Prüfung FS16 Flashcards
(16 cards)
Die Münzprägung hatte im Mittelalter und in der Neuzeit eine zentrale Bedeutung für die Wirtschaft in Europa. Wer hatte die Befugnis zur Münzprägung?
- (1) die Befugnis zur Münzprägung lag im Ausgangspunkt bei den Königen oder dem Kaiser;
⇒ Münzprägungsbefugnis = ius regale; d.h. Königsrecht - (2) im Laufe der Zeit wurde dieses Recht zunehmend von den Kaisern und Königen auf andere, insb. Adelige und später auch Städte übertragen;
→ auch dieser Kreis hatte Befugnis zur Münzprägung
In der mittelalterlichen Rechtslehre, v.a. in der Kanonistik und später bei Nicolas Oresme wurde darauf hingewiesen, dass eine Abwertung der Münze nur unter Mitwirkung der Stände erfolgen dürfte. Was war der Hintergrund dieser Forderung?
- (1) münzprägeberechtigte Obrigkeiten gingen im Laufe der Zeit dazu über, Münzabwertungen einzusetzen, um so den eigenen Aufwand zu finanzieren;
⇒ geschah dadurch, dass alte Münzen für ungültig erklärt wurden und neue Münzen ausgegeben wurden, deren Metallwert niedriger war als der tatsächlich vom Münzberechtigten deklarierte Wert - (2) die so in Umlauf gesetzten Münzen verloren rasch im Verhältnis zu anderen Münzen an Wert;
⇒ auf diese Weise wurde Vermögen der Herrschaftsunterworfenen buchstäblich entwertet; - (3) Beteiligung der Stände sollte sicherstellen, dass die Herrschaftsunterworfenen als Entwertungsbetroffene der faktischen Aushöhlung ihres Vermögens auch zustimmen konnten;
- teilweise (so Oresme) wurde auch vorgetragen, dass Münze als Teil des Landes und seiner Wirtschaft nicht in der Verfügungsmacht des Königs stand, sondern
- dem ganzen Land zustand und deswegen nur unter Mitwirkung des Landes (vertreten durch Städte) Verfügungen zugänglich war
Wie lässt sich erklären, dass im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit die Finanzierung von hoheitlichen Aufgaben von der Geldpolitik mehr und mehr auf die Erhebung von Steuern überging?
- (1) die Münzabwertung führte zu einer massiven Vermögensverschlechterung für alle Herrschaftsunterworfenen und stürzte zudem regelmässig ganze Volkswirtschaften in massive Krisen;
- (2) Steuern belasteten aufgr. der adeligen Abgabeprivilegien einen Teil der Herrschaftsunterworfenen nicht oder nur sehr wenig;
- sie fanden deswegen beim Adel und damit bei der entscheidenden Herrschaftsgruppe Akzeptanz;
- zudem: Steuern belasteten die Volkswirtschaften weniger als Münzabwertungen, weil sie als Grund*- oder *Vermögenssteuer wirtschaftliche Umsätze nicht zwingend teurer machten
Seit dem Spätmittelalter entstanden immer wieder grosse Münzvereine. Was waren Zwecksetzungen und Gelingensvoraussetzungen dieser Verbände?
- (1) Münzvereine (bspw.: Rheinischer Münzverein 1386 - 1537 oder Rappenmünzverbund 1399 - 1584) waren vertragsförmige Übereinkünfte verschiedener Münzberechtigter einer Region, die sich i.d.R. auf eine gemeinsame Münze verständigten;
- (2) Münzvereine dienten dem Zweck, durch die Errichtung einer gemeinsamen Münze
- stabile Währung mit
- gemeinsam festgesetzten Kursen zu begründen und zugleich
- die Transaktionskosten im Warenumsatz zu senken, die durch die Notwendigkeit der Münzkonversion entstanden
- (3) Münzvereine wurden dann erfolgreich, wenn
- alle Partner gleichgerichtete* *währungsbezogene Interessen hatten und deswegen die gemeinsam aufgestellten Währungsregeln nicht unterliefen;
→ war insb. gegeben bei gleichgelagerten Gewerbe- und Handelsaktivitäten; - zudem: politische und allenfalls auch militärische Stärke zur Durchsetzung der Vereinbarungen innerhalb des Vertragsgebiets
- alle Partner gleichgerichtete* *währungsbezogene Interessen hatten und deswegen die gemeinsam aufgestellten Währungsregeln nicht unterliefen;
Das Kapitalgesellschaftsrecht hat eine lange Tradition. Was waren die Hintergründe für die staatliche Gründung von Kolonialgesellschaften?
- (1) Kolonialgesellschaften entstanden im Zusammenhang mit der Kolonialisierung;
- die Erschliessung neuer Regionen war mit einem enormen Investitionsaufwand und hohen Risiken verbunden, auch wenn die zu erwartenden Renditen nicht ganz klein waren;
- (2) regelmässig scheuten staatliche Regierungen das Finanz- und Investitionsrisiko, das durch eine unmittelbare staatliche Erschliessung der Kolonien entstanden wäre;
- stattdessen boten aktienbasierte Kapitalgesellschaften ein nützliches Gefäss um Investitionen Privater zu stimulieren und damit
- Erschliessung Kolonien zu finanzieren
- (3) Staaten statteten Kolonialgesellschaften im Zusammenhang mit dem staatlichen Gründungsakt (Octroi) regelmässig auch mit Hoheitsrechten aus so dass die Gründung schon deswegen eher von staatlicher Seite erfolgen musste;
- zudem: Bestreben, Zahl und Art der Gesellschaften durch den Staat zu kontrollieren und
- durch die staatliche Genehmigung das Vertrauen der Anleger zu steigern
Wie lässt sich der Aufschwung der Kapitalgesellschaft im 19. Jh. erklären?
- im 19. Jh. wuchs im Zusammenhang mit der Industrialisierung der Kapitalbedarf der Industrie und im Transportbereich (Eisenbahnen) enorm an;
- Staatsgewalt war mit der Finanzierung dieser Investition überfordert, Bankkredite im erforderlichen Umfang waren ein extremes Risiko für die betroffenen Finanzdienstleister;
- Kapitalgesellschaften boten sich deswegen als I_nstrument der Kapitalbeschaffung_ und für die Anleger als Instrument der Risikostreuung an
In der Tradition der historischen Rechtsschule entstanden verschiedene Deutungsansätze für die Existenz von Kapitalgesellschaften.
Bitte skizzieren Sie diese Argumentationen.
- (1) romanistische Seite: Friedrich Carl von Savigny (1779 - 1861): Fiktionstheorie:
- Rechtsfähigkeit ist untrennbar mit der Qualität des Menschseins und damit der je individuellen Personalität verbunden;
- nichtmenschliche körperschaftliche Entitäten (so Kapitalgesellschaften) kann diese Rechtsfähigkeit also nicht zukommen;
- Rechtsfähigkeit musste daher bei diesen Verbänden fingiert werden;
- Rechtsmacht für diese Fiktion hatte nur der Staat, was zudem auch dem Interesse des Rechtsverkehrs an der Erkennbarkeit der Rechtsfähigkeit entsprach
- (2) germanistische Seite: Otto Gierke (1841 - 1921) ging von der “Realität” der Verbandspersönlichkeit aus:
- Kapitalgesellschaften waren wie andere menschliche Verbände auch in der Gestalt ihrer Organe und der Handlungen ihrer Organwalter im Rechtsverkehr als Entität präsent;
- es bedurfte daher zur Verleihung der Rechtsfähigkeit keiner staatlichen Fiktion;
- dem Interesse der Rechtssicherheit konnte durch den Eintrag in öffentliche Register entsprochen werden
Zum Ende des 19. Jh. wurde der Zugang zur Börse für Anlegerinnen und Anleger wir auch für Kapitalgesellschaften zum Teil erhelblich erschwert wie etwa in Deutschland. Wie lässt sich das erklären?
- (1) nach 1884 lag das Mindestkapital für Kapitalgesellschaften in Deutschland bei 500’000 RM; zudem wurde durch Regelungen wie das Börsengesetz 1896 der Zugang zum Markt für kleine Anlegerinnen und Anleger erschwert;
- (2) Hintergrund war Krise von 1873:
- in diesem Jahr platzte eine gigantische Spekulationsblase und der weltweite Zusammenbruch der Aktienmärkte bedeutete schwere Belastungen für die betroffenen Volkswirtschaften;
- als Ursach des sog. “Gründerschwindels”* wurde u.a. die sog. *“Börsenspekulation” ausgemacht, die teilweise durch sehr liberale Regelungen über die Gründung und insofern den Zugang von Kapitalgesellschaften entstanden;
- ⇒ restriktive Tendenz für AnlegerInnen (siehe Fragestellung) sollte dem entgegensteuern und ein Stück Anlegerschutz verwirklichen, indem Marktteilnehmer ohne finanzielle Kenntnisse* und mit *geringern Mitteln der Zugang zum Markt verwehrt werden durfte
Zu Beginn des 20. Jh. nimmt die Bildung von Konzernen und Trusts immer mehr zu. Bitte beschreiben Sie die Strukturen von Trusts und Konzernen:
- Trusts und Konzerne lassen sich beschreiben als Verbände von verschiedenen Kapitalgesellschaften,
- die von einer zentralen Gesellschaft (Holding)
- und/oder einem zentralen Organ (Trust) gesteuert werden
Warum werden insbesondere in den USA Trust- und Konzernbildungen zum Politikum?
- die Existenz von gewaltigen Unternehmen wie insbesondere der Standard Oil Company wird aufgrund der damit verbundenen wirtschaftlichen Macht* oft mit *politischer Machtausübung verbunden;
- deswegen gilt vielfach die Existenz solcher Unternehmen* als *Gefährdung demokratischer Mitbestimmung* und *republikanischer Errungenschaften
Warum und inwiefern führt der Aufstieg von Trusts und Konzernen zur Frage nach den Eigentumsbefugnissen von Aktionärinnen und Aktionären?
- (I) die Konzern- und Truststruktur von Unternehmen macht die direkte Kontrolle des Managements durch die Aktionäre zunehmend schwieriger;
→ auf diese Weise beginnnt sich das Management zunehmend ggü. den Aktionärinnen und AKtionären zu verselbständigen; - (II) diese Vorgänge führen zu Beginn des 20. Jh. zu dem Befund, dass sich die Beziehungen zwischen principals (= UnternehmenseigentümerInnen) und den agents (= Management) verändert haben;
⇒ nicht das Eigentum lenkt das Unternehmen, sondern dessen Angestellte - (III) führt zu einer Neubewertung von Eigentumsbefugnissen im Zusammenhang mit Aktienbesitz;
- überkommender Eigentumsbegriff umfasst insb. umfassende Herrschaftsrechte am Gegenstand des Eigentums;
- Herrschaftsbefugnisse bestehen im Fall des Unternehmens aber nicht mehr;
- führt dazu, im Fall des Eigentums an Aktien v.a. die Verfügungsbefugnis über die einzelne Aktie zu betonen, während die eigentumsrechtliche Herrschaftsbefugnis in den Hintergrund tritt
Seit dem 19. Jh. besteht das Kartellrecht. Wo sehen Sie Unterschiede und wo Gemeinsamkeiten in der Bewertung von Kartellen durch die schweizerische und die deutsche Rechtsprechung im späten 19. Jh. und frühen 20. Jh.?
- (I) Gemeinsamkeit: die schweizerische und die deutsche Rechtsprechung lassen im Gegensatz zu älteren Regelungsansätzen die Existenz von Kartellen und kartellförmigen Verbänden ausdrücklich zu (Vögtlin-Entscheidung/ Holzstoffkartell-Entscheidung; in diesen Punkt verlaufen die Entwicklungen auf gleicher Richtung;
- (II) Unterschied:
- ⇔ das Bundesgericht (CH) betont allerdings, dass die Entstehung und Begründung von Kartellen in erster Linie Ausdruck der Wirtschaftsfreiheit und insofern der Freiheit zur Selbstorganisation ist;
⇒ individualrechtsbezogener Begründungsansatz - ⇔ demgegenüber rückt das Reichsgericht (DE) die Überlegung in den Vordergrund, dass die Organisation von Kartellen volkswirtschaftlich erwünscht ist, um auf diese Weise ruinöse Konkurrenz zu begrenzen und die Wirtschaft zu stabilisieren;
⇒ gemeinwohlbezogener Begründungsansatz
- ⇔ das Bundesgericht (CH) betont allerdings, dass die Entstehung und Begründung von Kartellen in erster Linie Ausdruck der Wirtschaftsfreiheit und insofern der Freiheit zur Selbstorganisation ist;
Wie lässt sich erklären, dass v.a. nach 1945 in den von den USA beeinflussten Rechtsordnungen eine eher kartellfeindliche Politik favorisiert wurde?
- (I) seit dem Sherman Anti-Trust-Act (1890) folgten die SUA einer eher kartellfeindlichen Orientierung;
→ die Erfahrungen des Nationalsozialismus bestätigte und verstärkte diese Linie, weil in grossen Industriekonglomeraten wie der I.G. Farben und insofern in kartellförmigen Verbänden Unterstützer der nationalsozialistischen Herrschaft gesehen wurden; - (II) dem entsprach die Potsdamer Abkommen von 1945 eingefügte Regelung, dass alle deutschen Kartelle und ähnlich strukturierte Verbände aufzulösen waren;
- (III) in der Nachkriegszeit waren die USA bestrebt, diesem Ansatz folgend, in ihrem Einflussbereich weitreichende Dekartellierungen durchzusetzen;
- dieses Bestreben wurde getragen von der Vorstellung, dass allein eine kartellfreie Wirtschaft eine politisch freie Gesellschaft begründen konnte;
- These vom Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Freiheit (d.h. auch Kartellfreiheit) und politischer Freiheit wurde bspw. sichtbar im ZSH des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1957)
Welche Thesen und Argumente lassen sich diesem Text entnehmen?
(Franz Pollitzer, das österreichische Handelsrecht)

- Text setzt sich mit der Beziehung von Handelsrecht und dem sonstigen Civilrecht auseinander;
- erläutert die Existenz von Handelsrecht als einem selbständigen Rechte und den Prozess der Loslösung des Handelsrechts vom sonstigen Zivilrecht;
- Autor argumentiert für ein gegenüber dem allg. Zivilrecht selbständiges Handelsrecht und spricht sich explizit gegen die in der Schweiz gewählte Lösung einer Einheitskodifikation aus;
- zwar ist das Handelsrecht nicht mehr das schlichte Standesrecht einer selbständigen und abgeschlossenen Gilde;
- doch spricht die Dynamik des Handelsverkehrs und die daraus resultierende Notwendigkeit zur kontinuierlichen Anpassung des Rechts hieran für die Selbständigkeit von Handelsrecht;
- das bürgerliche Recht kann sich nie zu solcher Freiheit und Beweglichkeit erheben;
- schliesst nicht aus, dass sich beide Rechtsgebiete beeinflussen
Bitte erläutern Sie unter Verwendung des Textes von Franz Pollitzer (“das österreichische Handelsrecht”) die Debatte über das subjektive und das objektive System des Handelsrechts im 19. Jh.
- (I) im Laufe des 19. Jh. satnden sich das subjektive und objektive System gegenüber;
- (a) das subjektive System setzte darauf, dass es für eine bestimmte Gruppe von Rechtssubjekten (Kaufleuten) ein eigenes Recht für ihre besonderen Geschäfte (den Handel) gab;
- (b) das objektive System bestand aus Sonderregeln für einen bestimmten Kreis von Rechtsgeschäften (Handelsgeschäften) ohne daraus aber die Notwendigkeit eines Sonderrechts für eine ganze Personengruppe abzuleiten;
- (II) diese Debatte fand ihre kodifikatorische Entsprechung im Streit über die Frage, ob
- das Handelsrecht in einer eigenen Kodifikation geregelt werden sollte, die dann tendenziell als Sonderrecht nach subjektivem System (so im deutschen ADHGB oder auch in Österreich) ausgelegt war oder
- ob wie gem. schweizerischem Gesetzgeber ein Code unique gelten soll, also das objektive System;
- (III) Hintergrund der Auseinandersetzung:
- Eigengesetzlichkeit des Handelsrechts und Entwicklungsdynamiken dessen Rechtsinstitute;
- verfassungspolitische Argumentationen (v.a. Beführworter Code Unique): Sonderrecht für eine soziale Gruppe vertrug sich nicht mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Leitbild der Gleichheit vor dem Gesetz;
- (IV) Text nimmt diese Argumente auf (indirekt):
- Bild des Handlesstandes als selbständige Gilde wird bewusst in Vergangenheit gerückt, um Einwand der Rechtsungleichheit gleichsam historisch abzuschichten
- funktionale Argumentation für Verselbständigung des Handelsrechts aufgrund der Eigenheiten des Handelsverkehrs
Inwiefern lassen sich im Text von Franz Pollitzer (das österreichische Handelsrecht) Argumente für eine Dekodifikation handels- und wirtschaftsrechtlicher Regelungen wie etwa im Bereich der Corporate Governance entnehmen?

- (I) Dekodifikation bedeutet einen Gesetzgebungsvorgang, in dessen Zusammenhang Regelungsbereiche* aus einer *Kodifikation ausgegliedert* und in *Einzelgesetze ausgelagert werden;
→ Dekodifikation kann so weit gehen, dass einzelne Regelungen nicht mehr unmittelbar gesetzgeberisch, sondern im Weg regulierter Selbstregulierung geschaffen werden; - (II) Text argumentiert ausdrücklich mit der Eigengesetzlichkeit des Wirtschaftsverkehrs, die insbesondere durch ihre ausgeprägte Entwicklungsdynamik* und die *Notwendigkeit von Freiheit und Beweglichkeit gekennzeichnet sei, die das Recht haben muss, um den Handelsbedürfnissen entsprechen zu können;
- (III) Argument liess sich vor diesem Hintergrund gewinnen, dass die im Vergleich zu anderen kodifikatorisch geregelten Gegenständen
- deutlich höhere Entwicklungsgeschwindigkeiten des Handels- und Wirtschaftsrechts dazu veranlassen müssen, eigene gesetzgeberische Regelungen zu schaffen, um diesen Eigenheiten besser Rechnung zu tragen;
- zugespitzter: Übertragung von Regelungsbefugnissen auf die TeilnehmerInnen des Wirtschaftsverkehrs, da auf diese Weise Anpassungen noch rascher und leichter erfolgen können