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Unterlassen Flashcards

(37 cards)

1
Q

Grundsätze der Handlung des Unterlassensdelikts

A

Menschliches Verhalten lässt sich in Tun (aktives Handeln) und Unterlassen (Nichtstun) unterteilen.

Auch das Unterlassen kann strafbar sein – aber nur, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht.

Diese Rechtspflicht kann sich ergeben:

Direkt aus dem Gesetz → echtes Unterlassungsdelikt

Aus einer Garantenstellung → unechtes Unterlassungsdelikt (§ 13 StGB)

Klausurtipp: Ob ein Tun oder Unterlassen vorliegt, wird meist unter „Handlung“ im objektiven Tatbestand geprüft.

Aufbau von Unterlassungsdelikten ist ähnlich wie bei Begehungsdelikten, allerdings mit Zusatzvoraussetzungen:

z. B. physisch-reale Handlungsmöglichkeit, Garantenpflicht

Auch hier möglich: Versuch, Fahrlässigkeit, Täterschaft/Teilnahme

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2
Q

Strafbarkeit des Unterlassensdelikts

A

Begehungsdelikt: stets strafbar, wenn Tatbestand erfüllt

Unterlassen: nur strafbar bei besonderer Handlungspflicht

Ziel: Keine generelle Pflicht zur Verhinderung fremder Straftaten

Beispiel: Bruno sieht, wie Anton ein Fahrrad stiehlt, greift aber nicht ein. → Keine Strafbarkeit Brunos ohne spezielle Handlungspflicht (z. B. als Wachmann).

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3
Q

Echtes vs. unechtes Unterlassensdelikt / Erfolgsdelikt vs. schlichtes Unterlassensdelikt

A

a) Echtes Unterlassungsdelikt
Tatbestandlich als Unterlassung normiert, z. B.:
- § 323c StGB (Unterlassene Hilfeleistung)
- § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten)
- § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Aussetzung)

Ausnahmsweise gesetzliche Pflicht zum Tätigwerden
Keine Garantenstellung erforderlich → Jedermannsdelikt

b) Unechtes Unterlassungsdelikt
Tatbestand ist eigentlich auf Tun ausgerichtet, aber § 13 StGB erlaubt Strafbarkeit bei Unterlassen, wenn Garantenpflicht besteht.
z.B.:
- Totschlag durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB)
- Betrug durch Unterlassen (§§ 263, 13 StGB)

Voraussetzung: Das Unterlassen entspricht in seiner strafrechtlichen Relevanz einem Tun (§ 13 Abs. 1 StGB).

Strafmilderung möglich (§ 13 Abs. 2 i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB), aber nicht zwingend

Strafbar sind jeweils nur Garanten

Erfolgsdelikt vs. schlichtes Unterlassungsdelikt:
Echte Unterlassungsdelikte meist schlichte Unterlassungsdelikte (bloßes Nicht-Handeln, z. B. § 323c StGB)

Unechte Unterlassungsdelikte oft Erfolgsdelikte (z. B. Totschlag durch Unterlassen)

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4
Q

Unterlassensdelikte: Abgrenzung von Tun und Unterlassen

A

Bei echtem Unterlassungsdelikt: Unterlassen ist tatbestandlich

Bei unechtem Unterlassungsdelikt: Relevanz der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen

Wenn keine Garantenpflicht, ist Unterlassen nicht strafbar

Wenn aktives Tun, kann bereits ohne Garantenpflicht Strafbarkeit bestehen

Eindeutige Fälle:
Tun = zielgerichteter Einsatz körperlicher Energie
Unterlassen = reine Passivität

Mehrdeutige Fälle:
Verhalten enthält Elemente von beidem
z. B. jemand verkauft gefährliche Produkte (= Tun), unterlässt aber Warnung (= Unterlassen)

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5
Q

Prüfschema unechtes Unterlassensdelikt

A

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Erfolgseintritt
b) Nichtvornahme der gebotenen Handlung trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit/ Möglichkeit der Vornahme der gebotenen Handlung
c) Quasikausalität
d) Objektive Zurechnung
e) Garantenstellung
f) Erforderlichkeit der Handlung
g) Zumutbarkeit und Modalitätenequivalenz
h) Entsprechungsklausel, § 13 StGB
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz bzgl. sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale, insbesondere hinsichtlich der Garantenstellung
b) tatbestandsspezifische subjektive Merkmale
II. Rechtswidrigkeit (insbesondere rechtfertigende Pflichtenkollision möglich)
III. Schuld (insbesondere Probleme der Zumutbarkeit normgemäßenVerhaltens)

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6
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Handlung

A

zuerst festzustellen, welches Verhalten dem Täter konkret vorgeworfen werden kann und ob dieses Verhalten als Tun oder als Unterlassen zu qualifizieren ist

Begehungsdelikt: Erfordert ein vom Willen getragenes, aktives Tun
- Täter bringt durch Einsatz von Energie ein Geschehen in Gang

Unterlassungsdelikt: Erfordert ein vom Willen getragenes Untätigbleiben
→ Kein strafrechtlich relevantes Verhalten, wenn die Person nicht willentlich handelt (z. B. im Schlaf, bewusstlos)
- Täter lässt einem Geschehen rein passiv seinen Lauf

Bei der Beurteilung der Handlungsqualität kann an die Grundsätze der Handlungsqualität des aktiven Tuns angeknüpft werden

Beachte: Ein dem Tun regelmäßig nachfolgendes Unterlassen ist idR „unerheblich“

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7
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens

A

Prüfung des objektiven Tatbestandes des Delikts

  1. bei Erfolgsdelikten: Feststellung des Erfolges (Bsp: Tod eines anderen Menschen)
  2. Prüfung der (“Quasi”)Kausalität
    –> Formulierung: Ein Unterlassen ist immer dann kausal, wenn die rechtlich gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandsmäßige Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele
    –> in dubio pro reo, wenn die Wahrscheinlichkeit nicht eindeutig nachweisbar ist
  3. Prüfung der objektiven Zurechnung
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8
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: (P) Abgrenzung von Tun und Unterlassen bei zeitlichem Zusammenfallen der Handlungen

(P) Mehrdeutige Verhaltensweisen

A

e.A: naturalistisch-ontologische Abgrenzung
- hat der Täter den Erfolg durch positiven Energieeinsatz verursacht oder hat er seine Energie gegenüber einem anderweitig in Gang gesetzten Kausalverlauf nicht eingesetzt?
(-) untauglich bei mehrdeutigen Verhaltensweisen

h.M: normative Abgrenzung
- wo liegt nach normativer Betrachtung und bei Berücksichtigung des sozialen Handlungssinnes der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhalten?
(-) Zirkelschluss (Schwerpunkt wird wesentlich durch Strafwürdigkeit des Verhaltens bestimmt, die aber erst geprüft wird) + Abgrenzungsschwierigkeiten (Schwerpunkt?)

Beachte: es handelt sich um eine vorweggenommene Subsidiaritätsprüfung, es muss also nicht zwingend von beiden Alternativen nur eine vorliegen (Exklusivität); bei Abgrenzung kann es auch vorkommen, dass keiner der beiden Vorwürfe hinter den anderen zurücktritt –> dann getrennte Prüfung beider Verhaltensweisen und später Konkurrenzprüfung

idR:

Frühere Handlung verdrängt späteres Unterlassen, wenn letzteres nur Nichtrückgängigmachen ist

Ausnahme: Späteres Unterlassen ist qualitativ anders (z. B. Vorsatzwechsel, Vorsatz tritt erst später hinzu oder Täter bleibt aus anderen Gründen (Bsp: Habgier) untätig)

Beispiel 1:
Erst vorsätzlicher Schlag, dann Untätigkeit → nur Tötung durch Tun

Beispiel 2:
Erst fahrlässiges Anfahren, dann vorsätzliche Untätigkeit → Tötung durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) wegen Ingerenz

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9
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Nichtvornahme der gebotenen Handlung

A

Feststellung, welches Verhalten (d.h. welches konkrete Unterlassen) dem Täter vorgeworfen werden kann –> Was wäre die gebotene Handlung gewesen? (bei Erfolgsdelikten: Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges)

mehrere zur Verfügung stehende Handlungsalternativen des Täters möglich

danach Feststellung, dass der Täter eben diese gebotene(n) Handlung(en) nicht vorgenommen hat

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10
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Möglichkeit der Vornahme der Handlung

A

Prüfung, ob dem Täter die Vornahme der gebotenen Handlung physisch-real möglich war

Wenn (-) Prüfung, ob möglicherweise auf eine andere, zwar weniger effektive, aber dennoch zur Erfolgsabwendung geeignete Handlung zurückgegriffen werden kann

Differenzierung:
1. Täter ist Handlung objektiv oder individuell nicht möglich (Nichtschwimmer kann nicht in den See springen und den Ertrinkenden retten) –> obj. TB (-)

  1. Täter ist Handlung zwar objektiv möglich, er weiß jedoch nichts von der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeit –> subj. TB (-)
  2. Täter nimmt irrig Umstände an, die objektiv nicht vorliegen (Untauglichkeit des Rettungsmittels) –> untauglicher Versuch durch Unterlassen

Beachte: Sind mehrere Handlungen möglich, reicht es, wenn der Täter wenigstens eine von ihnen vornimmt –> muss es die effektivste sein?

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11
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Erforderlichkeit

A

Vorrang der Garantenpflicht vor der allgemeinen Rettungspflicht –> gilt aber nur so lange, wie der vorrangig zur Hilfeleistung Verpflichtete fähig und willens ist einzuschreiten; hilft dieser nicht oder ist er zur Hilfeleistung nicht bereit, dann ist das Tätigwerden des nachrangig Verpflichteten erforderlich

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12
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Zumutbarkeit

A

In Ausnahmefällen kann – trotz vorhandener Möglichkeit – die Erfolgsabwendung für den Einzelnen unzumutbar sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Rettung für den Unterlassenden eine ernsthafte Gefahr für sein eigenes Leben oder seine eigene Gesundheit darstellen würde

–> Einzelfallentscheidung, die Grad der Gefahr für das bedrohte Rechtsgut berücksichtigt

Beachte: die Zumutbarkeit der Erfolgsabwendung scheidet allerdings nicht allein deswegen aus, weil sich der Täter, insbesondere bei vorangegangenem pflichtwidrigen Tun, durch sein Verhalten der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt (str.)

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13
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Entsprechungsklausel, § 13 StGB

A

Nach § 13 Abs. 1, 2. Halbsatz StGB hängt
die strafrechtliche Haftung des Garanten davon ab, dass ein Unterlassen der Erfolgsabwendung wertungsmäßig einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch aktives Tun entspricht. Dies ist zwar in der Regel der Fall, es gibt
hierzu jedoch einige wenige Ausnahmen bei den sog. verhaltensgebundenen (Erfolgs-)Delikten. Es geht hier also um die „Gleichwertigkeit“ von Tun und Unterlassen im Hinblick auf das verwirklichte Unrecht
(Bsp: Betrug (muss auf Täuschung beruhen))

Beachte: nur in extremen Ausnahmefällen problematisch, wodurch sich Prüfung idR erübrigt

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14
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Subjektiver Tatbestand

A

Unterlassungsvorsatz = Täter entscheidet sich – in Kenntnis sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale – für das Untätigbleiben, obwohl er weiß, dass er tätig werden müsste und dabei (bei Erfolgsdelikten) den tatbestandsmäßigen Erfolg wenigstens billigend in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz aus)

Vorsatz muss sich auch hier auf sämtliche objektive Tatbestandsmerkmale beziehen
–> im Hinblick auf die Kausalität mitunter problematisch, denn der Täter muss wissen, dass die von ihm erwartete Handlung den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindern
würde

Täter muss ebenfalls die (tatsächlichen) Umstände kennen, die seine Garantenstellung begründen
–> erkennt er diese, geht er aber irrig davon aus, dass aus der erkannten Sachlage keine Garantenstellung folgt, lässt dies den Vorsatz unberührt und ist lediglich auf Schuldebene (als möglicher Verbotsirrtum in Form eines „Gebotsirrtums“, § 17 StGB) zu beachten

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15
Q

Unechtes Unterlassensdelikt: Strafbarkeit des Unterlassens

A

Das unechte Unterlassungsdelikt ist nur dann strafbar, wenn der Täter „rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt“ (er also eine „Garantenpflicht“ besitzt)

Beim echten Unterlassungsdelikt sind die Voraussetzungen, unter denen ein
Unterlassen strafbar ist, im jeweiligen Tatbestand abschließend umschrieben

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16
Q

Abgrenzung von Garantenstellung und Garantenpflicht

A

Unter einer Garantenstellung versteht man das besondere Rechtsverhältnis, in dem sich eine Person befindet, also z.B. die Stellung als Ehegatte oder die Stellung von Eltern in Bezug auf ihre Kinder

Unter einer Garantenpflicht versteht man die aus diesem Rechtsverhältnis (also der Garantenstellung) folgende Pflicht zum Tätigwerden, also z.B. die Pflicht der Eltern, Schäden von ihren Kindern abzuwenden

Beachte:
Üblicherweise folgt aus einer Garantenstellung auch eine Garantenpflicht.

Diese kann allerdings in Einzelfällen aufgrund besonderer Umstände auch einmal ausscheiden. Man muss daher stets prüfen, ob in der konkreten Situation eine bestimmte Garantenstellung dazu führt, dass der Betroffene eine Rechtspflicht hat,
gerade in einer bestimmten Art und Weise tätig zu werden. Prüfungsstandort ist jeweils der objektive Tatbestand.

17
Q

Frühere Einteilung der Garantenpflichten

A
  • aus Gesetz (normierte Garantenpflichten)
  • aus Vertrag (freiwillig übernommene Garantenpflichten)
  • aus einer engen Lebensbeziehung (persönliches Näheverhältnis)
  • aus vorangegangenem gefährdendem Tun
18
Q

Heutige Einteilung der Garentenpflichten

A
  • Schutzpflichten (Pflichten zum Schutz bestimmter Rechtsgüter) –> Obhutsgarant / Beschützergarant
  • Überwachungspflichten (Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle) –> Sicherungsgarant / Überwachergarant
19
Q

Die einzelnen Schutzpflichten

A
  1. Natürliche (familiäre) Verbundenheit
  2. Enge Gemeinschaftsbeziehung
  3. Freiwillige (tatsächliche) Übernahme von Schutz- oder Beistandspflichten
    a) Stellung als Amtsträger oder als Organ einer juristischen Person
20
Q

Die einzelnen Überwachungspflichten (Sicherungs- oder Überwachungsgaranten)

A
  1. Vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten (Ingerenz)
  2. Pflicht zur Überwachung von Gefahrenquellen
  3. Inverkehrbringen gefährlicher Produkte
  4. Beaufsichtigungspflichten
21
Q

Was sind Schutzpflichten?

A

Eine bestimmte Person ist aufgrund besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Bindungen zum Schutz eines bestimmten Rechtsgutes verpflichtet, dem Gefahren von außen drohen.

Der Betreffende muss also eine bestimmte Person vor allen ihr drohenden Gefahren schützen (Bsp.: Eltern müssen ihre Kinder vor Gefahren schützen).

22
Q

Was sind Überwachungspflichten?

A

Eine bestimmte Person ist aufgrund einer tatsächlichen oder rechtlichen Übernahme von Verantwortung für eine bestimmte Gefahrenquelle verpflichtet, dafür zu sorgen, dass durch diese Gefahrenquelle keine Rechtsgüter anderer geschädigt werden.

Sie muss also alle Personen vor einer bestimmten Gefahrenquelle schützen (Bsp.: Der Bauunternehmer muss dafür sorgen, dass niemand in die von ihm ausgehobene Baugrube stürzt).

23
Q

Anforderungen an die Pflichten beim Unterlassensdelikt / mehrere Pflichten

A

Es muss sich bei allen Pflichten um Rechtspflichten handeln (–> Pflichten, die aus rechtlichen Gesichtspunkten heraus den Einzelnen zum Handeln verpflichten)

Rein sittliche oder moralische Pflichten genügen nicht!

Aus einem bestimmten Rechtsverhältnis können zudem auch mehrere, im Einzelnen ganz unterschiedliche Pflichten folgen (Eltern haben bspw. sowohl eine Schutz- als auch eine Überwachungspflicht gegenüber ihren Kindern)

24
Q

Schutzpflichten: 1. Natürliche (familiäre) Verbundenheit

A
  1. Grundgedanke der Garantenstellung aus familiärer Verbundenheit

Es handelt sich um eine klassische Garantenstellung, bei der eine Person verpflichtet ist, nahe Angehörige vor Gefahren zu schützen.
Diese Pflicht ergibt sich meist aus dem familienrechtlichen Bestimmungen, z. B. § 1353 BGB (Ehegattenpflicht zur Fürsorge).

Die tatsächliche Nähe (z. B. Zusammenleben) ist nicht erforderlich – entscheidend ist die rechtlich anerkannte familiäre Beziehung –> Weite der familiären Bande str., jedenfalls Begrenzung auf Kernbereich der Familie notwendig.

  1. Umfang der anerkannten familiären Garantenstellungen

Anerkannt (Garantenstellung bejaht):
Eltern ↔ Kinder: § 1601, 1618a, 1626, 1631 BGB

Kinder ↔ Eltern: § 1601, 1618a BGB

Ehegatten untereinander: § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB

Lebenspartner (nach LPartG): § 2 LPartG

→ Achtung: Die Pflicht endet bei zerrütteter Beziehung, auch wenn Ehe/Partnerschaft formal noch besteht (Indiz: dauerhaftes Getrenntleben)

  1. Umstrittene oder abgelehnte familiäre Garantenstellungen

Umstritten:
Vater ↔ nichteheliches Kind: Tendenz zur Bejahung, besonders nach Änderung von § 1684 BGB

Geschwister:

Pro: Blutsverwandtschaft, Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO)

Contra: Keine gesetzliche Unterhaltspflicht → keine rechtliche Pflicht zur Unterstützung

Verlobte: eher problematisch

Abgelehnt:

  • Verschwägerte
  • Nichteheliche Lebensgemeinschaften
  • Freundschaften
  • Wohngemeinschaften

→ In diesen Fällen keine Garantenstellung aus natürlicher Verbundenheit, aber ggf. aus enger Gemeinschaftsbeziehung (→ eigene Kategorie).

  1. Abgrenzung: Garantenstellung aus enger Gemeinschaftsbeziehung

Voraussetzung: Tatsächliche Nähebeziehung (z. B. Zusammenleben, gelebte Fürsorge).
Abgrenzungspunkt: Anders als bei natürlicher Verbundenheit kommt es hier auf tatsächliche Lebensgemeinschaft an.

  1. Inhalt und Grenzen der Garantenpflicht

Pflichten:
Schutz vor Gefahren von außen

Grundsätzlich auch Pflicht, Selbstschädigungen zu verhindern

Grenze: Prinzip der Eigenverantwortung

Beispiel: Ehemann verhindert nicht, dass Ehefrau einen Käufer betrügt.
→ Keine Pflicht, sie vom Betrug abzuhalten
→ Schutzpflicht besteht nicht gegenüber Dritten (z. B. Käufer)
→ Auch keine Pflicht, die Ehefrau vor eigener Strafbarkeit zu bewahren.

Merksatz:

Garantenpflicht endet dort, wo sie zur Bevormundung führen oder in die Eigenverantwortung eingreifen würde

25
Schutzpflichten: 2. Enge Gemeinschaftsbeziehung
Abgrenzung zur natürlichen Verbundenheit Enge Gemeinschaftsbeziehung = tatsächliche, faktische Nähe und gegenseitige Hilfe → tatsächliche Verbundenheit Natürliche Verbundenheit = rechtlich begründetes Verhältnis (z. B. Familie) → rechtliche Verbundenheit Grundgedanke Wo Menschen in enger, auf Beistand angelegter Weise zusammenleben oder sich gemeinsam sozialtypischen Gefahren aussetzen, entsteht ein besonderes Vertrauensverhältnis, das eine Garantenpflicht begründen kann. Fallgruppen a) Lebensgemeinschaft Definition: „Lebensgemeinschaft“ = Zusammenschluss mehrerer Personen, die ihr Leben gemeinsam gestalten und in einer Wohnung zusammenleben. ✅ Beispiele (Garantenstellung bejaht): Nichteheliche Lebensgemeinschaft Pflegeverhältnis (z. B. Pflegeperson in der Wohnung aufgenommen) ggf. auch WG, wenn keine reine Zweckgemeinschaft 📌 Relevanter Fall: Pflegebedürftiger liegt im Sterben, Pfleger ruft keinen Notarzt → Totschlag durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) möglich, nicht nur unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) b) Gefahrengemeinschaft Definition: „Gefahrengemeinschaft“ = Zusammenschluss mit dem Ziel, durch den Zusammenschluss drohende Gefahren zu reduzieren (z. B. Expedition, Bergtour). ✅ Beispiele (Garantenstellung bejaht): Bergtour → Partner stürzt, man muss Hilfe holen 📌 Wichtig: Es entsteht ein berechtigtes Vertrauen, im Notfall Hilfe zu bekommen. Abgrenzung: Keine Garantenstellung ❌ Abgelehnt bei: Reinen Freundschaften Liebesverhältnissen (wenn keine gemeinsame Lebensführung) Zufallsgemeinschaften: Zechkumpanen Mitkonsumenten von Drogen Unfallbeteiligte ohne persönliche Bindung 📌 Beispiel: Zufällig kennengelernter Zechkumpan fällt betrunken in Fluss → nur unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) möglich, kein Totschlag durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) Einschränkung: Prinzip der Eigenverantwortung Auch bei bestehender Garantenstellung ist nicht jede Untätigkeit strafbar. 📌 Beispiel: Lebenspartner begleitet den anderen zum Gericht und hält ihn nicht vom Meineid ab → → Keine Beihilfe durch Unterlassen, da Eigenverantwortung des Schwörenden überwiegt
26
Schutzpflichten: 3. Freiwillige (tatsächliche) Übernahme von Schutz- oder Beistandspflichten
Grundidee Eine Garantenpflicht entsteht auch dann, wenn jemand freiwillig Schutz- oder Beistandspflichten übernimmt. Entscheidend ist die dadurch geschaffene Vertrauensgrundlage, aufgrund der der Schutzbedürftige auf anderen Schutz verzichtet. ❗ Wichtig: Diese Verpflichtung kann nicht beliebig widerrufen werden, sobald eine konkrete Gefahr entstanden ist. Drei Arten der freiwilligen Übernahme a) Vertrag Begründung einer Garantenstellung durch zivilrechtlichen Vertrag, z. B.: Babysitter Kinderpfleger Bademeister Arzt- oder Bankvertrag 🟢 Voraussetzung: Tatsächliche Übernahme der Schutzpflichten ❌ Nicht erforderlich: Wirksamkeit des Vertrags ❌ Nicht ausreichend: Bloßer Vertragsabschluss ohne tatsächliche Tätigkeit 📌 Beispiel: Ein minderjähriger Babysitter ist auch bei unwirksamem Vertrag Garant – aber erst und nur sobald er die Aufsicht übernimmt. 🔴 Vertrag muss gerade Schutz- und Beistandspflichten zum Gegenstand haben → keine Garantenstellung bei Kaufverträgen → Ausnahme: nach Grundsatz von Treu und Glauben bei langjährigen Geschäftsbeziehungen, sofern Vertrauensverhältnis b) Vertragsähnliches Verhältnis Auch ohne Vertrag kann ein tatsächliches Vertrauensverhältnis eine Garantenpflicht begründen. 📌 Beispiel: Ein Ortskundiger zeigt einem Touristen freiwillig gefährliches Gelände (Felsspalte). → Er darf ihn nicht allein zurücklassen, wenn dieser sich verletzt. → Tötung durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) möglich, nicht nur Hilfeleistungsunterlassung (§ 323c StGB). c) Faktische Übernahme Durch reine tatsächliche Übernahme von Schutz, insbesondere in Gefahrensituationen, kann eine Garantenpflicht entstehen. 🟢 Beispiel: Wohnungsinhaber nimmt Obdachlosen auf. → Muss ihn vor anderen Gästen schützen (z. B. nach einem Zechgelage). → Schaffung eines Schutzraums = Vertrauen. 🔴 Abgrenzung: Keine Pflicht zum Einschreiten bei Prügeleien unter Gästen auf einer Party. Keine Pflicht zum Schutz vor externen Dritten (z. B. Einbrechern). Sonderproblem: Abbruch einer begonnenen Hilfeleistung Beginn der Hilfe = nicht automatisch Garantenstellung 🟡 Aber: Wer durch Hilfeleistung die Lage des Hilfsbedürftigen in risikosteigernder Weise verändert, wird Garant. 📌 Beispiel: Betrunkener liegt auf der Straße. → Helfer bringt ihn ins Auto (Ort mit weniger Chancen auf Rettung), → lässt ihn dort zurück → → Garantenstellung durch risikosteigerndes Verhalten (Verschlechterung der Rettungsmöglichkeiten) → → fahrlässige Tötung durch Unterlassen (§§ 222, 13 StGB) möglich, wenn der Betrunkene im Auto erfriert.
27
Schutzpflichten: 3. a) Stellung als Amtsträger oder als Organ einer juristischen Person
Diese Fallgruppe basiert ebenfalls auf der Idee der (freiwilligen) Übernahme von Schutzpflichten, unterscheidet sich aber durch den institutionellen Rahmen (Amt oder Organstellung). a) Amtsträger Definition: Personen, die hoheitliche Aufgaben im Namen des Staates ausüben (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Garantenstellung Richtet sich nach Art der Dienstpflicht und dem Aufgabenbereich. Staat und seine Repräsentanten sollen Individualrechtsgüter schützen. Eine Pflichtverletzung kann zu Unterlassungsdelikten führen (§ 13 StGB). Beispiele Umweltschutz: Ein Behördenleiter beauftragt eine unzureichend ausgestattete Firma zur Gewässerreinigung → Gewässerverunreinigung durch Unterlassen (§§ 324, 13 StGB) Kinder- und Jugendhilfe: Sozialarbeiter, der gefährdete Kinder betreut → Garantenpflicht zum Schutz der Kinder Justizvollzugsbeamte: Müssen Misshandlungen von Gefangenen verhindern → Garantenstellung bejaht (str.) → Sind Beamte generell verpflichtet, Individualrechtsgüter zu schützen? (str.) Ordnungsamt: Amtsleiter unternimmt nichts gegen bekannte Missstände in einem Bordell, in dem Frauen ausgebeutet werden → Garantenstellung aufgrund Dienstpflicht zum Schutz vor Ausbeutung Grenzen Die Pflicht besteht nur im Rahmen der dienstlichen Zuständigkeit (örtlich & sachlich). Keine Pflicht außerhalb des Dienstes (z. B. wenn Beamter privat Kenntnis von einem Verbrechen erhält). b) Organe juristischer Personen Definition: Personen, die eine Organstellung innerhalb einer juristischen Person (z. B. GmbH, AG, Verein) innehaben und für diese handeln. Garantenstellung Pflicht zur Abwehr von Schäden gegenüber dem Unternehmen selbst, insbesondere: Vermögensschutz Eigentumsschutz → „Geschäftsherrenhaftung“ Beispiel Ein Geschäftsführer einer GmbH, der durch Untätigkeit den Diebstahl von Firmeneigentum durch Mitarbeiter ermöglicht, kann sich strafbar machen. ❗ Nur natürliche Personen können sich strafbar machen – nicht das Organ selbst.
28
Überwachungspflichten: 1. Vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten (Ingerenz)
Grundidee: Jeder, der durch ein objektiv gefährliches (Vor-)Verhalten die Gefahr eines (weiteren) Schadens für andere Rechtsgüter geschaffen hat, ist zur Abwendung dieses drohenden Schadens und zu entsprechenden Rettungsmaßnahmen verpflichtet. Besonderheit: Vorsätzliches Vorverhalten Auch vorsätzliches gefahrschaffendes Verhalten kann zur Garantenstellung führen (str.?, BGH: Rechtspflicht zum Handeln entfällt, da niemand verpflichtet sein kann, eine zuvor vorsätzlich verursachte Gefahr zu beseitigen) Aber: Unterlassungsdelikt tritt meist hinter vorsätzliches Tun zurück (Konkurrenzrecht) Ausnahme: zusätzliche Merkmale (z.B. Mordmerkmale) oder Beteiligung Dritter erst beim Unterlassensdelikt (Bsp: A schlägt O mit bedingtem Tötungsvorsatz nieder, erkennt dann aber, dass es sich um seinen Erbonkel handelt, weshalb er diesem nun gerade deswegen nicht hilft, um die Erbschaft zu „kassieren“ → A macht sich neben dem Totschlag durch aktives Tun auch wegen eines Mordes aus Habgier durch Unterlassen strafbar → Wenn A hinsichtlich der fehlenden Hilfeleistung durch den dringenden „Rat“ seiner Ehefrau motiviert wurde, die erst nach dem Niederschlagen hinzutrat, kann sich diese wegen Anstiftung zum Mord durch Unterlassen strafbar machen Beachte: Unterlassene Hilfeleistung für sich führt nicht zu einer Garentenpflicht aus Ingerenz
29
Überwachungspflichten: Vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten (Ingerenz) (P) Muss das die Ingerenz begründende Verhalten objektiv pflichtwidrig sein oder reicht ein lediglich gefahrschaffendes Vorverhalten aus?
eA: grundsätzliche Ablehnung der Garantenstellung aus Ingerenz (+) Anerkennung einer solchen Garantenstellung viel zu weitgehend (+) Haftung des Täters durch Strafbarkeit wegen vorangegangenem Tun bereits ausreichend gesichert Verursachungstheorie: bereits jede vorherige Gefahrenschaffung begründet Garantenstellung; Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens nicht erforderlich (+) wer eine Gefahr schafft, muss auch dafür sorgen, dass sich diese nicht realisiert (+) auch gerechtfertigt handelnder Täter (z.B. Notwehr) muss konsequenterweise Pflicht zum Nachsorgeverhalten haben (-) zu weitgehend – führt zu Garantenpflichten auch ohne Vorwerfbarkeit des Vorverhaltens Pflichtwidrigkeitstheorie (wohl h.M.): nur pflichtwidriges gefahrschaffendes Verhalten begründet eine Garantenstellung (+) wer gerechtfertigt handelt (z.B. in Notwehr), soll nicht nachträglich durch Garantenstellung belastet werden (+) nicht gerechtfertigt handelnder Täter würde sonst in Notwehrsituation besser stehen als ein unverschuldet in Not geratener Täter (-) möglicherweise unbefriedigende Ergebnisse bei extremen Konstellationen (s. Gerd-Fall) → nach h.M. muss im Rahmen der objektiven Zurechnung geprüft werden, ob gerade das pflichtwidrige Verhalten den Erfolg verursacht hat (Pflichtwidrigkeitszusammenhang) und ob sich die Pflichtwidrigkeit auf die Verletzung einer Norm bezieht, die gerade dem Schutz des später betroffenen Rechtsguts dient (Schutzzweckzusammenhang) → sonstige Elemente der objektiven Zurechnung (z.B: eigenverantwortliche Selbstgefährdung) sind ebenfalls zu beachten
30
Überwachungspflichten: 2. Pflicht zur Überwachung von Gefahrenquellen
Grundgedanke: Wer eine Gefahrenquelle schafft oder beherrscht, ist verpflichtet, Schäden an Rechtsgütern Dritter zu verhindern. Diese Pflicht besteht auch ohne pflichtwidriges Vorverhalten (anders als bei Ingerenz!). Voraussetzungen: Tatsächliche oder rechtliche Herrschaft über eine Gefahrenquelle Pflicht zur Verhinderung von Schäden aus dieser Quelle Begründung: Wer gefährliches Verhalten ausübt oder duldet, dem wird im Gegenzug die Pflicht auferlegt, weitere Schäden zu verhindern. Typische Fälle (Beispiele für Verkehrssicherungspflichten): Kfz-Halter Tierhalter Grundstücks-/Gebäudeeigentümer Veranstalter (z. B. Sportevents) Bauunternehmer (z. B. offene Baugrube) Betreiber industrieller Anlagen (Umweltschutz) Produkthaftung (hat Ursprung in der Verkehrssicherungspflicht) Grenzfälle: Problematisch, wenn zwar eine Gefahr von der Gefahrenquelle ausgeht, der konkrete Schaden aber: durch das Verhalten eines Dritten oder durch das eigenverantwortliche Verhalten des Opfers verursacht wird. Beispiel zur Abgrenzung: Winfried lässt Obdachlosen Otto in seiner Wohnung wohnen. Nach einem Streit wird Otto von einem Dritten misshandelt. Winfried greift nicht ein. Mögliche Garantenstellung aus faktischer Übernahme (bereits bejaht). Fraglich: Garantenpflicht auch aus Verantwortung für die Gefahrenquelle „Wohnung“? Abgelehnt, da private Wohnung kein typischer Gefahrenbereich (anders als z. B. eine Kneipe).
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Überwachungspflichten: 3. Inverkehrbringen gefährlicher Produkte
Grundsatz: Wer ein Produkt rechtlich zulässig in den Verkehr bringt, das bei ordnungsgemäßer Nutzung gefährlich für Verbraucher ist (z. B. gesundheitsschädlich), hat eine Garantenpflicht, schadenverhütende Maßnahmen (wie z. B. Rückrufaktionen) zu treffen. Rechtsgrundlage: Diese Pflicht orientiert sich an der zivilrechtlichen Produkthaftung, insbesondere an der Pflicht zur Produktbeobachtung Wichtig: Die ursprüngliche Handlung muss nicht pflichtwidrig gewesen sein – es genügt, dass das Produkt gefährlich war
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Überwachungspflichten: 4. Beaufsichtigungspflichten
Grundgedanke: Der Garant ist nicht zum Schutz der beaufsichtigten Person verpflichtet, sondern zum Schutz Dritter vor Gefahren, die von dieser Person ausgehen. Klassische Fälle: Eltern für ihre minderjährigen Kinder Lehrer für Schüler Vorgesetzte für Angestellte (§ 357 StGB) Ärzte für Psychiatriepatienten Vollzugsbeamte für Strafgefangene Streitfälle: Ehegatten haften nicht füreinander → keine Garantenstellung bei Straftaten des Ehepartners. Eltern haften nicht für volljährige Kinder → Erwachsene sind selbstverantwortlich. Ausnahme: Bei betrieblichen Pflichten kann für den Betriebsinhaber eine Garantenpflicht bestehen, um betriebsbezogene Straftaten von Mitarbeitern zu verhindern („Geschäftsherrenhaftung“). Sonderfall: Selbst als Gefahrenquelle Problemstellung: Kann jemand für sich selbst eine Überwachungspflicht haben? Beispiele: Jemand, der betrunken Auto fahren könnte. Jemand mit hochansteckender Krankheit, der andere nicht warnt. Anerkennung: Eine solche Garantenstellung zur Selbstüberwachung ist in engen Grenzen anerkannt, wenn nicht bereits ein aktives Tun (z. B. Trinken, Besuch) vorliegt.
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Echtes Unterlassensdelikt: Prüfschema unterlassene Hilfeleistung, § 323c StGB
I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Unglücksfall (oder gemeine Gefahr oder Not) b) keine rechtzeitige Vornahme der Hilfeleistung, soweit diese: − erforderlich − dem Täter möglich − dem Täter zumutbar Beachte: keine Sonderpflicht für Ärzte, aber ärztliche Sachkunde bei Bestimmung von Art und Umfang der Hilfspflicht relevant − insb. ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten –> Beurteilung jeweils objektiv ex ante 2. Subjektiver Tatbestand (Vorsatz) II. Rechtswidrigkeit (Pflichtenkollision idR schon im Tatbestand) III. Schuld Es können Fragen der Zumutbarkeit trotz Prüfung im objektiven Tatbestand für die Schuld übrigbleiben (–> besteht ausnahmsweise doch Verständnis dafür, dass die Handlung trotz Zumutbarkeit nicht vorgenommen wurde?) Beachte: keine tätige Reue; der Versuch ist nicht strafbar Keine tätige Reue (→ Zurückhaltung bei Vollendungszeitpunkt!) Keine Versuchsstrafbarkeit (→ irrige Annahmen schaden idR nicht)
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Unterlassene Hilfeleistung: (P) Problemfälle
Krankheit: - chronisch (-) vs. - unerwartete akute Krise (+) - unabh. von med. Unterscheidung zw. Notfalleingriff und elektivem Eingriff Suizid: - Unglücksfall, wenn er nicht freiverantwortlich war Straftat:
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Unterlassene Hilfeleistung: Unglücksfall (oder gemeine Gefahr oder Not)
Ein Unglücksfall ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, welche eine erhebliche Gefahr für Menschen oder Sachen hervorruft oder hervorzurufen droht Eine gemeine Gefahr ist eine konkrete Gefahr für Leib und Leben einer größeren Anzahl an Menschen/Sachwerten Eine gemeine Not ist eine Notlage von gewisser Erhebliche Kit, die die Allgemeinheit betrifft
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Prüfschema Fahrlässiges Unterlassensdelikt
I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Handlung des Täters (Tun oder Unterlassen) 2. Tatbestandsmäßiger Erfolg (bei Erfolgsdelikten) 3. Kausalität (bei Erfolgsdelikten) 4. Spezifische Unterlassungselemente a) Garantenpflicht (bei unechten Unterlassungsdelikten) b) Nichtvorahme der gebotenen Handlung c) Möglichkeit der Vornahme der gebotenen Handlung d) Erforderlichkeit der Handlung e) Zumutbarkeit f) Entsprechungsklausel (§ 13 StGB) 5. Spezifische Fahrlässigkeitselemente a) Vorliegen einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung b) Objektive Zurechnung (bei Erfolgsdelikten) Pflichtwidrigkeitszusammenhang objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges sonstige Merkmale der objektiven Zurechnung II. Rechtswidrigkeit III. Schuld 1. Schuldfähigkeit 2. Fehlen von Entschuldigungsgründen 3. (Potentielles) Unrechtsbewusstsein (Möglichkeit der Unrechtseinsicht) 4. Schuldform: Vorliegen einer subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung 5. Subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolges (bei Erfolgsdelikten) 6. Subjektive Vermeidbarkeit des Erfolges (bei Erfolgsdelikten)
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Unterlassungsdelikte: Lösungsansätze für die Entscheidung der Strafbarkeit nach Tun oder Unterlassen (P) Abbruch rettender Kausalverläufe
Frage: Liegt ein aktives Tun (z. B. Totschlag, § 212 StGB) oder ein Unterlassen (z. B. § 323c StGB) vor? Entscheidend ist: Unterlassen, wenn die Rettung noch nicht selbstständig erfolgen konnte (z. B. Seil wird nur kurz gehalten, aber nicht fixiert). Aktives Tun, wenn die Rettung schon so weit fortgeschritten ist, dass sie sich auch ohne weiteres Zutun des Täters vollziehen könnte und der Täter gerade diese Rettungschance vereitelt (z. B. Seil war schon festgebunden, wird aber zurückgezogen). Beispiele: Unterlassen: Anton wirft Seil zu, zieht es aber zurück, bevor Bruno es erreicht. Anton hält Seil kurz, lässt es dann fallen → keine eigenständige Rettung möglich. Rechtsfolge: Nur § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung). Aktives Tun: Anton bindet Seil an Baum, wirft es Bruno zu, zieht es aber zurück → Bruno hätte sich selbst retten können. Rechtsfolge: § 212 StGB (Totschlag). Fremde Rettungshandlungen vereiteln Aktives Tun, wenn der Täter bereits laufende Rettungsmaßnahmen stoppt (z. B. Paul wird niedergeschlagen, während er Bruno retten will → §§ 212 bzw. 223, 239, 240 StGB). Unterlassen, wenn nur die Einleitung einer Rettung verhindert wird (z. B. Anton verweigert Paul das Handy zum Notruf → § 323c StGB)