Völkerrecht - Skript - Fragen Flashcards
- Was charakterisiert das Völkerrecht als eine horizontale Rechtsordnung? (5 Punkte)
Das Fehlen eines Subordinationsverhältnisses (im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht) ist charakteristisch für das auf Gleichordnung seiner primären Rechtssubjekte der souveränen Staaten ausgerichtete System des Völkerrechts. Es zeichnet sich als Koordinationsrechtsordung daher durch einen Mangel an zentralen Rechtssetzungs-, Rechtsprechung- und Rechtsdurchsetzungsorganen aus.
- Sind Gerichtsentscheidungen Völkerrechtsquellen? (4 Punkte)
Der „Völkerrechtskatalog” des Artikels 38 IGH Statut unterscheidet zwischen Rechtsquellen im eigentlichen Sinne und „Hilfsmitteln zur Feststellung der Rechtsnormen” (Rechtserkenntnisquellen), wozu neben der Lehre auch die Judikatur gezählt wird. In der Praxis genießen die Urteile des IGH und mancher anderer internationaler Streitbeilegungsinstanzen so hohe Autorität, dass man schon fast von Case-law sprechen kann.
Auch Entscheidungen nationaler Gerichte können als Rechtserkenntnisquellen angesehen werden.
- Was versteht man unter der Ratifikation eines Vertrages? (3 Punkte)
Die Ratifikation eines Vertrages ist die förmliche Erklärung des Staates, mit der er zustimmt, an einen Vertrag gebunden zu sein (Art 14 WVK). Sie erfolgt in der Regel durch das Staatsoberhaupt nach Zustimmung des Gesetzgebers und ist nur beim zusammengesetzten Verfahren notwendig.
- Findet die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) aus 1969 auf die folgenden Verträge
Anwendung? (5 Punkte)
Die WVK ist für China am 3. September 1997 und für Malaysia am 27. Juli 1994, für Österreich am 27. Jänner 1980 und für Deutschland am 21. Juli 1987 in Kraft getreten.
a) die Genfer Flüchtlingskonvention (1951)
b) einen mündlichen Vertrag zwischen China und Malaysia aus 1983
c) einen mündlichen Vertrag zwischen China und Malaysia aus 2005
d) einen schriftlichen Vertrag zwischen Österreich und Deutschland aus dem Jahr 1985
e) einen schriftlichen Vertrag zwischen Österreich und Deutschland aus dem Jahr 2011
a) Nein, weil vor Inkrafttreten der WVK abgeschlossen.
b) Nein, weil ein mündlicher Vertrag.
c) Nein, weil ein mündlicher Vertrag.
d) Nein, weil vor Inkrafttreten der WVK abgeschlossen.
e) Ja, schriftlicher Vertrag zwischen zwei Staaten, der nach Inkrafttreten der WVK für diese Staaten abgeschlossen wurde.
- Wer ist kompetent, völkerrechtliche Verträge ohne gesonderte Vollmacht abzuschließen?
(4 Punkte)
Gemäß einer widerlegbaren Vermutung in Art. 7 WVK gelten folgende staatliche Organe als zur Vornahme aller Akte des Vertragsabschlusses berechtigt:
1. Staatsoberhaupt,
2. Regierungschef,
3. Außenminister.
- Wann ist ein Vorbehalt zu einem Vertrag zulässig? (6 Punkte)
Nach den Regeln der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 ist ein Vorbehalt zu einem Vertrag dann zulässig,
- wenn er nicht im Vertrag verboten wird,
- wenn er nicht zu jenen Vorbehalten gehört, die im jeweiligen Vertrag ausdrücklich verboten sind, oder,
- wenn der Vertrag nichts darüber aussagt, er nicht gegen Ziel und Zweck des Vertrages verstößt
(Art 19 WVK).
- Welche völkerrechtlichen Verträge sind als Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht
anzusehen? (5 Punkte)
Zu den wichtigsten Konventionen, die Völkergewohnheitsrecht kodifizieren gehören:
- die Wiener Vertragsrechtkonvention 1969,
- die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge 1978,
- die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Staatsvermögen, -archive und -schulden 1983,
- das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen 1982,
- die Wiener Diplomatenrechtskonvention 1961,
- die Wiener Konsularrechtskonvention 1963.
- Auf welche Verträge finden die Vorschriften der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969
Anwendung? (4 Punkte)
Die WVK findet nur auf:
1. schriftliche,
2. zwischenstaatliche,
3. nach dem Inkrafttreten der WVK im Jahre 1980 abgeschlossene Verträge Anwendung.
- Nennen Sie die wichtigsten materiellen Willensmängel im völkerrechtlichen Vertragsrecht!
(5 Punkte)
Materielle Willensmängel beeinträchtigen den Willen eines Staates beim Vertragsabschluss.
Nach der Wiener Vertragsrechtkonvention 1969 gehören:
- Irrtum und Betrug,
- Zwang gegen einen Staat,
- Zwang gegen einen Staatenvertreter und
- Bestechung eines Staatenvertreters
zu den materiellen Willensmängeln.
- Wie ermittelt man allgemeine Rechtsgrundsätze? (3 Punkte)
Allgemeine Rechtsgrundsätze sind Prinzipien, die den nationalen Rechtsordnungen aller Staaten gemeinsam sind; sie werden daher in der Praxis durch Rechtsvergleichung der wichtigsten Rechtskreise ermittelt.
- Nennen Sie fünf Beispiele für allgemeine Rechtsgrundsätze und erklären Sie vor welchen internationalen Gerichten bzw. Tribunalen diese Rechtsquelle des Völkerrechts besondere Bedeutung gewonnen hat! (7 Punkte)
- Verbot des venire contra factum proprium (estoppel)
- res judicata
- lis pendens
- Verpflichtung zu Schadenersatz, . Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung
- Verzugszinsen
- Verjährung von Forderungen
- Verbot des Rechtsmissbrauchs
Der EuGH hat für seine Grundrechtsjudikatur seit den 1970er Jahren auf allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgegriffen, da die ursprünglichen Gründungsverträge der Europäischen Union keinen
Grundrechtskatalog enthielten und die EU nicht Vertragspartei der EMRK war.
Auch der IGH hat etwa in Tremple of Preah Vihear auf estoppel zurückgegriffen.
- Was geschieht mit einem zulässigen Vorbehalt, gegen den ein anderer Staat protestiert hat? (5 Punkte)
Während ein zulässiger, unwidersprochener (oder ausdrücklich angenommener) Vorbehalt dazu führt, dass der Vertragsinhalt im Sinne des Vorbehalts geändert wird, führt ein Widerspruch/ Protest dazu, dass zwischen dem den Vorbehalt erhebenden Staat und dem protestierenden Staat zwar grundsätzlich Vertragsbeziehungen zustande kommen. Allerdings gelangt die Bestimmung, auf die sich der Vorbehalt bezieht, nicht zur Anwendung.
- Wie entsteht Völkergewohnheitsrecht? Nennen Sie Beispiele für die einzelnen Elemente (mindestens 4 jeweils) und wichtige Fälle des IGH in diesem Zusammenhang (mindestens 3)! (8 Punkte)
Völkergewohnheitsrecht entsteht aus Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung (opinio iuris).
Staatenpraxis manifestiert sich im Handeln von Organen, z.B. in nationalen Gesetzen, Gerichtsentscheidungen, oder im Verhalten von Behörden.
Die Rechtsüberzeugung manifestiert sich häufig in den relevanten Verhaltensformen der Praxis selbst (z.B. den Begründungen von Gerichtsurteilen, Gesetzen, Protestnoten, etc.), kann aber auch implizit zum Ausdruck kommen (z.B. im Ergreifen von Gegenmaßnahmen).
Zu den wichtigsten Fällen des IGH zum Thema Völkergewohnheitsrecht gehören die Nordsee-Festlandsockel-Fälle, der Asyl-Fall, der Durchgangsrecht über indisches Gebiet-Fall und der Lotus-Fall vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof.
- Welche Eigenschaften muss Staatenpraxis aufweisen, um für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht relevant zu sein? (3 Punkte)
Nach der Rechtsprechung des IGH ist eine ständige und einheitliche Übung erforderlich, die vor allem von jenen Völkerrechtssubjekten praktiziert werden muss, deren Interessen besonders betroffen sind (Asyl-Fall).
Dabei kommt es nicht auf eine besonders lange andauernde, sondern vielmehr auf eine ausgedehnte und gleichförmige Praxis an (Nordsee-Festlandsockel-Fall).
- Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile der Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht! (4 Punkte)
Die Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht, d.h. die schriftliche Erfassung dieser Normen in der Form völkerrechtlicher Verträge, dient vor allem der Rechtssicherheit, da Unklarheiten und Unschärfen des Völkergewohnheitsrechts vermieden werden können. Gleichzeitig kann das Einfrieren eines Rechtsbestandes zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu führen, dass eine dynamische Weiterentwicklung verhindert wird.
- Was ist ein Vorbehalt? (4 Punkte)
Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d der Wiener Vertragsrechtskonvention ist ein Vorbehalt „eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern.”
- Welche Grundsätze sind bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge zu berücksichtigen? (7 Punkte)
Nach der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 sind Verträge nach der objektiven Methode, also primär nach dem Wortlaut und nicht so sehr nach den Intentionen der Vertragsparteien, auszulegen.
Der Wortlaut ist:
(1) nach der gewöhnlichen Bedeutung (Wortinterpretation),
(2) im textlichen Zusammenhang (kontextuelle Interpretation) und
(3) unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrages (teleologische Interpretation) auszulegen.
Auf die Materialien (travaux préparatoires) darf nur zurückgegriffen werden, wenn die objektive Vertragsauslegung zu keinem oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führen würde.
- Was ist die International Law Commission? (3 Punkte)
Die International Law Commission ist ein Hilfsorgan der Generalversammlung der Vereinten Nationen, das dieser bei der Kodifikation und progressiven Weiterentwicklung des Völkerrechts hilft.
- Wer schließt nach österreichischem Recht völkerrechtliche Verträge? (4 Punkte)
Gemäß Artikel 65 B-VG ist der/die Bundespräsidentin für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge zuständig.
Diese Zuständigkeit kann jedoch teilweise delegiert werden. Eine solche Delegation erfolgte für
1. Regierungsabkommen (von ressortübergreifender Bedeutung) an die Bundesregierung,
2. für Ressortabkommen an den zuständigen Ressortminister im Einvernehmen mit dem Außenminister und
3. für Verwaltungsabkommen (mit Verwaltungsverordnungen vergleichbar) an den zuständigen Ressortminister.
- Welcher Staat darf für Mehrfachstaatsangehörige diplomatisches Schutzrecht ausüben? (6 Punkte)
Die Ausübung des diplomatischen Schutzrechts setzt voraus, dass die Betroffenen sowohl im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses als auch im Zeitpunkt der Ausübung des Schutzrechtes dessen Staatszugehörigkeit besessen haben und besitzen (continuity of claims).
Konflikte, die sich aus Mehrfachstaatsangehörigkeit ergeben, sind nach dem Grundsatz der stärkeren Nahebeziehung (effektive Staatsangehörigkeit, genuine link) zu lösen, d.h. jener Staat, zu dem die stärkste Nahebeziehung besteht, darf für die betreffende Person das diplomatische Schutzrecht ausüben. Strittig ist, ob das diplomatische Schutzrecht auch gegen einen (weiteren) Heimatstaat ausgeübt werden darf.