Anwaltliches Berufsrecht Flashcards
(41 cards)
die allgemeine Berufspflicht gem. § 43 BRAO
Normzweck
- Schutz von Individualinteressen
- Schutz der anwaltlichen Kompetenz und Integrität durch Festlegung gewisser Mindeststandards
- Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege
§ 43 BRAO als Generalklausel: “gewissenhaft”
RA hat seinen Beruf lege artis, d. h. sachkundig, sachgerecht, sorgfältig und verantwortungsbewusst auszuüben
str.: § 43 BRAO als Auffangnorm, wenn keine spezielle Berufspflicht in BRAO, BORA oder FAO geregelt?
(+) subsidiär, wenn Gesetz- / Satzungsgeber versehentlich keine Regelung getroffen hat ➝ Frage des Einzelfalls
Transportfunktion des § 43 BRAO
➝ Überleitungsnorm: Verstößt RA gegen Berufspflichten außerhalb der BRAO und der BORA, überträgt § 43 BRAO diese in das anwaltliche Berufsrecht und eröffnet so die Möglichkeit, ihn nach § 113 I BRAO (auch) berufsrechtlich zu sanktionieren
Vrss.: begangener Verstoß ist auch berufsrechtlich relevante Pflichtverletzung
➝ vor allem bei vorsätzlich begangenen Straftaten; Verletzung zivilrechtlicher Pflichten indiziert dagegen idR keinen Berufspflichtverstoß
§ 43a I BRAO: berufliche Unabhängigkeit
- folgt aus Stellung des RA als unabhängiges Organ der Rechtspflege
➝ Freiheit von staatlichen Bindungen: keine staatliche Kontrolle, keine Weisungen
➝ Freiheit von gesellschaftlichen Bindungen
➝ Freiheit von wirtschaftlichen Bindungen, s. §§ 46, 49b BRAO, 26 f. BORA - Bindungen können tatsächlicher oder rechtlicher Art sein (moralische / soziale Zwänge dagegen kaum justiziabel)
- Abgrenzung im Einzelfall schwierig
§ 43a II BRAO: Verschwiegenheit
➝ Kern des Vertrauensverhältnisses zwischen RA und Mandant, dient dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Mandanten aus Art. 2 I iVm 1 I GG sowie dem Gemeinschaftsinteresse an einer rechtsstaatlichen Rechtspflege
➝ Verstoß gegen Pflicht ist berufsrechtlich sanktionierbar gem. § 113 I BRAO sowie strafbewehrt gem. §§ 203 f. StGB
➝ Anwaltsprivilegien: Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte, Beweiserhebungs- und verwertungsverbote
§ 43a II BRAO: Umfang der Verschwiegenheitspflicht
-
§ 43a I 2 BRAO: “alles, was ihm in Ausübung seines Berufs bekanntgeworden ist”
➝ alle Umstände des Sachverhalts, jeder Gegenstand des Mandats, Mandantendaten; Information muss aber auch vertraulicher Behandlung bedürfen
➝ berufliche Kenntniserlangung: innerer Zusammenhang zwischen Kenntniserlangung und anwaltlicher Berufsausübung - ausgenommen gem. S. 3: offenkundige Tatsachen und bedeutungslose Tatsachen
§ 43a II 3 BRAO: Umfang der Verschwiegenheitspflicht
offenkundige Tatsachen
Tatsachen, die verständige und erfahrene Menschen idR kennen oder über die sie sich unschwer aus allgemein zugänglichen Quellen informieren können
§ 43a II 3 BRAO: Umfang der Verschwiegenheitspflicht
bedeutungslose Tatsachen
Bagatelltatsachen, die keines Schutzes bedürfen (aber subjektive Bewertung des Mandanten maßgeblich, es sei denn, diese ist offensichtlich willkürlich!)
§ 43a II BRAO: Verschwiegenheitspflicht
Verpflichteter Personenkreis
- beauftragter RA
- Sozien (➝ gemeinschaftliche Berufsausübung), angestellte / freie Mitarbeiter ➝ Gesellschaftsmandat verpflichtet und berechtigt alle zugleich
- Bürogemeinschaft? nicht beauftragtes Mitglied eigentlich wie außenstehender Dritter, aber absolute Abschottung faktisch kaum möglich, daher wird teilweise vertreten, dass Mandant in begrenzten Informationsaustausch einwilligt
- Kanzleipersonal und externe Dienstleister: nicht unmittelbar Adressaten von § 43a II BRAO, aber von § 203 IV StGB; vgl. auch §§ 43a II 4 - 7, 43e BRAO, 2 IV c BORA, § 53a StPO
§ 43a II BRAO: Verschwiegenheitspflicht
geschützter Personenkreis
- Mandant
- Dritte? ➝ Behandlung bei Drittgeheimnissen str.
Ermöglicht Entbindung des Mandanten Offenbarung?
Drittgeheimnis = RA hat beruflich Kenntnis von Tatsachen erlangt, an deren Geheimhaltung Dritte ein Interesse haben
➝ iRv § 203 StGB Erstreckung oft vertreten
➝ iRv § 43a II BRAO aber von h. M. abgelehnt: Norm sei Ausfluss der besonderen Vertrauensbeziehung zwischen Mandant und RA, würde durch Schutz Dritter unterlaufen
§ 43a II BRAO: Verschwiegenheitspflicht
Geltung gegenüber jedermann und zeitlicher Umfang
- RA steht es nicht zu, Kreis der Geheimnisträger zu erweitern, indem er Information offenbart
- Ausnahme nur bei Sozien, angestellten bzw. freien Mitarbeitern, Büropersonal etc. (“Kreis der zum Wissen Berufenen”)
- zeitlich: unbegrenzt
➝ endet weder mit Beendigung Mandat, noch Ausscheiden des RA aus Anwaltschaft noch Tod des Mandanten
➝ bei Tod geht Verfügungsrecht auch nicht auf Erben des Mandanten über, sondern fraglich ist, ob von mutmaßlichem Einverständnis ausgegangen werden kann
§ 43a II BRAO: Verletzung der Verschwiegenheitspflicht
wenn
- RA zulässt, dass eine vertrauliche Tatsache zur Kenntnis eines Dritten (der nicht zum “Kreis der zum Wissen Berufenen” gehört) gelangen kann, die diesem bislang nicht oder jedenfalls nicht sicher bekannt war
- und dabei die Person, auf die sich das Geheimnis bezieht, preisgegeben wird
➝ rein abstrakte Mitteilung ohne Möglichkeit, Rückschlüsse zu ziehen, ist berufs- und strafrechtlich unbedenklich
➝ während § 203 StGB Voratzdelikt ist, fällt unter § 43a II BRAO auch die fahrlässige Preisgabe, vgl. § 113 I BRAO; egal, ob ausdrücklich oder konkludent
§ 43a II BRAO: Maßnahmen zum Schutz der Schweigepflicht
➝ aktiver Schutzauftrag des RA zur Sicherung des Mandatsgeheimnisses
- schriftliche Verpflichtung von Mitarbeitern zur Verschwiegenheit, Belehrung, § 43a II 4 BRAO
- Inanspruchnahme externer Dienstleister nur unter den Vrss. des § 43e BRAO
- organisatorische und technische Maßnahmen (Verschlüsselung von Speichermedien, Verschluss sensibler Unterlagen), § 2 II BORA
- digitale Kommunikationswege ➝ § 2 II BORA
§ 43a II BRAO: Befreiungstatbestände
- Entbindung durch den Mandanten (➝ Dispositionsbefugnis des Mandanten), § 2 IV lit. a BORA
- Durchbrechung: Geheimhaltungsinteresse < andere Interessen / Rechtsgüter
➝ Ausnahme kraft Gesetzes, zB §§ 138 f. StGB, §§ 2 I Nr. 10, 43 GwG, §§ 807, 840 ZPO, § 49b IV 1 BRAO, § 44c I KWG
➝ Ausnahme kraft Güter- und Interessenabwägung, § 34 StGB, § 2 IV lit. b BORA - sozialadäquates Verhalten, § 2 IV lit. c BORA
§ 2 IV lit. a BORA: Entbindung durch den Mandanten von der Schweigepflicht
- bei jur. Personen erfolgt Entbindung durch Organ
- Einwilligung muss vor Preisgabe der Information erklärt sein und Mandant muss die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzen ➝ bzgl. Umfang der Entbindung + ggf. Geschäftsfähigkeit des Mandanten erforderlich
- Einwilligung kann ausdrücklich, konkludent, stillschweigend oder mutmaßlich erklärt werden
str.: Hat RA neben Schweigepflicht auch SchweigeRECHT?
➝ auch bei Entbindung durch Mandanten dürfte RA Auskunft verweigern
➝ normierte Zeugnis- / Auskunftsverweigerungsrechte und Beweiserhebungsverbote hängen von Geheimhaltungsinteresse des Mandanten ab, begründen daher nur Pflicht, kein eigenständiges Recht
➝ § 2 IV BORA erwähnt Recht, aber nur Satzung
➝ BGH: Verschwiegenheit steht zur Disposition des Mandanten, nur bei Aufzeichnungen über höchstpersönliche Wahrnehmungen und Hintergrundinformationen könne sich aus Art. 12 I GG ein Geheimhaltungsinteresse ergeben; darüber hinaus nur §§ 56 I 2 Alt. 1 BRAO, 55 I Alt. 1 StPO
Datenschutz
Art. 14 V lit. d; 34; 58 DSGVO
§ 29 BDSG
§ 43a III BRAO: Sachlichkeitsgebot
Grundsatz
nicht jede Äußerung schon Verstoß: als Interessenvertreter des Mandanten muss RA auch gröber mit Beteiligten des Rechtsstreits umgehen können ➝ nicht jede taktlose / ungehörige Äußerung sanktionsbewehrt, sondern nur bestimmte Verstöße
§ 43a III BRAO: Sachlichkeitsgebot
justiziable Verstöße
- Beleidigungen (§ 193 StGB beachten)
- bewusste Verbreitung von Unwahrheiten (zB bewusst falscher Vortrag)
str. : “bewusst” = direkter Vorsatz erforderlich oder bedingter Vorsatz ausreichend? - herabsetzende Äußerungen ohne Anlass? Rspr.: unkollegial und unprofessionell, aber im Lichte von Art. 5 I, 12 I GG nicht gem. III sanktionsbewehrt (zumindest, solange keine Strafbarkeit gem. §§ 185 ff. StGB gegeben)
objektiver Tatbestand § 43a IV BRAO / § 356 StGB
“dieselbe Rechtssache” (Sachverhaltsidentität)
Rechtssache = jede rechtliche Angelegenheit, die zwischen mehreren Beteiligten mit möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll
dieselbe, wenn der Angelegenheit ein einheitlicher historischer Vorgang / Lebensverhältnis zugrunde liegt; Teilidentität reicht aus
Bsp.: durch Ehe begründetes einheitliches Lebensverhältnis, Verkehrsunfallangelegenheiten, Erbschaftssachen
objektiver Tatbestand § 43a IV BRAO / § 356 StGB
mehrere Mandanten
Vertragsschluss mit Mandanten, private Vorbefassung genügt nicht
objektiver Tatbestand § 43a IV BRAO / § 356 StGB
widerstreitende Interessen
- str.: subjektive oder objektive Bestimmung?
BGH: eher subjektiv geprägter Ansatz, aber konkret-objektive Auslegung
➝ Stehen Interessen in der in Rede stehenden Fallkonstellation typischerweise in Widerspruch?
➝ wenn ja: auch hier konkret Widerspruch? Kollision ggf. durch Mandatsbeschränkung verhindert? - Interessenwiderstreit: rechtliche Interesse der Parteien tatsächlich und aktuell ganz oder teilweise gegenläufig, widersprüchlich und unvereinbar ➝ (+), wenn Verwirklichung des einen rechtlichen Interesses unmittelbar zulasten des anderen erfolgt
↔ gleichgerichtete Interessen: Parteien streiten gegen einen Dritten, grundsätzlich gleiche Interessen
objektiver Tatbestand § 43a IV BRAO / § 356 StGB
Vorbefassung
(+), wenn der RA bei den ihm in beruflicher Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache einer der Parteien bereits durch Rat oder Beistand gedient (§ 356 StGB) bzw. einen anderen Mandanten anwaltlich beraten oder vertreten (§§ 43a IV BRAO, 3 BORA) hat
“anvertraut” = zur Interessenwahrnehmung übertragen
“finale Prägung”: vorbefasst, wenn innerhalb des erteilten Mandats bereits rechtsbesorgende anwaltliche Berufstätigkeit entfaltet, die auf Förderung Parteiinteresse abzielt