Grundfragen der Verantwortlichkeit und Schuldfähigkeit Flashcards
(41 cards)
Was unterscheidet Unrechts- und Schuldbereich?
Im Unrechtsbereich wird die mit Strafe bedrohte Handlung auf ihre Übereinstimmung mit den Sollensnormen der Rechtsordnung, d.h. auf ihre Rechtswidrigkeit hin, überprüft.
Im Schuldbereich geht es dagegen um die Frage, ob dem Täter die rechtswidrige Tat persönlich vorzuwerfen ist.
Was ist Schuld im weiteren Sinne?
Verantwortlichkeit
Welche zwei Aspekte werden von der Verantwortlichkeit umfasst?
Schuld im engeren Sinne, präventive Bestrafungsnotwendigkeit
Wann handelt ein Straftäter schuldhaft?
Der Täter handelt schuldhaft, „wenn er strafrechtliches Unrecht verwirklicht, obwohl er in der konkreten
Situation von der Appellwirkung der Norm (noch) erreicht werden konnte und eine hinreichende Fähigkeit zur Selbststeuerung besaß, so dass eine rechtmäßige Verhaltensalternative ihm psychisch zugänglich war“ (Roxin/Greco AT I § 19 Rn. 3)
Welche Schuldbegriffe gibt es?
psychologisch und normativ
Was besagt der psychologische Schuldbegriff?
Nach der „psychologischen Schuldauffassung“ (vgl. Radbruch ZStW 1904, 333) bestand das Wesen der
Schuld in der subjektiv-seelischen Beziehung des Täters zur Tat. Sie identifizierte den Schuldbegriff mit dem psychischen Sachverhalt (Wissen/Nichtwissen bzw. Wollen/Nichtwollen) und sah Vorsatz und Fahrlässigkeit demnach als „Schuldarten“ an.
Probleme:
- Diese Lehre lässt wesentliche Elemente der Schuld unberücksichtigt.
- Die Lehre kann nicht erklären, warum die Schuld eines vorsätzlich Handelnden unter den Voraussetzungen des § 35 StGB entfällt.
Was besagt die normative Schuldlehre?
Das Wesen der Schuld liegt in der Vorwerfbarkeit der Willensbildung und Willensbetätigung, also in der
normativen Bewertung eines psychischen Sachverhalts.
Wie steht die Lehre zum normativen Schuldbegriff?
Der normative Schuldbegriff wird heute durchweg anerkannt (BGHSt 2, 194, 200; NK/Paeffgen/Zabel Vor
§§ 32 ff. Rn. 208 f.). Doch gehen die Ansichten darüber auseinander, aus welchen Elementen er sich zusammensetzt
Aus welchen Elementen setzt sich der normative Schuldbegriff nach herrschender Lehre zusammen?
- die Schuldfähigkeit
- die in bestimmten Fällen vorgesehenen speziellen Schuldmerkmale
- die Schuldform (Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsschuld)
- das Unrechtsbewusstsein (Möglichkeit der Unrechtseinsicht)
- (negativ) das Fehlen von Entschuldigungsgründen
Wie regelt das StGB die Frage der Schuldfähigkeit?
negativ, indem es nur bestimmt, wann ein Täter nicht oder nur vermindert schuldfähig ist
Wer ist schuldunfähig?
- Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr (vgl. § 19 StGB; näher dazu Mitsch Jura 2017, 792, 793 f.)
- Personen, die wegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung,
Schwachsinns oder einer anderen schweren seelischen Abartigkeit unfähig sind, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. § 20 StGB).
Welche zwei Schritten müssen bei der Prüfung der Schuldfähigkeit nach § 20 StGB unternommen werden?
- Prüfen, ob als biologisches Merkmal eine krankhafte seelische Störung, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung, Schwachsinn oder eine andere schwere seelische Abartigkeit vorliegt. (biologisch-psychologisches Stockwerk)
- Feststellen, dass der Täter wegen des festgestellten biologischen Merkmals unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen bzw. nach dieser Einsicht zu handeln. (psychologisch-normatives Stockwerk)
Was sind krankhafte seelische Störungen?
Geisteskrankheiten, deren somatische Ursachen nachgewiesen sind bzw. postuliert werden
Zu welcher Gruppe der biologische Merkmale für Schuldunfähigkeit gehört der alkohol- oder drogenbedingte Vollrausch?
krankhafte seelische Störung
Welche Faustregel gilt bei Alkoholkonsum hinsichtlich der Schuldfähigkeit?
Eine Schuldunfähigkeit kommt ab ca. 3,0 ‰ in Betracht.
Bei Tötungs- und schweren Gewaltdelikten kommt Schuldunfähigkeit aufgrund der höheren Hemmschwelle erst ab etwa 3,3 ‰ in Betracht (heute eher zweifelhaft, da der BGH dieser Hemmschwellentheorie mit dem Urteil vom 22.3.2012- 4 StR 558/11 [zu Recht] ihre Bedeutung weitgehend genommen hat)
Für die Klausur bedeutet dies: Promilleangaben ohne Hinweise darauf, was aus diesen zu schließen ist,
dürfen nicht für Fragen von §§ 20, 21 StGB interpretiert werden.
Was gilt bei der Ermittlung des Blutalkoholgehalts zur Tatzeit?
er muss so zurückgerechnet werden, dass er möglichst hoch ausfällt (in dubio pro reo)
Was sind tiefgreifende Bewusstseinsstörungen?
Tiefgreifende Bewusstseinsstörungen sind schwere nichtkrankhafte Bewusstseinseintrübungen, die nicht
mehr im Bereich des Normalen liegen (Roxin/Greco AT I § 20 Rn. 13). Beispiele hierfür sind Schlaftrunkenheit, Hypnose und hochgradige Affekte.
Was ist Schwachsinn?
Schwachsinn ist eine angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare organische Ursachen (Sch/Sch/Perron/Weißer § 20 Rn. 18). Erfasst werden hier insb. die Debilität und die Idiotie. Es bedarf nach der Rspr. jeweils einer Bewertung im Einzelfall (BGH NStZ-RR 2015, 71; 2017, 270).
Was versteht man unter “anderen schweren seelischen Abartigkeiten”?
psychische Abweichungen vom Normalen gemeint, die nicht auf einer körperlichen Krankheit beruhen
Welche Erscheinungsformen fallen hauptsächlich in die Kategorie der “anderen schweren seelischen Abartigkeiten”?
Hauptsächliche Erscheinungsformen sind Neurosen und Psychopathien.
Pädophilie erkennt die Rspr. nur an, wenn im Einzelfall nach einer Gesamtschau der Umstände von einer „eingeschliffenen Verhaltensschablone“ hinsichtlich des Sexualverhaltens ausgegangen werden kann
Wie ist verminderte Schuldfähigkeit definiert?
Vermindert schuldfähig sind gem. § 21 StGB Personen, deren Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aus einem in § 20 StGB genannten Grund erheblich vermindert ist. Der vermindert Schuldfähige
kann – muss aber nicht – milder bestraft werden (fakultativer Strafmilderungsgrund, vgl. §§ 21, 49 I StGB).
Ab welchem Blutalkoholgehalt kommt eine verminderte Schuldfähigkeit gemäß Faustregel in Betracht?
- Eine verminderte Schuldfähigkeit kommt ab ca. 2,0 ‰ in Betracht.
- Bei Tötungs- und schweren Gewaltdelikten kommt verminderte Schuldfähigkeit aufgrund der höheren
Hemmschwelle erst ab etwa 2,2 ‰ in Betracht (Hemmschwellentheorie verliert aber an Bedeutung)
Was meint bedingte Schuldfähigkeit?
Bedingt schuldfähig sind Jugendliche, die zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind (§ 3 JGG)
Was muss geprüft werden, wenn bedingte Schuldfähigkeit gegeben ist?
Die Schuldfähigkeit muss nach dem Grad der Entwicklungsreife des Täters jeweils geprüft und im Urteil besonders festgestellt werden. Es bedarf nicht nur der Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen. Der Jugendliche muss auch in der Lage gewesen sein, entsprechend dieser Einsicht zu handeln.
Diese Fähigkeit ist dabei nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen und bedarf gleichfalls besonderer Feststellung.