Beobachtung+nicht-reaktive Erhebungsverfahren Flashcards
(37 cards)
Beobachtung als Form der Datenerhebung
direkte Beobachtung menschlicher Handlungen, sprachlicher
Äußerungen, nonverbaler Reaktionen (z.B. Körpersprache,
Bewegungen) oder sozialer Merkmale (z.B. Kleidung, Wohnformen,
Gebräuche)
Abgrenzungskriterien wissenschaftlicher Beobachtung:
• Bezug auf Forschungshypothesen (explorativ oder hypothesenprüfend)
• stärkere Kontrolle und Systematik der Beobachtung
-Stichprobenplan: Auswahl der Beobachtungsorte und –objekte
-Beobachtungsprotokoll: systematische Aufzeichnung bestimmter
beobachteter Merkmale, Verhaltensweisen etc.
Formen der Beobachtung
- teilnehmende versus nicht-teilnehmende Beobachtung
- offene versus verdeckte Beobachtung
- Feldbeobachtung versus Laborbeobachtung
- strukturierte versus unstrukturierte Beobachtung
- Fremdbeobachtung versus Selbstbeobachtung
- teilnehmende versus nicht-teilnehmende Beobachtung
teilnehmende Beobachtung:
• Beobachter ist Teil der sozialen Situation
- aktiv: Beobachter übernimmt definierte Rolle im sozialen Feld
-passiv: Beobachter als Gast in fremder Kultur (häufig z.B. in Ethnologie)
• Probleme:
- Reaktivität (Interaktionserwartungen an den Beobachter)
- Beeinflussung des sozialen Geschehens durch Beobachter
- Gefahr des „going native“ (einseitige Übernahme der Feldperspektive
durch zu starkes Engagement)
-Protokollierung der Beobachtungen schwierig
nicht-teilnehmende Beobachtung:
• Beobachter ist nicht Teil der sozialen Situation
• Vorteile:
-erleichtert die Protokollierung
-bei verdeckt nicht-teilnehmender Beobachtung: Garantie, dass soziales
Geschehen von Beobachtungsvorgang unbeeinflusst
- offene versus verdeckte Beobachtung
offene Beobachtung
• Untersuchungspersonen ist deren Beobachtung bekannt
• Problem: mögliche Reaktivität
verdeckte Beobachtung
• Untersuchungspersonen ist deren Beobachtung nicht bekannt
• Vorteil: keine Reaktivität
• Problem: tendenziell forschungsethische Bedenken und schwierige
Umsetzbarkeit
- Feldbeobachtung versus Laborbeobachtung
Feldbeobachtung
• Beobachtung der Untersuchungsgegenstände in ihrem natürlichen
Umfeld
• realistische Randbedingungen von Verhalten im Rahmen komplexen
sozialen Geschehens
• geringere Reaktivität
• potentiell hohe externe Validität
• Untersuchung längerfristiger Auswirkungen von Veränderungen
möglich
Laborbeobachtung
• Beobachtung der Untersuchungsgegenstände in künstlichem
Umfeld
• weitgehende Kontrolle von Störfaktoren
• gezielte Vorgaben eines Stimulus
• Bildung von Kontrollgruppen und Vergleich mit Experimentalgruppe
ermöglicht Abschätzung der kausalen Wirkung des Stimulus
• potentiell hohe interne Validität
- strukturierte versus unstrukturierte Beobachtung
strukturierte Beobachtung
• Beobachtung erfolgt mit Hilfe eines ausführlichen Beobachtungsschemas
• stark strukturierte Beobachtung: Vercodung des beobachteten
Verhaltens in vorgegebenes Kategorienschema
• teilweise strukturierte Beobachtung: Leitfaden für die Protokollierung
von Verhalten
• Vorteil: Verringerung der Gefahr einer selektiven Wahrnehmung der
Beobachtung
unstrukturierte Beobachtung
• Beobachtung erfolgt weitgehend ohne Vorgaben
• somit Möglichkeit, unvorhergesehene Ereignisse zu registrieren und
zu protokollieren
• aber: Gefahr der selektiven Wahrnehmung
- Fremdbeobachtung versus Selbstbeobachtung
Fremdbeobachtung
• Beobachtung fremder Verhaltensweisen
Selbstbeobachtung (Introspektion)
• Beobachtung des eigenen Verhaltens, der eigenen Gefühle und
Verhaltensmotive
• nicht intersubjektiv nachprüfbar, daher keine Grundlage für
Hypothesenüberprüfung
• aber: Möglichkeit der Hypothesengenerierung
Dokumentation der Beobachtung
- Video
2. handschriftliches Protokoll
Dokumentation der Beobachtung
1. Video
- ideal, da mehrfache Kodierung möglich
* Umsetzung nicht immer einfach
Dokumentation der Beobachtung
2. handschriftliches Protokoll
• möglichst während der Beobachtung erstellen (z.B. ein Beobachter
protokolliert, ein weiterer Beobachter fokussiert Situation)
• nach der Beobachtung erstellte Gedächtnisprotokolle problematisch
• grundsätzlich: hohe Strukturierung der zu protokollierenden
Ereignisse hilfreich, da zeitsparend
Auswertung von Beobachtungen
Stark strukturierte Beobachtung:
Auswertungen mittels quantitativer Analysen möglich
Auswertung von Beobachtungen
teil/schwach strukturierte Beobachtung:
aufwendige Auswertung
Notwendigkeit der (weiteren) Verschriftlichung (Transkription) und
Kategorisierung der Beobachtungsprotokolle, Auswertung mit
qualitativen oder quantitativen Methoden
Vorteile der Beobachtung (im Gegensatz zu Befragungen)
- Beobachtung von tatsächlichem Verhalten
höhere Validität als Informationen zu berichtetem Verhalten - Analyse von Interaktionssequenzen und sozialen Prozessen möglich
in Befragung oft schwer retrospektiv zu erfragen - Information von Personen mit eingeschränktem Verbalisierungsvermögen
(z.B. Kinder) - Offenlegen von unbewusstem Verhalten (z.B. Mutter lobt Kind,
drückt aber durch Körperhaltung Ablehnung aus; double bind)
Probleme der Beobachtung
- Stichprobenziehung (Zugang zum sozialen Feld)
- Verzerrung durch selektive Wahrnehmung
- Fehlinterpretation der beobachteten sozialen Sachverhalte
- verdeckte Beobachtung unter Umständen ethisch fragwürdig
Probleme der Beobachtung
1. Stichprobenziehung (Zugang zum sozialen Feld)
• häufig kleine Stichproben (hohe Unsicherheit bei Verallgemeinerung)
• häufig selektive Stichproben (Stichprobenziehung oft nicht zufällig,
systematische Verzerrung bzgl. Erkenntnisinteresse)
Probleme der Beobachtung
2. Verzerrung durch selektive Wahrnehmung
- Vorwissen wird auf Beobachtung angepasst, Vorurteile beim Forscher
- unbewusster Wunsch, Komplexes zu vereinfachen
Probleme der Beobachtung
3. Fehlinterpretation der beobachteten sozialen Sachverhalte
• Güte der Interpretation von Kenntnis der Situation abhängig
• Ethnografie als Extrembeispiel: Beobachter müssen sich Wissen
über Rollen oftmals vorab aneignen (Jugendbanden, Häftlinge, …)
• bei strukturierter Beobachtung: Zuordnung von Verhalten zu
Kategorie erfordert Verstehen des Verhaltens
• bei unstrukturierter Beobachtung: in Auswertungsphase verschoben,
d.h. weniger Zeitdruck, aber dafür Erinnerung erforderlich
Kombinationsmöglichkeiten Beobachtung
- Kombination von unstrukturierter und strukturierter Beobachtung
- Kombination von Beobachtung und Standardbefragung: Beobachtungen als Teil von Standardbefragungen
Kombination von unstrukturierter und strukturierter Beobachtung
Unstrukturierte Beobachtung zur Bildung geschlossener
Beobachtungsvorgaben
→ Quantifizierung auf Basis strukturierter Beobachtungen
Kombination von Beobachtung und Standardbefragung:
Beobachtungen als Teil von Standardbefragungen
Pretest
• Behavior Coding (schwach strukturiert)
• beobachtet werden Reaktionen bei der Fragebeantwortung
(Nachfrage, Pause, Lachen, …)
Zusatzinformationen durch Interviewer
• z.B. Wohnumfeld in Haupterhebung (stark strukturiert)
• Interviewer trägt Merkmale der Wohnung/des Wohnumfeldes in
vorgegebenes Kategorienschema ein (Villa, Hochhaus)
Reaktivität als Problem
Problem: Messvorgang selbst beeinflusst die Reaktionen der
Untersuchungsobjekte und damit das Messergebnis
Reaktion der Versuchspersonen auf
• Messinstrument (z.B. Halo-Effekt)
• messende Person (z.B. Interviewereffekte)
• Untersuchungssituation
Folge: geringe Validität der Daten (messen nicht das, was sie messen
sollen)
Reaktivität als Problem
Fazit
Existenz der Methodenforschung bzw. Erkenntnis derselben:
reaktive Methoden nicht aufgeben, sondern Reaktivität erkennen,
reduzieren bzw. daraus entstehende Artefakte kompensieren
mögliche Alternative: nicht-reaktive Erhebungsmethoden verwenden
Kennzeichen nicht-reaktiver Erhebungsmethoden
wichtigstes Kennzeichen: Datenerhebung erfolgt ohne Interaktion
zwischen Untersuchungspersonen und Forscher
dadurch: Vermeidung von Erhebungseffekten, z.B. Antwortverzerrung
durch soziale Erwünschtheit, Versuchsleitereffekte