Schemata und Begriffe Flashcards
(124 cards)
Grundprinzipien des Verwaltungsrechts
- Legalitäts-/Gesetzmässigkeits-prinzip (Art. 5 Abs. 1 BV)
- öffentliches Interesse (Art. 5 Abs. 2 BV)
- Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV)
- Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 i.V.m. Art. 9 BV)
- Rechtsgleichheit und Willkürverbot (Art. 8 und Art. 9 BV)
Verhältnismässigkeitsprüfung (Art. 5 Abs. BV)
- Massnahme ist geeignet
- Massnahme ist erforderlich → keine geeignetere Massnahme
a. sachlich: keine gleich geeignete, aber weniger einschneidende Anordnung
b. räumlich: Anordnung darf örtlich nicht weiter greifen als nötig
c. zeitlich: Anordnung darf nicht länger dauern als nötig
d. personell: nicht mehr Personen als notwendig - Massnahme ist zumutbar (Zweck-Mittel-Relation) => Interessenabwägung
I. Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV)
Keine verfassungsmässigen Rechte im Sinne von Art. 116 BGG sind die in Art. 5 BV umschrieben Verfassungsprinzipien. Im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde kann ihre Verletzung grundsätzlich nur im Zusammenhang mit der Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts gerügt werden.
II. Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV)
Voraussetzungen
- generell-abstrakte Struktur der gesetzlichen Grundlage (Erfordernis des Rechtssatzes);
- ausreichende demokratische Legitimation des Rechtssatzes (Erfordernis der genügenden Normstufe: Gesetz oder Verordnung)
- Rechtssatz rechtsstaatlich ausreichend bestimmt (Erfordernis der genügenden Normdichte: präzise oder offene Norm → ausreichende Bestimmtheit = Einzelne können ihr Verhalten danach richten und die Folgen ihres Verhaltens erkennen)
- Rechtssatz im richtigen Verfahren erlassen (Erfordernis der formellen Rechtmässigkeit)
- Rechtssatz beachtet übergeordnete Recht (Erfordernis der materiellen Rechtmässigkeit)
Vorliegen einer Gesetzeslücke
Folgende VSS kumulativ:
1. Die gesetzliche Regelung ist unvollständig (= echte Lücke) oder unrichtig (= unechte Lücke).
- echte Lücken sind zu füllen, unechte Lücken sind hinzunehmen
2. Die planwidrige Unvollständigkeit steht nicht für eine bewusste, wenn auch stillschweigende Antwort des Gesetzgebers (→ im Falle der Unrichtigkeit erübrigt sich dieser Prüfpunkt).
3. Die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit nicht mit Auslegung überbrückbar.
Delegationsgrundsätze (Art. 164 BV, Art. 69 KV)
Folgende VSS kumulativ prüfen:
1. Delegation durch kantonales Recht nicht ausgeschlossen
2. Delegation im Gesetz selbst enthalten
3. Delegation beschränkt sich auf bestimmte Materie
4. Gesetz selbst umschreibt Grundzüge (Inhalt, Zweck, Ausmass) der delegierten Regelung, soweit sie die Rechtsstellung der Bürger schwerwiegend berührt.
Akzessorische Überprüfung unselbständiger Bundesratsverordnungen
- Wurde die Verordnung auf den Einzelfall richtig angewendet?
→ falls nein: Ende der Prüfung - Hält sich die Verordnung an das Gesetz?
→ falls nein: Ende der Prüfung - Hält sich die Verordnung an die Verfassung?
→ falls ja: Ende der Prüfung
→ falls nein: Weiterprüfung wegen Art. 190 BV - Ist die Verfassungswidrigkeit der Verordnung im Gesetz selbst angelegt?
→ falls nein: Ende der Prüfung
→ falls ja: Verordnung anwendbar
Voraussetzungen: Self-executing-Normen des Völkerrechts
Folgende VSS kumulativ:
1. Regeln Rechte und Pflichten des Einzelnen
2. Sind aufgrund ihrer Bestimmtheit geeignet, als Grundlage eines behördlichen Entscheids im Einzelfall zu wirken, und
3. richtet sich auch an rechtsanwendende Behörden
Schubert-Praxis (nur für Bundesgesetze)
Folgende VSS kumulativ:
1. Bundesgesetz wurde nach Inkrafttreten des Staatsvertrages erlassen
2. Eidgenössische Räte haben bewusst eine Verletzung des Völkerrechts in Kauf genommen
3. keine Gegenausnahmen bestehen
Als Gegenausnahme zur Schubert-Praxis geht das BGer davon aus, dass zwingendes Völkerrecht und die EMRK Bundesgesetzen immer vorgeht.
Gültigkeit eidgenössischer Volksinitiativen (materiell / Inhalt)
- Einheit der Form: allgemeine Anregung oder ausformulierter Entwurf (keine Mischform!)
- Einheit der Materie: sachlicher Zusammenhang zwischen einzelnen Teilen der Vorlage
- nicht offensichtlich undurchführbar
- kein Verstoss gegen zwingendes Völkerrecht
Teilgehalt Art. 9 BV (Treu und Glauben)
- Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 9 BV): berechtigtes Vertrauen von Privaten in behördliche Zusicherungen oder bestimmte Erwartungen erweckendes Vertrauen
- Verbot widersprüchlichen Verhaltens (gilt für Verwaltungsbehörden)
- Verbot des Rechtsmissbrauchs:
Rechtsmissbräuchlich handelt, wer ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet, welche dieses nicht schützen will (gilt für Behörden und Private)
Art. 9 BV (Vertrauensschutz) ist ein verfassungsmässiges Recht, dessen Verletzung mit einer Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann.
I. Rechtsgleichheits-/Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV)
- Gleiches ist gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln
- Differenzierungsverbot: Verbot unterschiedlicher Regelungen, wenn kein rechtlich erheblicher Unterschied vorliegt
- Differenzierungsgebot: Verbot rechtlicher Gleichbehandlung von Fällen, die sich in tatsächlicher Hinsicht erheblich unterscheiden
- gilt für Rechtsetzung und Rechtsanwendung
II. Rechtsgleichheits-/Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV)
Prüfprogramm Rechtsgleichheit
- Befindet sich die betroffene Person mit Blick auf den rechtserheblichen SV in einer nicht vergleichbaren Situation?
- Werden sie durch den Gesetzgeber bzw. den Rechtsanwender dennoch ungleich/gleich behandelt?
- Liegen für die Differenzierung/Gleichbehandlung sachliche Gründe vor?
I. Vertrauensschutz
Grundsatz
- Vertrauensgrundlage → besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Behörden und den Einzelnen
- berechtigtes Vertrauen in das Verhalten der staatlichen Behörde bzw. Kenntnis der Vertrauensgrundlage, nicht aber einer allfälligen Fehlerhaftigkeit → bei Fachkundigen höhere Anforderung an «gehörige Sorgfalt»
- Vertrauensbetätigung
- Interessenabwägung → Interesse an Vertrauensschutz wiegt schwerer als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen
II. Vertrauensschutz
Behördliche Auskünfte und Zusicherungen
Auf unrichtige Auskünfte, darf sich der Empfänger berufen, wenn kumulativ folgende VSS erfüllt:
1. Die Auskunft als Vertrauensgrundlage geeignet? ( auf den individuell konkreten Fall bezogen und genügend bestimmt)
2. Auskunftserteilende Amtsstelle zuständig für Auskunftserteilung zuständig bzw. die Einzelperson durfte von Zuständigkeit ausgehen
3. Die Auskunft erfolgt vorbehaltlos.
4. Der Auskunftsempfänger ist gutgläubig; er durfte und musste die Unrichtigkeit der Auskunft nicht erkennen
5. Der Auskunftsempfänger hat eine Disposition getroffen, die nicht oder nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden kann
6. Kausalität der Vertrauensgrundlage für Disposition
7. NUR bei Auskünften: Der SV oder die Rechtslage hat sich nicht nachträglich verändert. Ändert sich die Rechtslage, so kann der Vertrauensschutz nur geltend gemacht werden, wenn die auskunftserteilende Instanz selber für die Rechtsänderung zuständig ist und die Auskunft gerade im Hinblick darauf erteilt hat oder die Behörde die Pflicht zur umfassenden Orientierung gehabt hat.
7. Interesse am Schutz des berechtigten Vertrauens > Interesse an der richtigen Rechtsanwendung
RF:
a. Bindung des Staates an die Vertrauensgrundlage (materiell-positiv)
b. Ersatz des Vertrauensschadens (bzgl. getätigter Dispositionen; materiell-negativ)
c. Wiederherstellung verpasster Fristen (prozedural)
I. Rückwirkungsverbot (Art. 9 BV)
= Schutz des Vertrauens, dass das Gesetz, das zum Zeitpunkt einer Handlung in Kraft war, Anwendung findet (Rechtssicherheit)
II. Echte Rückwirkung
= Anwendung eines neuen Gesetzes auf einen Sachverhalt, der sich abschliessend vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht hat = grundsätzlich unzulässig
III. Zulässigkeit belastender echter Rückwirkung
- Rückwirkung in Gesetz eindeutig vorgesehen
- Durch triftige Gründe geboten
- In zeitlicher Hinsicht verhältinsmässig (=darf aus Sicht des Betroffenen nicht zu weit zurückgreifen)
- Schafft keine stossenden Rechtsungleichheiten
- Greift in keine wohlerworbenen Rechte ein
IV. Rückwirkung begünstigender Erlasse
- Begünstigter ist Normadressat
- Rechte Dritter werden nicht beeinträchtigt
- Begünstigung ist im Recht vorgesehen
V. Unechte Rückwirkung
- Anwendung von neuem Recht auf einen Dauersachverhalt = Sachverhalt, der sich noch nicht abschliessend verwirklicht hat
- Grundsätzlich zulässig, ausser Verletzung des Vertrauensschutzes oder von wohlerworbenen Rechten.
Willkürverbot (Art. 9 BV, Art. 11 Abs. 1 KV)
a. Persönlicher Schutzbereich: nat. und jur. Pers., unabhängig von Nationalität, Sitz, Gründungsort
b. Sachlicher Schutzbereich: Willkürverbot bindet Gesetzgeber und rechtsanwendende Behörden
2 Arten von Willkür:
▪ Bei Rechtsanwendung = willkürliches Ergebnis → gem. konstanter BGer-Praxis: Begründung und Ergebnis des Entscheides sind unhaltbar
1. Qualifiziert fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung
2. Krasse Verletzung einer Norm oder eines unumstrittenen Rechtsgrundsatzes
3. offensichtliche Missachtung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes
4. Qualifizierte Ermessensfehler
5. Entscheid leidet an einem inneren, nicht auflösbaren Widerspruch
6. stossender Widerspruch zum Gerechtigkeitsgedanken
bei Rechtsetzung = Norm mit schikanösem Charakter
▪ KEINE Verletzung des Willkürverbots
1. andere Lösung im konkreten Fall ebenfalls vertretbar oder vorzuziehen
2. Auslegung anwendbaren Rechts falsch aber nicht qualifiziert unrichtig
➢ MERKE: Erst wenn ein Entscheid offensichtlich und qualifiziert unrichtig ist, liegt Willkür vor.
c. Kerngehalt: = jede Verletzung des Verbots
Persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV, Art. 12 Abs. 1 u. 2 KV)
a. Persönlicher Schutzbereich:
nat. Pers, auch urteilsunfähige, ausländische Pers. + Pers. auf der Durchreise
b. Sachlicher Schutzbereich:
persönliche Freiheit
1. Persönliche Freiheit i.e.S.:
- Selbstbestimmungsrecht
- Beschränkungen von blossen Alltagsbedürfnissen nicht erfasst
- Bestimmung über Art und Zeitpunkt des Todes
- Verfügung über eigenen Leichnam, subsidiär Angehörige
2. Körperliche Unversehrtheit:
- Recht, frei über Integrität des Körpers zu verfügen
- sogar schmerzlindernde Eingriffe fallen darunter
- Psychische Unversehrtheit
- Bewegungsfreiheit
- Recht auf Privatsphäre und Familienleben
c. Kerngehalte:
Verbot vorsätzlicher Tötung, Verbot Todesstrafe, Verbot der Folter, unmenschlicher/erniedrig-
ender Behandlung, Non-Refoulement-Verbot
Informationsfreiheit (Art. 17 Abs. 3 KV)
- Einsichtsrecht in amtliche Akten
- Information von Amtes wegen (KV 70)
- bei amtlichen Akten Geheimhaltungsvorbehalt
I. Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV, Art. 23 KV)
a. Persönlicher Schutzbereich:
nat. Pers (auch ausländische Pers.) aber nur, wenn privatwirtschaftlich tätig + jur. Pers.
b. Sachlicher Schutzbereich:
- Geschützte Sphäre: Jede privatwirtschaftliche Tätigkeit, mit Gewinn oder Erwerb dient (haupt- oder nebenberuflich / selbständig oder unselbständig
- Geschützte Ansprüche: Freie Berufswahl, Werbefreiheit, Vertragsfreiheit, bedingter Anspruch auf Benutzung des öffentlichen Bodens
MERKE: Bei Wirtschaftsfreiheit nicht nur BV 36, sondern auch BV 94
c. Kerngehalt:
- Freiheit der Berufs- / Geschäftswahl
- Verbot von staatlichem Zwang zum Erlernen eines Berufes / zur Ausübung einer Erwerbs- / Geschäftstätigkeit
- Absolutes Verbot von Zwangsarbeit