3. Wahlsysteme und Wahlverhalten Flashcards
(24 cards)
Wahlen
- Legitimieren das politische System in seiner Gesamtheit (→Herrschaft auf Zeit)
- dienen der Bestimmung von politischen Herrschaftsträgern
- stellen (für viele die einzige) Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgre dar.
- sind Austragungsort für den Wettbewerb der politischen Parteien.
Das Wahlsystem ist dabei von großer Bedeutung für Verteilung der Mandate
Wahlsystem
Institutionelle Dimension:
Betrachtung des Wahlsystems: Modus nach dem Stimmen in Mandate übertragen werden.
Grobe (!) Unterscheidung:
* Mehrheitswahlrecht
* Verhältniswahlrecht
Demokratietheoretische Überlegungen….
ursächlich für die Festlegung eines Wahlrechts
Wichtig : Historische Ausprägung
Demokratietheoretische Überlegungen:
Motivation: Mehrheitswahlrecht
Übertragung der politischen Macht auf eine Partei → klare Verantwortlichkeiten
Wahlrecht sollte Mehrheitsbildung fördern
Konfrontation Regierungspartei / Opposition → Westminstermodell, geringe
Stimmenverschiebungen können Wahlergebnisse erheblich verändern.
Demokratietheoretische Überlegungen:
Motivation: Verhältniswahl
Alle wichtigen Meinungen / Gruppen sollten im Parlament vertreten sein
→ Hohe Proportionalität zwischen Stimmen und Mandaten erforderlich.
Mehrheitsbildung spielt bei dem Wahlvorgang untergeordnete Rolle
→ Bedeutung von Koalitionen
→ Konsensusdemokratie
Bestimmung zur Wahl im Grundgesetz
Art. 38 (1):
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner,
unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
Sie sind Vertreter des ganzen
Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Die Regeln der Wahl des Bundestages werden durch das Bundeswahlgesetz (BWG)
festgelegt.
Art. 38 GG zusammengefasst
Allgemeines Wahlrecht (ab 18 Jahre)
Unmittelbar: Die Stimmen haben direkt eine Wirkung auf das Wahlergebnis
Frei: Kein Eingriff Dritter (weder bei der Wahl noch bei der Aufstellung der Kandidaten)
Gleich: Jede Stimme zählt gleich
Geheim: Stimmgebung unbeobachtet und nicht nachvollziehbar.
Aber: Keine Festlegung auf ein konkretes Wahlverfahren.
§12 Bundeswahlrecht regelt weitere Bedingungen für das Wahlrecht zum Bundestag (nur Staatsbürger, Regelung bei fehlendem Wohnsitz in Deutschland).
Reformbedarf
Das Wahlrecht zum Bundestag funktionierte
gut mit dem Wahlverhalten der Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Aufgrund der Tatsache, dass CDU, CSU und
SPD geringere Zweitstimmenanteile erhalten als früher, ist die Anzahl der
Überhangmandate stark angewachsen.
Diese Überhangmandate wurden zur Sicherung der Proportionalität von Zweitstimmen
- und Mandatsanteilen durch Ausgleichsmandate ausgeglichen. Daher hatte der Bundestag nach den letzten Wahlen deutlich mehr Abgeordnete
als es die Sollgröße von 598 Mandaten vorsah.
Zur Einordnung
Im März 2023 wurde das neues Bundeswahlgesetz vom Bundestag mit den Stimmen der Koalitionsparteien beschlossen.
die hier aufgeführten Berechnungen sind daher fiktiv
Zur Einordnung
Das Bundesverfassungsgericht verkündete am 30. Juli 2024, dass die meisten Regelungen des neuen
Bundeswahlgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar sind, so auch das stark kritisierte Verfahren der
Zweitstimmendeckung. Der vorgesehene Wegfall der Grundmandatsklausel wurde allerdings
aufgehoben.
„Bis zu einer Neuregelung gilt sie mit der Maßgabe fort, dass bei der Sitzverteilung Parteien mit
weniger als 5 % der Zweitstimmen nur dann nicht berücksichtigt werden, wenn ihre Bewerber in
weniger als drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinigt haben.“ (BVerfG 2024)
Festzuhalten ist aber, dass die neue Fassung deutlich einfacher zu handhaben (und auch zu
verstehen) ist, da der zentrale Stellenwert der Zweitstimme als Listenstimme gestärkt wurde, und der
Einfluss der Erststimme auf die Verteilung der Mandate rechnerisch deutlich eingeschränkt wurde. Die
Auswirkungen dieser Vereinfachung sind aber politisch umstritten
Neues Bundeswahlgesetz 2023
Wahlkreismandate werden nur dann vergeben, wenn eine Partei ausreichend Listenmandate in einem Bundesland erhält (Deckungsprinzip). Gewinnt eine Partei mehr Wahlkreismandate als ihr
Listenmandate zur Verfügung stehen, so ziehen nur die Wahlkreisgewinner mit dem höchsten Anteil an Erststimmen in ihrem Wahlkreis in den Bundestag ein.
- Folge: Keine Überhangmandate mehr, daher auch keine Ausgleichsmandate mehr.
„Aufblähen“ des Bundestages wird verhindert. - Deutlich vereinfachte Berechnung der Mandatsverteilung, da diese direkt auf Bundesebene berechnet wird und nicht mehr auf mögliche Überhangmandate geprüft werden muss.
Grundidee des Wahlrechts zum Bundestag
Ziel: Proportionale Vertretung des Wählerwillens verknüpft mit regionaler Vertretung.
5% Sperrklausel (außer für Parteien nationaler Minderheiten). Ausnahme (nach Urteil BVerfG): Parteien mit mindestens drei gewonnenen Direktmandaten sind von der
Sperrklausel ausgenommen.
Mischung von Direkt- und Listenwahl, wobei die Listenwahl alleine über die Mandatsanteile der Parteien entscheiden soll. ➔ personalisierte Verhältniswahl
Listenwahl: Parteien stellen Landeslisten auf
Vorab: Das Verteilungsverfahren nach Sainte-Laguë / Schepers
Das Diversorverfahren von Sainte-Laguë/Schepers
Es soll ein Divisor berechnet werden, nach dem eine möglichst proportionale Verteilung der Mandate nach Stimmenzahlen erreicht werden kann.
Für jede Partei wird die Mandatszahl berechnet, in dem die Stimmenzahl durch den Divisor geteilt wird und der Wert dieser Berechnung kaufmännisch gerundet wird.
Der Divisor wird so bestimmt, dass die Summe der berechneten Mandate genau der Anzahl der zu vergebene Sitze entspricht. Hierbei ist nur eine Verteilung möglich.
Direkt- und Listenmandate
Zu wählen sind 630 Abgeordnete:
* 299 Abgeordnete werden nach Kreiswahlvorschlägen gewählt (Direktmandate aus Einpersonenwahlkreisen, Erststimme)
- 331 Abgeordnete werden nach Landeslisten gewählt (Zweitstimme)
Durch die Änderung des Bundeswahlgesetzes 2023 müssen Mandate, welche in den Einpersonenwahlkreisen gewonnen werden, durch die zur Verfügung stehenden Mandate in dem entsprechenden Bundesland gedeckt sein.
Dadurch soll verhindert werden, dass durch Überhangs- und Ausgleichsmandaten deutlich mehr Abgeordnete gewählt werden als vorgesehen
Direktmandate: Wahl in den Wahlkreisen
Die 299 Wahlkreise sollen in ihrer Größe in etwa gleich groß sein, und sollen sich an den Grenzen von Gemeinden, Kreisen und kreisfreien Städten orientieren (15% Abweichung vom Durchschnitt akzeptabel, 25% erzwingen Neueinteilung, genaue Regelung: § 3 BWG).
Bundeslandübergreifende Wahlkreise sind nicht zulässig
BWG §6 (1)
Der Gewinn der meisten Erststimmen in einem Wahlkreis ist eine notwendige Bedingung, um ein Wahlkreismandat zu erhalten.
Dies ist aber (anders als vor der Reform 2023) nicht mehr hinreichend, da zusätzlich noch ein Sitz über der Partei in dem jeweiligen Bundesland zur Verfügung stehen muss.
Hat eine Partei in einem Bundesland weniger Sitze über die Zweitstimme als
Direktwahlkreise gewonnen, so ziehen nur die Abgeordneten mit dem größten Anteil an Erststimmen in den Bundestag ein.
Listenwahl
Der bundesweite Zweitstimmenanteil einer Partei entscheidet über die Anzahl der Mandate, welche eine Partei im Bundestag erhält.
Wahlkreismandate werden angerechnet, d.h. es findet keine rechnerische Trennung von Wahlkreis- und Listenmandaten statt (kein Grabenwahlsystem). Vielmehr sind die Listenmandate seit der Reform 2023
alleine entscheidend für die Vergabe der Mandate (mit der Ausnahme von Einzelkandidaten, welche nicht von Parteien aufgestellt werden).
Um die Proportionalität zwischen Zweitstimmen und Mandaten zu erhalten wurden bis zur Reform Ausgleichsmandate vergeben. Dies ist nun aber nicht mehr vorgesehen! Die Ausgleichsmandate
sollten die Überhangmandate ausgleichen, wobei bei der Bundestagswahl 2021 drei
Überhangmandate nicht ausgeglichen wurden.
Ursprüngliche Idee der Ampel-Koalition: Wegfall der Direktmandatsklausel
Starke Kritik an dem Gesetz kam seitens Der LINKE sowie der CSU. Aufgrund des ursprünglich vorgesehenen Wegfalls der Direktmandatsklausel wäre Die LINKE nicht im Parlament, falls 2021 nach dem neuen Bundeswahlgesetz gewählt worden wäre.
Dies hätte auch der CSU gedroht, da diese nur in Bayern antritt, die 5% Hürde aber auf Bundesebene überwinden muss.
Der vorgesehene Wegfall der Grundmandatsklausel wurde allerdings durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Juli 2024 aufgehoben.
Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht
Es wurden mehrere Klagen gegen das neue Bundeswahlgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Dies betraf u.a. folgende Punkte:
- Ist Wahl noch unmittelbar? (Frage ob Wahlkreisgewinner Mandat gewinnt hängt von anderen Wahlkreisen ab, falls nicht alle Wahlkreisgewinner einer Partei in einem Bundesland ein Mandat
erhalten können). - Vorher unklar: Hat Erststimme für Wähler überhaupt Relevanz (Stimmgleichgewicht)? Falls ein Wahlkreisgewinner kein Mandat erhält, werden die Erststimmen dieses Wahlkreises nicht durch ein Mandat repräsentiert.
- Damit verbunden: Falls auch kein Abgeordneter über die Landesliste gewählt würde, wäre dieser Wahlkreis nicht im Bundestag vertreten.
- Ungleichbehandlung parteiloser Kandidaten und Parteikandidaten. Ein Wahlkreisgewinner einer Partei mit einem bundesweitem Zweitstimmenergebnis unter 5% erhält kein Mandat, ein
parteiunabhängiger Kandidat schon. - Ist der Wegfall der Grundmandatsklausel gerecht? (Diese Klausel bildete allerdings bislang eine Ausnahme, allgemeine Diskussion um 5% Klausel).
- Stufe – Berechnung der Mandatsverteilung auf Bundesebene
Zur Bestimmung der Mandatszahlen der Parteien wird zukünftig wie folgt vorgegangen:
- Die Stimmen der Landeslisten werden zuerst zusammen gezählt, um die Überwindung der 5% Hürde zu bestimmen. Die 5% Hürde wird dann nicht angewendet, wenn eine als Partei einer nationalen Minderheit anerkannt ist oder mindestens drei Direktmandate gewonnen hat (Urteil
BVerfG 30.7.2024) - Die Mandate werden anhand der Zweitstimmenanteile auf die Parteien verteilt, die in den Bundestag einziehen können. Dies erfolgt mit dem oben dargestellten Verfahren von Saint-Laguë
Schepers mit einem ermittelten Divisor von 67400 bei 630 Mandaten.
- Stufe – Verteilung der Mandate der Parteien auf die Landeslisten
Dabei erhält jede Landesliste anteilig
gemessen an ihrem Zweitstimmenanteil
wiederum Mandate zugewiesen.
Die Berechnung erfolgt wiederum anhand
Sainte-Laguë Schepers.
- Stufe – Vergabe der Mandate an Kandidatinnen und Kandidaten
Bei der Vergabe der Mandate einer Partei in einem Bundesland auf Kandidatinnen und Kandidaten erhalten zuerst die Wahlkreisgewinner ein Mandat.
Sind dann noch Mandate übrig, werden diese an die auf der Landesliste am höchsten platzierten Personen vergeben, welche nicht Wahlkreisgewinner waren.
Sollten mehr Direktkandidatinnen und –kandidaten ihren Wahlkreis gewonnen haben als die Partei in dem Bundesland Mandate gewonnen hat, so werden die Wahlkreisgewinner in der Reihenfolge des
Anteils der gewonnenen Erststimmen gereiht und in dieser Reihenfolge die Mandate vergeben.
Die Wahlkreisgewinner mit den geringsten Erststimmenanteilen erhalten dann kein Mandat (Deckungsprinzip).
5%-Hürde unter Druck?
Die Sperrklausel soll den Bundestag vor Fragmentierung schützen. Die Klausel wird
ebenfalls auf Landesebene angewendet.
Auf kommunaler Ebene gibt es kaum noch Sperrklauseln.
Bei der Bundestagswahl 2013 führte die 5%-Klausel dazu, dass 15,8% der Zweitstimmen
nicht im Bundestag vertreten waren.
November 2011, dass die Anwendung einer Sperrklausel bei der Wahl zum
Europaparlament verfassungswidrig sei.
Anwendung ist „schwerwiegenden Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien“, da Stimmen für Parteien, welche die 5% Hürde nicht überspringen, somit nicht den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des EPs haben wie Stimmen für erfolgreiche Parteien.
Zitat aus Bundesverfassungsgericht
Weitere Diskussionen – 5%-Hürde unter Druck?
Aber: Urteil nicht auf Bundeswahlgesetz übertragbar.
Die allgemeine und abstrakte Behauptung, durch den Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel werde der Einzug kleinerer Parteien und Wählergemeinschaften in die Vertretungsorgane erleichtert und
dadurch die Willensbildung in diesen Organen erschwert, kann den Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit nicht rechtfertigen. Zur Rechtfertigung der FünfProzent-Sperrklausel bedarf es vielmehr der mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende
Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Vertretungsorgane.
Weil: Europaparlament bereits hoch fragmentiert (über 150 Parteien)
→ Unterschied Bundestag und Europaparlament
Daher: Kein unmittelbarer Einfluss des Urteils auf BWG.
Aber: Urteil zeigt deutlich die Abwägung zwischen Gleichheit der Stimmen und Wunsch nach mehrheitsschaffendem Wahlrecht.
Diese Linie des BVerfG setzte sich in dem Urteil im Juli 2012 zu einem früheren Reformversuch des BWG fort.
Daher: 5%-Hürde weiterhin Gegenstand politischer und auch verfassungsrechtlicher Diskussionen.