M1 F2 Flashcards

1
Q

Was ist der Kern des Statement Views bezogen auf Theorien?

A

Das ganze geht auf Hempel zurück. Darin werden Theorien als Mengen von Aussagen konzipiert. (Sehr Quine-like: Ihre Begriffe entsprechen den Knoten, während die Fäden, welche diese verbinden, zum Teil den Definitionen und zum Teil den Grund- und abgeleiteten Hypothesen der Theorie entsprechen.)

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2
Q

Was besagt der non-statement-view?

A

Gemäß der „Nicht-Aussagen-Konzeption“ umfassen Theorien einen mathematischen Strukturkern der Theorie, der das Fundamentalgesetz und die grundlegenden Nebenbedingungen enthält, die alle Anwendungen miteinander verbinden und eine offene Menge intendierter Anwendungen. Die Nicht-Aussagen-Konzeption wurde von Sneed und Stegmüller explizit auf ausgereifte physikalische Theorien bezogen und von Herrmann (1976, S. 42) lediglich eingeschränkt und analogisierend auf die Psychologie übertragen.

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3
Q

Welche drei Arten wissenschaftlicher Aussagen werden im Statement-View unterschieden, und welche Sprachen kann man ihnen zuordnen?

A
  1. Aussagen, die außer den logischen Zeichen nur Beobachtungsbegriffe enthalten und die Ebene der Beobachtung bilden (Beobachtungssprache) (“Besonders die Bedeutung der Beobachtungsbegriffe kann erst im Lichte einer bestimmten Theorie verstanden werden, wobei ein und derselbe Beobachtungsbegriff vor dem Hintergrund einer anderen Theorie auch etwas anderes bedeuten kann.”)
  2. Aussagen, die außer den logischen Zeichen nur theoretische Begriffe enthalten, die den ‚Knoten’ entsprechen (Theoretische Sprache)
  3. Aussagen, die außer den logischen Zeichen Beobachtungsbegriffe und theoretische Begriffe enthalten und als ‚Interpretationsfäden’ fungieren (System der Zuordnungsregeln).
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4
Q

Dennis und Kintsch (2007) haben eine Liste von Kriterien zur Bewertung von Theorien erstellt, die sich an den gängigen wissenschaftstheoretischen Maßstäben orientiert. Wie lauten die ersten fünf Kritieren?

A
  1. Deskriptive Angemessenheit
  2. Präzision und Interpretierbarkeit
  3. Kohärenz und Konsistenz
  4. Vorhersage und Falsifizierbarkeit
  5. Erklärungswert
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5
Q

Wie lauten die zweiten fünf Kriterien der Liste von Dennis und Kintsch zur Bewertung von Theorien?

A
  1. Einfachheit
  2. Originalität
  3. Breite
  4. Angewandte Relevanz (Usability)
  5. Rationalität
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6
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Deskriptive Angemessenheit (Descriptive adequacy)?

A

Stimmt die Theorie mit vorliegenden verhaltensbezogenen, physiologischen, neuropsychologischen und anderen empirischen Daten überein? Dieses Kriterium betrifft das Ausmaß, in dem die aus einer Theorie ableitbaren Beobachtungen bestätigt werden können.

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7
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Präzision und Interpretierbarkeit (Precision and interpretability):

A

Ist die Theorie so präzise beschrieben, dass sie leicht und eindeutig verstanden und interpretiert werden kann? Dieses Kriterium betrifft die oben skizzierte Vagheit und Mehrdeutigkeit von Begriffen, die sich mehr oder weniger durch eine ganze Theorie ziehen können.

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8
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Kohärenz und Konsistenz (Coherence and consistency):

A

Enthält die Theorie logische Fehlschlüsse? Bilden die unterschiedlichen Komponenten einer Theorie ein kohärentes Ganzes? Stimmt die Theorie mit Theorien aus anderen Bereichen überein (z.B. biologischen Gesetzmäßigkeiten).

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9
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Vorhersage und Falsifizierbarkeit (Prediction and falsifiability)?

A

Ist die Theorie so formuliert, dass empirische Prüfungen zu einer Widerlegung der Theorie führen können? Dieses Kriterium entspricht der Hauptforderung des kritischen Rationalismus (vgl. Abschnitt 2.1.2.4).

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10
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Erklärungswert (Postdiction and explanation)?

A

Erklärt die Theorie bereits vorliegende empirische Befunde? Da Vorhersagen in der Psychologie in vielen Fällen schwierig und nur eingeschränkt möglich sind, sollte eine Theorie auch nach dem Ausmaß bewertet werden, in dem sie bereits eingetretene Ereignisse erklären kann (Retrognose im Gegensatz zur Prognose).

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11
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Einfachheit (Parsimony)?

A

Ist die Theorie so einfach wie möglich? Dieses Kriterium ist in gewisser Weise relativ und nachgeordnet, da Theorien natürlich auch kompliziert sein können, weil es einfacher leider nicht geht. Allerdings gilt ein Ausspruch des mittelalterlichen Philosophen William von Ockham auch noch für die heutige Theoriebildung: „Entia non sunt multiplicanda sine necessitate“. Dieses auch als Ockham’s Razor bekannte Prinzip besagt, dass Entitäten nicht ohne Notwendigkeit vermehrt werden dürfen und das einfachere komplizierteren Theorien vorzuziehen sind, wenn sie dieselben Phänomene erklären können.

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12
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Originalität (Originality)?

A

Ist die Theorie neu oder reformuliert sie lediglich bestehende Theorien?

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13
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Breite (Breadth)?

A

Lässt sich die Theorie auf einen weiten Bereich von Phänomenen anwenden oder ist sie auf einen engen Phänomenbereich beschränkt? Gerade in der Psychologie gibt es viele Mini-Theorien, die nur auf sehr spezifische Phänomene und unter ganz bestimmten Randbedingungen anwendbar sind. Theorien sollten aber einen möglichst breiten Anwendungsbereich haben.

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14
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Angewandte Relevanz (Usability)?

A

Hat die Theorie Implikationen für angewandtpsychologische Fragestellungen? Der berühmte deutsche Psychologe Kurt Lewin soll einmal gesagt haben, dass es nichts praktischeres gebe, als eine gute Theorie. Die praktische Bedeutung einer Theorie, z.B. die Relevanz für die Lösung sozialer und psychischer Probleme, ist also ebenfalls ein wichtiges Bewertungskriterium.

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15
Q

Was versteht man in der 10er-Liste zur Bewertung von Theorien unter dem Ausdruck Rationalität (Rationality)?

A

Macht die Theorie Annahmen über die „Architektur“ des psychischen Systems, die im Lichte von evolutionären Bedingungen, Sinn machen? Über dieses Kriterium von Dennis und Kintsch lässt sich streiten, da es eine bestimmte theoretische Perspektive (die Evolutionstheorie) als Bedingung für die Angemessenheit anderer Theorien einsetzt.

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16
Q

Was bedeutet “Erklären”?

A

Erklären ist ein Begriff, der auch in der Alltagssprache verwendet wird und in diesem Kontext bedeutet, dass für ein Ereignis oder Phänomen Gründe oder Ursachen angegeben werden können.

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17
Q

Was ist das bekannteste Modell für wissenschaftliche Erklärungen?

A

Das bekannteste Erklärungsmodell stammt von Hempel und Oppenheim (vgl. Hempel, 1977) und beschreibt die Struktur deduktiv-nomologischer Erklärungen (sogenanntes DNbzw. HO-Schema).

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18
Q

Woraus besteht eine DN-Erklärung?

A

Eine deduktiv-nomologische Erklärung besteht aus dem Explanans und dem Explanandum.

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19
Q

Was beinhaltet das Explanans in einer DN-Erklärung?

A

Das Explanans besteht aus allgemeinen Gesetzen (Hypothesen oder theoretische Annahmen) und Antezedenzbedingungen bzw. Sätzen, die die Antezedenzbedingungen beschreiben.

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20
Q

Was beinhaltet das Explanandum in einer DN-Erklärung?

A

Das Explanandum beinhaltet eine Beschreibung des zu erklärenden Ereignisses und wird logisch aus dem Explanans abgeleitet.

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21
Q

Nenne ein Beispiel für eine DN-Erklärung!

A

G: Wenn eine Person hohe Prüfungsangst hat, so verringert sich ihre Leistung bei kognitiven Aufgaben
A: P hatte Prüfungsangst
————————
E: P erbrachte eine verringerte Leistung

22
Q

Was sind die Adäquatheitsbedingungen für DN-Erklärungen?

A

Zusätzlich müssen korrekte deduktiv-nomologische Erklärungen sogenannten Adäquatheitsbedingungen genügen, nämlich:

  1. Das Argument, das vom Explanans zum Explanandum führt muss logisch korrekt sein
  2. Das Explanans muss mindestens ein allgemeines Gesetz enthalten
  3. Das Explanans muss empirischen Gehalt besitzen
  4. Die Sätze, aus denen das Explanans besteht, müssen gut bewährt sein
23
Q

Was sind typische Verletzungen der Adäquatheitsbedingungen des DN-Schemas?

A

Beispielsweise kann es sein, dass Gesetzesaussagen noch gar nicht formuliert, geschweige denn geprüft oder Antezedensbedingungen nur zum Teil bekannt sind. Die Komplexität des Gegenstandsbereichs der Psychologie bringt es mit sich, dass gut bewährte Gesetzesannahmen häufig fehlen. Außerdem liegen in der Psychologie keine deterministischen, sondern lediglich Wahrscheinlichkeitszusammenhänge vor, die keine exakte Prognose für Einzelfälle erlauben.

24
Q

Erläutere das Problem der Preemption, das gegen das DN-Schema vorgebracht wurde!

A

Peter Achinstein (1983) z.B. hat auf das Problem der „Preemption“ (Zuvorkommen) hingewiesen, das sich mit folgendem Beispiel veranschaulichen lässt:
G: Jede Person, die ein Pfund Arsen zu sich nimmt, stirbt binnen 24 Std.
A: Jones aß ein Pfund Arsen
—————————————–
E: Jones starb innerhalb von 24 Stunden

Diese Erklärung scheint auf den ersten Blick korrekt. Nun kann es aber sein, dass Jones kurz nach der Einnahme des Arsens von einem Bus überfahren wird und dabei stirbt. Die Ableitung aus G und A gilt dann zwar weiterhin, sie liefert aber nicht die exakte Erklärung für das Ableben von Jones. Der Bus war schneller!

25
Q

Welches Modell eignet sich für die Psychologie besser als das DN-Schema für kausale Erklärungen?

A

Für die Psychologie eignet sich nach Westmeyer (2003, 2006) das Modell probabilistischer Kausalerklärungen nach Humphreys (1989) deutlich besser als das DN-Schema.

26
Q

Erklär das Modell von Humphreys (1989)!

A

Demnach hat eine adäquate Erklärung die Struktur:
Y in S zur Zeit t (tritt auf, lag vor) aufgrund von F trotz I.
Die Abkürzungen in dieser Struktur haben folgende Bedeutungen:
Y = ein Ausdruck, der sich auf eine Eigenschaft oder eine Änderung in einer Eigenschaft bezieht.
S = ein Ausdruck, der sich auf ein System bezieht.
F = eine (nicht-leere) Liste von Ausdrücken, die sich auf zu Y beitragende Ursachen bezieht.
I = eine (u.U. leere) Liste von Ausdrücken, die sich auf Y entgegenwirkende Ursachen beziehen.
Der entscheidende Punkt an diesem Erklärungsmodell ist dass „F trotz I“.

27
Q

Was sind die Bedingungen (Westmeyer, 2006) für das Modell probabilistischer Kausalerklärungen nach Humphreys?

A

Damit etwas eine Ursache ist, muss sie unveränderlich ihre Wirkung hervorrufen. Probabilistische Ursachen erzeugen Änderungen in der Auftrittswahrscheinlichkeit der Wirkung: zu Y beitragende Ursachen erzeugen eine Zunahme, Y entgegenwirkende Ursachen erzeugen eine Abnahme der Auftrittswahrscheinlichkeit von Y.

28
Q

In welchem Sinne wird bei Humphrey der Begriff „Ursache“ deutlich liberaler verwendet als es eine strenge, eher deterministische Auffassung verlangt?

A

Deterministische Auffassung: Ein Ereignis A kann nur dann als Ursache bezeichnet werden, wenn:
1. A zeitlich vor B liegt 2. A und B kovariieren 3. für das Auftreten von B nur das Eintreten von A verantwortlich ist
Die letzte Forderung ist für die meisten psychischen Phänomene, z.B. psychische Störungen nicht erfüllbar, da sie von mehreren Bedingungen abhängen, die teilweise gar nicht mehr rekonstruierbar sind. (In weiten Bereichen der Psychologie haben sich das biopsychosoziale Modell und die Annahme einer multikausalen Bedingtheit psychischer Phänomene durchgesetzt.)

29
Q

Was ist das biopsychosoziale Modell?

A

Das biopsychosoziale Modell besagt, das psychische Phänomene von biologischen, psychologischen und sozialen Bedingungen abhängen können.

30
Q

Warum ist eine Person redeängstlich? Wie wäre diese Frage nach dem Modell von Humphreys zu erklären?

A

In der oben eingeführten Diktion lautet die Frage präziser: „Warum liegt bei Person S zur Zeit t Y, also Redeängstlichkeit, vor? Gemäß dem biopsychosozialen Modell kommen folgende Bedingungen für die F-Liste infrage: Bei Person S liegt eine genetische Prädisposition vor, Person S hat Eltern, die selbst redeängstlich sind. Die redeängstlichen Eltern stellen im Laufe der Entwicklung von S zudem negative Modelle dar. Person S hat bereits negative Erfahrungen mit öffentlichem Sprechen gemacht und neigt dazu, in Redesituationen dysfunktionale Kognitionen und Bewertungen vorzunehmen (z.B. die anderen werden mich auslachen und/oder kritisieren/abwerten). Kandidaten für die I-Liste wären dagegen: Person S hat schon viele Referate gehalten, die positiv beurteilt wurden. Die Eltern und auch andere Bezugspersonen von S sind nicht redeängstlich.

31
Q

Was sind die Bedingungen für Vorhersagen?

A

Wenn Gesetzesaussagen bekannt sind und Antezedensbedingungen korrekt diagnostiziert werden können, dann ist eine Vorhersage möglich. Wegen der vorher genannten Merkmale von Gesetzen im psychischen Phänomenbereich (Wahrscheinlichkeitsaussagen, Multideterminiertheit, mangelnde Rekonstruierbarkeit) sind aber keine 100-prozentigen, deterministischen Vorhersagen, sondern lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich.

32
Q

Warum haben Theorien für die Praxis eher heuristische Funktion?

A

“Praktisch-psychologische Tätigkeit wird nicht als direkte Anwendung grundwissenschaftlicher Theorien verstanden. Theorien und darin enthaltene Gesetze gelten nur unter den idealisierenden Bedingungen, unter denen sie aufgestellt und geprüft wurden. Praktisch-psychologisches Handeln unterliegt aber noch vielen anderen Kontextbedingungen, die in der psychologischen Forschung niemals für jeden vorstellbaren Einzelfall berücksichtigt werden können. Theorien haben für die Praxis deshalb heuristische Funktion und können Problemlösungen stimulieren.”

33
Q

Warum können Theorien zu einer relativ rationalen Rechtfertigung praktisch-psychologischen Handelns beitragen?

A

Relativ rational bedeutet, dass es vernünftig ist, sich als Psychologin auf solche Theorien und Verfahren zu stützen, die sich für eine gegebene Problemstellung bereits empirisch bewährt haben, auch wenn in den Studien die speziellen Kontextbedingungen der eigenen Fragestellung nicht im Einzelnen berücksichtigt worden sind.
Es liegen beispielsweise zahlreiche Studien vor, in denen die Wirksamkeit kognitivbehavioraler Techniken bei der Therapie von Angststörungen nachgewiesen werden konnte. Bei einem Klienten mit einer Angststörung wäre es vergleichsweise rationaler diese Methoden einzusetzen, als andere therapeutische Techniken, die sich bei Angststörungen nicht in diesem Ausmaß bewährt haben. Dasselbe gilt für Interventionsmaßnahmen im Bereich der Organisations-, Pädagogischen,oder Gemeindepsychologie: Die Anwendung von Methoden, die sich in zumindest ähnlichen Kontexten bewährt haben, ist solchen Maßnahmen vorzuziehen, für die es weder eine theoretische noch eine empirische Begründung gibt.

34
Q

Von wem und wann wurde der kritische Rationalismus begründet?

A

Der kritische Rationalismus wurde 1934/35 von dem damals 32jährigen Karl R. Popper mit seinem berühmten Buch „Logik der Forschung“ (1934, zehnte Auflage 2001) begründet. Popper hat zunächst das bereits dargestellte Verifikationsprinzip des logischen Empirismus kritisiert und an dessen Stelle das sog. ,Falsifikationsprinzip` vorgeschlagen.

35
Q

Was sind Theorien nach Popper bewährt?

A

Ist eine Theorie sehr häufig der „Bewährungsprobe“ eines Falsifikationsversuches unterzogen worden, schlägt Popper vor, sie als „bewährt“ zu bezeichnen.

36
Q

Welchen nicht falsifizierten Theorien würde Popper das Attribut „bewährt“ jedoch nicht zusprechen?

A

Es handelt sich dabei um Theorien, die prinzipiell nicht falsifizierbar sind, da sie so konstruiert sind, dass sie an der Erfahrung kaum bzw. gar nicht scheitern können. Hierzu gehören auch viele psychologische Alltagstheorien (z.B. „Politiker sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht“), die sich nach einer Analyse von Laucken (1973) vor allem durch ihre „Empirieresistenz“ von wissenschaftlichen Theorien unterscheiden. Wissenschaftliche Theorien sollen also so konstruiert sein, dass sie prinzipiell falsifizierbar sind.

37
Q

Was ist die Voraussetzung, um eine Theorie falsifizieren zu können?

A

Es muss „Basissätze“ geben, die man als „wahr“ betrachten kann. Poppers Basissätze sind gewissermaßen die Nachfolger der Protokollsätze des logischen Empirismus. Basissätze sind also – in realistischer Ausdrucksweise – Sätze, die behaupten, dass sich in einem individuellen Raum-Zeit-Gebiet ein beobachtbarer Vorgang abspielt. (Popper 1982, S. 69)

38
Q

Wann gilt ein Basissatz als (vorläufig) akzeptiert?

A

Wenn bei Einhaltung der gültigen methodologischen Regeln einer Wissenschaft innerhalb einer Forschergemeinschaft Einigung über die Gültigkeit hergestellt werden kann.

39
Q

Wie können wir eine „falsifizierbare“ Theorie mit Popper (1982, S. 53) definieren?

A

Eine Theorie heißt „empirisch“ bzw. „falsifizierbar“, wenn sie die Klasse aller überhaupt möglichen Basissätze eindeutig in zwei nichtleere Teilklassen zerlegt: in die Klasse jener, mit denen sie in Widerspruch steht, die sie „verbietet“ – wir nennen sie die Klasse der Falsifikationsmöglichkeiten der Theorie-, und die Klasse jener, mit denen sie nicht in Widerspruch steht, die sie „erlaubt“. Oder kürzer: Eine Theorie ist falsifizierbar, wenn die Klasse ihrer Falsifikationsmöglichkeiten nicht leer ist. (Popper 1982, S. 53)

40
Q

Was soll nach Popper mit falsifizierten Theorien geschehen?

A

Nach Popper sollte eine Theorie, die wiederholt und intersubjektiv nachprüfbar falsifiziert worden ist, verworfen werden. Zwar können auch bei Falsifikationen Irrtümer unterlaufen, da die Beobachtungssätze, aufgrund derer die Theorie verworfen wurde, jederzeit selbst in Frage gestellt werden können, trotzdem empfiehlt Popper, in der Regel nicht an falsifizierten Theorien festzuhalten. Hinter dieser Empfehlung steht die Auffassung, dass so der Erkenntnisfortschritt am besten gesichert wird, obwohl in Einzelfällen Irrtümer möglich bleiben und Theorien ungerechtfertigterweise verworfen werden können (vgl. Gadenne 1984, S. 61). Prinzipiell ist es jedoch durchaus möglich, Theorien trotz widersprechender Daten in jedem Fall beizubehalten.

41
Q

Wieviel Konzeptionen des Falsifikationskonzeptes (!) unterscheidet Imre Lakatos, Lehrstuhlnachfolger von Popper an der London School of Economics?

A

Er unterscheidet drei verschiedene Konzeptionen des Falsifikationskonzeptes, die er mit Popper0, Popper1 und Popper2 bezeichnet (Lakatos 1974; S. 174f.).

42
Q

Wofür steht nach Lakatos Popper0?

A

Popper0 steht für den sog. „dogmatischen Falsifikationismus“. Popper0 ist allerdings eine Erfindung einiger Kritiker des kritischen Rationalismus, also eine Fassung der Wissenschaftslehre von Popper, die dieser selbst so nie vertreten hat. Nach dieser „popularisierten“ Fassung des kritischen Rationalismus kann man mit Wissenschaft zwar nichts beweisen, aber man kann Theorien widerlegen. Der Fortschritt der Wissenschaft vollzieht sich über kühne Theorieentwürfe, die durch endgültige Widerlegungen falsifiziert und durch neue Theorien ersetzt werden. Diese Position würde voraussetzen, dass es für die Falsifikation absolut „wahre“ Basissätze gibt – eine Auffassung, die Popper selbst für unhaltbar erklärt.

43
Q

Was bezeichnet Lakatos als Popper1?

A

Mit Popper1 bezeichnet Lakatos den „naiven Falsifikationismus“: Hiernach kann man eine Theorie zwar nicht endgültig empirisch widerlegen, trotzdem soll die Falsifikation einer Theorie im Allgemeinen als endgültig betrachtet werden (vgl. Mertens 1977, S. 59f). Basissätzen wird nach dieser Sichtweise ein anderer „Status“ zugesprochen als den zu prüfenden Theorien. Erstere werden gewissermaßen zum unproblematischen Teil der Wissenschaft erklärt. Obwohl selbst nicht theoriefrei, werden sie jedoch Beobachtungstheorien zugeordnet, die man aufgrund ihrer Bewährtheit nicht problematisieren muss.

44
Q

Was ist Lakatos’ Kritik an Popper1?

A

Die Unterscheidung zwischen Basissätzen und anderen Sätzen ist nach Lakatos irrational, da auch Beobachtungstheorien keineswegs immer zu dem „sicheren“ Bestand einer Wissenschaft zählen.
Für die Psychologie kann man diese Sichtweise nur unterstreichen, da einige der am häufigsten verwendeten Methoden mittlerweile zu den umstrittensten zählen (z.B. Laborexperimente, Fragebogen). Die Kritik am logischen Empirismus hat ergeben, dass man Theorien nicht empirisch verifizieren kann, die Kritik an Popper1 zeigt nun, dass auch eine empirische Falsifikation nicht möglich ist. Wenn Basissätze als potentielle Falsifikatoren nie atheoretisch sein können, sondern immer bestimmten Beobachtungstheorien zugeordnet sind, reduziert sich das Falsifikationskonzept auf die Konstatierung einer Inkongruenz (Nichtübereinstimmung) zwischen zwei Theorien: Die Abgrenzung zwischen den weichen, unbewiesenen,Theorien und der harten, bewiesenen ,empirischen Basis existiert nicht: Alle Sätze der Wissenschaft sind theoretisch und unheilbar fallibel. (Lakatos, 1974, S. 98)

45
Q

Wie steht Kuhn zum Wissenschaftsfortschritt?

A

So hat sich der Wissenschaftsgeschichtler Thomas S. Kuhn in seinem 1962 erschienenen Buch „The Structure of Scientific Revolutions“ (deutsch: „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“, 31978) entschieden gegen die Annahme eines stetigen Wissenschaftsfortschrittes gewendet (vgl. Abschnitt 2.2.1.1).

46
Q

Wofür steht bei Lakatos “Popper2”?

A

Popper2 steht bei Lakatos für den „raffinierten Falsifikationismus“. Im raffinierten Falsifikationismus wird eine Theorie nur dann aufgegeben, wenn gleichzeitig eine Alternativtheorie mit höherem Informationsgehalt und höherer Bewährung, also größerer „Wahrheitsnähe“, existiert. Es reicht also nicht, einfach nur Widersprüche zwischen einer existierenden Theorie und Beobachtungsdaten aufzuzeigen, sondern gleichzeitig muss geprüft werden, ob die als Falsifikatoren vorgesehenen Basissätze mit einer anderen Theorie besser in Einklang gebracht werden können. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass Theorien nicht einfach aufgegeben werden, ohne dass es einen „besseren“ Ersatz gibt.

47
Q

Beschreibe den wesentlichen Unterschied zwischen dem naiven und dem raffinierten Falsifikationisten!

A

Für den naiven Falsifikationisten ist jede Theorie, die sich als experimentell falsifizierbar interpretieren lässt, akzeptabel oder wissenschaftlich. Für den raffinierten Falsifikationisten ist eine Theorie akzeptabel oder wissenschaftlich nur dann, wenn sie einen bewährten empirischen Gehaltsüberschuss über ihren Vorgänger (oder Rivalen) besitzt, d.h., wenn sie zur Entdeckung von neuen Tatsachen führt. (Lakatos 1982, S. 31) Im raffinierten Falsifikationismus wird also nicht mehr eine Theorie, sondern eine Theoriereihe der Beurteilung zugrunde gelegt (vgl. Lakatos 1982, S. 46).

48
Q

Was heißt „fallibel“?

A

Dem (möglichen?) Irrtum unterworfen

49
Q

Hat sich Popper 2 in der Psychologie durchsetzen können?

A

In der psychologischen Forschungspraxis hat sich diese Auffassung allerdings noch kaum durchgesetzt. Nur in wenigen Untersuchungen werden zwei oder mehrere Theorien miteinander verglichen. So wird in psychologischen Forschungsarbeiten häufig noch im Sinne des dogmatischen Falsifikationismus versucht, eine Theorie empirisch zu falsifizieren, wobei man durchaus den Eindruck gewinnen kann, dass Forschern je nach individueller Interessenlage entweder eher daran gelegen ist, dass der Falsifikationsversuch gelingt, oder aber dass er misslingt. Es ist wohl nicht nur eine böse Unterstellung, wenn man annimmt, dass die jeweilige Interessenlage nicht unabhängig davon ist, ob es sich um eine selbst oder von Kollegen entworfene Theorie handelt. Zumindest scheint es Forschern, die an der Entwicklung einer Theorie weder direkt noch indirekt beteiligt waren, eher zu gelingen, empirisch konträre Daten zu finden (vgl. z.B. Amelang & Aevermann 1976).

50
Q

Welche der Positionen vertritt Popper nun wirklich?

A

Popper selbst entwickelte sich in den zwanziger Jahren von einem dogmatischen Falsifikationisten (der nie etwas publiziert hat) zu einem naiven Falsifikationisten. Erst in den fünfziger Jahren entwickelte er die Überlegungen des raffinierten Falsifikationismus. Nach Meinung von Lakatos hat er allerdings den naiven Falsifikationismus nie ganz aufgegeben, da er die Falsifikation auch später immer noch als einen „Zweikampf zwischen Theorie und Beobachtung“ versteht, ohne dass eine alternative Theorie unbedingt vorhanden sein müsse. Nach Lakatos (1982, S. 93) „…besteht der wirkliche Popper aus Popper1 zusammen mit einigen Elementen aus Popper2“. Ganz sicher ist er sich mit dieser Charakterisierung allerdings nicht, zumal er an anderer Stelle Popper mit Popper2 identifiziert. Etwas resignierend gesteht er letztlich, „dass ich als Exeget am Ende meines Lateins bin und nur hoffen kann, dass Poppers Erwiderung die Sachlage klarstellen wird“ (Lakatos 1982, S. 154).

51
Q

Wie reagiert Popper auf Lakatos’ Kritik, dass er sich selbst widerspreche, indem er einmal wie ein „naiver“, zum anderen wie ein „raffinierter“ Falsifikationist argumentiere?

A

Popper: “Das ist natürlich alles Unsinn – unsinnige Hypothesen, verursacht durch flüchtiges Lesen (oder vielleicht durch den Entschluss, unbedingt Fehler zu finden). Meine beiden Thesen – dass die Falsifizierbarkeit einer Theorie eine logische Angelegenheit ist und daher (fast immer) endgültig entscheidbar, während die empirische Falsifikation einer Theorie, wie jede empirische Angelegenheit, unsicher und nicht endgültig entscheidbar ist – widersprechen sich nicht; und sie sind beide geradezu trivial.” (Popper 1982, S. 426)

52
Q

Was ist der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie?

A

Die bekannteste Auseinandersetzung um den kritischen Rationalismus fand Anfang der 60er Jahre zwischen den Soziologen der sog. „Frankfurter Schule“ Theodor W. Adorno (1903-1969) und Jürgen Habermas (geb. 1929) einerseits und den kritischen Rationalisten Karl R. Popper und Hans Albert (geb. 1921) andererseits statt.