BGB AT AG - Judith Stelbrink Flashcards
(96 cards)
Grundlagen der Fallbearbeitung
Prüfung von Ansprüchen
- Deutsches Zivilrecht geprägt von Ansprüchen
Tatbestand -> Voraussetzung für den Anspruch; “Wenn”
Rechtsfolge -> Inhalt des Anspruchs; “Dann”
Beispiel § 823 Abs. 1 BGB
Tatbestand:
Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt,
Rechtsfolge:
ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Definition Anspruch
§ 194 Abs. 1 BGB
” das Recht, von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen zu verlangen (Anspruch)”
-> Legaldefinition
Prüfungsfrage
Jede Fallprüfung beginnt mit der gedanklichen Frage:
WER (Anspruchssteller) will
WAS (Anspruchsziel) von
WEM (Anspruchsgegner)
WORAUS (Anspruchsgrundlage)?
Arten von Ansprüchen (Woraus?) und ihre Prüfungsreihenfolge
I. Vertragliche Ansprüche
- Primäransprüche, d.h. Ansprüche auf Erfüllung mit Vertragspflicht
- > Bsp.: Eigentumsverschaffung aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB oder Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB - Sekundäransprüche, d.h. Ansprüche wegen Pflichtverletzung
- > Bsp.: Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB
II. Quasivertragliche Ansprüche
- Ansprüche wegen Geschäftsführung ohne Auftrag (“GoA”), §§ 677 ff. BGB
- Ansprüche wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung (culpa in contrahendo, “c.i.c”), §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB
- Ansprüche nach Anfechtung, § 122 BGB
- Anspruch auf Vertragsanspassung, § 313 Abs. 3 BGB
- Anspruch gegen Vertreter ohne Vertretungsmacht
III. Dingliche Ansprüche (Sachenrecht), §§ 985 ff. BGB
IV. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, §§ 812 ff. BGB
V. Ansprüche aus Delikt, §§ 823 ff. BGB
Die 5 Schritte des Gutachtenstils
- Obersatz
- Identifikation der Tatbestandsvoraussetzungen
- Definition der Tatbestandsvoraussetzungen
- Subsumtion
- Ergebnis
Obersatz
- Satz, mit dem i.d.R. jede Einzelprüfung eingeleitet wird
- Basiert inhaltlich auf der Frage: Wer will was von wem woraus?
- Benennt die Anspruchsgrundlage, die anschließend durchgeprüft wird
- Beinhaltet eine Hypothese und lässt das Ergebnis der Prüfung offen
Formulierung:
Konjunktiv: A könnte gegen B einen Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB auf Zahlung des Kaufpreises haben.
Bestimmte Formulierungen:
Fraglich ist, ob…
Vorliegend könnte,…
Zu prüfen ist,…
Es stellt sich die Frage, ob…
Identifikation und Nennung der Tatbestandsvoraussetzungen
-> Tatbestandsmerkmale
- Voraussetzungen für Anspruch feststellen
- Ergeben sich i.d.R. aus dem Wortlaut der Anspruchsgrundlage
Bsp.: Hierfür müsste ein Kaufvertrag zwischen A und B vorliegen. (§ 433 I 1 BGB)
“Dies setzt voraus, dass…”
“Dazu müsste…”
Definition der Tatbestandsvoraussetzungen
- Allgemein anerkannte Definitionen
- In Klausuren auswendig abrufbar
“Leben im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB meint…”
“Ein Vertrag ist…”
Die Subsumtion und das Ergebnis
Subsumtion
-> Informationen aus dem Fall (sog. Sachverhalt) werden mit der Definition des Tatbestandsmerkmals abgeglichen
“A und B haben beide ihren Willen erklärt, einen rechtlich bindenden Kaufvertrag über die Sache zu schließen.”
Typische Formulierungen
“Vorliegend”; “im vorliegenden Fall”; “laut Sachverhalt”
Nach Subsumtion wird Ergebnis nochmal in einem Satz festgehalten.
-> Bringt die Prüfung auf den Punkt
“Damit besteht ein Kaufvertrag zwischen A und B (Zwischenergebnis).”
“A hat einen Anspruch aus § 433 I 1 BGB auf Übergabe und Übereignung der Kaufsache gegen B (Endergebnis).”
Typische Formulierungen
“Folglich”; “Damit”; “Somit”
Bloße Feststellung
Fällt der Sachverhalt offensichtlich unter das in Frage kommende Tatbestandsmerkmal, genügt die Feststellung, dass das Merkmal erfüllt ist. Die Definition kann mit aufgegriffen werden.
Bsp.: Fahrrad als Sache.
“Bei dem Fahrrad als körperlicher Gegenstand handelt es sich um eine Sache gem. § 90 BGB.”
Normale Subsumtion
Ist die Übereinstimmung von Normmerkmalen und Sachverhaltsumstand nicht so offensichtlich, erfolgt die gutachterliche Subsumtion in den bekannten 4 Schritten.
- Nennen des Tatbestandsmerkmals
- Definition
- Subsumtion
- Ergebnis
-> Zeigen, dass man Subsumtionsstil beherrscht
Der Meinungsstreit
Bei vielen Tatbestandsmerkmalen ist umstritten wie genau sie zu verstehen sind. In diesem Fall müssen die gegenteiligen Auffassungen in Form eines Meinungsstreits geprüft werden.
-> Dabei muss unter jede Ansicht subsumiert werden
a. Eine Ansicht versteht unter XY… -> Subsumtion -> Ergebnis
b. Andere sehen XY hingegen als… -> Subsumtion -> Ergebnis
Kommt man nach allen Ansichten zu identischen Ergebnissen, kann der Streit dahinstehen.
Andernfalls bedarf es eines Streitentscheids. Die Ansichten müssen diskutiert werden. Am Ende muss man sich für eine Meinung entscheiden.
Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre
Was ist ein Rechtsgeschäft?
- Begriff befindet sich nicht im BGB (Willenserklärung, Verträge)
- Motive des BGB: “Rechtsgeschäft ist eine Privat-Willenserklärung, gerichtet auf Hervorbringen eines rechtlichen Erfolgs…”
- > Zusammensetzung aus mindestens 1 WE
- Einteilung/Kategorisierung nach verschiedenen Gesichtspunkten möglich
Rechtsgeschäft
Einteilung nach Anzahl und Art der WE
Einseitige Rechtsgeschäfte
- Kündigung, Testament, Anfechtungserklärung, Mahnung, Widerrufserklärung
Mehrseitige Rechtsgeschäfte (Verträge), mindestens 2 WE
- Kaufvertrag, Mietvertrag
Die Willenserklärung
Definition
Die Willensäußerung einer Person, die auf die Herbeiführen einer bestimmten Rechtsfolge gerichtet ist
Die WE ist die Minimalvoraussetzung für ein Rechtsgeschäft
Einseitige Rechtsgeschäfte erfordern eine WE
-> Anfechtung des Vertrages; Ausübung eines Widerrufsrechts; Errichtung eines Testaments
Mehrseitige Rechtsgeschäfte erfordern mindestens 2 WE
- > die einzelne WE ist lediglich ein Bestandteil des Rechtsgeschäfts
- > Angebot und Annahme zum Abschluss eines Vertrages
Tatbestandsmerkmale der Willenserklärung
Schon an den Wortbestandteilen “Willens” und “Erklärung” erkennt man, dass die WE aus einem nach außen kundgetanen inneren Willen besteht.
Daher unterschiede man den objektiven (die Erklärung) und den subjektiven (das Gewollte).
Spannungsfeld:
Privatautonomie & Verkehrsschutz
Der objektive (äußere) Tatbestand der WE
Schaffung eines Erklärungstatbestandes:
Kundgabe eines Rechtsfolgewillens (sog. Rechtsbindungswille) durch ausdrückliches oder konkludentes Verhalten
1.) Erkennbares Setzen eines Erklärungszeichens
-> Liegt überhaupt irgendeine Erklärung vor?
auch konkludent, Schweigen grds (-)
2.) Rechtsbindungswille
-> Aus Sicht eines objektiven Empfängers (§ 133, 157 = obj. Empfängerhorizont) zu beurteilen
(-) bei Invitation ad offerendum, Gefälligkeiten
Der subjektive (innere) Tatbestand der WE
Auf subjektiver Seite unterscheidet man jeweils 3 Merkmale des Tatbestands
Handlungswille -> zwingende Voraussetzung!!
-> Der Wille, überhaupt etwas zu tun (fehlt z.B. bei unbewussten Reflexbewegungen oder körperlicher Gewalt)
Erklärungswille/ Erklärungsbewusstsein -> Erforderlichkeit umstritten
-> Das Bewusstsein (überhaupt) etwas rechtlich erhebliches zu erklären
Geschäftswille -> nicht erforderlich
-> Der Wille, eine ganz bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen, also die Absicht, ein konkretes Geschäft abzuschließen
Zusammenfassung: Der Tatbestand der WE
Hinweis: Tatbestand einer WE ist in einer Falllösung nur anzusprechen, wenn problematisch -> Schwerpunktsetzung!
Objektiver Tatbestand
- Erklärungszeichen -> Bei Fehlen WE (-)
- Rechtsbindungswille -> Bei Fehlen WE (-)
Subjektiver Tatbestand
- Handlungswille -> Bei Fehlen WE (-)
- Erklärungsbewusstsein -> Bei Fehlen? -> Umstritten
- Geschäftswille -> Bei Fehlen WE (+), aber ggf. Anfechtung
Willenserklärung bei Vertragsschluss
Vertrag setzt mindestens 2 übereinstimmende Willenserklärungen voraus:
- > Angebot (§ 145 f. BGB; auch Antrag, Offerte)
- > und Annahme ( § 147 ff. BGB)
Angebot = Empfangsbedürftige WE, durch die einem anderen ein Vertragsschluss in der Weise angetragen wird, dass das Zustandekommen des Vertrages nur von dessen Einverständnis abhängt
-> wesentliche Vertragsbestandteile (essentialia negotii) müssen bestimmt oder bestimmbar sein
Annahme = Grds. empfangsbedürftige WE, durch die der Antragsempfänger dem Antragenden vorbehaltloses Einverständnis zu verstehen gibt.
=> Angebot und Annahme müssen inhaltlich übereinstimmen, es muss also ein Konsens zwischen den Parteien über das gewollte rechtliche Ziel bestehen.
Angebot an die Allgemeinheit und Invitatio ad offerendum
Angebot an die Allgemeinheit (= offerte ad incertas personas)
- Bindendes Angebot gemäß § 145 BGB an unbestimmten, aber bestimmbaren Personenkreis
- > Ausnahme vom Grundsatz, dass Vertragsparteien bei Angebot bestimmt sein müssen
Bsp.: Aufstellen eines Warenautomaten/ Zapfsäule; Anbieten von Bus- und Bahntransport
§§ 133, 157 BGB (Auslegung von Verträgen und WEs)
Invitatio ad offerendum
- Kein bindendes Angebot
Bsp.: Werbung/Katalog, Schaufenster, Auslagen in Selbstbedienungsläden
Meinungsstreit - Erklärungsbewusstsein
Willenstheorie (subjektive Theorie)
- Erklärungsbewusstsein ist unverzichtbarer Bestandteil einer WE
- Wird auf einen “Erst-Recht-Schluss” zu § 118 BGB gestützt (Mangel der Ernstlichkeit)
Pro: Schutz des Erklärenden (Privatautonomie)
Contra: Bezweckt einseitig den Schutz des Erklärenden. Die Interessen des potentiellen Vertragspartners (des Rechtsverkehrs) werden nicht berücksichtigt
Abgeschwächte Erklärungstheorie (heute h.M.)
- Es genügt ein potentielles Erklärungsbewusstsein, d.h. eine WE liegt vor, wenn der Erklärende bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätten erkennen können, dass sein Verhalten im Rechtsverkehr als WE verstanden wird und der Erklärungsempfänger schutzwürdig ist
Pro: Schutz des Empfängers und des Rechtsverkehrs
-> Ausgewogene Interessenabwägung und Einzelfallgerechtigkeit
=> vorzugswürdig
Empfangsbedürftige Willenserklärung
- Sind an eine andere Person (Erklärungsempfänger) gerichtet
- Empfänger muss sich auf durch die Erklärung neu geschaffene Rechtslage einstellen können
- z.B. Vertragsangebot, Annahme, Kündigung, Anfechtungserklärung
“Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht.” (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB)
Daraus ergibt sich dreierlei:
- ) Die empfangsbedürftige Willenserklärung setzt den Zugang voraus
- ) Es gibt Willenserklärungen die anderen gegenüber abzugeben sind (sog. empfangsbedürftige Willenserklärungen) und solche, für die diese Voraussetzungen nicht gilt (sog. nicht-empfangsbedürftige Willenserklärungen)
- ) Differenzierung zwischen WE, die in Abwesenheit und in Anwesenheit des Empfängers abgegeben werden. (Bei Anwesenheit gilt aber § 130 analog)
=> Empfangsbedürftige WE wird mit Zugang wirksam
Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen
- sind nicht an eine andere Person gerichtet, z.B. Testament, Auslobung
Das Wirksamwerden von nicht empfangsbedürftigen WE wird vom Gesetzgeber als nicht regelungsbedürftig beurteilt.
-> aus Natur der nicht empfangsbedürftigen WE ergibt sich, dass diese mit der Abgabe wirksam wird
=> Eine nicht empfangsbedürftige WE wird mit der ABGABE wirksam