S.e. Neutralisierungsvermeidung.
2) bei sonstigem EU-Recht zum Zwecke der Harmonisierung des nationalen Rechts mit den Zeilen der Union, gem. Art. 4 III EUV i.S.e. Ergreifens aller Maßnahmen zur Erfüllung der supranationalen Ziele.
Grenzen: äußerste nationale Wortlautgrenze sowie der nationale gesetzgeberische Zweck, d.h. eine Norm darf in ihrem Sinn nicht verändert werden.
Prinzip der gegenseitigen Anerkennung
Rechtshilfe im Rahmen eines einheitlichen Rechtsraumes gem. Art. 67 I AEUV. Ausgangspunkt ist die gegenseitige Anerkennung in anderen Bereichen, z.B. Art. 36 AEUV. Dies soll auch auf justizieller Ebene ermöglicht werden zur Etablierung einer freien Zirkulation gerichtlicher Entscheidungen, ohne dabei eine kaum zu bewältigende Harmonisierung vorzuschalten, d.h. Anerkennung auch bei innerstaatlich ggf. anderer Entscheidung.
Erste positivrechtliche Normierung der gegenseitigen Anerkennung im strafprozessualen Bereich
Art. 82 I AEUV
!!! nicht gleichzusetzen mit einer Harmonisierungskompetenz (II), denn es handelt sich dabei lediglich um eine Anerkennungsregelung zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Würdigung justizieller Entscheidungen und nicht um eine Kompetenz zur Angleichung der Rechtsordnungen.
Gefahren: Unterminierung von zentralen Verteidigungsrechten und Rechtsunsicherheit angesichts der Verschiedenartigkeit der Rechtsordnungen –> zu lösen über Vorbehalte und Ablehnungsgründe in den jeweiligen Rechtsakten, sowie dem Prinzip der ordre public, d.h. der Möglichkeit ausnahmsweise Nicht-Anerkennung, für den Fall der Widersprüchlichkeit mit wesentlichen Grundsätzen des national Rechts.
Anerkennung im Bereich der Beweismittel
Früher: RB über Vollstreckung und Sicherstellung i.S.e. Möglichkeit zum Einfrieren von Beweismitteln, sowie RB europäischer Beweisanordnung als ergänzende Zugriffsmöglichkeit auf diese Beweismittel nach den jeweils nationalen Sicherstellungsvorschriften.
Problematisch: beschränkt auf bereits erhobene Beweismittel und von DE nicht umgesetzt. Mittlerweile aufgehoben.
Heute: RL über europäische Ermittlungsanordnung als einheitlicher Rechtsrahmen für Erhebung und Transfer von Beweismitteln. Umfassender als frühere Lösung, insb. auch Erstreckung auf noch nicht erhobene, aber leicht beschaffbare, sowie bereits vorhandene aber nicht unmittelbar erhebbare Beweismittel.
Problematisch: Gefahr der Unterminierung fundamentaler nationaler Beschuldigteninteressen in Relation zur Effektivität der Strafverfolgung.
–> Deutlich umfangreichere Ausgestaltung der heutigen RL, insb. Berücksichtigung von Ablehnungsgründen, explizit auch für GG-Verletzungen, Prüfung von Verhältnismäßigkeit und Zulässigkeit seitens des Anordnungsstaates, sowie forum regit actum, d.h. Vollstreckungsstaat bestimmt zwar grds. das Wie der Vollstreckung, jedoch kann der Anordnungsstaat gewisse Formvorschriften und gewisse Verfahren vorgeben, welche der VS zu befolgen hat, es sei denn es sprechen zentrale Grundsätze seiner nationalen RO dagegen.
Anerkennung im Bereich der Vollstreckungshilfe
Insb. Reduzierung der früheren Hürden zur Rechtshilfe. Insb. beiderseitige Strafbarkeit für viele Bereiche aufgehoben (ggf. unter Vorbehalt, dass MS diese dennoch fordern können), unter Berücksichtigung etwaiger Ablehnungsgründe.
z.B. RB über freiheitsentziehende Sanktionen, RB zu Bewährungsentscheidungen und alternativen Sanktionen, RB über Geldstrafen und Geldbußen, etc.
Europäischer Haftbefehl
Früher: schwerfälliges, klassisches, insb. zeitaufwändiges und komplexes Rechtshilfeverfahren im Bereich der Auslieferungen: 1) Zulässigkeit = Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit, 2) rein politische Bewilligungsentscheidung i.S.e. Ermessensentscheidung meist aufgrund Zweckmäßigkeitserwägungen –> zahlreiche Vss. und Hürden, auch nicht-rechtlicher und insofern willkürlicher Art.
–> RBEuBh: Verzicht auf politische Bewilligungsentscheidung, sondern Verrechtlichung dieser in eine justizielle Entscheidung; Abschaffung des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit für einen umfassenden Katalog, sodass Vollstreckung ggf. auch möglich, wenn in vollstreckendem MS selbst nicht strafbar, beachte aber ggf. Ablehnungsgründe nach Art. 3, 4 des RB.
Ablehnung der Vollstreckung eines EuHb bei drohender Grundrechtsverletzung im Auslieferungsstaat.
Ausgangspunkt: Auslieferung an MS im Rahmen eines EuHb, obwohl in MS vermeintlich menschenunwürdige Haftbedingungen und insofern entgegenstehende Menschenwürde und andere Grundrechte.
EuGH früher: keine Ablehnung möglich, da nicht erfasst von den expliziten und abschließenden Ablehnungsgründen, insb. Art. 1 III des RB (Art. ordre public) stellt keine ausreichende Grundlage dar.
EuGH heute: in Ausnahmefällen soll eine Ablehnung nun auch außerhalb der explizit vorgesehenen Gründe möglich sein, sofern außergewöhnliche Umstände vorliegen (z.B. menschenunwürdige Haftbedingungen, sofern diese objektiv zuverlässig nachgewiesen werden können).
BVerfG: geht noch weiter und hat eine umfassende Drohung implizit ausgesprochen, dem unionsrechtliche Vorrang ggf. nicht zu folgen, sofern eine Vollstreckung unter Berufung auf das GG unzulässig wäre. Dies ist nicht nur der Fall bei expliziten Ablehnungsgründen und außergewöhnlichen Umständen, sondern auch im Rahmen einer Identitätskontrolle, d.h. wenn integrationsfest ausgestaltete Verfassungsidentität durch die Vollstreckung verletzt werden könnte (z.B. Schuldprinzip).
Abgrenzung Art. 82 Abs. 1 UA 2 und Abs. 2 AEUV
Abs. 1 UA 2: Zusammenarbeit OHNE Rechtsangleichung, d.h. keine Harmonisierungskompetenz sondern lediglich gegenseitige Anerkennung durch RL und VO.
Abs. 2: Zusammenarbeit DURCH Rechtsangleichung, d.h. Harmonisierungskompetenz i.S.e. Mindestangleichungskompetenz in Form von Richtlinien (nicht VO), soweit dies erforderlich ist, um ein Ziel der justiziellen Zusammenarbeit zu Erreichen (ultima ratio i.S.d. abschließenden Kataloges).
Notbremsenregelung des Art. 82 III AEUV
Vgl. Art. 83 III AEUV, gilt jedoch nur für Harmonisierungsakte nach Abs. 2 und nicht für Rechtsakte der gegenseitigen Anerkennung nach Abs. 1 UA 2.
Auslieferung vs. Ausweisung
Auslieferung = auf staatliches Ersuchen hin wird eine verfolgte Person vom Hoheitsgebiet eines Staates in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zum Zwecke der dortigen Strafverfolgung oder Strafvollstreckung überstellt.
Ausweisung = einer Person wird ohne das Ersuchen eines anderen Staates aufgegeben, das Hoheitsgebiet des die Ausweisung aussprechenden Staates zu verlassen. Die Abschiebung stellt den Vollzug der Ausweisung dar. Im Unterschied zum Ausgelieferten hat der Ausgewiesene die Wahl, wohin er sich begeben möchte.
Ne bis in idem auf nationaler Ebene
Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 103 III GG, allerdings ausschließlich rechtsordnungsinterne Bedeutung aufgrund der Autonomie der unterschiedlichen Rechtsordnungen. Voraussetzung ist sowohl die formelle, als auch die materielle Rechtskraft, d.h. die Vollstreckbarkeit und Unanfechtbarkeit des Urteils. Grund für eine derartige Figur ist ein notwendiger Vertrauensschutz bzgl. des Schutzes schon bestrafter oder rechtskräftig Freigesprochener Täter gegen eine erneute Strafverfolgung im Hinblick auf staatliche Willkür und grundrechtlich gewährleistete Freizügigkeit. Maßgeblich ist ausschließlich der Tenor des Urteils, nicht etwaige Gründe.
Ne bis in idem zwischen EU-Sanktionen und nationalen Sanktionen
Grds. keine Anwendung, da i.d.R. unterschiedliche Zielsetzungen (z.B. parallele Kartellverfahren zum Schutz des nationalen bzw. der europäischen Wettbewerbs). Eine EU-Sanktion kann auf nationaler Ebene nur bei der Strafzumessung der erneuten Sanktion berücksichtigt werden gem. § 51 III StGB auf der Grundlage der Verhältnismäßigkeit.
Ne bis in idem zwischen nationalen Sanktionen verschiedener MS
Grds. gilt ne bis in idem nicht grenzüberschreitend, auch Art. 50 GRC ordnet eine derartige Wirkung lediglich innerhalb der jeweiligen MS an. Angesichts der Kompetenzkonflikte und daraus resultierenden Gefahr der Mehrfachbestrafung ist es jedoch erforderlich auch auf supranationaler Ebene einen derartigen Grundsatz zu etablieren. Art. 54 SDÜ beinhaltet einen entsprechenden Versuch.
Verhältnis zwischen Art. 54 SDÜ und Art. 50 GRC
Fraglich ist, ob Art. 54 SDÜ fortgeltende Wirkung hat, seit des Inkrafttretens des Art. 50 GRC:
e.A. Art. 50 GRC verdrängt Art. 54 SDÜ, da primärrechtliche Regelung vs. sekundärrechtliche Regelung. Demnach käme es nicht länger auf ein Vollstreckungselement an. Hierfür sei aufgrund des gegenseitigen Anerkennens von Sanktionen und Vollstreckung, sowie nach der Verringerung der Gefahr einer Flucht vor Strafverfolgung in das Ausland durch den EuHb auch kein Bedarf mehr.
JEDOCH ist dies Vorstellung der Einheitlichkeit eher illusorisch, da bei Weitem keine lückenlose Angleichung stattgefunden hat, zum Einen gibt es weiterhin das Erfordernis der gegenseitigen Strafbarkeit außerhalb des Kataloges und zum Anderen bestehen einige Ablehnungsgründe, weswegen eine Flucht vor Strafverfolgung ins Ausland durchaus auch weiterhin möglich erscheint.
a.A. Art. 54 SDÜ fungiert mit zusätzlichem Vollstreckungselement als Schrankenbestimmung zu Art. 50 GRC. Art. 50 GRC repräsentiert eine Verankerung des ne bis in idem Grundsatzes in Form eines justiziellen Grundrechts im europäischen Primärrecht und ist insofern typischerweise weit gefasst. Demnach unterliegt dieser Grundsatz systemgetreu etwaigen Schrankenbestimmungen auf der Grundlage des Sekundärrechts (vgl. Art. 52 GRC), sofern die wiederum bestehenden Schranke-Schranken eingehalten werden, was nach der Rspr. im Rahmen des Art. 54 SDÜ der Fall ist.
Anwendbarkeit des Art. 50 GRC
Gem. Art. 51 GRC lediglich bei der Durchführung des Unionsrechts, was jedoch nach dem EuGH bereits dann der Fall ist, wenn eine Vorschrift im Raum steht, die einem Ziel der Union dient und im Unionsrecht eine Schutzverpflichtung des MS im Hinblick auf diese Ziele zu finden ist, z.B. MwSt-Betrug im Zusammenhang mit Art. 325 IV AEUV, da auch hierbei mittelbare EU-Interessen, namentlich Beitragsinteressen betroffen sind.