Art. 1 & 4 ZGB IV Flashcards
(12 cards)
Auf was bezieht sich das “dabei” von Art. 1 Abs. 3 ZGB?
Auf Abs. 1 und 2 und nicht, wie der Wortlaut vermuten liesse, nur auf Abs. 2.
Somit gilt das Prinzip bei der gesamten richterlichen Tätigkeit. Sowohl bei der Gesetzesauslegung und-Anwendung als auch bei der Findung von Gewohnheitsrecht under der Schaffung von Gerichtsrecht.
Was führt dazu, dass eine Lehre als bewährt gilt?
Ausschlaggebend ist die sachliche Richtigkeit und Angemessenheit, sowie die Überzeugungskraft der Argumente.
Massgebend ist somit die kritische Würdigung der verschiedenen Lehrmeinungen durch das urteilende Gericht. Bewehrt gilt, was der Gerechtigkeitsidee und der Zweckmässigkeitsidee wie auch den Anforderungen der Rechtssicherheit entspricht.
Wieso handelt es sich bei Art. 1 Abs. 3 um eine Lex imperfecta?
Weil sie zwar die Pflicht zur Berücksichtigung anordnet, nicht aber eine entsprechende Sanktion bei Nichtbeachtung. Deshalb spricht man von einer beschränkten Befolgungspflicht der Gerichte.
Was meint Art. 1 Abs. 3 ZGB mit “Überlieferung”?
Die auf kantonaler und bundesrechtlicher Ebene erlassene Gerichtspraxis.
Damit wird jedoch auch die Praxis anderer Behörden erfasst. (Verwaltungsbehörden wie Grundbuchämter etc.)
Woran beurteilt sich, ob eine Überlieferung bewährt ist?
Massgebend sind die einer Entscheidung zugrunde liegende Begründung sowie die Gründlichkeit der Auseinandersetzung mit den der Streitfrage zugrund liegenden Interessen.
Dabei kommt es auf die Überzeugungskraft der Argumente unter den Gesichtspunkten der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit und der Zweckmässigkeit an.
Die länge der Praxis und die Zahl der Urteile spielt eine untergeordnete Rolle.
Welchen Schranken unterliegt die Befolgungspflicht bewährter Überlieferung?
- Die verstärkte Beachtung gilt nur, wenn bewährte Überlieferung vorliegt.
- Die eingeschränkte Befolgungspflicht beschränkt sich zudem auf die essenziellen, entscheidnotwendigen Erwägungen des Gerichts. Sog. obiter dicta, d.h. Rechtsausführungen in der Urteilsbegründung, auf denen der Entscheid nicht beruht und somit für dieses Urteil nicht erforderlich wären, sondern weggelassen werden könnten (beiläufige Bemerkungen, Nebenbemerkungen), sind zwar nicht bedeutungslos, aber von wesentlich geringerer Aussagekraft.
- Vorbehalten bleiben zudem wichtige Gründe, welche zu einer Praxisänderung führen (vgl. & 2 N 249 ff.).
Sind die in Art. 1 Abs. 3 genannten Aspekte Rechtsquellen?
Nein, sie gelten lediglich als Hilfsmittel. Deshalb ist die Überlieferung auch abänderbar.
Welche Voraussetzungen müssen für eine Praxisänderung des BGE erfüllt sein?
- Vorliegen triftiger bzw. ernsthafter und sachlicher Gründe. (Bspw. durch Veränderung der Realien)
- Die Gründe müssen umso wichtiger sein, je länger die Praxis schon andauert. - Praxisänderung erfolgt grundsätzlich.
- Die Änderung darf nicht einmalig, sondern soll für alle künftigen Entscheide leitend sein. - Vornahme einer Interessenabwägung.
- Verfolgt die Praxisänderung ein der Rechtssicherheit vorgehendes Interesse?
- Halten sich die beiden Seiten die Wage, ist der Rechtssicherheit Vorrang zu gewähren, indem keine Praxisänderung vorgenommen wird. - Einhaltung der prozessrechtlichen Voraussetzungen
Was ist die Billigkeit genau?
Billigkeit ist die Gerechtigkeit im Einzelfall.
Was ist die äussere Schranke eines Billigkeitsentscheids?
Die Billigkeitsentscheidung von Art. 4 ZGB setzt nach dessen Wortlaut eine gesetzliche Grundlage voraus («Wo das Gesetz …»).
Dies bedeutet, dass das Gericht an Zweck, Inhalt und Umfang der eingeräumten Ermächtigung sowie an die dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen und Zielsetzungen gebunden ist. Die äussere Schranke liegt somit in der Grenze des Wortlauts und seiner Auslegung.
Wann liegt eine Ermessensunterschreitung vor?
Wenn das Gericht es unterlässt, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen, obwohl es durch Gesetz zu einer solchen Würdigung verpflichtet wäre.
Was ist die innere Schranke bei Billigkeitsentscheiden?
Die innere Schranke stellt die Objektivität dar, die einen Billigkeitsentscheid begründ- und somit überprüfbar machen.