StGB AT Flashcards

(191 cards)

1
Q

Teile des StGB

A

I. AT: §1-79b
II. BT: §80-358

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2
Q

Unterscheidung von Delikten

A

vorsätzliches Delikt - fahrlässiges Delikt
Begehungsdelikt - Unterlassungsdelikt

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3
Q

laienhafte Definition Vorsatz und Fahrlässigkeit

A

vorsätzliches Handeln: möchte Erfolg erreichen
fahrlässiges Handeln: möchte keinen Erfolg erreichen, dieser tritt aber dennoch ein

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4
Q

laienhafte Definition Begehungsdelikt und Unterlassungsdelikt

A

Begehungsdelikt: man handelt selbst
Unterlassungsdelikt: man lässt etwas geschehen

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5
Q

Erfolgsdelikte und Tätigkeitsdelikte

A

Erfolgsdelikt: Erfolg in der Außenwelt wird benötigt
Tätigkeitsdelikt: ausreichend, wenn Täter eine bestimmte Handlung ausführt; ein bestimmter Erfolg wird nicht benötigt

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6
Q

Der dreistufige Deliktsaufbau

A

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Erfolg
b) Handlung
c) Kausalität zwischen Handlung und Erfolg
d) Objektive Zurechnung
2. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld

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7
Q

Definition: Koinzidenzprinzip

A

Das Simultanitätsprinzip (Koinzidenzprinzip) wird normativ aus dem in Art. 103 Abs. 2 GG kodifizierten Bestimmtheitsgebot hergeleitet und ergibt sich mittelbar aus § 16 i.V.m. § 8 StGB

Täter macht sich nur dann strafbar, wenn er den Tatbestand verwirklicht und bei der Verwirklichung des Tatbestandes vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft handelt

Maßgebend ist der Zeitpunkt der Tat

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8
Q

Erfolg des §212 StGB (Totschlag)

A

“Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein”: Tod eines anderen Menschen

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9
Q

Definition: Handlung

A

Jedes von einem menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare sozial erhebliche Verhalten

(Handlungen sind sowohl aktives Verhalten als auch Unterlassen (aber bei Unterlassung: Prüfung beenden und ein Unterlassungsdelikt prüfen))

Erfordert für den Täter eine tatsächlich bestehende Alternative, sich intentional pflichtgemäß zu verhalten

Eigene Körperbewegungen sind prinzipiell zurechenbares Verhalten

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10
Q

Anforderungen an die Handlung / Ausschlussgründe der Handlung

A
  • Menschliches Verhalten (nicht Tiere)
  • Konkretes Verhalten (nicht schlechte Lebensführung (z.B: Alkoholkonsum))
  • Außenbezug ((Nicht)Veränderung in der Außenwelt, kein Gesinnungsstrafrecht)
  • willensgesteuertes Verhalten

Ausschlussgründe: Handeln aus
- (nicht antrainiertem) Reflex, Schlaf, Bewusstlosigkeit, krampfbedingtem Verhalten
- Zwang durch äußere Gewalt / vis absoluta (unwiderstehlicher Zwang) iwS
- U.U. automatische (fest antrainierte Reaktionen)

Jedoch keine Ausnahmen bei:
- vis compulsiva
- Rausch
- Affekt
- antrainiertes Verhalten

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11
Q

Definition Äquivalenztheorie und conditio-sine-qua-non-Formel

A

Die Handlung des Täters ist i.S.d conditio-sine-qua-non-Formel dann kausal für den Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
Äquivalenz bedeutet, dass alle Bedingungen gleichwertig sind.

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12
Q

Gegenprobe Äquivalenztheorie

A

Tritt der Erfolg ein, wenn man sich die Handlung wegdenkt? Wenn ja, liegt keine Kausalität zwischen Handlung und Erfolg vor

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13
Q

Defintion Kumulative Kausalität

A

Von mehreren Bedingungen ist jede Bedingung alleine für sich genommen nicht ausreichend, um den Erfolg herbeizuführen; zusammen genommen führen sie jedoch zum Erfolg

Beispiel: A und B (die sich beide nicht kennen und noch nie etwas voneinander gehört haben) möchten beide unabhängig voneinander dem Z einen Denkzettel verpassen. Daher geben sie beide nacheinander 50mg Rattengift in den Kaffee des Z. Während 50mg nur zu einer Magenverstimmung führen, bedeuten 100mg den Tod einer Person. Z trinkt den Kaffee und stirbt.

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14
Q

Definition Alternative Kausalität

A

Von mehreren Bedingungen ist jede Bedingung alleine für sich genommen ausreichend, um den Erfolg herbeizuführen
Voraussetzung ist, dass sämtliche Bedingungen in dem Erfolg wirksam geworden sind

Beispiel: A und B (die sich beide nicht kennen und noch nie etwas voneinander gehört haben) möchte beide unabhängig voneinander den Z töten. Aus diesem Grund geben beide nacheinander 100mg Rattengift in den Kaffee des Z. 100mg Rattengift führen bei oraler Anwendung zum Tod. Z trinkt den Kaffee und stirbt.

Merke: Modifikation der conditio-sine-qua-non-Formel erforderlich: Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede für den Erfolg ursächlich

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15
Q

Definition Hypothetische Kausalität / Ersatzursachen

A

Reserveursachen, wonach der Erfolg zu einem späteren Zeitpunkt auch eingetreten wäre, bleiben dabei außer Betracht

Maßgebend ist ausschließlich die ursächliche Verbindung zwischen dem Geschehensablauf und dem konkreten Erfolg. Auch wenn der Erfolg später aufgrund anderer Ereignisse oder in anderer Weise ebenfalls eingetreten wäre, so würde dies nicht die Ursächlichkeit zwischen der tatsächlichen Handlung und dem konkreten Erfolg beseitigen. Maßgeblich ist allein der tatsächliche Geschehensablauf, das Hinzudenken von Reserveursachen und hypothetischen Kausalverläufen ist unzulässig.

Beispiel: A tötet B mit einer Schrotflinte. B wäre in 2 Wochen sowieso bei einem Flugzeugabsturz gestorben.

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16
Q

Definition Überholende Kausalität

A

Abgebrochene bzw. überholende Kausalität bedeutet, dass eine andere Ursache völlig unabhängig von der Erstursache den Eintritt des Erfolges bewirkt. In diesen Fällen ist die Kausalität zu verneinen. Zu beachten ist allerdings, dass die Erstursache für das Setzen der Zweitursache keine Bedeutung haben darf.

Beispiel: X sticht 23 mal auf Y ein und entfernt sich vom Tatort. Z kommt zufällig vorbei und schlägt auf den Kopf des Y ein, bis dieser tot ist.
Y war schon so schwer verletzt, dass er sich beim Angriff des Z nicht mehr selbst wehren konnte. Folglich waren die Messerstiche kausal für den Tod des Y, da diese bis zum endgültigen Tod des T fortwirkten

Merke: Wenn die Ersthandlung noch gar keine Wirkung entfaltet (z.B: verabreichte Drogen, die erst nach einem gewissen Zeitraum wirken), dann liegt keine Kausalität vor, und es ist nur eine Versuchsstrafbarkeit zu prüfen

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17
Q

Definition Atypische Kausalität

A

Nach der conditio-sine-qua-non-Formel ist es ferner bedeutungslos, ob der Eintritt des Erfolges auf einem atypischen Kausalverlauf oder sonstigen atypischen Gegebenheiten beruht.

Beispiel: X sticht 32 mal auf den Y ein, welcher schwerverletzt in ein Krankenhaus geliefert wird. Aufgrund eines Erdbebens stürzt das Krankenhaus ein und Y stirbt.
Dadurch, dass X auf Y eingestochen hat, ist dieser erst ins Krankenhaus eingeliefert worden. Aus diesem Grund wäre die Handlung des X auch kausal für den Tod des Y. Aber innerhalb der objektiven Zurechnung würde man die atypische Kausalität ansprechen und innerhalb des Risikozusammenhangs die Prüfung beenden

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18
Q

Spezielle Fälle der Kausaltät

A

Kumulative Kausalität +, aber in objektiver Zurechnung -
Alternative Kausalität +
Hypothetische Kausalität -
Überholende/Abbrechende Kausalität +, außer Ersthandlung entfaltet keine Wirkung: dann -
Atypische Kausalität +, aber in objektiver Zurechnung -

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19
Q

Aufbau des vollendeten, vorsätzlichen Begehungsdelikts (Erfolgsdelikt)

A

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Taterfolg
b) Tathandlung
c) Kausalität zwischen Erfolg und Handlung
d) Objektive Zurechnung
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz: Wissen und Wollen bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale
b) Ggf. weitere subjektive Elemente, z.B. besondere Absichten

Il. Rechtswidrigkeit (Vorliegen der obj. und subj. Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes)

III. Schuld
1. Schuldfähigkeit (Alter, § 19 StGB/Gesundheitszustand, § 20 StGB)
2. aktuelles oder potenzielles Unrechtsbewusstsein, § 17 StGB
3. Schuldausschließungsgründe (z.B. §§ 33, 35 StGB)

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20
Q

Prüfschema Körperverletzung nach §223 I StGB

A

I. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
aa) Körperliche Misshandlung
bb) Gesundheitsschädigung
(cc) Kausalität
dd) Objektive Zurechnung)

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

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21
Q

Definition Gesundheitsschädigung

A

Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand nachteilig abweichenden/ pathologischen Zustandes

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22
Q

Definition Körperliche Misshandlung

A

Jede üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird

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23
Q

Definition Objektive Zurechnung

A

Ist der Täter für ein aus dem Deliktstatbestand rechtlich missbilligtes Risiko des Erfolgseintritts verantwortlich, das sich im tatsächlich eingetretenen Erfolg in vom Tatbestand erfasster („hinreichend typischer“) Weise realisiert hat?

  1. Schaffung/ Erhöhung eines rechtlich missbilligten Risikos durch Tathandlung
  2. a) Realisierung im tatsächlich eingetretenen Erfolg
    b) Nicht außerhalb des Schutzbereichs der Norm
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24
Q

Definition Adäquanztheorie für die Lehre der objektiven Zurechnung

A

Folgen einer Handlung sind dann kausal, wenn mit deren Eintritt nach allgemeiner menschlicher Lebenserfahrung vom Standpunkt eines kundigen, nachträglich urteilenden Betrachters gerechnet werden konnte

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25
Definition Vorsatz
Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatbestandsmerkmale
26
Elemente des Vorsatzes
Kognitives Element = Wissen Voluntatives Element = Wollen * Vorsatz muss sich auf sämtliche objektive Tatbestandsmerkmale beziehen * auch auf die Merkmale von Qualifikationen (zB § 224 Abs. 1 StGB) * auch ungeschriebene Tatbestandsmerkmale wie zB die Vermögensverfügung
iSd § 263 StGB
27
Zeitliche Dimension des Vorsatzes
Beispiel 1: A will B an einem abgelegenen Orte erschießen. Doch schon auf dem Weg dorthin gerät A in einen Verkehrsunfall bei dem sie den zufällig dort anwesenden B tötet. Beispiel 2: A verursacht versehentlich einen Verkehrsunfall, bei dem B zu Tode kommt. Als A aus ihrem Wagen steigt, erkennt sie ihren Erzfeind B. A ist hocherfreut, dass es „den Richtigen" getroffen hat. § 16 Abs. 1 StGB: „Wer —>bei Begehung der Tat<— einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. (...)" * Koinzidenz- oder Simultaneitätsprinzip: Vorsatz muss zum Zeitpunkt der
Begehung der Tat vorliegen * Dolus antecedens (Beispiel 1) und dolus subsequens (Beispiel 2) sind
unbeachtlich
28
Vorsatzform 1: Absicht
Absicht = dolus directus 1. Grades; Wollenselement überwiegt Dem Täter kommt es im Sinne zielgerichteten Wollens darauf an, den Tatbestand zu verwirklichen.
Kognitiv genügt die Vorstellung, dass es zur Erfüllung des Tatbestands kommen kann.
29
Vorsatzform 2: Direkter Vorsatz
Direkter Vorsatz = dolus directus 2. Grades; Wissenselement überwiegt Der Täter sieht voraus, dass sein Handeln mit Sicherheit zur Verwirklichung des Tatbestands führen wird.
Voluntativ findet sich der Täter damit ab.
30
Vorsatzform 3: Eventualvorsatz
Eventualvorsatz = dolus eventualis bzw. bedingter Vorsatz Kognitiv hält der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich.
Voluntatives Element strittig.
31
Aufbau eines Meinungsstreits
1. Normaler Obersatz 2. Einleitung des Streits: Warum ist der Streit in dem konkreten Fall relevant? 3. Definitionsvorschlag Ansicht I * „Einerseits lässt sich vertreten, dass...“ * Subsumtion unter die Ansicht * Ergebnis Ansicht I im Konjunktiv: „Danach läge ... vor" 4. Definitionsvorschlag Ansicht II | Ansicht III usw. 5. Stellungnahme erforderlich? → ja, wenn Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. 6. Stellungnahme im Sanduhrprinzip * Argumente für Ansicht, der man letztlich nicht folgt. * Argumente für Ansicht, der man folgt. * „Für letztgenannte Ansicht streitet insbesondere, dass .... Insofern ist ihr zu folgen." 7. Ergebnis der Favoritenansicht im Indikativ * „Somit ist“ oder „Folglich hat..."
32
Abgrenzung Eventualvorsatz und bewusste Fahrlässigkeit: Theorien
Unterteilung in kognitive und voluntative Theorien Die kognitiven Theorien halten beim Eventualvorsatz die Willenskomponente für nicht erforderlich. Die voluntativen Theorien verlangen hingegen auch hier die zwei selbstständigen Elemente Wissen und Wollen.
33
Möglichkeitstheorie
Es genügt, dass der Täter den Erfolgseintritt für möglich hält. Ein voluntatives Element ist nicht erforderlich. (+) einfache und klare Bestimmung des dolus eventualis (-) bei Verzicht auf Willenselement zu weite Ausdehnung des Vorsatzes (dann keine bewusste Fahrlässigkeit mehr möglich)
34
Wahrscheinlichkeitstheorie
Der Täter muss den Erfolg für wahrscheinlich, jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich halten. Ein voluntatives Element ist hingegen nicht erforderlich. (-) Abgrenzungsschwierigkeiten: Wie ist bestimmbar, was für „möglich", „wahrscheinlich" oder „überwiegend wahrscheinlich" gehalten wird? Zudem als kognitive Theorie ebenfalls zu weite Ausdehnung des Vorsatzes.
35
Gleichgültigkeitstheorie
Vorsatz liegt vor, wenn der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt und er diese aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Opfer hinnimmt. (+) Erkennt die voluntative Komponente des Vorsatzes (-) Die gefühlsmäßige Einstellung zum tatbestandlichen Erfolg ist schwer ermittelbar Zudem macht die Ansicht den Vorsatz letztlich von bloßen Emotionen abhängig
36
Ernstnahme- (h.L.) bzw. Billigungstheorie (Rspr.)
Der Täter handelt vorsätzlich, wenn er den Erfolg (ernsthaft) für möglich hält und sich damit - ggf. widerwillig - abfindet (h.L.) bzw. ihn billigend in Kauf nimmt (Rspr.). (+) bewusste Entscheidung für Rechtsgutsverletzung umfasst kognitive und voluntative Elemente; sinnvolle Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit
37
Faustformel zur Abgrenzung dolus eventualis - bewusste Fahrlässigkeit nach h.L.
Bewusste Fahrlässigkeit → Täter sagt sich: „Es wird schon gut gehen." (Das Vertrauen in das Ausbleiben des Erfolgs darf aber kein „Gottvertrauen" sein.) Bedingter Vorsatz → Täter sagt sich: „Na wenn schon!" BEACHTE: Es handelt sich nicht um wissenschaftliche Definitionen, sodass sie im Gutachten nichts verloren haben!
38
Irrtum über den Kausalverlauf: dolus generalis
Einheitliches Handlungsgeschehen mit Gesamttötungsvorsatz Vorsatz (+) (-) §16: Vorsatz zum Zeitpunkt der Tat
39
Irrtum über den Kausalverlauf: Versuchslösung
Teilakte werden getrennt betrachtet, sodass zwei selbstständige Handlungen mit verschiedenen Vorsätzen vorliegen Tötungsvorsatz bei Vornahme der Zweithandlung erloschen —> Strafbarkeit wegen Versuchs (1. Handlung) und ggf.
wegen Fahrlässigkeit (2. Handlung) Vorsatz (-) (-) einheitliches Geschehen wird in 2 Akte aufgespalten (-) Vorsatz muss zum Zeitpunkt des Taterfolges nicht mehr vorliegen; lediglich Tathandlung
40
Irrtum über den Kausalverlauf: Vollendungslösung
Bewertung nach Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs: Täter handelt bezüglich der Ersthandlung auch dann noch vorsätzlich, wenn lediglich eine unwesentliche Abweichung von dem geplanten Kausalverlauf gegeben ist Abweichungen sind dann unwesentlich, wenn sie sich noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten Bezüglich der Zweithandlung kommt es wegen § 16 StGB zu einem Vorsatzausschluss Vorsatz (+)
41
Behandlung von Tieren als Sache
eA: § 90a BGB ist wegen der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht anzuwenden aA: Entsprechende Anwendung des § 90a BGB nicht notwendig, da Strafrecht eigenständigen Sachbergriff hat und dieser allein durch die Zielsetzung und die hier maßgebende Regelungsmaterie bestimmt wird → hier: Tiere sollen gegenüber sonstigen körperlichen Gegenständen gerade keinen geringeren Schutz erfahren —> damit auch hiernach (+)
42
Definition Beschädigung
Unter Beschädigung versteht man eine körperliche Einwirkung des Täters auf die Sache, die zur Folge hat, dass ihre Unversehrtheit oder ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird
43
Definition Zerstören
Zerstören meint den völligen Verlust der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit
44
Definition und Behandlung des error in objecto bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit
wenn das anvisierte und das tatsächlich getroffene Objekt gleichartig sind, handelt es sich nach ganz herrschender Meinung lediglich um einen sog. unbeachtlichen Motivirrtum T wollte nämlich eine Sache beschädigen und letztlich auch eine Sache beschädigt; Der Täter hat gerade dasjenige Handlungsobjekt getroffen, auf welches sich sein Vorsatz konkretisiert hat Rechtsfolge kein Vorsatzausschluss nach § 16 Absatz 1 Satz 1 StGB Strafbarkeit wegen einer vollendeten vorsätzlich begangenen Tat hinsichtlich des getroffenen Objekts Strafbarkeit hinsichtlich des eigentlich anvisierten Objekts liegt nicht vor, da der Vorsatz nur ein Tatobjekt umfassen kann (anderenfalls käme es zu einer unzulässigen Vorsatzverdopplung)
45
Behandlung der aberratio ictus bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit: Formelle Gleichwertigkeitstheorie
Bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit der Objekte Lösung wie error in persona (Irrtum unbeachtlich) Vorsatz (+), Bestrafung für vollendetes Delikt (-) Tätervorsatz wird Objektindividualisierung abgesprochen (Täter muss lediglich Objekt einer Gattung treffen) (-) Täter wird fiktiv ein nicht gewolltes Tatobjekt als gewolltes untergeschoben, wenn man die Objektindividualisierung berücksichtigt
46
Abgrenzung aberratio ictus und error in persona
Ein Fehlgehen der Tat wird angenommen, wenn der Täter mit seiner Handlung nicht das anvisierte Opfer, sondern ein anderes Opfer trifft Unterschied zu typischen „error in persona"-Konstellationen ist deutlich: während dort das anvisierte Tatobjekt vom Täter getroffen wird, verfehlt der Täter hier sein Ziel
47
Begriff der Rechtswidrigkeit
Handlung verstößt gegen Rechtsordnung, ohne dass
Rechtfertigungsgründe eingreifen idR ist Rechtswidrigkeit durch Erfüllung des Tatbestandes indiziert
48
Differenzierung: Rechtswidrigkeit - Schuld
* Gerechtfertigte Tat ist kein Unrecht, sondern wird von der Rechtsordnung als legal gebilligt * Bei Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes wird von der Sanktion mangels Strafbedürftigkeit abgesehen; Tat bleibt aber Unrecht Teilnahme an der entschuldigten Tat ist möglich, nicht aber an der gerechtfertigten Tat, vgl. §§ 26, 27 StGB
49
Rechtfertigungsgründe
1. Rechtfertigungsgründe aus dem StGB * Notwehr (§ 32 StGB) * Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) 2. Rechtfertigungsgründe außerhalb des StGB * Festnahmerecht (§ 127 StPO) * Zivilrechtlicher Notstand * Defensivnotstand (§ 228 BGB) * Aggressivnotstand (§ 904 BGB) * Selbsthilfe (§§ 229, 230 BGB) * Besitzwehr und Besitzkehr (§ 859 BGB) 3. Gewohnheitsrechtliche Rechtfertigungsgründe * (hypothetische) Einwilligung (für die Körperverletzung konkretisiert in § 228 StGB) * rechtfertigende Pflichtenkollision (insbesondere bei Unterlassungsdelikten)
50
Prüfung der Rechtswidrigkeit
1. Objektive Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes a) „Lage" • Liegt eine Rechtfertigungssituation vor? b) „Handlung" • Welche Regeln muss der Täter i.R.d. Rechtfertigungsgrundes beachten? Welche rechtlichen Grenzen sind seiner Handlung gesetzt? 2. Subjektive Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes
51
Allgemeines zu Notwehr §32 StGB: Grundgedanken
2 Grundgedanken, die die Schärfe des Notwehrrechts erklären, aber aus denen auch die Einschränkungen auf Ebene der Gebotenheit abgeleitet werden: * Individualrechtliches Schutzprinzip * Sozialrechtliches Rechtsbewährungsprinzip —> niemand muss Verletzung seiner Rechtsgüter durch einen Angreifer hinnehmen —> beschränkt dadurch aber zeitgleich den Rechtfertigungsgrund auf den Schutz von Individualrechtsgütern —> Notwehrübende tritt auch für den Bestand der Rechtsordnung ein, indem er gleichsam stellvertretend für die nicht anwesende Staatsgewalt das Recht gegen das Unrecht verteidigt. Merke: Notwehrrecht räumt die weitestgehenden Befugnisse ein, weswegen § 32 StGB vorrangig zu prüfen ist, sobald die Vorschrift in irgendeiner Hinsicht einschlägig sein könnte
52
Prüfung der Notwehr §32 StGB
1. Notwehrlage a) Angriff auf notwehrfähiges Rechtsgut b) Gegenwärtigkeit des Angriffs c) Rechtswidrigkeit des Angriffs 2. Notwehrhandlung a) Verteidigung nur gegen Rechtsgüter des Angreifers b) Erforderlichkeit aa) Geeignetheit bb) mildestes Mittel d) Gebotenheit 3. Subjektives Rechtfertigungselement
53
Hausfriedensbruch: Wohnung
Räumlichkeit, die, wenn auch möglicherweise nur vorübergehend, ihrer Bestimmung nach zur Unterkunft von einzelnen oder mehreren Menschen dient
54
Hausfriedensbruch: Eindringen
Betreten gegen (oder ohne) den Willen des Berechtigten. Der Täter muss dabei mit einem Teil seines Körpers in die jeweilige Räumlichkeit gelangt sein
55
Notwehr: Angriff
Jedes menschliche Verhalten, das ein rechtlich geschütztes Individualinteresse bedroht oder verletzt erfordert Handlungsqualität, muss aber nicht gezielt vor sich gehen (h.M.); muss ebenfalls nicht schuldhaft begangen sein (h.M.)
56
Notwehr: Gegenwärtigkeit des Angriffs
Gegenwärtig ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, bereits begonnen hat oder noch fortdauert unmittelbar bevorstehend = bedrohliche Lage kann jederzeit in Verletzungslage umschlagen gerade stattfindend = Angriff beendet, aber Rechtsgutsverletzung dauert noch fort (Bsp: Dieb hat Beute noch nicht gesichert) Gegenwärtigkeit (-), wenn Angriff - fehlgeschlagen - beendet - nur latent fortdauernd - künftig
57
Notwehr: Rechtswidrigkeit des Angriffs
Rechtswidrig ist der Angriff, wenn sich der Angreifer seinerseits nicht selbst auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann Angreifer muss sich nicht selbst strafbar machen (Bsp: Notwehr auch bei strafloser fahrlässiger Sachbeschädigung möglich)
58
Notwehr: Erforderlichkeit / Geeignetheit / mildestes Mittel
Erforderlich ist jede Handlung, die geeignet ist, den Angriff sofort, sicher und endgültig zu beenden und das relativ mildeste der zur Verfügung stehenden Abwehrmittel darstellt Geeignetheit: - objektiver Maßstab: auch wenn geeignetes Mittel im konkreten Fall nicht zur Abwehr führt (Bsp: angeschossener Dieb kann trotzdem fliehen) - Auch Anwendung schwächerer Mittel, sofern Verzögerung, Abschwächung oder Erschwerung des Angriffs Mildestes Mittel: - Gab es mildere Mittel, die den Angriff auf die gleiche Weise abgewehrt hätten? - auf riskante Abwehrmaßnahmen muss man sich nicht einlassen - gleiche Effektivität wird ex ante beurteilt aus Sicht eines objektiven Dritten (Bsp: bei einem Angriff auf einen Bankangestellten mit einer ungeladenen Waffe darf man von einer geladenen Waffe ausgehen) - praktisch ist nichts so effektiv wie die Tötung eines Menschen (aber: Gebotenheit beachten) - bei gleicher Effektivität: Kriterium der Zumutbarkeit --> mildeste Trutzwehr > Schutzwehr
59
Notwehr: Gebotenheit
Geboten ist die Handlung, wenn sich die Verteidigung im Rahmen des normativ Angemessenen bewegt. [→ Fallgruppen!]
60
Notwehr: Subjektives Rechtfertigungselement
Kenntnis der Umstände, die die Notwehrlage und die Erforderlichkeit der gewählten Verteidigung ausmachen. Ob ein darüber hinausgehender Verteidigungswille erforderlich ist (so die h.M.) ist strittig
61
Notwehr: Gebotenheit: Fallgruppe (1): Abgestuftes Notwehrrecht beim Schusswaffengebrauch
1. Drohung → 2. Warnschuss → 3. verletzender Schuss → 4. letaler Schuss (ultima ratio) Dann nicht erforderlich, wenn der Angreifer erheblicher Gefahr ausgesetzt ist
62
Definition Fortwirkende Kausalität / Eigenverantwortliches Dazwischentreten Dritter
Der ursächliche Zusammenhang wird auch nicht durch ein mitwirkendes Verschulden des Verletzten selbst oder durch ein schuldhaftes Verhalten eines Dritten, der in das Kausalgeschehen eingreift, unterbrochen, sofern die zunächst gesetzte Bedingung bis zum Eintritt des Erfolges fortwirkt. Dies ist immer der Fall, wenn der später Eingreifende an die vorangegangene Bedingung anknüpft, insbesondere indem er die durch die vorangegangene Bedingung geschaffene Lage ausnutzt. Beispiel: A sticht auf B ein, wobei die Stichverletzungen jedoch nicht tödlich sind. Auf dem Weg ins Krankenhaus verunglückt der Rettungswagen aufgrund eines eklatanten Fahrfehlers des C, der mit drastisch überhöhter Geschwindigkeit in eine Kurve fährt. B wird im Fahrzeug hin und her geschleudert und erleidet einen tödlichen Genickbruch. Hier hat die von A gesetzte Bedingung, das Einstechen auf B bis zum Erfolgseintritt fortgewirkt. Hätte A auf B nicht eingestochen, wäre dieser nicht in den Rettungswagen verbracht worden und alsdann tödlich verunglückt. Die schuldhafte Pflichtverletzung des Fahrers, mit zu hoher Geschwindigkeit in die Kurve zu fahren, unterbricht den ursächlichen Zusammenhang nach der conditio-sine-qua-non-Formel nicht. Ein „Regressverbot“ bzw. eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs wird in Fällen dieser Art von der herrschenden Meinung nicht anerkannt.
63
Definition Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs
Ersatzursachen (anders als praktisch sichere Rettungsmaßnahmen) bleiben dabei außer Betracht.
64
Ausschlussgrund der objektiven Zurechnung: Unbeherrschbarkeit der Gefahr
Gefahr nicht ernsthaft beeinflussbar und somit auch nicht als Risiko relevant
65
Ausschlussgrund der objektiven Zurechnung: Erlaubtes Risiko
Eingehen allgemeiner Risiken (des Straßenverkehrs) im Rahmen der Regeln von (StVG, StVO) erlaubt
66
Ausschlussgrund der objektiven Zurechnung: Risikoverringerung
Vom Täter eingegangenes Risiko ergab sich aus einer ohnehin bestehenden Gefahr, die er verringert hat
67
Ausschlussgrund der objektiven Zurechnung: Einverständliche Selbstgefährdung
Erfolgseintritt beruht auf Risikoentscheidung des Verletzten selbst und nicht auf verbotswidrigem Verhalten des Täters
68
Ausschlussgrund der objektiven Zurechnung: Atypischer Kausalverlauf
Im Erfolg realisierte sich keine für den Täter absehbare (und daher verbotene) Gefahr, sondern das "allgemeine Lebensrisiko" des Opfers (für das der Täter nicht nach strafbewehrten Verhaltensregeln zuständig ist)
69
Ausschlussgrund der objektiven Zurechnung: Rechtmäßiges Alternativverhalten / Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Keine bezüglich der Sanktionsnorm dieses Delikts relevante Verbotswidrigkeit, denn der Erfolg wäre auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten
70
Ausschlussgrund der objektiven Zurechnung: Eigenverantwortliches Dazwischentreten Dritter
Das im Erfolg realisierte Risiko wurde vorrangig von einer anderen Person gesteuert
71
Ausschlussgrund der objektiven Zurechnung: Außerhalb des Schutzzwecks der Norm
Die Norm verfolgt einen anderen Schutzzweck, weshalb keine in ihr sanktionierte Pflichtverletzung begangen wurde
72
Vorsatz: Kenntnis der Umstände
A schoss (betätigte Entschluss) --> bewusstes Hervorbringen eines Umstandes A wusste, dass B ein anderer Mensch war, und sah voraus, dass dieser sterben würde --> Kenntnis iwS + Voraussehen eines künftigen Ereignisses A war sich bewusst, dass B nicht sterben würde, wenn er nicht schösse --> Erkennen der für ihn bestehenden Alternativen A erkannte, dass sein Verhalten eine erhebliche Lebensgefahr für B mit sich bringen würde --> Erkennen der Möglichkeit, den Erfolg herbeizuführen
73
Ernstnahme- / Billigungstheorie: billigendes Inkaufnehmen
Es wird auf die Gefährlichkeit der Tathandlung abgestellt: Je riskanter diese ist und je eher der Täter diese Gefahr erkannt hat und trotzdem sein gefährliches Handeln fortsetzt, desto eher ist von einem billigenden In-Kauf-Nehmen auszugehen
74
Behandlung der aberratio ictus bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit: Konkretisierungstheorie (h.M.)
Vorsatz hat sich auf anvisiertes Objekt konkretisiert, weshalb Vorsatz bezüglich des getroffenen Objekts ausscheidet Versuch bezüglich des anvisierten Objekts und ggf. Fahrlässigkeit bezüglich des getroffenen Objekts Vorsatz (-)
75
Behandlung der aberratio ictus bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit: Differenzierte Ansicht (materielle Gleichwertigkeitstheorie)
Bei höchstpersönlichen Rechtsgütern ist der Irrtum beachtlich, ansonsten unbeachtlich (bei übertragbaren Rechtsgütern wie Vermögen und Eigentum) Vorsatz (+/-) (-) Differenzierung nach Rechtsgütern ist inkonsequent, da die allgemeinen Zurechnungsregeln für alle Rechtsgüter gelten müssen
76
Definition aberratio ictus
Angriffsobjekt und Verletzungsobjekt fallen zum Zeitpunkt des Handels auseinander Der Täter trifft ein anderes Objekt als jenes, welches er im Augenblick der Vornahme der Tathandlung angreifen wollte und zwar aufgrund von Umständen, die er nicht beherrscht Auch hier hat sich der Vorsatz auf das Angriffsobjekt konkretisiert, welches aber nicht getroffen wurde
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Definition und Behandlung des error in persona
Irrtum in der Person des Opfers Der Täter trifft hierbei das anvisierte Ziel, irrt sich jedoch über dessen Identität Der Irrtum ist wegen Gleichwertigkeit des Objekts unbeachtlich (vgl. § 212 StGB "einen Menschen").
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Notwehr: Gegenwärtigkeit des Angriffs (P) Präventivnotwehr zulässig?
M.M. (+), da zumindest notstandsähnliche Situation (§ 32 StGB analog?) h.M. (-), da schneidiges Notwehrrecht einen eng umgrenzten Anwendungsbereich voraussetzt; zudem werden Dauergefahren von § 34 StGB erfasst
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Notwehr: Gebotenheit: Fallgruppe (1): Krasses Missverhältnis zwischen geschütztem und beeinträchtigtem Rechtsgut
Unzulässigkeit auch bei einzig möglichem Mittel nach h.M. allerdings Tötung auch bei Verteidigung von Sachwerten möglich
80
Notwehr: Gebotenheit: Fallgruppe (2): Absichtsprovokation
Rechtsbewährungstheorie (+) - Angreifer verteidigt immer auch die Rechtsordnung gegen das Unrecht Rechtsmissbrauchstheorie (-) - wer vorsätzlich einen Angriff provoziert, benötigt keinen Schutz durch die Rechtsordnung Selbstschutztheorie (+/-) - Einschränkung des Notwehrrechts - Zulässigkeit zumindest dann als ultima ratio, wenn keine Ausweichmöglichkeit besteht
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Notwehr: Gebotenheit: Fallgruppe (2): sonstige selbst verschuldete Angriffe
Einschränkung str. Vorheriges Verhalten war weder rechts- noch sozialwidrig - Einschränkung (-) Vorheriges Verhalten war rechtswidrig - Ausweichen - Schutzwehr - Trutzwehr - strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung Vorheriges Verhalten war lediglich sozialwidrig - Rsp: Einschränkung (+) - TdL: Einschränkung (-), da nur bei Rechtswidrigkeit kein Anspruch auf das Rechtsbewährungsprinzip besteht Merke: bei Abwehrprovokation erfolgt keine Einschränkung
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Notwehr: Gebotenheit: Fallgruppe (3): Garantenstellung und persönliches Näheverhältnis
Argument: Schutzpflichten =/ uneingeschränktes Notwehrrecht Familiäre Beziehungen - mehr zumutbar: auch schmähliche Flucht --> aber nicht: Recht des Stärkeren - Einschränkung nur bei sonst intakten Familien - sonst: vorsichtige Einschränkung, aber keine Überspannung der Duldungspflicht
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Notwehr: Gebotenheit: Fallgruppe (4): Schuldlose Angreifer
- Rechtsbewährungsprinzip ist schwächer - Ausweichen - Schutzwehr - Trutzwehr
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Notwehr: Gebotenheit: Fallgruppe (5): Ersichtlich Irrende
- zunächst Aufklärung geboten, sofern möglich
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Notwehr: Subjektives Rechtfertigungselement (P) Notwendigkeit eines Verteidigungswillens
objektive Theorie: subjektives Element (-) (+) Angegriffener verteidigt stets auch Rechtsordnung, weshalb es auf Wissen und Wollen nicht ankommen kann TdL: Verteidigungswille (-) - Kenntnis der Notwehrlage und Verteidigung des Angriffs genügt, kein Verteidigungswille notwendig (+) es stellt Gesinnungsstrafrecht dar, jemanden zu bestrafen, der etwas Erlaubtes tut, nur weil er damit den falschen Zweck verfolgt Rsp/TdL: Verteidigungsabsicht (+) - Kenntnis + Verteidigungswille nötig - muss nicht einzige Motivation sein, darf aber nicht völlig zurücktreten (+) Wortlautargument: "um zu" (+) auch subjektiver Tatbestand erfordert Wissen und Wollen
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Notwehr: Subjektives Rechtfertigungselement (P) Bestrafung bei fehlendem subjektivem Rechtfertigungselement
Versuchslösung: Rechtfertigung (+), Vollendungsdelikt (-), Prüfung als Versuchsdelikt (+) bei objektiver Rechtfertigung entfällt lediglich der Erfolgsunwert, nicht aber der Handlungsunwert, was strukturell dem Versuch entspricht Vollendungslösung: Rechtfertigung (-), Vollendungsdelikt (+) (+) Tatbestand ist nur erfüllt, wenn beide Elemente vorliegen, die Rechtswidrigkeit muss gleich behandelt werden
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Notstand: Gefahr für irgendein Rechtsgut
Bei einer (gegenwärtigen) Gefahr handelt es sich um einen Zustand, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten lässt, (sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden). - neben Individualrechtsgütern auch Rechtsgüter der Allgemeinheit - grds. alle von der Rechtsordnung anerkannten (individuellen und kollektiven, str.) Rechtsgüter (z.B. Leib und Leben, Eigentum, aber auch Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb …) - auch Rechtsgüter Dritter (Notstandshilfe) - nicht selten auch mehrere Rechtsgüter gleichzeitig im Notstand
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Notstand: Gegenwärtigkeit der Gefahr
Gegenwärtig ist die Gefahr, sobald sie sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr sicher abwenden lässt. - Von der Definition werden auch Dauergefahren erfasst - Zutreffend, aber str.: auch zeitlich entferntere Gefahr, wenn sie nur durch sofortiges Handeln abgewendet werden kann - Unstrittig: wenn Gefahr unmittelbar bevorstehend oder akut und noch nicht abgeschlossen - auch Gefahren, die keiner Person (als von ihr verursacht) zurechenbar sind - auch vom Täter selbst verursachte Gefahren (Ausnahme: actio illicita in causa?) - grds. auch nicht/ kaum zu beeinflussende Gefahren
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Notstand: Erforderlichkeit
Die Gefahr darf „nicht anders abwendbar“ sein. - Täter muss also das mildeste Mittel zur Gefahrenabwehr wählen, welches ihm zur Verfügung steht - Im Gegensatz zu § 32 StGB ist dabei nicht zu fordern, dass es auch „gleich effektiv“ sein muss - Auch eine „schmähliche Flucht“, das Rufen der Polizei oder eine Scheidung (Haustyrannenfälle) sind dem Betreffenden hier zuzumuten
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Notstand: Interessenabwägung
Die Notstandshandlung ist nur dann gerechtfertigt, wenn das geschützte Interesse das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegt. Abwägungskriterien: * Besondere Gefahrtragungspflichten (z.B. bei Feuerwehrleuten, Polizisten) * Spezielle Schutzpflichten (Garantenstellung) * Die mit der Tat darüber hinaus noch verfolgten Motive * Die Ersetzbarkeit des Schadens * Die Verursachung der Gefahr durch das spätere Opfer (Defensivnotstand)  Mitverschulden an Gefahrensituation * Das Ausmaß der drohenden Rechtsgutsverletzung (Schwere der Verletzung, Höhe des Sachschadens) * Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (Grad der Gefahr) * Die Größe der Rettungschancen für das zu rettende Rechtsgut (je geringer die Rettungschancen sind, desto mehr Zurückhaltung ist geboten) Merke: Es darf niemals Leben gegen Leben abgewogen werden!
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Notstand: Angemessenheit
Eine Rechtfertigung eines bestimmten Verhaltens muss mit der Gesamtrechtsordnung vereinbar sein. - Insbesondere dann nicht der Fall, wenn die Rechtsordnung ein bestimmtes rechtlich geordnetes Verfahren zur Bewältigung bestimmter Krisen- und Gefahrenlagen zur Verfügung stellt
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Prüfschema Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
1. Nostandslage a) Gefahr für irgendein Rechtsgut b) Gegenwärtigkeit der Gefahr 2. Notstandshandlung a) Eingriff in ein anderes Rechtsgut durch die begangene tatbestandsmäßige Tat b) Erforderlichkeit 3. Interessenabwägung 4. Angemessenheit 5. Subjektives Rechtfertigungselement
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Prüfschema Defensivnotstand, § 228 BGB:
1. Vorliegen einer drohenden Gefahr für den Betroffenen oder einen Dritten - objektiv ex ante: Eintritt des Schadens wird als naheliegend erachtet - Gefahr muss nicht gegenwärtig sein 2. Handeln richtet sich gegen eine Sache 3. Gefahr geht von dieser Sache aus - Handelt das Tier aus eigenem Antrieb oder wird das Tier von einem Dritten gehetzt, greift hingegen § 228 BGB ein. 4. Erforderlichkeit (die Gefahr darf nicht anders abwendbar sein) - mildestes Mittel, Geeignetheit - Im Gegensatz zu § 32 StGB ist dem Handelnden im Hinblick auf gegebenenfalls vorliegende Ausweich- und Fluchtmöglichkeiten hierbei allerdings mehr zuzumuten. 5. Güterabwägung (Schaden darf nicht außer Verhältnis stehen) - Der durch die Beschädigung oder Zerstörung angerichtete Schaden darf nicht wesentlich größer sein als der Schaden, der durch diese Sache droht. - Dabei wird man davon ausgehen können, dass zur Verteidigung der Rechtsgüter „körperliche Integrität“ und „Leben“ Eingriffe in Sachwerte in aller Regel gerechtfertigt sind. - Stehen sich nur Sachgüter gegenüber, muss beachtet werden, dass bei der Abwägung nicht ausschließlich der Wert der betroffenen Gegenstände zu betrachten ist. Auch andere Umstände sind hier im Rahmen einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen (z.B. ein Mitverschulden des Geschädigten oder Affektionsinteresse des Tierhalters). 6. Subjektives Rechtfertigungsmerkmal - Der Täter muss die Notstandslage kennen und gerade aus der Motivation heraus handeln, die Gefahr abzuwenden --> Rettungswille.
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Prüfschema Aggressivnotstand; § 904 BGB:
1. Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für den Betroffenen oder einen Dritten 2. Handeln richtet sich gegen eine Sache 3. Gefahr geht nicht von der betroffenen Sache aus 4. Notwendigkeit (die Gefahr darf nicht anders abwendbar sein) - Die Gefahr darf nicht anders als gerade durch die Beeinträchtigung der fremden Sache abwendbar sein. 5. Güterabwägung (wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses) - Der durch die Einwirkung auf die Sache angerichtete Schaden darf somit keinesfalls größer, ja nicht einmal in etwa gleich groß sein als der Schaden, der dem Handelnden droht. - Auch bei § 904 BGB ist allerdings davon auszugehen, dass drohende Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität stets zu einer Rechtfertigung im Hinblick auf die Beschädigung oder Zerstörung einer Sache führen. 6. Subjektives Rechtfertigungsmerkmal - Der Täter muss die Notstandslage kennen und gerade aus der Motivation heraus handeln, die Gefahr abzuwenden.
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Prüfschema Rechtfertigendes Einverständnis (im objektiven Tatbestand zu prüfen!!!)
1. Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals, welches bereits begrifflich einen entgegenstehen Willen des Betroffenen voraussetzt - Siehe: Hausfriedensbruch („Eindringen“), Diebstahl („Wegnahme), Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeuges („gegen den Willen“) 2. Natürliche Willensfähigkeit des Betroffenen - Erfordert keine besondere Einsichtsfähigkeit 3. Innere Zustimmung (eine Erklärung ist nicht erforderlich) - Eine bloße Duldung des Geschehens oder eine Zustimmung unter Zwang reicht nicht aus - Allerdings muss die innere Zustimmung nicht ausdrücklich erklärt werden, es reicht aus, dass sie vorliegt - Im Gegensatz zur Einwilligung spielt es zudem keine Rolle, ob diese Zustimmung durch eine Täuschung erschlichen wurde 4. Einverständnis muss zum Zeitpunkt der Tat vorliegen
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Einwilligung: Disponibilität des Rechtsguts
Über das Rechtsgut muss verfügt werden können, was bei Allgemeinrechtsgütern nicht der Fall ist sowie bei Individualrechtsgütern, wenn es sich um das eigene Leben oder die körperliche Unversehrtheit handelt
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Einwilligung: Verfügungsbefugnis
Durfte diese bestimmte Person in der konkreten Situation über das Rechtsgut verfügen? (Bsp: ein Dieb kann nicht in die Zerstörung der gestohlenen Sache einwilligen)
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Einwilligung: Einwilligungsfähigkeit
- Betroffene muss infolge seiner geistigen und sittlichen Reife imstande sein, die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs in das jeweilige Rechtsgut zu erkennen - Betroffener muss auch wissen, dass er durch sein Verhalten auf den Schutz des Rechtsguts verzichtet, und schließlich muss er auch die Sachlage sachgerecht beurteilen - nicht bei Schuldunfähigkeit des Rechtsgutsinhabers - auch bei Eigentums- und Vermögensdelikten von Minderjährigen (104ff. BGB analog wegen Einheit der Rechtsordnung?), denn sonst könnte dieser in schwere Verletzungen einwilligen, nicht aber über sein Vermögen verfügen
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Einwilligung: Einwilligungserklärung
- muss ausdrücklich oder konkludent erklärt werden - Kundgabe nach außen erforderlich, die jedoch nicht zwingend gegenüber dem Täter erfolgen muss - Einwilligung muss gerade durch den Inhaber des betroffenen Rechtsguts (oder den anderweitig zur Disposition über dieses Rechtsgut Befugten) erklärt werden - Stellvertretung grundsätzlich zulässig, Bedenken sind allerdings dann angebracht, wenn es sich um höchstpersönliche Rechtsgüter handelt - Einwilligung muss vor der Tatbegehung erklärt werden, eine Genehmigung ist unwirksam - muss zudem zum Zeitpunkt der Tat noch vorliegen
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Einwilligungserklärung: Freiheit von Willensmängeln
Eine auf einem Irrtum beruhende Einwilligung ist ebenso unwirksam wie eine Einwilligung, die durch Täuschung, Drohung oder Gewaltanwendung erreicht wurde
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Einwilligungserklärung: Freiheit von Willensmängeln (P) Führt jede Täuschung zur Unwirksamkeit, auch solche, die lediglich die Motivation der Rechtsgutspreisgabe beeinflusst?
Allgemeine Unwirksamkeitstheorie: - Eine durch Täuschung bewirkte Einwilligung ist strafrechtlich stets unwirksam (+) Jede täuschungsbedingte Einwilligung hebt die Entscheidungsfreiheit des Einwilligenden auf, die Einwilligung entspricht also nicht mehr seinem wahren Willen. (+) Wer diesen Umstand aber bewusst herbeiführt oder ausnutzt, kann sich nicht mehr auf eine wirksame „Einwilligung“ berufen. Rechtsgutsbezogene Unwirksamkeitstheorie: - Eine durch Täuschung bewirkte Einwilligung ist nur dann strafrechtlich unwirksam, wenn die Täuschung eine „rechtsgutsbezogene Fehlvorstellung“ bewirke, das Opfer also aufgrund der Täuschung gar nicht wisse, dass es durch seine Einwilligung das Rechtsgut aufgebe - Werde hingegen nur über eine der bewussten Aufgabe des Rechtsguts zugrunde liegende Motivation getäuscht (z.B: für die Tötung des Hundes als Gegenleistung 1000 Euro zu erhalten), dann müsse die Einwilligung wirksam sein (+) Nur dies führe zur Unkenntnis über die Bedeutung, Tragweite und Auswirkung des Rechtsgutsverzichts
102
Prüfschema Einwilligung:
1. Disponibilität des Rechtsguts 2. Verfügungsbefugnis 3. Einwilligungsfähigkeit 4. Einwilligungserklärung 5. Freiheit von Willensmängeln 6. Keine Sittenwidrigkeit (bei KV-Delikten) 7. Subjektives Rechtfertigungselement - Täter muss aufgrund der Einwilligung und in Kenntnis der Einwilligung handeln
103
Prüfschema Mutmaßliche Einwilligung
1. Disponibilität des Rechtsguts 2. Einwilligungsfähigkeit 3. Subsidiarität der Einwilligung (d.h. Einholen einer vorherigen Einwilligung war nicht möglich) 4. Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Willen des Rechtsgutsinhabers zum Tatzeitpunkt 5. Keine Sittenwidrigkeit (bei KV-Delikten) 6. Subjektives Rechtfertigungselement
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Vorläufige Festnahme, § 127 StPO:
(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1. auf frischer Tat = bei / unmittelbar nach der Tat UND noch am Tatort / in unmittelbarer Nähe Tat str: - Rspr und TdL: objektiv begründeter Tatverdacht genügt - aA: mindestens rechtswidrige Tat / objektiver Tatbestand erfüllt / tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat nötig - Jedermanns-Recht - 2 Festnahmegründe: Flucht verdächtig oder Identität nicht sofort feststellbar Gerechtfertigt wird nur: - Einschränkung / Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit - nötige leichtere Körperverletzungen und Nötigungen - kein Schusswaffengebrauch
105
Schuld: Faustformeln der Praxis für die BAK („Blutalkoholkonzentration“) zum Tatzeitpunkt (kann Einzelfallprüfung nicht ersetzen!):
- Schuldunfähigkeit ab ca. 3,0 ‰, bei Tötungs- und schweren Gewaltdelikten erst ab etwa 3,3 ‰ - Verminderte Schuldfähigkeit ab 2,0 ‰ bzw. 2,2 ‰ bei Tötungs- und schweren Gewaltdelikten - Berechnung/Rückrechnung (in dubio pro reo): höchstmöglicher Abbauwert: 0,2 ‰ pro Stunde + einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰
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Entschuldigender Notstand: Gefahr für ein Rechtsgut iSd § 35 I StGB
- Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit des Täters, einem seiner Angehörigen i.S.d. § 11 I Nr. 1 StGB oder einer ihm nahestehenden Person - Nahestehende Person meint dabei einen Menschen, der dem Täter so verbunden ist, dass er eine Gefahr für jenen auch für sich selbst als Drucksituation empfinden kann. (Freiheit meint ausschließlich die Fortbewegungsfreiheit)
107
Entschuldigender Notstand: Gegenwärtigkeit der Gefahr
Eine Gefahr ist gegenwärtig, wenn ein Zustand gegeben ist, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. Merke: Darunter fällt wie bei dem rechtfertigenden Notstand auch die Dauergefahr!
108
Entschuldigender Notstand: Erforderlichkeit:
Eine Notstandshandlung ist erforderlich, wenn sie geeignet ist, die Gefahr abzuwenden und gleichzeitig das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellt Zumutbare Handlungsalternativen müssen berücksichtigt werden! Eine Handlung ist schon dann zur Abwendung der Gefahr geeignet, wenn die Erhaltung des gefährdeten Rechtsguts nicht ganz unwahrscheinlich ist Die Gefahr darf nicht anders abwendbar sein Die Notstandshandlung muss als ultima ratio den letzten Ausweg aus der Notlage bieten. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Hat der Täter mehrere Möglichkeiten zur Gefahrabwendung, ist stets das mildeste Mittel zu wählen Die Zumutbarkeitsschwelle bei riskanten Gefahrabwendungen im Rahmen des § 35 StGB ist dabei etwas höher anzusiedeln als bei § 34 StGB Insbesondere bei den „Haustyrannenfällen“ wird die Inanspruchnahme staatlicher Schutzmaßnahmen in aller Regel zur Abwendung der Gefahr führen, sodass die Tötung des „Tyrannen“ nicht nach § 35 StGB entschuldigt ist
109
Entschuldigender Notstand: Unzumutbarkeit der Gefahrhinnahme:
Hinnehmbar wäre die Gefahr dann, wenn der Täter die Gefahr selbst verursacht hätte, § 35 I 2 StGB bzw. Kein besonderes Rechtsverhältnis, das eine erhöhte Hinnahmepflicht begründen würde (z.B. Polizeibedienstete, Ärzte, etc.)
110
Entschuldigender Notstand: Kein Schuldausschließungsgrund gem. § 35 II StGB
1. Irrtum über Umstände nach Abs. 1 2. Vermeidbarkeit des Irrtums wenn (+) = obligatorische Strafmilderung nach § 49 I StGB wenn (-) = straflos
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Prüfschema Entschuldigender Notstand, § 35 StGB:
I. Notstandslage 1. Gefahr für ein Rechtsgut iSd § 35 I 1 StGB 2. Gegenwärtigkeit der Gefahr II. Notstandshandlung 1. Erforderlichkeit III. Unzumutbarkeit der Gefahrhinnahme IV. Subjektives Element V. Kein Schuldausschließungsgrund gem. § 35 II StGB
112
Prüfschema Notwehrexzess, § 33 StGB:
I. Notwehrlage 1. Angriff auf ein Rechtsgut 2. Gegenwärtigkeit der Gefahr (Keine Dauergefahr) 3. Rechtswidrigkeit II. Grenzen der Notwehrhandlung überschritten * intensiver Notwehrexzess: Rahmen der Erforderlichkeit oder Gebotenheit wurde überschritten * extensiver Notwehrexzess: Bei einem extensiven Notwehrexzess handelt es sich um eine Überschreitung der zeitlichen Grenzen der Notwehr. D.h. der „Verteidiger“ richtet sich gegen einen Angriff, der noch nicht begonnen hat oder bereits beendet ist. Es fehlt somit an der Gegenwärtigkeit des Angriffs. III. Asthenischer Affekt = Furcht, Verwirrung, Schrecken Beachte: nicht erfasst sind sthenische Affekte (Wut, Zorn, etc.) IV. Verteidigungswille Darüber hinaus ist es auch unschädlich, ob er die Grenzen der Notwehr bewusst oder unbewusst überschreitet.
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Notwehrexzess: (P) Ist auch der extensive Notwehrexzess von § 33 StGB erfasst?
eA: (-), da die Grenzen der Notwehr (Erforderlichkeit; Gebotenheit) nur überschritten werden können, wenn eine Notwehrlage tatsächlich besteht; wenn also gar kein Notwehrrecht entstanden ist, kann ein solches auch nicht in zeitlicher Hinsicht überschritten werden. eA: (+), jedenfalls sofern vorherige Notwehrlage tatsächlich bestand (nachzeitiger extensiver Notwehrexzess) bzw. wenn ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang vorliege, der die Fortsetzung der Notwehr als einheitlichen Geschehensablauf erscheinen lasse. Gegenstimmen bejahen die Anwendung des § 33 StGB beim extensiven Notwehrexzess, da eine gleichartige Motivationslage vorliege.
114
Versuch: Vorprüfung
1. Nichtvollendung des Delikts --> mindestens 1 Tatbestandsmerkmal des objektiven Tatbestandes ist nicht erfüllt 2. Strafbarkeit des Versuchs --> Verbrechen (Strafe mindestens 1 Jahr) stets, Vergehen (Strafe kleiner ein Jahr oder Geldstrafe) nur wenn ausdrücklich normiert
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Versuch: Tatentschluss
- Feststellung, was der Täter wollte + Subsumtion, ob er nach seinen Vorstellungen den objektiven Tatbestand eines Delikts verwirklicht hätte - bedingter Vorsatz zumeist ausreichend --> was hielt der Täter für möglich und was nahm er billigend in Kauf? - weitere subjektive Merkmale (z.B: Zueignungsabsicht) müssen vorliegen - Tatentschluss muss endgültig gefasst sein --> nicht nur bloße Tatgeneigtheit - bedingter Tatentschluss hingegen ist ausreichend (Täter macht den Tatentschluss von äußeren bestimmten Bedingungen abhängig, die er nicht beeinflussen kann)
116
Versuch: Unmittelbares Ansetzen
Der Täter setzt zum Versuch unmittelbar an, wenn er die Schwelle zum Jetzt geht es los überschreitet, sein Verhalten seiner Vorstellung von der Tat nach in ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll und das Rechtsgut nach seinen Vorstellungen bereits konkret gefährdet ist. Weitere potentiell notwendige Faktoren: - Aus-der-Hand-Geben des Geschehens - Eintreten des Opfers in den Wirkungskreis des Täters - Bsp: Täter platziert eine Flasche mit Gift in der Küche, die seine Frau töten soll, wenn diese nach Hause kommt --> Unmittelbares Ansetzen erst dann (+), wenn der Täter den Raum verlässt oder die Frau den Raum betritt - Der Täter muss subjektiv davon ausgehen, dass er jetzt zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt - bei beendetem Versuch idR (+) - bei unbeendetem Versuch Einzelfallbetrachtung
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Versuch: Kein Rücktritt gem. § 24 StGB
1. Kein subjektiv fehlgeschlagener Versuch Der Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter die Tat mit den eingesetzten/vorliegenden Mitteln nicht mehr oder nicht ohne zeitliche Zäsur vollenden kann. 2. Täterschaftsform - bei Alleintäterschaft: § 24 I StGB - bei Mittäterschaft: § 24 II StGB Merke: mittelbare Täterschaft ist auch ein Fall von § 24 I StGB 3. Rücktrittsanforderungen Unbeendeter Versuch: Wenn der Täter seiner Vorstellung nach noch nicht alles Erforderliche getan hat, um den Erfolg ohne weiteres Zutun herbeiführen zu können - Aufgeben der weiteren Tatausführung - endgültiger und unbedingter Gegenentschluss notwendig Merke: beim unerkannt unbeendeten untauglichen Versuch ist ebenfalls ein Rücktritt möglich, da keine aktiven Gegenmaßnahmen notwendig sind --> Täter darf Untauglichkeit aber nicht erkannt haben, sonst ist der Versuch fehlgeschlagen (Rücktritt dann nicht mehr möglich) Beendeter Versuch: Wenn der Täter seiner Vorstellung nach alles Erforderliche getan hat, um die Tatbestandsverwirklichung ohne weiteres Zutun herbeiführen zu können - Verhinderung der Vollendung: In-Gang-Setzen einer mit ursächlichen Kausalkette für die Verhinderung + Verhinderungswille - erfordert aktiven Gegenakt Merke: beim unerkannt untauglichen beendeten Versuch ist gem. § 24 I 2 StGB ernsthaftes Bemühen notwendig, da die Vollendung objektiv nicht verhindert werden kann --> das Bemühen des Täters ist ernsthaft, wenn er davon überzeugt ist, durch sein Handeln (in einer von Dritten nachvollziehbaren Weise) den Erfolgseintritt zu verhindern; nach neuerer Rspr. ist notwendig, dass der Täter alle ihm möglichen Rettungsmöglichkeiten ausschöpft 4. Freiwilligkeit Freiwillig handelt, wer aufgrund einer freien Willensbildung, also aus autonomen, nicht aus heteronomen Motiven, zurücktritt.
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Versuch: Rücktritt (P) Halbherziger Rücktritt?
Chanceneröffnungstheorie: - das In-Gang-Setzen einer mit ursächlichen Kausalkette genügt (+) Opferschutz (+) Systematik: StGB verlangt nur in § 24 I 2 ein ernsthaftes Bemühen Bestleistungstheorie: - ernsthaftes Bemühen (+) nur dann Rückkehr in Legalität möglich --> man kann nicht gleichzeitig bedingten Vorsatz bezüglich der Tatvollendung haben und vom Versuch zurücktreten
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Versuch: Untauglicher Versuch
Der Versuch kann entgegen der Vorstellung des Täters nicht zum Erfolg führen Gründe: (1) Untauglichkeit des Tatmittels (Bsp: ungeladene Pistole) (2) Untauglichkeit des Tatobjekts (Bsp: Wäscheberg statt Mensch) (3) Untauglichkeit des Tatsubjekts (Bsp: irrige Annahme einer Garantenstellung oder Amtsträgereigenschaft) --> strafbar
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Versuch: grob unverständiger Versuch
Objektive Untauglichkeit des Versuchs + subjektives Verkennen der Untauglichkeit aufgrund grobem Unverstandes bezüglich naturgesetzlicher Kausalzusammenhänge Merke: Unbeachtlich sind a) grob unverständige Motivation und b) unverständiges Verkennen tatsächlicher Umstände --> strafbar, aber fakultative Strafmilderung gem. § 23 III StGB
121
Versuch: Wahndelikt
Täter stellt sich vor, eine Tat zu begehen, die nicht unter Strafe gestellt ist --> straflos
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Versuch: abergläubischer Versuch
Vertrauen auf Wirksamkeit nicht wissenschaftlich nachweisbarer magischer Kräfte Bsp: Zauberei, Teufelsanbetung, Verhexen, Totbeten etc. --> nicht strafbar (h.M.) --> grob unverständiger Versuch, aber Absehen von Strafe?
123
Gefährliche Körperverletzung: Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen
Gift ist jeder organische oder anorganische Stoff, der im Einzelfall nach seiner Art, der beigebrachten Menge, der Art der Beibringung oder der Konstitution des Opfers durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung zur erheblichen Gesundheitsschädigung geeignet ist (Zyankali, Gas, Salzsäure). Andere gesundheitsschädliche Stoffe sind Substanzen, deren eignung zur erheblichen Gesundheitsschädigung auf einer mechanischen oder thermischen Wirkung des Stoffes selbst beruht (Bsp: zerhacktes Glas/Metall, heiße/kochende Flüssigkeit) - auch Stoffe des täglichen Bedarfs (Bsp: Kochsalz) - Eignung zur erheblichen Gesundheitsschädigung notwendig Beibringung meint das In-Verbindung-Bringen des Stoffes so mit dem Körper, dass er seine gesundheitsschädliche Wirkung entfalten kann - Stoff muss nicht in den Körper eingebracht werden, er kann auch von außen wirken
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Gefährliche Körperverletzung: mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges
Ein gefährliches Werkzeug ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. - ärztliche Instrumente nur, sofern sie als Angriffs- oder Verteidigungsmittel verwendet werden - Körperteile nicht, da sie keine Gegenstände sind - beschuhter Fuß kann hingegen als gefährliches Werkzeug gelten (siehe Beschaffenheit des Schuhs und Heftigkeit des Tritts) - nach h.M. nur bewegliche Gegenstände (str.?) Waffen sind bewegliche Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und Art ihrer konkreten Verwendung im Einzelfall bestimmt sind, erhebliche Verletzungen beizubringen (sog. Waffen im technischen Sinne). Mittels meint nach h.M. (str.), dass das eingesetzte Tatmittel unmittelbar auf den Körper des Opfers einwirkt und auch gerade von dieser unmittelbaren gegenständlichen Einwirkung die Eignung zur Hervorrufung erheblicher Verletzungen herrührt.
125
Gefährliche Körperverletzung: mittels eines hinterlistigen Überfalls
Ein Überfall ist ein plötzlicher unerwarteter Angriff auf einen Ahnungslosen, also jemanden, der den Angriff nicht erwartet und unvorbereitet ist. Hinterlistig ist der Überfall, wenn der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren.
126
Gefährliche Körperverletzung: mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich
Es müssen mindestens zwei Personen einverständlich zusammenwirken und dem Opfer im Tatortbereich unmittelbar gegenüberstehen. --> Die eigenhändige Vornahme einer Verletzungshandlung durch alle Beteiligten ist nicht erforderlich --> nach h.M. ist keine Mittäterschaft erforderlich (Telos der Norm ist die durch mehrere Angreifer abstrakt erhöhte Gefahr)
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Gefährliche Körperverletzung: mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
Begehungsweise, die nach den Umständen des konkreten Falles geeignet ist, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen. --> h.M. objekt-generelle Lebensgefahr genügt
128
Prüfschema gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB
I. Objektiver Tatbestand 1. Erfüllung des Grundtatbestandes, § 223 StGB a) Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung b) kausal und zurechenbar durch Handlung bewirkter Taterfolg 2. Qualifikationstatbestand, § 224 StGB II. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz bezüglich § 223 StGB 2. Vorsatz bezüglich § 224 StGB - Rsp: Kenntnis über Umstände, aus denen sich Lebensgefährlichkeit ergibt, genügt - h.L: Täter muss auch Lebensgefährdung selbst kennen III. Rechtswidrigkeit IV. Schuld
129
Prüfschema Mord, § 211 StGB
I. Objektiver Tatbestand 1. Erfüllung des Grundtatbestandes, § 212 I StGB a) Tod eines anderen Menschen b) Kausalität + Objektive Zurechnung 2. Qualifikationstatbestand, § 211 StGB a) Objektive Mordmerkmale der 2. Gruppe aa) Heimtücke bb) Grausamkeit cc) Gemeingefährliche Mittel II. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz bezüglich § 212 I StGB 2. Vorsatz bezüglich Mordmerkmalen der 2. Gruppe 3. Weitere subjektive Merkmale: Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe a) Mordlust b) Befriedigung des Geschlechtstriebes c) Habgier d) Niedere Beweggründe e) Verdeckung einer anderen Straftat III. Rechtswidrigkeit IV. Schuld
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Mord: Heimtücke
Heimtückisch handelt, wer die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung zur Tötung ausnutzt. Arglos ist, wer zum Zeitpunkt der Tat nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. - nicht bei Kindern unter 3 Jahren und Bewusstlosen --> aber: Schutzbereite Dritte - generelles bloßes Misstrauen steht Arglosigkeit nicht entgegen Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in der Verteidigung stark eingeschränkt ist. - wenn man rechtzeitig Kenntnis vom Angriff hatte, ist man auch bei fehlenden Verteidigungschancen nicht wehrlos --> aber: Schutzbereite Dritte Der Täter nutzt die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit dann bewusst aus, wenn er sie wahrgenommen und ihre Bedeutung für seinen Angriff erfasst hat. Die feindliche Willensrichtung des Täters fehlt dann, wenn die Tötung dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht.
131
Gefährliche Körperverletzung: (P) Ärztlicher Heileingriff?
eA: Ein lege artis (Eingriff, der zum entsprechenden Zeitpunkt die bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu folgen hat) vorgenommener Heileingriff ist nicht tatbestandsmäßig • Der Eingriff zielt auf eine Verbesserung des körperlichen Zustands und stellt daher keine „übliche unangemessene Behandlung“ dar. aA: Auch ein Heileingriff ist tatbestandsgemäß --> keine Sonderregeln für Ärzte • Auch ein ärztlicher Heileingriff bedarf einer Rechtfertigung, die in der Regel in Form einer rechtfertigenden Einwilligung oder mutmaßlichen Einwilligung vorliegt • Ansonsten ist das Selbstbestimmungsrecht der Patienten nicht ausreichend geschützt aA: Ein erfolgreich durchgeführter ärztlicher Heileingriff verwirklicht nicht den Tatbestand der Körperverletzung. Ein gescheiterter Eingriff ist tatbestandlich eine Körperverletzung, kann aber durch die Einwilligung der Patienten in das Eingriffsrisiko gerechtfertigt sein. • Nur der erfolgreiche Eingriff verbessert den Gesamtzustand der Patienten. Streitentscheid nötig: Hier Köperverletzungserfolg (+) (+) nicht nachvollziehbar, warum bei Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst bereits der objektive Tatbestand ausgeschlossen werden soll, wenn faktisch ein Eingriff am Körper des Patienten stattfindet (+) Patientenwille kann sonst nicht hinreichend berücksichtigt werden
132
Verbotsirrtum, § 17 StGB
1. Fehlendes Unrechtsbewusstsein = Irrtümer über rechtliche Bewertung der Tat I. Auf Tatbestandsebene Direkter Verbotsirrtum: - Täter weiß nicht, dass seine Handlung verboten ist --> Irriges Verkennen des Verbotenseins der Tathandlung - Bsp: Jemand fährt betrunken Auto, weiß aber nicht, dass sein Verhalten strafbar ist Umgekehrter Verbotsirrtum: - Der Täter denkt, dass sein Verhalten die Tatbestandsmerkmale einer Straftat erfüllt --> Irrige Annahme eines Verbots - Bsp: Wahndelikt Subsumtionsirrtum: - Täter legt eine Strafnorm zu seinen Gunsten falsch aus --> Irrtum über Reichweite einer Strafnorm - Bsp: Täter weiß, dass man betrunken nicht Auto fahren darf, denkt aber, das gilt für Autos mit Automatikgetriebe nicht II. Auf Rechtswidrigkeitsebene Indirekter Verbotsirrtum / Erlaubnisirrtum: - Täter hält sein Verhalten irrig für gerechtfertigt (er schätzt den Sachverhalt aber richtig ein!) - Täter geht entweder vom Bestehen eines nicht existierenden Rechtfertigungsgrundes aus (Bsp. Erlaubnisexistenzirrtum): Vater, denkt, er dürfe aus erzieherischen Maßnahmen sein Kind zur Züchtigung schlagen, weil das früher in § 1631 BGB normiert war (heute nicht mehr)) oder verkennt die Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes (Bsp. Erlaubnisgrenzirrtum: Täter nimmt an, die Notwehrhandlung müsste nicht erforderlich sein --> legt einen Rechtfertigungsgrund zu seinen Gunsten zu weit aus) Umgekehrter Erlaubnisirrtum: - Täter beschränkt unwissentlich zu seinen Ungunsten die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes --> Irriges Verkennen des Gerechtfertigtseins der Tathandlung III. Auf Schuldebene: Entschuldigungsnormirrtum: - Täter hält sein Verhalten irrig für entschuldigt - Täter irrt über Bestand oder Grenzen eines Entschuldigungsgrundes Umgekehrter Entschuldigungsnormirrtum: - Der Täter beschränkt unwissentlich zu seinen Ungunsten die Grenzen eines Entschuldigungsgrundes --> Irriges Verkennen des Entschuldigtseins der Tathandlung 2. Vermeidbarkeit des Irrtums: Der Irrtum ist unvermeidbar, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwas aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat.
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Erlaubnistatbestandsirrtum: Allgemeines und Prüfungsaufbau:
Ein Täter handelt dann im Erlaubnistatbestandsirrtum, wenn er irrig eine Gesamtheit von Umständen annimmt, die wenn sie vorgelegen hätten, seine Tat gerechtfertigt hätten. Er irrt sich also bei voller Kenntnis der Merkmale des objektiven Tatbestandes über die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes. Formulierung in der Klausur: III. Schuld "A handelte schuldhaft. Fraglich ist allerdings, wie sich der Umstand auswirkt, dass A bei Begehung der Tat davon ausging, B würde ihn mit einem Messer angreifen.“ 1. Vorliegen eines ETBI a) Hypothetische Notwehrlage b) Hypothetische Notwehrhandlung c) Hypothetisches subjektives Rechtfertigungselement 2. Rechtsfolgen des ETBI "Der Erlaubnistatbestandsirrtum ist gesetzlich nicht geregelt. Wie ein Erlaubnistatbestandsirrtum zu behandeln ist, ist umstritten. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, dass dem im Erlaubnistatbestandsirrtum handelnden Täter das Unrechtsbewusstsein fehlt. Wo dieses allerdings dogmatisch zu verorten ist, ist indes strittig" [Meinungsstreit] Streitentscheid "Keine der Ansichten mag vollends zu überzeugen. Jedoch wenden im vorliegenden Fall alle Auffassungen mit Ausnahme der strengen Schuldtheorie, die verkennt, dass der im ETBI handelnde Täter strukturell § 16 näher ist als § 17, weshalb ihr nicht gefolgt werden kann, zumindest die Rechtsfolgen des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB an, sodass ein weiterer Streitentscheid dahinstehen kann." Zwischenergebnis "A stellte sich Umstände vor, die ihn, wenn sie tatsächlich vorgelegen hätten, gerechtfertigt hätten. Er handelte nach seiner Vorstellung in Notwehr. (Analog) § 16 Abs. 1 S. 1 StGB kann A daher nicht wegen der vorsätzlichen Tatbegehung bestraft werden." Ergebnis "A hat sich nicht wegen [...] gem. [...] strafbar gemacht."
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Erlaubnistatbestandsirrtum: Strenge Schuldtheorie
- Unrechtsbewusstsein ist selbstständiges Schuldelement - Der ETBI ist damit ein Unterfall des Verbotsirrtums, sodass § 17 StGB zur Anwendung kommt und die Schuld nur bei Unvermeidbarkeit entfällt (-) Trotz des Wortlauts spricht gegen die Anwendung von § 17 StGB, dass der ETBI-Täter an sich rechtstreu handeln möchte, er stellt also keine falschen rechtlichen Wertungen an (-) Er wird von der Appellfunktion des Tatbestands gar nicht erreicht, da er wegen seiner Fehlvorstellung im tatsächlichen Bereich glaubt, sich rechtmäßig zu verhalten. (-) Er wertet richtig, irrt hingegen in tatsächlicher Hinsicht; deshalb steht der ETBI § 16 strukturell näher als § 17
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Erlaubnistatbestandsirrtum: Vorsatzunrechtverneinende eingeschränkte Schuldtheorie
- Der Vorsatz besteht aus einem Vorsatz, den Tatbestand zu verwirklichen, und einem Vorsatz, dabei Unrecht zu verüben (sog. Vorsatzunrecht) - Fehlt das Vorsatzunrecht, wird § 16 Abs. 1 StGB analog angewendet, sodass der Tatbestandsvorsatz entfällt und lediglich eine Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit in Betracht kommen kann (-) Konstruktion der Doppelnatur des Vorsatzes als dogmatischer Kunstgriff? (-) Zudem führt die Ansicht zu potenziellen Strafbarkeitslücken im Bereich der Teilnahme, da eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat als Anknüpfungspunkt für eine Anstiftung oder Beihilfe wegfällt
136
Erlaubnistatbestandsirrtum: Vorsatzschuldverneinende eingeschränkte Schuldtheorie
- Die ebenfalls analoge Anwendung von § 16 Abs. 1 StGB beschränkt sich auf die Annahme der Rechtsfolge - Die vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat bleibt bestehen, aber eine Strafbarkeit aus dem vorsätzlichen Delikt scheidet aus - Argument: Da der Täter rechtstreu handeln möchte, handelt er ohne sog. Vorsatzschuldvorwurf; der Schuldvorwurf ähnelt dem eines Fahrlässigkeitstäters (-) Dogmatischer Kunstgriff? (+) Keine Strafbarkeitslücken im Bereich der Teilnahme (deshalb gegenüber der vorsatzunrechtverneinenden eingeschränkten Schuldtheorie vorzuziehen)
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Erlaubnistatbestandsirrtum: Weitere (für die Klausur (bei Zeitmangel) untergeordnete) Theorien:
Vorsatztheorie: überholt und vom Korrektor am wenigsten erwartet - Unrechtsbewusstsein ist Teil des Vorsatzes - Fehlt dieses, entfällt der Vorsatz in direkter Anwendung des § 16 Abs. 1 StGB (-) Gesetzgeberische Wertung des § 17 StGB zeigt, dass das Unrechtsbewusstsein zur Schuld gehört, weshalb die Ansicht abzulehnen ist Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen - Das Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale und das Fehlen von objektiv rechtfertigenden Umständen (sog. negative Tatbestandsmerkmale) bilden einen Gesamtunrechtstatbestand, auf den sich der Vorsatz beziehen muss - Der Täter im ETBI handelt demnach in direkter Anwendung des § 16 ohne Vorsatz (-) Dem StGB liegt ein dreistufiger Deliktsaufbau zugrunde (-) Gegen diese Ansicht spricht aber, dass sich § 16 Abs. 1 S. 1 StGB auf die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des besonderen Teils des StGB bezieht; die Ansicht verkennt die verschiedenen Funktionen des Tatbestandes als Typisierung des Unrechts und der Rechtfertigungsgründe als Wegfall der Rechtswidrigkeit in einer Ausnahmesituation.
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Diebstahl: fremde, bewegliche Sache
körperlicher Gegenstand, der nicht im Alleineigentum des Täters steht und fortgeschafft werden kann - Beweglichkeit nach Schuhr nicht prüfen: besser Unterscheidung treffen zwischen Immobile/Mobilie - Fremdheit in Relation zum Täter prüfen: "Die Sache müsste für den Täter fremd gewesen sein"
139
Diebstahl: Wegnahme
Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams Gewahrsam = die mit Herrschaftswillen begründete, in ihrem Umfang von der Verkehrsanschauung bestimmte Verfügungsgewalt über eine Sache (entspricht nicht zwangsläufig dem Besitz!) Bruch des Gewahrsams = Aufhebung des Gewahrsams ohne oder gegen den Willen seines Inhabers Begründung neuen Gewahrsams = Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft in einer Form, dass ihrer Ausübung keine wesentlichen Hindernisse entgegenstehen - Gewahrsamslockerung begründet noch keine Wegnahme (immernoch Sphäre zuzuordnen)
140
Diebstahl: Zueignungsabsicht
Absicht bezüglich zumindest vorübergehender Aneignung und mindestens Eventualvorsatz bezüglich dauerhafter Enteignung Aneignung = (zumindest vorübergehende) Inbesitznahme einer Sache zu ihrer (beliebigen) Nutzung Enteignung = dauerhafte Vorenthalten der dem Eigentümer zustehenden besitzbezogenen Verfügungsgewalt - Zueignung muss rechtswidrig sein = Täter hatte keinen Anspruch auf die Sache - Zueignung auch bei Aneignung des in der Sache verkörperten Wertes (Bsp: Sparbuch)
141
Prüfschema Diebstahl, § 242 StGB
I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) fremde bewegliche Sache b) Wegnahme 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz bezüglich des objektiven Tatbestands b) Zueignungsabsicht II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Strafantrag, § 248a StGB (Grenze str., zwischen 25 und 50 Euro)
142
Täterschaft und Teilnahme: Arten der Täterschaft
Alleintäterschaft, § 25 I Alt. 1 StGB: - Täter nimmt die Tat eigenhändig vor - Handeln mehrerer Täter ohne jede Verbindung: Nebentäter Mittelbare Täterschaft, § 25 I Alt. 2 StGB - Täter nimmt Tat durch ein strafloses Werkzeug vor, das er durch Irrtum oder Zwang beherrschaft - Objektive Tatbeiträge des Vordermanns werden dem Hintermann zugerechnet Mittäterschaft, § 25 II StGB: - Täter nimmt die Tat in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit anderen vor - Zurechnung von objektiven Tatbeiträgen des Mittäters setzen einen gemeinsamen Tatentschluss als subjektives Element und eine gemeinsame Tatausführung als objektives Element voraus
143
Täterschaft und Teilnahme: Arten der Teilnahme
Anstiftung, § 26 StGB: - Anstifter muss Tatentschluss kausal hervorrufen - setzt vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat voraus Beihilfe, § 27 StGB: - Gehilfe muss Herbeiführung des Taterfolgs durch den Täter objektiv fördern oder erleichtern - setzt vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat voraus
144
Prüfschema Mittäterschaft, § 25 II StGB
I. Tatbestand 1. Gemeinsamer Tatplan 2. Gemeinsame Tatausführung II. Rechtswidrigkeit III. Schuld
145
Mittäterschaft: Gemeinsamer Tatplan
Vorsatz, dass der eigene objektive Tatbeitrag zusammen mit dem Beitrag eines anderen zur Tatbestandsverwirklichung führt mind. zwei Personen haben die Verabredung getroffen, im gegenseitigen Einvernehmen gemeinsam objektive Tatbeiträge zu erbringen und dabei eine bestimmte Vorsatztat zu verwirklichen
146
Mittäterschaft: gemeinsame Tatausführung
Leisten eines eigenen, täterschaftlichen Beitrages zur Tatausführung
147
Mittäterschaft: gemeinsame Tatausführung (P) Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme
"Fraglich ist, ob darin bereits ein täterschaftlicher Beitrag gesehen werden kann oder ob dies vielmehr als bloße Gehilfenhandlung zu qualifizieren ist. Daher ist hier eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme angezeigt. Wie diese vorzunehmen ist, ist umstritten." Gemäßigt subjektive Theorie (Rspr.): - Täter ist, wer mit seinem Tatbeitrag nicht bloß fremdes Tun fördern will (animus socii), sondern die Tat als eigene will (animus auctoris) - Entscheidung erfolgt nach wertender Gesamtbetrachtung der Tatumstände (insbesondere in Hinblick auf den Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, dem Umfang der Tatbeteiligung, der Tatherrschaft und dem Willen zur Tatherrschaft) Tatherrschaftslehre (h.L.): - Täter ist, wer Tatherrschaft besitzt - Tatherrschaft besitzt, wer als Zentralgestalt des Geschehens die Tatbestandsverwirklichung nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann
148
Prüfschema Anstiftung, § 26 StGB
I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) vorsätzliche rechtswidrige Haupttat b) Bestimmen 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz bezüglich Haupttat b) Vorsatz bezüglich Bestimmen c) Zwischenergebnis: Doppelvorsatz II. Rechtswidrigkeit III. Schuld
149
Anstiftung: Bestimmen
unmittelbares Beeinflussen des Willens des Haupttäters im Wege des geistigen Kontaktes --> wenn der Teilnehmer den Tatentschluss des Täters hervorruft
150
Anstiftung: Bestimmen (P) T als omnimodo facturus, das heißt zu der identischen Tat bereits entschlossen gewesen
"Es kommt darauf an, ob die ursprünglich geplante und die aufgrund der Beeinflussung ausgeführte Tat identisch sind. Wann eine solche Tatidentität vorliegt, ist umstritten." aliud-Theorie: - Taten sind identisch, sofern es sich um den gleichen Tatbestand handelt - Anstiftung ist nur zu einem anderen Delikt möglich Wesentlichkeitstheorie: - Angestiftete Tat muss sich wesentlich von geplanter Tat unterscheiden Qualifikationstheorie: - Angestiftete Tat muss eine Qualifikation verwirklichen, ansonsten ist Tatidentität noch gegeben Unwertsteigerungstheorie: - Anstiftung nur bei konkreter und wesentlicher Steigerung des Unrechts (-) Abgrenzungsschwierigkeiten: was ist wesentlich? (-) Begriff der Unrechtssteigerung hochgradig schwammig (-) entscheidendes Abgrenzungskriterium liegt allein im Grad der Unwertsteigerung Beachte: bei einer Aufstiftung zur Verwirklichung eines Qualifikationstatbestandes ist es unschädlich, dass der Täter bereits als omnimodo facturus zur Begehung des Grunddelikts gilt und der Anstifter davon ggf. Kenntnis hat --> Bestimmen zu anderem Tatbestand mit wesentlich erhöhtem Unrechtsgehalt
151
Anstiftung: Bestimmen (P) Anforderungen an die Bestimmenshandlung
Verursachungstheorie: - Hervorrufen des Tatentschlusses im Sinne bloßer Kausalität Teilweise weiter einschränkend gefordert: Kommunikationstheorie: - zumindest schlüssiger kommunikativer Akt notwendig Unrechtspakttheorie: - Unrechtspakt zwischen Anstifter und Haupttäter nötig
152
Anstiftung: Bestimmen (P) Abstiftung
Anstifter bestimmt den Täter statt zur Begehung des Qualifikationsdelikts (Täter als omnimodo facturus) lediglich zur Verwirklichung eines einfachen Grunddelikts Bestimmen (-), denn: - Bestrafung erscheint nach Grundsatz der Risikoverringerung unbillig - Gedanke des omnimodo facturus: im Willen zur Verwirklichung der Qualifikation liegt zwangsweise auch der Wille zur Begehung des Grunddelikts
153
Prüfschema Beihilfe, § 27 I StGB
I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand a) Teilnahmefähige Haupttat b) Hilfeleisten 4) Streitentscheid (+/-) 2. Subjektiver Tatbestand II. Rechtswidrigkeit III. Schuld
154
Behilfe: Hilfeleisten (P) strengere Anforderungen an objektives Beihilfeunrecht bei „neutralem“, insbes. berufsbezogenem Verhalten (vgl. Art. 12 I GG)
"Die Handlung weist für B äußerlich keinen sozialen Sinn-Zusammenhang zu strafbarem Verhalten auf. Fraglich ist daher, welche zusätzlichen Anforderungen an das Handeln des B gestellt werden müssen, um sie ihm als Behilfehandlung iSd § 27 StGB zuzurechnen." Subjektive Lösung: - prinzipiell Beihilfetauglichkeit auch neutraler Handlungen, und danach erst mögliche Restriktion im subjektiven Tatbestand - weiß der Hilfeleistende, dass der Täter eine Strafbarkeit begehen will, verliert die Handlung den Alltagscharakter und erhält den deliktischen Sinnbezug - bei dolus eventualis: erscheint die Handlung als Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters? Professionelle Adäquanz: - prinzipiell schon tatbestandlich, Ausschluss berufs- und rollentypischer Handlungen aus dem Kreis der strafbaren Beihilfe - nicht, wenn der Berufsausübende aufgrund einer Prüfungspflicht Wissen über die vom Täter geplante Straftat erlangte (+) neutrales, regelkonformes und berufsbezogenes Verhalten kann nicht strafrechtlich verboten sein (-) Beruf wird zum Erlaubnistatbestand für die Begehung von Straftaten, weshalb die Differenzierung nach Beruf oder sozialer Rolle nicht sinnvoll ist Deliktischer Sinnbezug: - Hilfeleisten dann, wenn durch die Handlung unmittelbar eine Straftat bewusst gefördert wird oder die geförderte Handlung erkennbar allein den Zweck hat, eine Straftat zu ermöglichen - liegt nicht vor, wenn eine legale Handlung gefördert wird, die der Täter durch einen weiteren eigenständigen Willensentschluss zur Begehung einer Straftat nutzt
155
Beihilfe: Hilfeleisten
Hilfe leistet, wer die Tatbestandsverwirklichung ermöglicht, erleichtert, intensiviert oder absichert Merke: auch psychische Behilfe (Bestärkung des Tatentschlusses, Gutheißen der Tatbestandsverwirklichung) ist eine taugliche Behilfehandlung; nicht erforderlich ist die Ursächlichkeit der Hilfehandlung für den Taterfolg
156
Prüfschema Mittelbare Täterschaft, § 25 I Alt. 2 StGB
I. Strafbarkeit des Vordermannes II. Strafbarkeit des Hintermannes 1. Objektiver Tatbestand a) Taterfolg b) Tathandlung: Zurechnung gem. § 25 I Alt. 2 StGB? (1) Handlung des Vordermannes (2) Defektzustand beim Vordermann (3) Überlegene Stellung des Hintermannes kraft Wissens- oder Willensherrschaft nach Tatherrschaftslehre: - Entscheidung über "Ob" und "Wie" der Tat, insbesondere mittels Nötigungs- oder Irrtumsherrschaft nach gemäßigt-subjektiver Theorie: - Hintermann hat allein Interesse am Erfolg und auch den Willen, den Vordermann kraft überlegenen Willens als Werkzeug zu beherrschen (4) Zwischenergebnis: Zurechnung +, daher Tathandlung + (5) Kausalität (6) Objektive Zurechnung (7) Zwischenergebnis: Objektiver Tatbestand + 2. Subjektiver Tatbestand 3. Rechtswidrigkeit 4. Schuld 5. Ergebnis
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Grundsätze der Handlung des Unterlassungsdelikts
Menschliches Verhalten lässt sich in Tun (aktives Handeln) und Unterlassen (Nichtstun) unterteilen. Auch das Unterlassen kann strafbar sein – aber nur, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht. Diese Rechtspflicht kann sich ergeben: Direkt aus dem Gesetz → echtes Unterlassungsdelikt Aus einer Garantenstellung → unechtes Unterlassungsdelikt (§ 13 StGB) Klausurtipp: Ob ein Tun oder Unterlassen vorliegt, wird meist unter „Handlung“ im objektiven Tatbestand geprüft. Aufbau von Unterlassungsdelikten ist ähnlich wie bei Begehungsdelikten, allerdings mit Zusatzvoraussetzungen: z. B. physisch-reale Handlungsmöglichkeit, Garantenpflicht Auch hier möglich: Versuch, Fahrlässigkeit, Täterschaft/Teilnahme
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Strafbarkeit des Unterlassungsdelikts
Begehungsdelikt: stets strafbar, wenn Tatbestand erfüllt Unterlassen: nur strafbar bei besonderer Handlungspflicht Ziel: Keine generelle Pflicht zur Verhinderung fremder Straftaten Beispiel: Bruno sieht, wie Anton ein Fahrrad stiehlt, greift aber nicht ein. → Keine Strafbarkeit Brunos ohne spezielle Handlungspflicht (z. B. als Wachmann).
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Echtes vs. Unechtes Unterlassungsdelikt / Erfolgsdelikt vs. schlichtes Unterlassungsdelikt
a) Echtes Unterlassungsdelikt Tatbestandlich als Unterlassung normiert, z. B.: - § 323c StGB (Unterlassene Hilfeleistung) - § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten) - § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Aussetzung) Keine Garantenstellung erforderlich → Jedermannsdelikt b) Unechtes Unterlassungsdelikt Tatbestand ist eigentlich auf Tun ausgerichtet, aber § 13 StGB erlaubt Strafbarkeit bei Unterlassen, wenn Garantenpflicht besteht. z.B.: - Totschlag durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) - Betrug durch Unterlassen (§§ 263, 13 StGB) Voraussetzung: Das Unterlassen entspricht in seiner strafrechtlichen Relevanz einem Tun (§ 13 Abs. 1 StGB). Strafmilderung möglich (§ 13 Abs. 2 i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB), aber nicht zwingend Beispiel: Mutter lässt Säugling verhungern → Totschlag durch Unterlassen, da Mutter Garantenpflicht hat (natürliche Verbundenheit) 4. Erfolgsdelikt vs. schlichtes Unterlassungsdelikt Echte Unterlassungsdelikte meist schlichte Unterlassungsdelikte (bloßes Nicht-Handeln, z. B. § 323c StGB) Unechte Unterlassungsdelikte oft Erfolgsdelikte (z. B. Totschlag durch Unterlassen)
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Unterlassungsdelikte: Abgrenzung von Tun und Unterlassen
Bei echtem Unterlassungsdelikt: Unterlassen ist tatbestandlich Bei unechtem Unterlassungsdelikt: Relevanz der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen Wenn keine Garantenpflicht, ist Unterlassen nicht strafbar Wenn aktives Tun, kann bereits ohne Garantenpflicht Strafbarkeit bestehen Eindeutige Fälle: Tun = zielgerichteter Einsatz körperlicher Energie Unterlassen = reine Passivität Mehrdeutige Fälle: Verhalten enthält Elemente von beidem z. B. jemand verkauft gefährliche Produkte (= Tun), unterlässt aber Warnung (= Unterlassen)
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Unterlassungsdelikte: Lösungsansätze für die Entscheidung der Strafbarkeit nach Tun oder Unterlassen
a) Zeitliches Auseinanderfallen Frühere Handlung verdrängt späteres Unterlassen, wenn letzteres nur Nichtrückgängigmachen ist Ausnahme: Späteres Unterlassen ist qualitativ anders (z. B. Vorsatzwechsel, Vorsatz tritt erst später hinzu oder Täter bleibt aus anderen Gründen (Bsp: Habgier) untätig) Beispiel 1: Erst vorsätzlicher Schlag, dann Untätigkeit → nur Tötung durch Tun Beispiel 2: Erst fahrlässiges Anfahren, dann vorsätzliche Untätigkeit → Tötung durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) wegen Ingerenz b) Zeitliches Zusammenfallen Schwieriger zu entscheiden Energieeinsatz-Theorie: Tun liegt vor, wenn Energie eingesetzt wurde Kritik: In manchen Fällen überwiegt die Unterlassenskomponente trotz Energieeinsatz (z. B. bloßes Weglaufen) andere Ansicht: Sowohl Tun als auch Unterlassung, Lösung später auf Konkurrenzebene besser: Lösung über Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit: Normative Wertung: Welches Verhalten ist strafrechtlich vorwerfbar? Tendenz: Tun geht vor, besonders bei erlaubtem Verhalten mit Pflicht zu Sicherungsvorkehrungen
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Unterlassungsdelikte: Lösungsansätze für die Entscheidung der Strafbarkeit nach Tun oder Unterlassen (P) Abbruch rettender Kausalverläufe
Frage: Liegt ein aktives Tun (z. B. Totschlag, § 212 StGB) oder ein Unterlassen (z. B. § 323c StGB) vor? Entscheidend ist: Unterlassen, wenn die Rettung noch nicht selbstständig erfolgen konnte (z. B. Seil wird nur kurz gehalten, aber nicht fixiert). Aktives Tun, wenn die Rettung schon so weit fortgeschritten ist, dass sie sich auch ohne weiteres Zutun des Täters vollziehen könnte und der Täter gerade diese Rettungschance vereitelt (z. B. Seil war schon festgebunden, wird aber zurückgezogen). Beispiele: Unterlassen: Anton wirft Seil zu, zieht es aber zurück, bevor Bruno es erreicht. Anton hält Seil kurz, lässt es dann fallen → keine eigenständige Rettung möglich. Rechtsfolge: Nur § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung). Aktives Tun: Anton bindet Seil an Baum, wirft es Bruno zu, zieht es aber zurück → Bruno hätte sich selbst retten können. Rechtsfolge: § 212 StGB (Totschlag). 3. Fremde Rettungshandlungen vereiteln Aktives Tun, wenn der Täter bereits laufende Rettungsmaßnahmen stoppt (z. B. Paul wird niedergeschlagen, während er Bruno retten will → §§ 212 bzw. 223, 239, 240 StGB). Unterlassen, wenn nur die Einleitung einer Rettung verhindert wird (z. B. Anton verweigert Paul das Handy zum Notruf → § 323c StGB).
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Prüfschema unechtes Unterlassungsdelikt
I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Handlung (Abgrenzung Tun– Unterlassen) b) Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens (bei Erfolgsdelikten: Erfolgs eintritt, Kausalität, objektive Zurechnung) c) Garantenpflicht d) Nichtvornahme der gebotenen Handlung e) Möglichkeit der Vornahme der gebotenen Handlung f) Erforderlichkeit der Handlung g) Zumutbarkeit h) Entsprechungsklausel, § 13 StGB 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz bzgl. sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale b) tatbestandsspezifische subjektive Merkmale II. Rechtswidrigkeit (insbesondere rechtfertigende Pflichtenkollision möglich) III. Schuld
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Unechtes Unterlassungsdelikt: Handlung
zuerst festzustellen, welches Verhalten dem Täter konkret vorgeworfen werden kann und ob dieses Verhalten als Tun oder als Unterlassen zu qualifizieren ist Begehungsdelikt: Erfordert ein vom Willen getragenes, aktives Tun Unterlassungsdelikt: Erfordert ein vom Willen getragenes Untätigbleiben. → Kein strafrechtlich relevantes Verhalten, wenn die Person nicht willentlich handelt (z. B. im Schlaf, bewusstlos) Bei der Beurteilung der Handlungsqualität kann an die Grundsätze der Handlungsqualität des aktiven Tuns angeknüpft werden
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Unechtes Unterlassungsdelikt: Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens
- Prüfung des objektiven Tatbestandes des Delikts 1. bei Erfolgsdelikten: Feststellung des Erfolges (Bsp: Tod eines anderen Menschen) 2. Prüfung der ("Quasi")Kausalität --> Formulierung: Ein Unterlassen ist immer dann kausal, wenn die rechtlich gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandsmäßige Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele --> in dubio pro reo, wenn die Wahrscheinlichkeit nicht eindeutig nachweisbar ist 3. Prüfung der objektiven Zurechnung
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Unechtes Unterlassungsdelikt: Garantenpflicht
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Unechtes Unterlassungsdelikt: Nichtvornahme der gebotenen Handlung
Feststellung, welches Verhalten (d.h. welches konkrete Unterlassen) dem Täter vorgeworfen werden kann --> Was wäre die gebotene Handlung gewesen? (bei Erfolgsdelikten: Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges) mehrere zur Verfügung stehende Handlungsalternativen des Täters möglich danach Feststellung, dass der Täter eben diese gebotene(n) Handlung(en) nicht vorgenommen hat
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Unechtes Unterlassungsdelikt: Möglichkeit der Vornahme der Handlung
Prüfung, ob dem Täter die Vornahme der gebotenen Handlung physisch-real möglich war Wenn (-) Prüfung, ob möglicherweise auf eine andere, zwar weniger effektive, aber dennoch zur Erfolgsabwendung geeignete Handlung zurückgegriffen werden kann Differenzierung: 1. Täter ist Handlung objektiv oder individuell nicht möglich (Nichtschwimmer kann nicht in den See springen und den Ertrinkenden retten) --> obj. TB (-) 2. Täter ist Handlung zwar objektiv möglich, er weiß jedoch nichts von der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeit --> subj. TB (-) 3. Täter nimmt irrig Umstände an, die objektiv nicht vorliegen (Untauglichkeit des Rettungsmittels) --> untauglicher Versuch durch Unterlassen Sind mehrere Handlungen möglich, reicht es, wenn der Täter wenigstens eine von ihnen vornimmt --> muss es die effektivste sein?
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Unechtes Unterlassungsdelikt: Erforderlichkeit
Vorrang der Garantenpflicht vor der allgemeinen Rettungspflicht --> gilt aber nur so lange, wie der vorrangig zur Hilfeleistung Verpflichtete fähig und willens ist einzuschreiten; hilft dieser nicht oder ist er zur Hilfeleistung nicht bereit, dann ist das Tätigwerden des nachrangig Verpflichteten erforderlich
170
Unechtes Unterlassungsdelikt: Zumutbarkeit
In Ausnahmefällen kann – trotz vorhandener Möglichkeit – die Erfolgsabwendung für den Einzelnen unzumutbar sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Rettung für den Unterlassenden eine ernsthafte Gefahr für sein eigenes Leben oder seine eigene Gesundheit darstellen würde --> Einzelfallentscheidung, die Grad der Gefahr für das bedrohte Rechtsgut berücksichtigt Beachte: die Zumutbarkeit der Erfolgsabwendung scheidet allerdings nicht allein deswegen aus, weil sich der Täter, insbesondere bei vorangegangenem pflichtwidrigen Tun, durch sein Verhalten der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt
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Unechtes Unterlassungsdelikt: Entsprechungsklausel, § 13 StGB
Nach § 13 Abs. 1, 2. Halbsatz StGB hängt die strafrechtliche Haftung des Garanten davon ab, dass ein Unterlassen der Erfolgsabwendung wertungsmäßig einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch aktives Tun entspricht. Dies ist zwar in der Regel der Fall, es gibt hierzu jedoch einige wenige Ausnahmen bei den sog. verhaltensgebundenen (Erfolgs-)Delikten. Es geht hier also um die „Gleichwertigkeit“ von Tun und Unterlassen im Hinblick auf das verwirklichte Unrecht (Bsp: Betrug (muss auf Täuschung beruhen)) Beachte: nur in extremen Ausnahmefällen problematisch, wodurch sich Prüfung idR erübrigt
172
Unechtes Unterlassungsdelikt: Subjektiver Tatbestand
Unterlassungsvorsatz = Täter entscheidet sich – in Kenntnis sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale – für das Untätigbleiben, obwohl er weiß, dass er tätig werden müsste und dabei (bei Erfolgsdelikten) den tatbestandsmäßigen Erfolg wenigstens billigend in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz aus) Vorsatz muss sich auch hier auf sämtliche objektive Tatbestandsmerkmale beziehen --> im Hinblick auf die Kausalität mitunter problematisch, denn der Täter muss wissen, dass die von ihm erwartete Handlung den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindern würde Täter muss ebenfalls die (tatsächlichen) Umstände kennen, die seine Garantenstellung begründen --> erkennt er diese, geht er aber irrig davon aus, dass aus der erkannten Sachlage keine Garantenstellung folgt, lässt dies den Vorsatz unberührt und ist lediglich auf Schuldebene (als möglicher Verbotsirrtum in Form eines „Gebotsirrtums“, § 17 StGB) zu beachten
173
Strafbarkeit des Unterlassens beim unechten Unterlassungsdelikt
Das unechte Unterlassungsdelikt ist nur dann strafbar, wenn der Täter „rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt“ (er also eine „Garantenpflicht“ besitzt) Beim echten Unterlassungsdelikt sind die Voraussetzungen, unter denen ein Unterlassen strafbar ist, im jeweiligen Tatbestand abschließend umschrieben
174
Abgrenzung von Garantenstellung und Garantenpflicht
Unter einer Garantenstellung versteht man das besondere Rechtsverhältnis, in dem sich eine Person befindet, also z.B. die Stellung als Ehegatte oder die Stellung von Eltern in Bezug auf ihre Kinder Unter einer Garantenpflicht versteht man die aus diesem Rechtsverhältnis (also der Garantenstellung) folgende Pflicht zum Tätigwerden, also z.B. die Pflicht der Eltern, Schäden von ihren Kindern abzuwenden Beachte: Üblicherweise folgt aus einer Garantenstellung auch eine Garantenpflicht. Diese kann allerdings in Einzelfällen aufgrund besonderer Umstände auch einmal ausscheiden. Man muss daher stets prüfen, ob in der konkreten Situation eine bestimmte Garantenstellung dazu führt, dass der Betroffene eine Rechtspflicht hat, gerade in einer bestimmten Art und Weise tätig zu werden. Prüfungsstandort ist jeweils der objektive Tatbestand.
175
Frühere Einteilung der Garantenpflichten nach Entstehungsgründen
* aus Gesetz (normierte Garantenpflichten) * aus Vertrag (freiwillig übernommene Garantenpflichten) * aus einer engen Lebensbeziehung (persönliches Näheverhältnis) * aus vorangegangenem gefährdendem Tun
176
Heutige Einteilung der Garantenpflichten nach Entstehungsgründen
* Schutzpflichten (Pflichten zum Schutz bestimmter Rechtsgüter) * Überwachungspflichten (Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle)
177
Überblick über die einzelnen Schutzpflichten
1. Natürliche (familiäre) Verbundenheit 2. Enge Gemeinschaftsbeziehung 3. Freiwillige (tatsächliche) Übernahme von Schutz- oder Beistandspflichten a) Stellung als Amtsträger oder als Organ einer juristischen Person
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Die einzelnen Überwachungspflichten (Sicherungs- oder Überwachungsgaranten)
1. Vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten (Ingerenz) 2. Pflicht zur Überwachung von Gefahrenquellen 3. Inverkehrbringen gefährlicher Produkte 4. Beaufsichtigungspflichten
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Was sind Schutzpflichten?
Eine bestimmte Person ist aufgrund besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Bindungen zum Schutz eines bestimmten Rechtsgutes verpflichtet, dem Gefahren von außen drohen. Der Betreffende muss also eine bestimmte Person vor allen ihr drohenden Gefahren schützen (Bsp.: Eltern müssen ihre Kinder vor Gefahren schützen).
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Was sind Überwachungspflichten?
Eine bestimmte Person ist aufgrund einer tatsächlichen oder rechtlichen Übernahme von Verantwortung für eine bestimmte Gefahrenquelle verpflichtet, dafür zu sorgen, dass durch diese Gefahrenquelle keine Rechtsgüter anderer geschädigt werden. Sie muss also alle Personen vor einer bestimmten Gefahrenquelle schützen (Bsp.: Der Bauunternehmer muss dafür sorgen, dass niemand in die von ihm ausgehobene Baugrube stürzt).
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Anforderung an die Pflichten beim Unterlassungsdelikt / mehrere Pflichten
Es muss sich bei allen Pflichten um Rechtspflichten handeln (--> Pflichten, die aus rechtlichen Gesichtspunkten heraus den Einzelnen zum Handeln verpflichten) Rein sittliche oder moralische Pflichten genügen nicht! Aus einem bestimmten Rechtsverhältnis können zudem auch mehrere, im Einzelnen ganz unterschiedliche Pflichten folgen (Eltern haben bspw. sowohl eine Schutz- als auch eine Überwachungspflicht gegenüber ihren Kindern)
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Schutzpflichten: 1. Natürliche (familiäre) Verbundenheit
1. Grundgedanke der Garantenstellung aus familiärer Verbundenheit Es handelt sich um eine klassische Garantenstellung, bei der eine Person verpflichtet ist, nahe Angehörige vor Gefahren zu schützen. Diese Pflicht ergibt sich meist aus dem familienrechtlichen Bestimmungen, z. B. § 1353 BGB (Ehegattenpflicht zur Fürsorge). Die tatsächliche Nähe (z. B. Zusammenleben) ist nicht erforderlich – entscheidend ist die rechtlich anerkannte familiäre Beziehung --> Weite der familiären Bande str., jedenfalls Begrenzung auf Kernbereich der Familie notwendig. 2. Umfang der anerkannten familiären Garantenstellungen Anerkannt (Garantenstellung bejaht): Eltern ↔ Kinder: § 1601, 1618a, 1626, 1631 BGB Kinder ↔ Eltern: § 1601, 1618a BGB Ehegatten untereinander: § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB Lebenspartner (nach LPartG): § 2 LPartG → Achtung: Die Pflicht endet bei zerrütteter Beziehung, auch wenn Ehe/Partnerschaft formal noch besteht (Indiz: dauerhaftes Getrenntleben). 3. Umstrittene oder abgelehnte familiäre Garantenstellungen Umstritten: Vater ↔ nichteheliches Kind: Tendenz zur Bejahung, besonders nach Änderung von § 1684 BGB Geschwister: Pro: Blutsverwandtschaft, Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) Contra: Keine gesetzliche Unterhaltspflicht → keine rechtliche Pflicht zur Unterstützung Verlobte: eher problematisch Abgelehnt: Verschwägerte Nichteheliche Lebensgemeinschaften Freundschaften Wohngemeinschaften → In diesen Fällen keine Garantenstellung aus natürlicher Verbundenheit, aber ggf. aus enger Gemeinschaftsbeziehung (→ eigene Kategorie). 4. Abgrenzung: Garantenstellung aus enger Gemeinschaftsbeziehung Voraussetzung: Tatsächliche Nähebeziehung (z. B. Zusammenleben, gelebte Fürsorge). Abgrenzungspunkt: Anders als bei natürlicher Verbundenheit kommt es hier auf tatsächliche Lebensgemeinschaft an. 5. Inhalt und Grenzen der Garantenpflicht Pflichten: Schutz vor Gefahren von außen Grundsätzlich auch Pflicht, Selbstschädigungen zu verhindern Grenze: Prinzip der Eigenverantwortung Beispiel: Ehemann verhindert nicht, dass Ehefrau einen Käufer betrügt. → Keine Pflicht, sie vom Betrug abzuhalten → Schutzpflicht besteht nicht gegenüber Dritten (z. B. Käufer) → Auch keine Pflicht, die Ehefrau vor eigener Strafbarkeit zu bewahren. Merksatz: Garantenpflicht endet dort, wo sie zur Bevormundung führen oder in die Eigenverantwortung eingreifen würde.
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Schutzpflichten: 2. Enge Gemeinschaftsbeziehung
1. Abgrenzung zur natürlichen Verbundenheit Enge Gemeinschaftsbeziehung = tatsächliche, faktische Nähe und gegenseitige Hilfe → tatsächliche Verbundenheit Natürliche Verbundenheit = rechtlich begründetes Verhältnis (z. B. Familie) → rechtliche Verbundenheit 2. Grundgedanke Wo Menschen in enger, auf Beistand angelegter Weise zusammenleben oder sich gemeinsam sozialtypischen Gefahren aussetzen, entsteht ein besonderes Vertrauensverhältnis, das eine Garantenpflicht begründen kann. 3. Fallgruppen a) Lebensgemeinschaft Definition: „Lebensgemeinschaft“ = Zusammenschluss mehrerer Personen, die ihr Leben gemeinsam gestalten und in einer Wohnung zusammenleben. ✅ Beispiele (Garantenstellung bejaht): Nichteheliche Lebensgemeinschaft Pflegeverhältnis (z. B. Pflegeperson in der Wohnung aufgenommen) ggf. auch WG, wenn keine reine Zweckgemeinschaft 📌 Relevanter Fall: Pflegebedürftiger liegt im Sterben, Pfleger ruft keinen Notarzt → Totschlag durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) möglich, nicht nur unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) b) Gefahrengemeinschaft Definition: „Gefahrengemeinschaft“ = Zusammenschluss mit dem Ziel, durch den Zusammenschluss drohende Gefahren zu reduzieren (z. B. Expedition, Bergtour). ✅ Beispiele (Garantenstellung bejaht): Bergtour → Partner stürzt, man muss Hilfe holen 📌 Wichtig: Es entsteht ein berechtigtes Vertrauen, im Notfall Hilfe zu bekommen. 4. Abgrenzung: Keine Garantenstellung ❌ Abgelehnt bei: Reinen Freundschaften Liebesverhältnissen (wenn keine gemeinsame Lebensführung) Zufallsgemeinschaften: Zechkumpanen Mitkonsumenten von Drogen Unfallbeteiligte ohne persönliche Bindung 📌 Beispiel: Zufällig kennengelernter Zechkumpan fällt betrunken in Fluss → nur unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) möglich, kein Totschlag durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) 5. Einschränkung: Prinzip der Eigenverantwortung Auch bei bestehender Garantenstellung ist nicht jede Untätigkeit strafbar. 📌 Beispiel: Lebenspartner begleitet den anderen zum Gericht und hält ihn nicht vom Meineid ab → → Keine Beihilfe durch Unterlassen, da Eigenverantwortung des Schwörenden überwiegt
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Schutzpflichten: 3. Freiwillige (tatsächliche) Übernahme von Schutz- oder Beistandspflichten
Grundidee Eine Garantenpflicht entsteht auch dann, wenn jemand freiwillig Schutz- oder Beistandspflichten übernimmt. Entscheidend ist die dadurch geschaffene Vertrauensgrundlage, aufgrund der der Schutzbedürftige auf anderen Schutz verzichtet. ❗ Wichtig: Diese Verpflichtung kann nicht beliebig widerrufen werden, sobald eine konkrete Gefahr entstanden ist. Drei Arten der freiwilligen Übernahme a) Vertrag Begründung einer Garantenstellung durch zivilrechtlichen Vertrag, z. B.: Babysitter Kinderpfleger Bademeister Arzt- oder Bankvertrag 🟢 Voraussetzung: Tatsächliche Übernahme der Schutzpflichten ❌ Nicht erforderlich: Wirksamkeit des Vertrags ❌ Nicht ausreichend: Bloßer Vertragsabschluss ohne tatsächliche Tätigkeit 📌 Beispiel: Ein minderjähriger Babysitter ist auch bei unwirksamem Vertrag Garant – aber erst und nur sobald er die Aufsicht übernimmt. 🔴 Vertrag muss gerade Schutz- und Beistandspflichten zum Gegenstand haben → keine Garantenstellung bei Kaufverträgen → Ausnahme: nach Grundsatz von Treu und Glauben bei langjährigen Geschäftsbeziehungen, sofern Vertrauensverhältnis b) Vertragsähnliches Verhältnis Auch ohne Vertrag kann ein tatsächliches Vertrauensverhältnis eine Garantenpflicht begründen. 📌 Beispiel: Ein Ortskundiger zeigt einem Touristen freiwillig gefährliches Gelände (Felsspalte). → Er darf ihn nicht allein zurücklassen, wenn dieser sich verletzt. → Tötung durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) möglich, nicht nur Hilfeleistungsunterlassung (§ 323c StGB). c) Faktische Übernahme Durch reine tatsächliche Übernahme von Schutz, insbesondere in Gefahrensituationen, kann eine Garantenpflicht entstehen. 🟢 Beispiel: Wohnungsinhaber nimmt Obdachlosen auf. → Muss ihn vor anderen Gästen schützen (z. B. nach einem Zechgelage). → Schaffung eines Schutzraums = Vertrauen. 🔴 Abgrenzung: Keine Pflicht zum Einschreiten bei Prügeleien unter Gästen auf einer Party. Keine Pflicht zum Schutz vor externen Dritten (z. B. Einbrechern). Sonderproblem: Abbruch einer begonnenen Hilfeleistung Beginn der Hilfe = nicht automatisch Garantenstellung 🟡 Aber: Wer durch Hilfeleistung die Lage des Hilfsbedürftigen in risikosteigernder Weise verändert, wird Garant. 📌 Beispiel: Betrunkener liegt auf der Straße. → Helfer bringt ihn ins Auto (Ort mit weniger Chancen auf Rettung), → lässt ihn dort zurück → → Garantenstellung durch risikosteigerndes Verhalten (Verschlechterung der Rettungsmöglichkeiten) → → fahrlässige Tötung durch Unterlassen (§§ 222, 13 StGB) möglich, wenn der Betrunkene im Auto erfriert.
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Schutzpflichten: 3. a) Stellung als Amtsträger oder als Organ einer juristischen Person
Diese Fallgruppe basiert ebenfalls auf der Idee der (freiwilligen) Übernahme von Schutzpflichten, unterscheidet sich aber durch den institutionellen Rahmen (Amt oder Organstellung). a) Amtsträger Definition: Personen, die hoheitliche Aufgaben im Namen des Staates ausüben (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Garantenstellung Richtet sich nach Art der Dienstpflicht und dem Aufgabenbereich. Staat und seine Repräsentanten sollen Individualrechtsgüter schützen. Eine Pflichtverletzung kann zu Unterlassungsdelikten führen (§ 13 StGB). Beispiele Umweltschutz: Ein Behördenleiter beauftragt eine unzureichend ausgestattete Firma zur Gewässerreinigung → Gewässerverunreinigung durch Unterlassen (§§ 324, 13 StGB) Kinder- und Jugendhilfe: Sozialarbeiter, der gefährdete Kinder betreut → Garantenpflicht zum Schutz der Kinder Justizvollzugsbeamte: Müssen Misshandlungen von Gefangenen verhindern → Garantenstellung bejaht (str.) → Sind Beamte generell verpflichtet, Individualrechtsgüter zu schützen? (str.) Ordnungsamt: Amtsleiter unternimmt nichts gegen bekannte Missstände in einem Bordell, in dem Frauen ausgebeutet werden → Garantenstellung aufgrund Dienstpflicht zum Schutz vor Ausbeutung Grenzen Die Pflicht besteht nur im Rahmen der dienstlichen Zuständigkeit (örtlich & sachlich). Keine Pflicht außerhalb des Dienstes (z. B. wenn Beamter privat Kenntnis von einem Verbrechen erhält). b) Organe juristischer Personen Definition: Personen, die eine Organstellung innerhalb einer juristischen Person (z. B. GmbH, AG, Verein) innehaben und für diese handeln. Garantenstellung Pflicht zur Abwehr von Schäden gegenüber dem Unternehmen selbst, insbesondere: Vermögensschutz Eigentumsschutz → „Geschäftsherrenhaftung“ Beispiel Ein Geschäftsführer einer GmbH, der durch Untätigkeit den Diebstahl von Firmeneigentum durch Mitarbeiter ermöglicht, kann sich strafbar machen. ❗ Nur natürliche Personen können sich strafbar machen – nicht das Organ selbst.
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Überwachungspflichten: 1. Vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten (Ingerenz)
Grundidee: Jeder, der durch ein objektiv gefährliches (Vor-)Verhalten die Gefahr eines (weiteren) Schadens für andere Rechtsgüter geschaffen hat, ist zur Abwendung dieses drohenden Schadens und zu entsprechenden Rettungsmaßnahmen verpflichtet. Besonderheit: Vorsätzliches Vorverhalten Auch vorsätzliches gefahrschaffendes Verhalten kann zur Garantenstellung führen (str.?, BGH: Rechtspflicht zum Handeln entfällt, da niemand verpflichtet sein kann, eine zuvor vorsätzlich verursachte Gefahr zu beseitigen) Aber: Unterlassungsdelikt tritt meist hinter vorsätzliches Tun zurück (Konkurrenzrecht) Ausnahme: zusätzliche Merkmale (z.B. Mordmerkmale) oder Beteiligung Dritter erst beim Unterlassensdelikt (Bsp: A schlägt O mit bedingtem Tötungsvorsatz nieder, erkennt dann aber, dass es sich um seinen Erbonkel handelt, weshalb er diesem nun gerade deswegen nicht hilft, um die Erbschaft zu „kassieren“ → A macht sich neben dem Totschlag durch aktives Tun auch wegen eines Mordes aus Habgier durch Unterlassen strafbar → Wenn A hinsichtlich der fehlenden Hilfeleistung durch den dringenden „Rat“ seiner Ehefrau motiviert wurde, die erst nach dem Niederschlagen hinzutrat, kann sich diese wegen Anstiftung zum Mord durch Unterlassen strafbar machen Beachte: Unterlassene Hilfeleistung für sich führt nicht zu einer Garentenpflicht aus Ingerenz
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Überwachungspflichten: Vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten (Ingerenz) (P) Muss das Verhalten, das die Ingerenz begründet, objektiv pflichtwidrig sein, oder reicht ein lediglich gefahrschaffendes Vorverhalten aus?
eA: grundsätzliche Ablehnung der Garantenstellung aus Ingerenz (+) Anerkennung einer solchen Garantenstellung viel zu weitgehend (+) Haftung des Täters durch Strafbarkeit wegen vorangegangenem Tun bereits ausreichend gesichert Verursachungstheorie: bereits jede vorherige Gefahrenschaffung begründet Garantenstellung; Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens nicht erforderlich (+) wer eine Gefahr schafft, muss auch dafür sorgen, dass sich diese nicht realisiert (+) auch gerechtfertigt handelnder Täter (z.B. Notwehr) muss konsequenterweise Pflicht zum Nachsorgeverhalten haben (-) zu weitgehend – führt zu Garantenpflichten auch ohne Vorwerfbarkeit des Vorverhaltens Pflichtwidrigkeitstheorie (wohl h.M.): nur pflichtwidriges gefahrschaffendes Verhalten begründet eine Garantenstellung (+) wer gerechtfertigt handelt (z.B. in Notwehr), soll nicht nachträglich durch Garantenstellung belastet werden (+) nicht gerechtfertigt handelnder Täter würde sonst in Notwehrsituation besser stehen als ein unverschuldet in Not geratener Täter (-) möglicherweise unbefriedigende Ergebnisse bei extremen Konstellationen (s. Gerd-Fall) → nach h.M. muss im Rahmen der objektiven Zurechnung geprüft werden, ob gerade das pflichtwidrige Verhalten den Erfolg verursacht hat (Pflichtwidrigkeitszusammenhang) und ob sich die Pflichtwidrigkeit auf die Verletzung einer Norm bezieht, die gerade dem Schutz des später betroffenen Rechtsguts dient (Schutzzweckzusammenhang) → sonstige Elemente der objektiven Zurechnung (z.B: eigenverantwortliche Selbstgefährdung) sind ebenfalls zu beachten
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Überwachungspflichten: Pflicht zur Überwachung von Gefahrenquellen
Grundgedanke: Wer eine Gefahrenquelle schafft oder beherrscht, ist verpflichtet, Schäden an Rechtsgütern Dritter zu verhindern. Diese Pflicht besteht auch ohne pflichtwidriges Vorverhalten (anders als bei Ingerenz!). Voraussetzungen: Tatsächliche oder rechtliche Herrschaft über eine Gefahrenquelle Pflicht zur Verhinderung von Schäden aus dieser Quelle Begründung: Wer gefährliches Verhalten ausübt oder duldet, dem wird im Gegenzug die Pflicht auferlegt, weitere Schäden zu verhindern. Typische Fälle (Beispiele für Verkehrssicherungspflichten): Kfz-Halter Tierhalter Grundstücks-/Gebäudeeigentümer Veranstalter (z. B. Sportevents) Bauunternehmer (z. B. offene Baugrube) Betreiber industrieller Anlagen (Umweltschutz) Produkthaftung (hat Ursprung in der Verkehrssicherungspflicht) Grenzfälle: Problematisch, wenn zwar eine Gefahr von der Gefahrenquelle ausgeht, der konkrete Schaden aber: durch das Verhalten eines Dritten oder durch das eigenverantwortliche Verhalten des Opfers verursacht wird. Beispiel zur Abgrenzung: Winfried lässt Obdachlosen Otto in seiner Wohnung wohnen. Nach einem Streit wird Otto von einem Dritten misshandelt. Winfried greift nicht ein. Mögliche Garantenstellung aus faktischer Übernahme (bereits bejaht). Fraglich: Garantenpflicht auch aus Verantwortung für die Gefahrenquelle „Wohnung“? Abgelehnt, da private Wohnung kein typischer Gefahrenbereich (anders als z. B. eine Kneipe).
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Überwachungspflichten: Inverkehrbringen gefährlicher Produkte
Grundsatz: Wer ein Produkt rechtlich zulässig in den Verkehr bringt, das bei ordnungsgemäßer Nutzung gefährlich für Verbraucher ist (z. B. gesundheitsschädlich), hat eine Garantenpflicht, schadenverhütende Maßnahmen (wie z. B. Rückrufaktionen) zu treffen. Rechtsgrundlage: Diese Pflicht orientiert sich an der zivilrechtlichen Produkthaftung, insbesondere an der Pflicht zur Produktbeobachtung. Wichtig: Die ursprüngliche Handlung muss nicht pflichtwidrig gewesen sein – es genügt, dass das Produkt gefährlich war.
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Überwachungspflichten: Beaufsichtigungspflichten
Grundgedanke: Der Garant ist nicht zum Schutz der beaufsichtigten Person verpflichtet, sondern zum Schutz Dritter vor Gefahren, die von dieser Person ausgehen. Klassische Fälle: Eltern für ihre minderjährigen Kinder Lehrer für Schüler Vorgesetzte für Angestellte (§ 357 StGB) Ärzte für Psychiatriepatienten Vollzugsbeamte für Strafgefangene Streitfälle: Ehegatten haften nicht füreinander → keine Garantenstellung bei Straftaten des Ehepartners. Eltern haften nicht für volljährige Kinder → Erwachsene sind selbstverantwortlich. Ausnahme: Bei betrieblichen Pflichten kann für den Betriebsinhaber eine Garantenpflicht bestehen, um betriebsbezogene Straftaten von Mitarbeitern zu verhindern („Geschäftsherrenhaftung“). Sonderfall: Selbst als Gefahrenquelle Problemstellung: Kann jemand für sich selbst eine Überwachungspflicht haben? Beispiele: Jemand, der betrunken Auto fahren könnte. Jemand mit hochansteckender Krankheit, der andere nicht warnt. Anerkennung: Eine solche Garantenstellung zur Selbstüberwachung ist in engen Grenzen anerkannt, wenn nicht bereits ein aktives Tun (z. B. Trinken, Besuch) vorliegt.
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