Völkerrecht - Skript - Fragen Flashcards

1
Q
  1. Was charakterisiert das Völkerrecht als eine horizontale Rechtsordnung? (5 Punkte)
A

Das Fehlen eines Subordinationsverhältnisses (im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht) ist charakteristisch für das auf Gleichordnung seiner primären Rechtssubjekte der souveränen Staaten ausgerichtete System des Völkerrechts. Es zeichnet sich als Koordinationsrechtsordung daher durch einen Mangel an zentralen Rechtssetzungs-, Rechtsprechung- und Rechtsdurchsetzungsorganen aus.

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2
Q
  1. Sind Gerichtsentscheidungen Völkerrechtsquellen? (4 Punkte)
A

Der „Völkerrechtskatalog” des Artikels 38 IGH Statut unterscheidet zwischen Rechtsquellen im eigentlichen Sinne und „Hilfsmitteln zur Feststellung der Rechtsnormen” (Rechtserkenntnisquellen), wozu neben der Lehre auch die Judikatur gezählt wird. In der Praxis genießen die Urteile des IGH und mancher anderer internationaler Streitbeilegungsinstanzen so hohe Autorität, dass man schon fast von Case-law sprechen kann.

Auch Entscheidungen nationaler Gerichte können als Rechtserkenntnisquellen angesehen werden.

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3
Q
  1. Was versteht man unter der Ratifikation eines Vertrages? (3 Punkte)
A

Die Ratifikation eines Vertrages ist die förmliche Erklärung des Staates, mit der er zustimmt, an einen Vertrag gebunden zu sein (Art 14 WVK). Sie erfolgt in der Regel durch das Staatsoberhaupt nach Zustimmung des Gesetzgebers und ist nur beim zusammengesetzten Verfahren notwendig.

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4
Q
  1. Findet die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) aus 1969 auf die folgenden Verträge
    Anwendung? (5 Punkte)
    Die WVK ist für China am 3. September 1997 und für Malaysia am 27. Juli 1994, für Österreich am 27. Jänner 1980 und für Deutschland am 21. Juli 1987 in Kraft getreten.

a) die Genfer Flüchtlingskonvention (1951)

b) einen mündlichen Vertrag zwischen China und Malaysia aus 1983

c) einen mündlichen Vertrag zwischen China und Malaysia aus 2005

d) einen schriftlichen Vertrag zwischen Österreich und Deutschland aus dem Jahr 1985

e) einen schriftlichen Vertrag zwischen Österreich und Deutschland aus dem Jahr 2011

A

a) Nein, weil vor Inkrafttreten der WVK abgeschlossen.

b) Nein, weil ein mündlicher Vertrag.

c) Nein, weil ein mündlicher Vertrag.

d) Nein, weil vor Inkrafttreten der WVK abgeschlossen.

e) Ja, schriftlicher Vertrag zwischen zwei Staaten, der nach Inkrafttreten der WVK für diese Staaten abgeschlossen wurde.

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5
Q
  1. Wer ist kompetent, völkerrechtliche Verträge ohne gesonderte Vollmacht abzuschließen?
    (4 Punkte)
A

Gemäß einer widerlegbaren Vermutung in Art. 7 WVK gelten folgende staatliche Organe als zur Vornahme aller Akte des Vertragsabschlusses berechtigt:

1. Staatsoberhaupt,
2. Regierungschef,
3. Außenminister.

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6
Q
  1. Wann ist ein Vorbehalt zu einem Vertrag zulässig? (6 Punkte)
A

Nach den Regeln der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 ist ein Vorbehalt zu einem Vertrag dann zulässig,
- wenn er nicht im Vertrag verboten wird,
- wenn er nicht zu jenen Vorbehalten gehört, die im jeweiligen Vertrag ausdrücklich verboten sind, oder,
- wenn der Vertrag nichts darüber aussagt, er nicht gegen Ziel und Zweck des Vertrages verstößt
(Art 19 WVK).

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7
Q
  1. Welche völkerrechtlichen Verträge sind als Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht
    anzusehen? (5 Punkte)
A

Zu den wichtigsten Konventionen, die Völkergewohnheitsrecht kodifizieren gehören:

  1. die Wiener Vertragsrechtkonvention 1969,
  2. die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge 1978,
  3. die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Staatsvermögen, -archive und -schulden 1983,
  4. das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen 1982,
  5. die Wiener Diplomatenrechtskonvention 1961,
  6. die Wiener Konsularrechtskonvention 1963.
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8
Q
  1. Auf welche Verträge finden die Vorschriften der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969
    Anwendung? (4 Punkte)
A

Die WVK findet nur auf:
1. schriftliche,
2. zwischenstaatliche,
3. nach dem Inkrafttreten der WVK im Jahre 1980 abgeschlossene Verträge Anwendung.

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9
Q
  1. Nennen Sie die wichtigsten materiellen Willensmängel im völkerrechtlichen Vertragsrecht!
    (5 Punkte)
A

Materielle Willensmängel beeinträchtigen den Willen eines Staates beim Vertragsabschluss.
Nach der Wiener Vertragsrechtkonvention 1969 gehören:

  1. Irrtum und Betrug,
  2. Zwang gegen einen Staat,
  3. Zwang gegen einen Staatenvertreter und
  4. Bestechung eines Staatenvertreters

zu den materiellen Willensmängeln.

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10
Q
  1. Wie ermittelt man allgemeine Rechtsgrundsätze? (3 Punkte)
A

Allgemeine Rechtsgrundsätze sind Prinzipien, die den nationalen Rechtsordnungen aller Staaten gemeinsam sind; sie werden daher in der Praxis durch Rechtsvergleichung der wichtigsten Rechtskreise ermittelt.

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11
Q
  1. Nennen Sie fünf Beispiele für allgemeine Rechtsgrundsätze und erklären Sie vor welchen internationalen Gerichten bzw. Tribunalen diese Rechtsquelle des Völkerrechts besondere Bedeutung gewonnen hat! (7 Punkte)
A
  • Verbot des venire contra factum proprium (estoppel)
  • res judicata
  • lis pendens
  • Verpflichtung zu Schadenersatz, . Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung
  • Verzugszinsen
  • Verjährung von Forderungen
  • Verbot des Rechtsmissbrauchs

Der EuGH hat für seine Grundrechtsjudikatur seit den 1970er Jahren auf allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgegriffen, da die ursprünglichen Gründungsverträge der Europäischen Union keinen
Grundrechtskatalog enthielten und die EU nicht Vertragspartei der EMRK war.
Auch der IGH hat etwa in Tremple of Preah Vihear auf estoppel zurückgegriffen.

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12
Q
  1. Was geschieht mit einem zulässigen Vorbehalt, gegen den ein anderer Staat protestiert hat? (5 Punkte)
A

Während ein zulässiger, unwidersprochener (oder ausdrücklich angenommener) Vorbehalt dazu führt, dass der Vertragsinhalt im Sinne des Vorbehalts geändert wird, führt ein Widerspruch/ Protest dazu, dass zwischen dem den Vorbehalt erhebenden Staat und dem protestierenden Staat zwar grundsätzlich Vertragsbeziehungen zustande kommen. Allerdings gelangt die Bestimmung, auf die sich der Vorbehalt bezieht, nicht zur Anwendung.

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13
Q
  1. Wie entsteht Völkergewohnheitsrecht? Nennen Sie Beispiele für die einzelnen Elemente (mindestens 4 jeweils) und wichtige Fälle des IGH in diesem Zusammenhang (mindestens 3)! (8 Punkte)
A

Völkergewohnheitsrecht entsteht aus Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung (opinio iuris).

Staatenpraxis manifestiert sich im Handeln von Organen, z.B. in nationalen Gesetzen, Gerichtsentscheidungen, oder im Verhalten von Behörden.

Die Rechtsüberzeugung manifestiert sich häufig in den relevanten Verhaltensformen der Praxis selbst (z.B. den Begründungen von Gerichtsurteilen, Gesetzen, Protestnoten, etc.), kann aber auch implizit zum Ausdruck kommen (z.B. im Ergreifen von Gegenmaßnahmen).

Zu den wichtigsten Fällen des IGH zum Thema Völkergewohnheitsrecht gehören die Nordsee-Festlandsockel-Fälle, der Asyl-Fall, der Durchgangsrecht über indisches Gebiet-Fall und der Lotus-Fall vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof.

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14
Q
  1. Welche Eigenschaften muss Staatenpraxis aufweisen, um für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht relevant zu sein? (3 Punkte)
A

Nach der Rechtsprechung des IGH ist eine ständige und einheitliche Übung erforderlich, die vor allem von jenen Völkerrechtssubjekten praktiziert werden muss, deren Interessen besonders betroffen sind (Asyl-Fall).

Dabei kommt es nicht auf eine besonders lange andauernde, sondern vielmehr auf eine ausgedehnte und gleichförmige Praxis an (Nordsee-Festlandsockel-Fall).

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15
Q
  1. Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile der Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht! (4 Punkte)
A

Die Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht, d.h. die schriftliche Erfassung dieser Normen in der Form völkerrechtlicher Verträge, dient vor allem der Rechtssicherheit, da Unklarheiten und Unschärfen des Völkergewohnheitsrechts vermieden werden können. Gleichzeitig kann das Einfrieren eines Rechtsbestandes zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu führen, dass eine dynamische Weiterentwicklung verhindert wird.

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16
Q
  1. Was ist ein Vorbehalt? (4 Punkte)
A

Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d der Wiener Vertragsrechtskonvention ist ein Vorbehalt „eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern.”

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17
Q
  1. Welche Grundsätze sind bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge zu berücksichtigen? (7 Punkte)
A

Nach der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 sind Verträge nach der objektiven Methode, also primär nach dem Wortlaut und nicht so sehr nach den Intentionen der Vertragsparteien, auszulegen.
Der Wortlaut ist:
(1) nach der gewöhnlichen Bedeutung (Wortinterpretation),
(2) im textlichen Zusammenhang (kontextuelle Interpretation) und
(3) unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrages (teleologische Interpretation) auszulegen.

Auf die Materialien (travaux préparatoires) darf nur zurückgegriffen werden, wenn die objektive Vertragsauslegung zu keinem oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führen würde.

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18
Q
  1. Was ist die International Law Commission? (3 Punkte)
A

Die International Law Commission ist ein Hilfsorgan der Generalversammlung der Vereinten Nationen, das dieser bei der Kodifikation und progressiven Weiterentwicklung des Völkerrechts hilft.

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19
Q
  1. Wer schließt nach österreichischem Recht völkerrechtliche Verträge? (4 Punkte)
A

Gemäß Artikel 65 B-VG ist der/die Bundespräsidentin für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge zuständig.

Diese Zuständigkeit kann jedoch teilweise delegiert werden. Eine solche Delegation erfolgte für
1. Regierungsabkommen (von ressortübergreifender Bedeutung) an die Bundesregierung,
2. für Ressortabkommen an den zuständigen Ressortminister im Einvernehmen mit dem Außenminister und
3. für Verwaltungsabkommen (mit Verwaltungsverordnungen vergleichbar) an den zuständigen Ressortminister.

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20
Q
  1. Welcher Staat darf für Mehrfachstaatsangehörige diplomatisches Schutzrecht ausüben? (6 Punkte)
A

Die Ausübung des diplomatischen Schutzrechts setzt voraus, dass die Betroffenen sowohl im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses als auch im Zeitpunkt der Ausübung des Schutzrechtes dessen Staatszugehörigkeit besessen haben und besitzen (continuity of claims).

Konflikte, die sich aus Mehrfachstaatsangehörigkeit ergeben, sind nach dem Grundsatz der stärkeren Nahebeziehung (effektive Staatsangehörigkeit, genuine link) zu lösen, d.h. jener Staat, zu dem die stärkste Nahebeziehung besteht, darf für die betreffende Person das diplomatische Schutzrecht ausüben. Strittig ist, ob das diplomatische Schutzrecht auch gegen einen (weiteren) Heimatstaat ausgeübt werden darf.

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21
Q
  1. Erläutern Sie in Kürze die materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in die Vereinten Nationen! (5 Punkte)
A

Die Aufnahme in die Vereinten Nationen ist nur für souveräne Staaten vorgesehen. Diese müssen „friedliebend” und bereit sein, die Verpflichtungen aus der Satzung zu übernehmen. Über den Aufnahmeantrag entscheidet die Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrats.

22
Q
  1. Sind völkerrechtliche Verträge der UdSSR heute für die Russische Föderation verbindlich? Wenn ja bzw. nein, erklären Sie warum! (7 Punkte)
A

Dies hängt primär vom Verhältnis zwischen den beiden Völkerrechtssubjekten UdSSR und Russische
Föderation ab.

Nach der herrschenden Auffassung (und Praxis der Vereinten Nationen) ist die Russische Föderation „Fortsetzerstaat” der UdSSR, d.h. völkerrechtlich teilidentisch. Die Verträge der UdSSR gelten einfach für denselben Staat, der sich territorial verkleinert hat und nun anders heißt, weiter; ebenso sind Mitgliedschaften in internationalen Organisationen zu behandeln.

Folgt man der Mindermeinung einer echten Staatensukzession, so wäre bei sog. radizierten (d.h. gebietsbezogenen) Verträgen eine automatische Übernahme anzunehmen, während politische bzw.
höchstpersönliche Verträge (wie etwa Militärbündnisverträge oder Mitgliedschaften in internationalen Organisationen) nicht automatisch übernommen werden.

23
Q
  1. Wie ist die deutsche Wiedervereinigung aus der Perspektive der Staatensukzession zu beurteilen? (5 Punkte)
A

Die deutsche Wiedervereinigung war ein Beispiel für den Beitritt oder die Inkorporation eines Staates zu einem anderen. Trotz der gängigen Bezeichnung „Wiedervereinigung” handelte es sich nicht um den Zusammenschluss zweier unabhängiger Staaten, daher lag keine Fusion vor. Vielmehr war es nur ein Fall partieller Staatennachfolge: die DDR ging durch Beitritt ihrer Länder zur BRD unter; die BRD besteht als (territorial vergrößertes) Völkerrechtsubjekt weiter.

24
Q
  1. Erklären Sie die Grundsätze der Staatennachfolge in Verträge! (8 Punkte)
A

Da die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge aus 1978 erst nach langer Zeit mit nur wenigen Vertragsparteien in Kraft getreten ist, muss in erster Linie Gewohnheitsrecht zur Lösung herangezogen werden.

Weitgehend unbestritten ist, dass Nachfolgestaaten von ihren Vorgängern sog. radizierte (d.h. gebietsbezogene) Verträge automatisch übernehmen und dass politische bzw. höchstpersönliche Verträge (wie etwa Militärbündnisverträge oder Mitgliedschaften in internationalen Organisationen) nicht automatisch übernommen werden können. Daher ist etwa bei internationalen Organisationen eine Neuaufnahme erforderlich (Achtung: die Russische Föderation wurde als teilidentischer Fortsetzerstaat der UdSSR angesehen und musste daher nicht neu aufgenommen werden). Bei allen anderen völkerrechtlichen Verträgen ist es weniger klar, ob der Grundsatz der tabula rasa (clean slate”) oder jener der automatischen Vertragsfortführung gilt, obwohl die Praxis eher zu letzterer Lösung zu neigen scheint.

25
Q
  1. Welche Bedeutung haben sogenannte radizierte Verträge im Gegensatz zu politischen oder höchstpersönlichen? (7 Punkte)
A

Das Schicksal völkerrechtlicher Verträge im Falle der Staatensukzession ist immer noch gewohnheitsrechtlich festgelegt, da die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge 1978 erst 1996 und nur für einige wenige Staaten in Kraft getreten ist.

Radizierte (d.h. gebietsbezogenen) Verträge gehören zu einer Kategorie, bei der eine automatische Übernahme anzunehmen ist, während politische bzw. höchstpersönliche Verträge (wie etwa Militärbündnisverträge oder Mitgliedschaften in internationalen Organisationen) nicht automatisch übernommen werden.

Im Gabeikovo-Fall hat der IGH den Grundsatz der automatischen Übernahme radizierter Verträge bestätigt.

In der Praxis wurden diese Fragen vor allem durch bilaterale Verträge der Nachfolgestaaten mit Drittstaaten geregelt, wobei immer mehr vom Grundsatz der automatischen Vertragsübernahme ausgegangen wird.

26
Q
  1. Muss ein Nachfolgestaat die Schulden seines Vorgängers übernehmen? (7 Punkte)
A

Die Staatennachfolge von Schulden wird (ähnlich wie die in Vermögen und Archive) in einer Weise geregelt, die einer der Nachfolge in völkerrechtliche Verträge vergleichbar ist. Soweit es sich nicht um gebietsbezogene (sog. radizierte) Schulden handelt, sind sie anteilig von den Nachfolgestaaten zu übernehmen. Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Übernahmepflicht besteht wohl für sog. dettes odieuses, verhasste oder verabscheuungswürdige Schulden, die zum Nachteil (etwa zur Verhinderung der Unabhängigkeit) des Nachfolgestaates eingegangen worden sind. Diese müssen nicht übernommen werden.

27
Q
  1. Sind völkerrechtliche Verträge des ehemaligen Jugoslawien heute für Slowenien und Serbien verbindlich? Wenn ja bzw. nein, erklären Sie warum! (8 Punkte)
A

Dies hängt primär vom Verhältnis zwischen den Völkerrechtssubjekten ehemaliges Jugoslawien und Slowenien bzw. Serbien ab. Nach der herrschenden Auffassung - und Praxis der Vereinten Nationen - ist das ehemalige Jugoslawien durch Dismembratio untergegangen und Slowenien und Serbien sind Nachfolgestaaten. Die von Serbien bis 2000 vertretene Auffassung, dass es völkerrechtlich teilidentisch mit dem ehemaligen Jugoslawien gewesen sei, wurde aufgegeben. Wäre die Kontinuitäts-/Identitätsthese - ähnlich wie im Fall UdSSR/Russische Föderation - anerkannt worden, so wäre klar, dass die jugoslawischen Verträge prinzipiell alle für Serbien weitergelten.

Im Fall einer Staatensukzession ist nach Vertragstypen zu unterscheiden: bei sog. radizierten (dh gebietsbezogenen) Verträgen ist eine automatische Übernahme anzunehmen, während politische bzw.
höchstpersönliche Verträge (wie etwa Militärbündnisverträge oder Mitgliedschaften in internationalen Organisationen) nicht automatisch übernommen werden.

In der Praxis wurden diese Fragen vor allem durch bilaterale Verträge der Nachfolgestaaten mit Drittstaaten geregelt, wobei immer mehr vom Grundsatz der automatischen Vertragsübernahme ausgegangen wird.

28
Q
  1. Welche Grundsätze sind bei der Ausübung des diplomatischen Schutzrechts zu beachten? (8 Punkte)
A
  1. Prinzipiell nur für Staatsangehörige möglich, wobei im Falle der Mehrfachstaatsangehörigkeit der Grundsatz der stärkeren Nahebeziehung (genuine link) ausschlaggebend ist, wohl auch gegenüber einem zweiten Heimatstaat (umstritten).
    
  2. Diese Staatsangehörigkeit muss im Zeitpunkt der Völkerrechtsverletzung durchgängig bis zur
    Geltendmachung des Schutzrechts (continuity of claims) vorliegen.
  3. Vor Ausübung des diplomatischen Schutzrechts müssen die innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft werden (exhaustion of local remedies). Davon kann nur in Fällen klarer
    Aussichtslosigkeit abgesehen werden.
  4. Es besteht kein völkerrechtlicher Anspruch auf diplomatischen Schutz; dieser ist ein Recht des Heimatstaates, auf das auch nur dieser verzichten kann (Problem der Calvo-Klauseln).
29
Q
  1. Erklären Sie folgende Begriffe: (7 Punkte)
    1. Internationale Organisation
    1. universelle internationale Organisation
    1. regionale internationale Organisation
    1. supranationale Organisation
    1. Non-Governmental Organisation
A
  1. Zusammenschluss von Staaten; wird in der Regel durch einen völkerrechtlichen Vertrag gegründet; hat Völkerrechtssubjektivität
  2. eine IO, die für alle Staaten der Welt offen ist
  3. eine IO, die nur einer bestimmten, meist regional definierten Gruppe von Staaten offensteht
  4. eine IO, der die Mitgliedstaaten besonders weitreichende Befugnisse übertragen haben; diese umfassen verbindliche Mehrheitsbeschlüsse und die Möglichkeit einer effektiven Durchsetzung dieser Beschlüsse, unabhängig vom staatlichen Recht der Mitgliedstaaten; einen Gerichtshof mit obligatorischer Zuständigkeit, der auch Individuen und juristischen Personen offensteht, ein echtes internationales Parlament und eine selbständige Finanzierung der Tätigkeiten der Organisation
  5. eine private Organisation, die auch grenzüberschreitend organisiert sein kann, und der Förderung bestimmter Ziele dient (zB Menschenrechtsschutz, Umweltschutz)
30
Q
  1. Wie fassen internationale Organisationen Beschlüsse? Geben Sie Beispiele! (8 Punkte)
A

In den meisten internationalen Organisationen gilt der Grundsatz „Ein Staat, eine Stimme”. Vor allem in den Finanzorganisationen (z.B. Weltbank, Internationaler Währungsfonds) werden jedoch Stimmen nach der Einlage (der Beteiligung am Grundkapital) berechnet (Stimmwägung). In der EU kommt es zu einer Stimmwägung nach Größe, Bevölkerungszahl und wirtschaftlicher Bedeutung.

Als Beschlussfassungsformen kommen in Frage:

  1. Einstimmigkeit (z.B. Völkerbund, heute selten),
  2. Mehrstimmigkeit in verschiedener Ausprägung, z.B. einfache Mehrheit aller anwesenden und abstimmenden Mitglieder, Zweidrittelmehrheit aller anwesenden und abstimmenden Mitglieder oder (Zweidrittel-)Mehrheit aller Mitglieder, spezifische Quoren (z.B.: neun der 15 Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, gekoppelt mit dem Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder),
  3. Konsensus: Annahme eines Beschlusses ohne formelle Abstimmung durch Verhandlungen bis kein Mitglied mehr Widerstand gegen den Inhalt eines Beschlusses geltend macht (in VN und VN Sonderorganisationen sehr gebräuchlich).
31
Q
  1. Viele internationale Organisationen fassen ihre Beschlüsse nach dem Grundsatz „ein Staat - eine Stimme”. Kennen Sie Ausnahmen von diesem Grundsatz? (6 Punkte)
A

Verschiedene internationale Organisationen bzw. Organe von Organisationen kennen
(1) eine Stimmgewichtung - sei es nach Kapitaleinlagen wie in den Finanzorganisationen (z.B. IBRD, IWF, regionale Entwicklungsbanken) oder
(2) nach politisch -wirtschaftlichen Kriterien (z.B. Stimmgewichtung im Ministerrat der EU).

Daneben gibt es Abweichungen im Abstimmungsmodus, die auf eine stärkere Gewichtung einzelner Mitglieder hindeuten, obwohl auch diese nur eine Stimme haben (z.B.: ständige Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, gegen deren Stimme bestimmte Resolutionen nicht angenommen werden können)

32
Q
  1. Erklären Sie die Grundsätze der Staatenimmunität im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren! (8 Punkte)
A

Staatenimmunität folgt aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit, wonach ein Staat nicht über Akte eines anderen zu Gericht sitzen darf (par in parem non habet imperium).

Allerdings gilt dieser Grundsatz nicht mehr unumschränkt (absolute Immunität). Vielmehr hat sich in den meisten Staaten die Auffassung durchgesetzt, dass fremde Staaten nur für hoheitliche Akte Immunität genießen sollen (relative Immunität).

Dies setzt eine Unterscheidung zwischen hoheitlichen und nicht hoheitlichen Akten (iure gestionis/iure imperii) voraus, wobei vorwiegend auf die Natur des staatlichen Handelns und nicht auf seinen Zweck abgestellt wird.

In einigen Staaten gewähren Gerichte auch Ausnahmen von der Immunität für deliktisches Verhalten im Forumstaat sowie für ius cogens-Verletzungen.

Etwas andere Grundsätze gelten im Bereich der Vollstreckungsimmunität. Immunität wird idR ausländischem, hoheitlichem Vermögen gewährt, wobei diese Charakterisierung primär von der Zweckbestimmung des Vermögens abhängt.

33
Q
  1. Der Staat Splendesta hält seine Botschaftsräume in Wien nicht mehr für repräsentativ genug. Er beauftragt einen bekannten Wiener Baumeister mit der Erweiterung und Renovierung der Liegenschaft. Nach Abschluss der Arbeiten weigert sich Splendesta die ausstehenden Rechnungen zu begleichen.
    Der Baumeister wendet sich an Sie um Rat:

a) Kann er Splendesta vor österreichischen Gerichten klagen? (4 Punkte)

b) Gibt es Alternativen zur gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen? (1Punkt)

c) Sind uU errungene Entscheidungen vor österreichischen Gerichten auch zwangsweise vollstreckbar? (2 Punkte)

A

a) Die Staatenimmunität von der Gerichtsbarkeit ist das Hauptproblem. Nach dem Grundsatz par in parem non habet imperium kann ein Staat prinzipiell nicht über einen anderen zu Gericht sitzen. Allerdings folgt Österreich der modernen relativen oder restriktiven Immunitätstheorie, wonach für acta iure gestionis, kommerzielle, oder privatwirtschaftliche Akte (im Gegensatz zu acta iure imperii oder hoheitlichen Akten) keine Immunität gewährt wird. Die Renovierungsbeauftragung durch zivilrechtlichen Vertrag ist eine Tätigkeit, die Private auch durchführen können, und daher nach der Natur der Handlung als iure gestionis
Handlung zu werten ist, die keinen Immunitätsschutz, erhält.

b) Sollte er erfolglos bleiben, käme eine Anrufung des österreichischen Außenministeriums mit der Bitte um Ausübung des diplomatischen Schutzrechts in Frage.

c) Im Prinzip ja, allerdings nur gegen Vermögen, das nicht hoheitlichen Zwecken dient. Bei der Immunität im Vollstreckungsverfahren kommt es nicht auf die Natur, sondern auf den Zweck des Vermögens an

34
Q
  1. Erläutern Sie kurz den Kreis der Völkerrechtssubjekte (7 Punkte)
A

Neben den klassischen Völkerrechtssubjekten, den Staaten, haben sich im 20. Jahrhundert internationale Organisationen als Staatenzusammenschlüsse als Völkerrechtssubjekte etabliert. Darüber hinaus sind auch Individuen/Einzelmenschen in bestimmten Bereichen (Menschenrechte/Völkerstrafrecht) als zumindest partielle Völkerrechtssubjekte anerkannt.

Seit einiger Zeit wird auch die Völkerrechtssubjektivität von NGOs und transnationalen Wirtschaftsunternehmen diskutiert.

35
Q
  1. Was besagt das Clean slate- oder Tabula rasa-Prinzip? Entspricht es dem geltenden Völkerecht? (6 Punkte)
A

Nach diesem Grundsatz muss ein Staat im Falle einer Staatensukzession weder die Verträge noch die Schulden seines Vorgängers übernehmen. Vielmehr beginnt er zur Gänze bei „null”. Dieses Prinzip wurde vor allem von unabhängig gewordenen Kolonien vertreten und dürfte nicht der herrschenden Praxis entsprechen.
Allerdings geht die Praxis im Bereich sogenannter höchstpersönlicher oder politischer Verträge auch von einer Nichtübernahme aus.

36
Q
  1. Angesichts wachsender Spannungen in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen wird im Sicherheitsrat eine Resolution zur Entsendung von friedenserhaltenden (peacekeeping)
    Truppen vorbereitet. Nach einer kontroversen Debatte über die Satzungskonformität einer solchen Maßnahme stimmen 10 der 15 Mitglieder des Sicherheitsrates für die Entsendung.
    Dagegen stimmen: Brasilien, Vietnam und Iran; China und Nigeria enthalten sich der Stimme.
    Ist die friedenserhaltende Maßnahme rechtswirksam zustande gekommen? (10 Punkte)
A

Hier sind zwei Probleme zu unterscheiden: a) ein materiell- und b) ein verfahrensrechtliches:

a) Friedenserhaltende Maßnahmen der Vereinten Nationen werden, obwohl sie nicht ausdrücklich in der Satzung erwähnt sind, aufgrund der „Implied powers*-Lehre als zulässig erachtet. Danach hat eine Organisation nicht nur jene Befugnisse, die ihr ausdrücklich verliehen wurden, sondern auch jene, die notwendig sind, um ihre Aufgaben in effektiver Weise zu erfüllen. Friedenserhaltende Maßnahmen der Vereinten Nationen dienen der Bewahrung von Frieden und Sicherheit, einem der Ziele und Zwecke der Vereinten Nationen.

b) Für einen rechtsgültigen Beschluss des Sicherheitsrats sind 9 der 15 Stimmen erforderlich. Dabei haben die fünf ständigen Mitglieder (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA) ein Vetorecht. Bloße Stimmenthaltung verhindert allerdings nicht das Zustandekommen eines Beschlusses.

Die Resolution zur Entsendung von friedenserhaltenden Truppen ist daher rechtswirksam zustande gekommen.

37
Q
  1. Das an natürlichen Ressourcen reiche Entwicklungsland Florestan enteignet durch Regierungsdekret die Erdölförderanlagen des Konzerns Prospero, der in Juridica zwar nicht registriert ist, allerdings seinen Verwaltungssitz hat. Eine Beschwerde gegen diese Maßnahme scheitert vor den zuständigen Gerichten Florestans so eindeutig, dass Prospero ein Rechtsmittel beim dortigen Höchstgericht gar nicht einlegt.
    a) Kann Juridica das diplomatische Schutzrecht für Prospero ausüben? Welcher Aspekt scheint besonders problematisch? (6 Punkte)
    
    b) Welches völkerrechtliche Problem könnte einer erfolgreichen Klagsführung von Prospero gegen Florestan vor den Gerichten Juridicas entgegenstehen? (4 Punkte)
A

Antwort a)
Prinzipiell ist die Ausübung des diplomatischen Schutzrechts nur für eigene Staatsangehörige möglich, wobei im Falle juristischer Personen entweder die Inkorporation/Registrierung oder der Gesellschafts-/Verwaltungssitz ausschlaggebend ist. Obwohl hier nur eine Alternative erfüllt ist, reicht dies aus.

Die Staatsangehörigkeit muss im Zeitpunkt der Völkerrechtsverletzung durchgängig bis zur Geltendmachung des Schutzrechts (continuity of claims) vorliegen.

Es besteht kein subjektiver Anspruch auf diplomatischen Schutz; dieser ist ein Recht des Heimatstaates, das dieser geltend macht, indem er den Anspruch zu seinem eigenen macht (espousal of claims) und auf das auch nur dieser verzichten kann.

Im gegebenen Zusammenhang ist die Erfüllung der Voraussetzung der Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe (exhaustion of local remedies) am problematischsten. Eine völkerrechtlich akzeptierte Einschränkung dieses Grundsatzes gibt es nur in Fällen, in denen eine solche Erschöpfung aussichtslos ist.

Dies könnte der Fall sein, wenn ein Höchstgericht nur eine eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeit besitzt.

Antwort b)
Einer erfolgreichen Klagsführung vor den nationalen Gerichten Juridicas wird die Einrede der Staatenimmunität entgegenstehen. Die Staatenimmunität folgt aus dem Grundsatz, der souveränen Gleichheit, wonach ein Staat nicht über Akte eines anderen zu Gericht sitzen darf (par in parem non habet imperium).

Allerdings gilt dieser Grundsatz nicht mehr unumschränkt (absolute Immunität). Vielmehr hat sich in den meisten Staaten die Auffassung durchgesetzt, dass fremde Staaten nur für hoheitliche Akte Immunität genießen sollen (relative Immunität).

Dies setzt eine Unterscheidung zwischen hoheitlichen und nicht-hoheitlichen Akten (iure gestionis/iure imperii) voraus, wobei vorwiegend auf die Natur des staatlichen Handelns und nicht auf seinen Zweck abgestellt wird. Enteignungen zählen zu den klassischen hoheitlichen Staatsakten.

38
Q
  1. Wodurch unterscheiden sich NGOs von internationalen Organisationen? (4 Punkte)
A

Internationale Organisationen und NGOs unterscheiden sich sowohl hinsichtlich ihrer Mitglieder als auch hinsichtlich ihrer Rechtsgrundlage. Internationale Organisationen sind auf völkerrechtlichen Vereinbarungen beruhende Zusammenschlüsse von Staaten. NGOs hingegen sind private Organisationen, welche oft grenzüberschreitend organisiert sind und der Förderung bestimmter völkerrechtlich relevanter Ziele (z.B. Menschenrechtsschutz, Umweltschutz) dienen.

39
Q
  1. Nennen Sie die wichtigsten Verfahren zur friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten. Welches Erfordernis haben diese Verfahren gemeinsam? Worin bestehen die beiden wichtigsten Unterschiede zwischen Gerichts- und Schiedsgerichts- und den übrigen Verfahren? (8 Punkte)
A

Im Völkerrecht anerkannte Methoden der friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten sind Verhandlungen, Gute Dienste, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich/ Ausgleich/Schlichtung und gerichtliche oder schiedsgerichtliche Verfahren. Die Einleitung all dieser Verfahren bedarf der Zustimmung aller Beteiligten. Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren führen zu einem rechtsverbindlichen Ergebnis, während die Ergebnisse der anderen Verfahren von den Streitparteien angenommen werden müssen. Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren führen idR zu einer Streitbeilegung auf der Grundlage des Völkerrechts, während die anderen Verfahren nicht daran gebunden sind.

40
Q
  1. Unter welchen Voraussetzungen ist die Anwendung militärischer Gewalt zulässig? (8 Punkte)
A

Das in Artikel 2 Abs 4 der Satzung der VN normierte Gewaltverbot enthält im Wesentlichen nur zwei Ausnahmen:
 a) Selbstverteidigung und
b) Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats.

Ad a): Artikel 51 der VN Satzung gestattet die individuelle und kollektive Selbstverteidigung, sofern ein bewaffneter Angriff erfolgt. Bei unmittelbar bevorstehenden Angriffen dürfte auch Präventivnotwehr zulässig sein - obwohl dies zu den strittigsten Fragen des Völkerrechts gehört. In jedem Fall sind die Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einzuhalten.

Ad b): Der Sicherheitsrat kann nach Kapitel VII SVN bei Vorliegen einer Bedrohung des Weltfriedens nicht-militärische und militärische Zwangsmaßnahmen beschließen.

41
Q
  1. Nennen Sie die wichtigsten Instrumente zum Schutz der Menschenrechte! (6 Punkte)
A

Zu den wichtigsten universellen Dokumenten gehören
- die an eine UN-Generalversammlungsresolution angeschlossene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948,
- die beiden VN Menschenrechtspakte 1966,
- die Völkermordkonvention 1948,
- die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau 1979,
- die Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe 1984 und
- die Konvention über die Rechte des Kindes 1989.

Auch auf regionaler Ebene gibt es eine Reihe wichtiger völkerrechtlicher Verträge wie etwa die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 1950.

42
Q
  1. Unter welchen Voraussetzungen ist der IGH zur Entscheidung über zwischenstaatliche Streitigkeiten zuständig? (5 Punkte)
A

Auch die Zuständigkeit des IGH - wie jene von internationalen Streitbeilegungsinstitutionen generell - hängt von der Zustimmung der Streitparteien ab. Diese kann in einem konkreten bestehenden Streitfall durch einen sog. Kompromiss vereinbart werden. Sie kann ferner für künftige Streitigkeiten durch die Aufnahme der kompromissarischen Klausel in einen völkerrechtlichen Vertrag oder den Abschluss eines allgemeinen Streitbeilegungsvertrags erfolgen; darüber hinaus kann die Zuständigkeit des IGH auch durch einseitige Erklärung vorgesehen werden (Fakultativklausel nach Art 36 Abs 2 IGH Statut, wonach sich ein Staat der IGH-Jurisdiktion für alle Rechtstreitigkeiten mit einem anderen Staat unterwirft, der dieselbe Verpflichtung übernimmt).

43
Q
  1. Nach zwanzig Jahren guter diplomatischer und enger wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Absurdistan und Grotesca beruft Grotesca ohne jede Vorwarnung seinen Botschafter aus Absurdistan ab und erklärt zwei Wochen später die diplomatischen Beziehungen zu Absurdistan für beendet, weil sich in der Presse des Empfangsstaats „absurde” Verleumdungen Grotescas mehren. Absurdistan möchte Grotesca für diese Verletzung des Grundsatzes der friedlichen Zusammenarbeit durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen verantwortlich machen. Geben Sie eine Einschätzung der Erfolgsaussichten für Absurdistan! (5 Punkte)
A

Die Aufnahme und Beendigung diplomatischer Beziehungen steht im alleinigen politischen Ermessen der beteiligten Staaten. Ein Abbruch diplomatischer Beziehungen ist daher als Retorsion, d.h. als unfreundlicher, aber nicht völkerrechtswidriger Akt zu werten. Er führt nicht zu völkerrechtlicher Verantwortlichkeit.
Absurdistan wird daher keine rechtlichen Möglichkeiten haben, gegen Grotesca vorzugehen.

44
Q
  1. Nachdem ein gemeinsames Kraftwerksprojekt entlang eines Grenzflusses scheitert, droht Imperio seinem Nachbarstaat Pacifica mit der Enteignung pacificanischer Staatsangehöriger sowie mit der militärischen Besetzung des teilweise auf pacificanischem Territorium gelegenen Kraftwerksgebiets, um eine effektive Durchführung des ursprünglichen Plans zu gewährleisten. Beurteilen Sie diese Ankündigung nach völkerrechtlichen Grundsätzen! (6 Punkte)
A

Das in Art 2 Abs 4 der Satzung der Vereinten Nationen verankerte, allgemeine Gewaltverbot untersagt nicht nur die tatsächliche Anwendung, sondern auch die Androhung von Gewalt.
Nach Völkergewohnheitsrecht darf ein Staat das Vermögen fremder Staatsangehöriger nur im öffentlichen Interesse, nicht-diskriminierend und gegen Entschädigung enteignen. Eine konfiskatorische Enteignung als politisches Druckmittel ist unzulässig.

45
Q
  1. Erläutern Sie die konstitutiven Elemente der Staatenverantwortlichkeit! (7 Punkte)
A

Staatenverantwortlichkeit resultiert aus
a) einer Völkerrechtsverletzung, die
b) einem Staat zurechenbar ist.

Die Rechtsverletzung kann in einem Tun oder Unterlassen bestehen. Grundsätzlich sind die Akte aller staatlichen Organe zurechenbar (Verwaltung, Gerichtsbarkeit oder Gesetzgebung).

46
Q
  1. Für die Handlung welcher Personen kann die Republik Österreich völkerrechtlich verantwortlich werden? (7 Punkte)
    
    - 1. Demonstranten, die eine ausländische Botschaft attackieren
    - 2. Bezirksgericht Innere Stadt
    - 3. OGH
    - 4. Bundesrat
    - 5. Polizist
    - 6. Bundesland Kärnten
    - 7. Gemeinde Wien
    - 8. Verfassungsgerichtshof
    - 9. Botschafter in Washington
    - 10. Soldaten im Grenzeinsatz
    - 11. Justizministerin
    - 12. Außenminister
    - 13. Bundespräsidenten
    - 14. Zollwachebeamten
A

Nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit haftet ein Staat für alle seine Organe gleichgültig, ob sie der Rechtsetzung, der Justiz oder der Vollziehung zuzurechnen sind. Die Genannten sind mit Ausnahme der Demonstranten alle Staatsorgane. Für Demonstranten haftet ein Staat nicht, außer er billigt ihre Handlungen oder er kommt seiner Schutzpflicht gegenüber einer ausländischen Botschaft nicht sorgsam nach.

47
Q
  1. Welche Rechtsfertigungsgründe gibt es im Bereich der Staatenverantwortlichkeit? (7 Punkte)
A

Die von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen kodifizierten gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrunde sind:

   a) Zustimmung        b) Notwehr        c) Gegenmaßnahmen        d) Höhere Gewalt        e) Notlage
   f) Notstand
48
Q
  1. Welche Verpflichtungen treffen einen verletzenden Staat bei Staatenverantwortlichkeit? (3 Punkte)
A

- Beendigung des Unrechts
- Wiedergutmachung
- Garantie der Nichtwiederholung

49
Q
  1. Welche Formen kann die Wiedergutmachung haben? (3 Punkte)
A
  • Wiederherstellung des früheren Zustandes bzw. restitutio in integrum
  • Schadenersatz (damnum emergens und lucrum cessans)
  • Genugtuung bzw. eine formelle Entschuldigung bei Abwesenheit materieller Schäden
50
Q
  1. Welche Besonderheiten sind im Falle einer schwerwiegenden Verletzung einer Verpflichtung mit ius-cogens-Charakter zu beachten? ( 1 Punkt)
A

Kein Staat darf die Ergebnisse des Unrechts anerkennen, und alle Staaten müssen zur Beseitigung des Unrechts beitragen.