Vorlesung Flashcards
Der Handlungsbegriff
- Grundlage der Strafbarkeit -> Strafe kann nur an Handlung geknüpft werden
- unterscheidet strafrechtlich relevantes menschliches Verhalten von sog. Nicht-Handlungen
- Tatstrafrecht -> Fokus auf Tat
- erster Punkt im Aufbauschema des objektiven Tatbestandes
Menschliches Verhalten nur dann strafrechtlich relevant, wenn die handelnde Person Steuerungsfähigkeit besaß.
Handlungsbegriff nach heutiger herrschender Auffassung:
“Vom Willen beherrschte, finale sozialerhebliche Verhaltensform.”
Handlungslehre - Theorien
I. Die naturalistisch-kausale Handlungslehre
-> umreißt die Handlung als gewillkürtes Verhalten
- willentliche Handlung zur Abgrenzung von Naturereignissen
II. Die finale Handlungslehre
-> menschliches Verhalten als zweckgerichtete Tätigkeit definiert
- Menschen zeichne gerade Fähigkeit aus, planend und zweckgerichtet in das Sozialleben einzugreifen (Abgrenzung Tiere und Instinkte)
III. Die personale Handlungslehre
-> Handlungen als Persönlichkeitsäußerungen
- Nichthandlungen sollen ausgeblendet werden, die alleine von der körperlichen Sphäre des Menschen ausgehen (ohne Steuerung des “Ich”)
IV. Die sozialen Handlungslehren
-> strafrechtliche Handlungen als ein vom menschlichen Willen beherrschtes oder beherrschbares, sozialerhebliches Verhalten
- Sozialerheblichkeit als Abgrenzungskriterium
Handlungsbegriff in der Fallbearbeitung
Handlungsqualität im Regelfall gegeben, dass sie als Merkmal nicht genannt werden muss
-> Nur in zweifelhaften Fällen müssen näherer Ausführungen gemacht werden
- Liegt menschliches Verhalten vor?
- Wenn ja, war das Verhalten vom Willen des Menschen beherrscht oder beherrschbar?
- Wenn ja, war dieses Verhalten sozial relevant?
Nichthandlungen
- Mit unwiderstehlicher Gewalt (vis absoluta) erzwungene Handlungen
-> Schubs gegen ein Fenster - Körperbewegungen, die mangels jeglicher willentlicher Steuerung der Beherrschbarkeit durch den Willen entzogen sind
-> Bewegungen, Krampfanfälle, Reflexe - Naturereignisse
- Vorgänge, die sich ausschließlich im Inneren des Menschen abspielen
-> Gedanken, Gefühle, Gesinnungen
-> “Die Gedanken sind frei”
Übersicht Tätigkeitsdelikt, Erfolgsdelikt, Kausalität
Steigende Intensität der Beeinträchtigung des jeweiligen geschützten Rechtsguts
- Tätigkeitsdelikte = Kein konkreter Erfolg wird vorausgesetzt
- Abstrakte Gefährdungsdelikte = Kein Eintritt einer konkreten Gefahr im Einzelfall vorausgesetzt
=> Keine Kausalität notwendig
- Erfolgsdelikte = Setzen Eintritt eines von der Tathandlung abgrenzbaren Erfolgs voraus
- Konkrete Gefährdungsdelikte = Konkrete Gefahr im Einzelfall vorausgesetzt
- Verletzungsdelikte = Beeinträchtigung des Rechtsguts im Einzelfall
=> P: Kausalität zwischen der Handlung und dem Erfolg im Einzelfall
Theorien zur strafrechtlichen Kausalitätslehre
- Äquivalenztheorie (h.M.)
-> Gleichwertigkeit aller Ursachen
-> Conditio-sine-qua-non-Formel
“Ein Umstand ist kausal für den Erfolg, wenn er nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.”
- Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung
-> Gleichwertigkeit aller Ursachen
-> Frage, ob zwischen Handlung und Erfolg eine nach den bekannten Naturgesetzen erklärbarer Zusammenhang besteht
=> prüft danach, ob konkrete Handlung im konkreten Erfolg tatsächlich wirksam geworden ist
=> konkrete Handlungsanweisung für Rechtsanwender - Adäquanz-/Relevanztheorie
-> Formel:
“Die Möglichkeit des Erfolgseintritts aufgrund der gesetzten Bedingungen darf nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen.”
=> Wertungsfrage
-> Kausalzusammenhang von Handlung und Erfolg + strafrechtliche Relevanz dieses Kausalzusammenhangs
Sonderkonstellationen der Kausalität
- Hypothetische Ersatzursachen und Kausalverläufe
-> hypothetische Kausalverläufe dürfen nicht berücksichtigt werden
=> nur tatsächlich verwirklichte Ursachen maßgeblich
=> Dass der sozialschädliche Erfolg später aufgrund folgender Ereignisse und in anderer Weise ebenfalls eingetreten wäre, beseitigt die Ursächlichkeit der realen Bewirkungshandlung nicht
Alternative Kausalität
Mehrere voneinander unabhängige Ursachen treffen zeitlich zusammen und jede einzelne Ursache hätte für sich genommen den Erfolg herbeigeführt.
“Nach der modifizierten csqn-Formel sind auch solche Bedingungen erfolgsursächlich, die zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.”
-> Der Fall liegt vor, wenn mehrere voneinander unabhängige Ursachen, von denen jede allein den Erfolg hätte bewirken können, zur gleichen Zeit wirken
=> A und B geben unabhängig voneinander eine jeweils für sich genommene tödlich wirkende Dosis Gift in den Tee des O
Handlung 1 -> Erfolg
Handlung 2 -> Erfolg
Kumulative Kausalität
“Mehrere voneinander unabhängige Ursachen bewirken erst zusammen den Erfolg.”
=> Nach der csqn-Formel ist jede Bedingung kausale Ursache für den Erfolg
=> A und B geben unabhängig voneinander eine jeweils für sich genommen nicht tödlich wirkenden Dosis Gift in den Tee des O. Zusammengenommen erreichen die Dosierungen eine tödliche Wirkung.
Handlung + Handlung = Erfolg
Abgebrochene/überholende Kausalität
“Eine andere Ursache bewirkt völlig unabhängig von der Handlung allein den Erfolg bzw. die Handlung bewirkt unabhängig von einer anderen Ursache den Erfolg.”
Überholende Bedingung: ursächlich für den Erfolg
Abgebrochene Bedingung: nicht kausal
=> A gibt eine tödlich wirkende Dosis Gift in den Tee des O, die erst ein paar Stunden nach dem Trinken ihre Wirkung entfaltet (abgebrochen). Unmittelbar nach dem Trinken des Tees wird O von B erschossen (überholend).
Atypischer Kausalverlauf
-> Erfolg tritt durch eine andere Ursache ein, diese knüpft aber an die vorhergehende Handlung an
=> A ist durch das Gift so geschwächt und unkonzentriert, dass er mit seinem Fahrrad einen Fahrfehler begeht, auf die Gegenseite der Fahrbahn gerät und hier von einem Autofahrer tödlich erfasst wird.
Handlung -> andere Ursache -> Erfolg
Schwächen der Conditio-sine-qua-non-Formel
- bereits im Ausgangspunkt die Einschränkung über das Merkmal “Erfolg in seiner konkreten Gestalt”
- Anpassungsbedarf in Fällen der alternativen Kausalität
- unklar, ob ein bestimmtes Verhalten ursächlich für einen Erfolg ist, kann die Formel nicht erfolgsversprechend angewendet werden
-> setzt voraus, was durch sie erst ermittelt werden soll
Grundaussagen zur objektiven Zurechnung
- Weite des Kausalitätskriteriums einschränken (durch normative Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg)
-> Verkauf der Tatwaffe als kausaler Beitrag zum Taterfolg
Frage zur Eingrenzung:
“Kann dem Täter der von ihm verursachte Erfolg auch normativ (=bewertend) als dessen Werk zugerechnet werden?”
=> Ist der Fall, wenn die Handlung des Täters eine rechtlich missbilligte Gefahr für das geschützte Rechtsgut geschaffen und sich diese Gefahr im konkreten Erfolg tatbestandstypischer Weise verwirklicht hat
Objektive Zurechnung
1. Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr für das tatbestandlich geschützte Objekt
- Handlung ist für das Tatobjekt objektiv riskant
(Gefahr = obj. Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts) - Risiko ist neu, weil es die bisherige Situation noch nicht oder nur in geringerem Umfang enthielt
- Risiko wird von Rechtsordnung nicht gebilligt
- Risiko kann nicht ausschließlich für den Täter fremden Verantwortungsbereichen zugeordnet werden
(eigenverantwortliche Selbstgefährdung, einverständliche Fremdgefährdung)
Objektive Zurechnung
2. Verwirklichung dieser Gefahr im Erfolg
- Erfolg als Verwirklichung des vom Täter geschaffenen unerlaubten Risikos
-> nicht als Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos/ von einem anderen geschaffenen Risiko
Voraussetzungen:
- verwirklichtes Risiko greift in Schutzbereich der verletzten Norm ein
- kein rechtmäßiges hypothetisches Alternativverhalten des Täter erkennbar, das den Erfolg in gleicher Weise herbeigeführt hätte
- Verhalten des Täters muss eine nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckte Gefahr für das Handlungsobjekt geschaffen und sich diese Gefahr auch im konkreten Erfolg verwirklicht hat
Sonderkonstellationen und Fallgruppen der objektiven Zurechnung
Täter muss durch sein Verhalten
(Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen:
-> Eigenverantwortliche Selbstschädigung bzw. Selbstgefährdung des Opfers
-> Dazwischentreten eines Dritten)
eine rechtlich missbilligte Gefahr
(-> Erlaubtes Risiko
-> Sozialadäquanz)
geschaffen oder erhöht haben,
(Risikoverringerung)
die sich im konkret eingetretenen Erfolg realisiert hat.
(-> atypischer Kausalverlauf
-> Schutzzweck der Norm
-> Pflichtwidrigkeitszusammenhang)
Objektive Zurechnung
Fallgruppen mit fraglicher eigener Gefahrenschaffung
Allgemeines Lebensrisiko
-> erlaubtes bzw. rechtlich nicht missbilligtes Risiko
Bsp. T überredet E zu Flugreise und hofft, dass Flugzeug abstürzt. So geschieht es.
-> Keine Zurechnung, da mit jeder Flugreise Absturzrisiko verbunden ist => kein Risiko, das Rechtsordnung verbietet
-> Keine Zurechnung, auch bei tödlichen Unfallfolgen im Straßenverkehr => bei verkehrsgerechter Teilnahme = allgemeines Lebensrisiko
Objektive Zurechnung
Fallgruppen mit fraglicher eigener Gefahrenschaffung
Risikoverringerung
Liegt vor, wenn bereits im Gang befindliche Ursachenreihe gebremst und die von ihr ausgehende Gefahr für Opfer herabgesetzt wird
Bsp.:
- Abmilderung von Verletzungen/Sachschäden
- zeitliches Hinausschieben des Erfolges
-> Kausalität bejaht
-> Objektive Zurechnung verneint
=> Allgemeines Interesse an Erhaltung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter -> kein Schaffen einer rechtlich missbilligten Gefahr
Bsp.: A will B Stein an Kopf werfen, trifft ihn aber nur an Schulter, weil C dem A in den Wurfarm fällt.
Achtung: Nicht mit Risikoersetzung verwechseln.
-> hier muss es GEBREMST werden
-> nicht ERSETZT durch eine neue eigenständige Ursachenreihe
Objektive Zurechnung
Fallgruppen mit abzugrenzenden Verantwortungsbereichen
Freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung des Opfers
Theorie
- Zwischen Selbstschädigung und -gefährdung des Opfers unterscheiden (Opferperspektive maßgeblich)
Selbstschädigung: Opfer erkennt Möglichkeit der Verletzung des eigenen Rechtsguts und findet sich damit zumindest ab
Selbstgefährdung: Opfer handelt zwar bewusst fahrlässig, vertraut jedoch auf Ausbleiben des Verletzungserfolgs
Prinzip der Eigenverantwortlichkeit: Jeder ist für sein eigenes Handeln verantwortlich.
-> Täter kann kein Erfolg zugerechnet werden, bei dem das Opfer alleine die Verantwortung dafür trägt, auch wenn er sich daran beteiligt haben mag
-> Bsp. Konsum von Drogen, die zuvor bei Dealer D gekauft wurden führt zum Tod
- Selbsttötungen und Selbstverletzungen sind straffrei
-> Mangels Haupttat bleiben auch Anstiftung und Beihilfe §§ 26, 27 StGB ohne Konsequenzen
Objektive Zurechnung
Fallgruppen mit abzugrenzenden Verantwortungsbereichen
Freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung des Opfers
Voraussetzungen für freiverantwortliches Verhalten
2 Voraussetzungen für Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs:
- Freiverantwortliches Verhalten des späteren “Opfers” muss vorliegen
-> davon kann nur gesprochen werden, wenn der Gefährdete überhaupt in der Lage ist, bezüglich der Preisgabe seiner Rechtsgüter selbstverantwortlich zu entscheiden
Problematisch bei:
- mangelnder Reife oder Erfahrung des Gefährdeten
- überlegenem Sachwissen des Täters
Maßstab der an freiverantwortliche Entscheidung zu stellen ist, ist umstritten:
M1: Sinngemäße Anwendung der für eine Fremdschädigung geltende Exkulpationsregeln -> §§ 20, 35 StGB; § 3 JGG
=> Freiverantwortlichkeit entfällt, wenn dessen Strafbarkeit entfiele, d.h. er schuldlos handelte
=> bei Geisteskrankheit, Betrunkenheit, Zwang
M2: Nach Regeln der Einwilligungsfähigkeit
=> Opfer schädigt sich nicht selbst, sondern wird von anderem geschädigt und willigt dazu ein (wird angenommen)
=> Einwilligung unwirksam, wenn wesentliche Willensmängel vorliegen: Täuschung, Drohung, Irrtum, etc.)
Objektive Zurechnung
Fallgruppen mit abzugrenzenden Verantwortungsbereichen
Freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung des Opfers
Voraussetzungen für Selbstschädigung/-gefährdung
- Voraussetzung: Selbstschädigung/-gefährdung muss vorliegen
=> Opfer muss Tatherrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden bzw. Verletzungs- oder Gefährdungsakt innehaben
=> tatbestandlicher Geschehensablauf muss in den Händen gehalten werden
- h.M. erörtert Frage der Einwilligung erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit
- Mindermeinung will auf Stufe des Tatbestandes die Einwilligung thematisieren, weil dann schon der Straftatbestand nicht erfüllt wäre
-> vorzugswürdig laut Hefendehl
Objektive Zurechnung
Fallgruppen mit abzugrenzenden Verantwortungsbereichen
Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten
“Die Verantwortung des Erstverursachers endet grundsätzlich, wenn ein Dritter vollverantwortlich eine neue, selbstständige Gefahr begründet, die sich dann alleine im Erfolg realisiert.”
Obj. Zurechnung zu bejahen, wenn:
- Täter rechtlich relevant Gefahr durch Verletzung von Sicherheitsvorschriften schafft, die gerade zum Schutz vor Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstaten Dritter dienen
- Wenn Verhalten Dritter so spezifisch mit Ausgangsgefahr verbunden ist, dass es bereits als typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint
Objektive Zurechnung
Sog. Retterfälle
- Schnittfeld der freiverantwortlichen Selbstgefährdung und Dazwischentreten eines Dritten
- Umstand, dass Dritter in einen vom Ersttäter in Gang gesetzten Kausalverlauf eingreift und sich dabei selbst gefährdet/schädigt
-> 2 Fallkonstellationen zu unterscheiden:
1. Retter kann freiwillig eingreifen
2. Oder ist in konkreter Situation zum Eingreifen verpflichtet
Problematisch: Ist demjenigen, der die Gefahr schafft, das freiwillige Eingreifen des des Retters zuzurechnen?
Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit wegen bewusster Selbstgefährdung des Opfers:
“Wenn Täter durch seine Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er OHNE Mitwirkung/Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein RECHTSGUT des Opfers oder IHM NAHESTEHENDE PERSON begründet und damit ein EINSICHTIGES MOTIV für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft.”
- Etwas anderes könnte nur bei von vornherein sinnlosen/offensichtlich unverhältnismäßigen Rettungsversuch gelten
Objektive Zurechnung
Vorsätzliches Dazwischentreten Dritter
- Täter kann den von ihm in Gang gesetzten Kausalverlauf unterbrechen
- Wenn Täter die Realisierung einer von ihm gesetzten Gefahr im Erfolg verhindert, indem er durch eine Zweithandlung vorsätzlich eine neue Gefahr schafft, die sich alleine im Erfolg verwirklicht
-> unwesentliche Abweichung des tatsächlich vorgestellten Kaualverlaufs
-> 2. Tat knüpft an Ausgangsgefahr an, unterbricht nicht die objektive Zurechnung