9. Populäre Religion in der Song- und Ming-Zeit (10.–17. Jh.) Flashcards

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Q
  1. Historische Quellenlage
A

In der Song-Dynastie (960-1279) entwickeln Gelehrte ein wachsendes Interesse an der religiösen Praxis der breiten Bevölkerung. Nicht nur aus verwaltungstechnischen Interesse der Lokalverwaltung am Leben der Menschen. Auch ein quasi anthropo-logisches Interesse am regionalen Brauchtum.
frühe historische Quelle insbesondere das Yijian zhi 夷堅志 (1198) von Hong Mai 洪邁 (1123–1202), die “Die Aufzeichnungen des Yijian”, zu erwähnen. Sammlung von Anekdoten und Begebenheiten aus dem religiösen Leben seiner Zeitgenossen.

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Q
  1. Wichtige Aspekte „populärer Religion“ seit der Song-Zeit
A
  • Direkter Kontakt zwischen Praktizierenden und Gottheiten
  • Soziales/altruistisches Engagement
    Direkter Kontakt zwischen Laien und Gottheiten bedeutet u.a.:
  • Rezitation von “Wirkformeln”, dhāranī, zhou 咒 u.ä. zur Anrufung von Schutzgottheiten usw., zwecks Wunschgewährung (Gesundheit, männlicher Nachwuchs, Prosperität der Familie etc.)
  • Buchkult, Glaube an magische Wirksamkeit von buddhistischen und daoistischen Texten
  • Bitte um Beistand von Guanyin 觀音 (d.h. die seit dieser Zeit populäre feminisierte Form des Bodhisattva Avalokiteśvara als Gottheit des universalen Mitgefühls)
  • Anrufung des Buddha Amitābha, Hoffnung auf Erlösung im “Reinen Land”
  • Ritualpraxis (Dienstleistungsangebote des Klerus)
    Soziales/altruistisches Engagement bedeutet u.a.:
  • Sammeln von “Verdiensten” gongde 功德 (Skt. puṇya) durch eine tägliche Routine “guter Werke” shan shi 善事
  • Pflege von “Verdienst-Feldern”, futian 福田, karmisch wirksam durch:
  • Spenden an Klöster und Almosengabe
  • Fürsorge für Kranke und Mittellose
  • Teilnahme an Aktivitäten zur Instandhaltung und Verbesserung von Infrastruktur
  • Systematischer Pflege tabellarischer Verzeichnisse erworbener Verdienste, eine
    Praxis, die vor allem in der späteren Ming-Zeit (ab 16. Jh.) große Verbreitung findet

Dabei stehen im Vordergrund insbesondere die synkretistische Vermittlung von buddhistischen, daoistischen und konfuzianischen Vorstellungen u.a. in “Moralschriften”. Texte dieser Gattung sind ebenfalls relevante Quellen, die Aufschluss geben zu Aspekten der:
- Übertragung der karmisch erworbenen Verdienste durch buddhistische “Bußrituale” huixiang 回向 (Skt: parināmaṇā)
- Pflege eines Familienethos
- Bildung von Clubs zum Erfahrungsaustausch in Fragen der moralischen Lebensführung
- kasuistische und situationistische Moralauffassungen, Moralpragmatik

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3
Q
  1. Organisationsformen der Laienpraxis
A
  • Von Klöstern organisierte Versammlungen, Rituale für Laien
  • Regelmäßige “Reines-Land-Versammlungen”,
  • Laienfrömmigkeit
  • Gemeinsame Sūtrenrezitation

Zusammenfassend kann man sagen, dass die unterschiedlichen Formationen (lokaler und persönlicher) populärer Religionspraxis vor allem durch ritualmagische, utilitaristische und oft zugleich familienspezifische Orientierungen geprägt sind. Zu den vorrangigen Heils- und Glückszielen insbesondere der buddhistischen Laienpraxis gehören u.a.:
- dem Wohlergehen der anderen Lebewesen dienen (universales Mitgefühl)
- Hoffnung auf Genesung von Krankheit
- Wunsch nach langem Leben und Prosperität
- Vermeidung von Kinderlosigkeit
- Vermeidung unverdienter Strafe
- Belohnung der Nachfahren etwa durch hohes Ansehen, Reichtum, Karriere,
männlichem Nachwuchs etc.

Hierbei fällt auch auf, dass traditionelle Normen und Wertvorstellungen übernommen werden, die außerhalb der eigentlichen buddhistischen Heilsziele liegen (bspw. Kinder- wunsch, Reichtum, soziales Ansehen). Karmische Wirksamkeit erfüllt sich nicht von Wiedergeburt zu Wiedergeburt, sondern in der Aufeinanderfolge der Generationen einer Familie. Insofern könnte von einem „karmischen (innerfamiliären) Generationen- vertrag“ gesprochen werden, da die Eltern für das Wohlergehen ihrer Kinder karmisch mitverantwortlich sind.

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4
Q
  1. Christentum in der späten Ming-Zeit (1368-1644)
A

1637 leben ca. 2000 bekehrte Christen in Fuzhou; wichtige einheimische Quelle über das christliche Gemeindeleben dieser Zeit ist das Lixiu yijian 勵修一鑑, “Der Spiegel zum Ansporn der Selbstveredelung”, verfasst ca. 1635-39 von Li Jiugong 李九功, einem Konvertiten der Jesuitenmission Das Lixiu yijian enthält Berichte von christlicher Praxis aus chinesischer Hand, relativ unabhängig von der Jesuitenmission. Die Textsammlung dient
- der Vermittlung christlicher Lehre und
- dem Zweck religiöser Erbauung und Übung
Insofern stellt das Lixiu yijian quasi einen autochthonen, d.h. von europäischen kirchlichen Autoritäten durchaus unabhängigen Katechismus dar. Der Text behandelt folgende Themenbereiche:
- Wunderheilungen und Exorzismus (11 Berichte)
- Rettung durch überweltliche Wesen in Katastrophen (9)
- Erscheinung und Eigenschaften von Glücksbringern sowie Textoffenbarungen in
Träumen (4)
- Kurzzeitiger Tod mit Jenseitserfahrung (2)
- Beendigung der Vielehe (1)

In systematischer Hinsicht betrachtet, enthält das Lixiu Yijian christliche Erfolgsgeschichten in China unabhängig vom Wirken ausländischer Missionare. Es vertritt dabei eine Überlegenheit von Jesus Christus und des christlichen Glauben gegenüber bspw. buddhistischen Gottheiten vor allem im Sinne ihrer (magischen) Wirksamkeit (Exorzismus, Jenseitsreise, usw.). Bedeutsam ist die Ablehnung der Vielehe (Monogamie ist eine Voraussetzung für die Taufe). Chinesische christliche Gelehrte werden zugleich als Unterstützer des kaiserlichen Zivilisationsprojekts „unter dem Himmel“ (tianxia 天下) gepriesen. Insofern ähnelt das Lixiu Yijian hinsichtlich der Argumentationsstrategie einerseits der buddhistischen Apologetik, es bedient sich der populären Vorstellungen zum Geisterglauben, Schutzzauber und Eingreifen von Gottheiten in die Schicksalsläufe.

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Q
A
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