Vorlesung 2 Flashcards
(17 cards)
Hegel als Leitmotiv?
„Das Bekannte überhaupt ist, darum dass es bekannt ist, nicht erkannt“
„Unsere Kenntnis soll Erkenntnis werden“
zitiert nach Schnädelbach, 2012, 2. Aufl., 17
Verwenden sie folgende Unterscheidungen resp. Gleichsetzungen?
- Subjekt – Objekt (Lehrer – Schüler)
- Bewusstsein – Gegenstand
- Gegenstand = Bedeutung (Differenzierung=individuelle Förderung)
- Das „Sein“ ist eine Eigenschaft von Gegenständen
- Normen = Werte (Soziale Bezugsnorm=fairer Vergleich)
Der Fall Mensch I
- Mit der Aufklärung setzt sich das Bild vom Menschen als vernunftbegabtes Wesen durch, philosophische Höhepunkte u.a. bei Descartes, Kant und Fichte (der erkennende Mensch).
- Die Entfaltung der Vernunft wird zur Hauptaufgabe der Aufklärungspädagogen.
- Geschichte der Pädagogik als Geschichte der Menschendeutung (Bollnow, 1975, 16)
- Erziehung als Ziehen, Führung, Regierung und Zucht, Wachsenlassen, Anpassung, Lebenhelfen (vgl. Kron, 1996, 195)
Der Fall Mensch II
- Blütezeit der philosophischen Anthropologie (Scheler, Portmann, Gehlen), die als inter‐ bzw. transdisziplinäre Unternehmungen anzusehen sind.
Für die Pädagogik vgl. das epochale Werk von H. Roth: Pädagogische Anthropologie I und II.
Es folgt die Dekonstruktion der großen Erzählung „vom Menschen“. Das Projekt einer umfassenden und universalen Beschreibung des Menschen gilt als gescheitert und es bleibt eine historisch‐anthropologische Pädagogik (Wulf, 1994, 7)
- „Päd. Anthropologie zielt nicht mehr auf die Natur des Menschen, sondern auf die Arbeit an der menschlichen Selbstkonstitution mit Hilfe eines auf Dauer des menschlichen Lebens bezogenen Lernens“ (ebd., 19).
Der Fall Mensch III
Postaufklärerische Attacken auf die Vernunft (vgl. Sloterdijk, 2010, 132 ff.)
Junghegelianer (Marx) und der Primat der Praxis (=Demokratie und Politik)
- Nietzsche und die Kritik der perspektivischen Vernunft (alle Erkenntnis ist von lokalem Charakter)
- Bekenntnis zum Prinzip Parteilichkeit (George Lukács)
- Phänomenologie und das vortheoretische der Stimmung „Kritik der eingebetteten Vernunft“
- Hiroshima und Nagasaki – Wissenschaft und Verantwortung (C.F. von Weizäcker)
- Existentialismus – Einsamkeit des Ich und Zwang zur Entscheidung (Sartre, Kierkegaard)
- Entstehung der Wissenssoziologie (Zusammenhang von Erkenntnis und Interesse, Scheler, Mannheim, Kuhn)
- Feminismus (J. Butler, Bodies that Matter) – kulturspezifische Machteffekte und Körperlichkeit
- Neurowissenschaft (Zusammenhang von Verstand und Gefühl)
Das Parlament der Dinge – Bruno Latour – Überwindung des Natur‐Kultur Dualismus
Gesellschaft verstehen‐ Geschichtlichkeit anerkennen
„Was der Mensch sei, sagt ihm nur die Geschichte. Was der Mensch sei und was er wolle, erfährt er erst in der Entwicklung seines Wesens durch die Jahrtausende und nie bis zum letzten Worte, nie in allgemeinen Begriffen, sondern immer nur in den lebendigen Erfahrungen, welche aus der Tiefe seines ganzen Wesens entspringen“
zitiert nach Bollnow, O.F. (1967, 3. Aufl.): Dilthey, 219
Gesellschaft verstehen‐ Zeitdiagnosen
(vgl. Schimank & Volkmann: Soziologische Gegenwartsdiagnosen, 2000)
* Risikogesellschaft (U. Beck): Nebenfolgen und Individualisierung durch Enttraditionalisierung mit der Herausforderung der Expertisierung der Massen
* Kommunikationsgesellschaft (R. Münch): Das Verschwinden des Realen
* Kampf um Anerkennung (A. Honneth): Gerechtigkeit auf dem Weg zur Vollendung
* Erlebnisgesellschaft (G. Schulze): Subjektverlorenheit in (werttransformierenden) Erlebniswelten (Selbst Hörsäle werden als Erlebniswelt seiner Besucher rekonstruiert, wobei Nutzen, Qualität, etc. auf rein subjektiven, aber in Erlebniswelten gelernten Urteilen gründen)
* Weitere Zeitdiagnosen internationaler Autoren wie Baudrilliards, Bourdieu, Latours, Giddens, Baumann, Etzionis, Sennet.
Ökologie der menschlichen Entwicklung
(vgl. Uri Bronfenbrenner, 1980, 32 ff.)
Definition I: „Die Ökologie der menschlichen Entwicklung befaßt sich mit der fortschreitenden gegenseitigen Anpassung zwischen dem aktiven sich entwickelnden Menschen und den wechselnden Eigenschaften seiner unmittelbaren Lebensbereiche.
Definition II: Ein Mikrosystem ist ein Muster von Tätigkeiten und Aktivitäten, Rollen und zwischenmenschlichen Beziehungen, die die in Entwicklung begriffene Person in einem gegebenen Lebensbereich mit den ihm eigentümlichen physischen und materiellen Merkmalen erlebt.
Definition III: Ein Mesosystem umfaßt die Wechselbeziehungen zwischen den Lebensbereichen, an denen die sich entwickelnde Person aktiv beteiligt ist (Elternhaus, Schule, Peers; für einen Erwachsenen z.B. Familie, Arbeit u. Bekanntenkreis)
Definition IV: „Unter Exosystem verstehen wir einen Lebensbereich oder mehrere Lebensbereiche, an denen die sich entwickelnde Person nicht selbst beteiligt ist, in denen aber Ereignisse stattfinden, die beeinflussen, was in ihrem Lebensbereich geschieht, oder die davon beeinflusst werden.
Definition V: „Der Begriff des Makrosystems bezieht sich auf die grundsätzliche formale und inhaltliche Ähnlichkeit der Systeme niedriger Ordnung, die in der Subkultur oder der ganzen Kultur bestehen oder bestehen könnten, einschließlich der ihnen zugrunde liegenden Weltanschauungen und Ideologien.“
Definition VI: „Ein ökologischer Übergang findet statt, wenn eine Person ihre Position in der ökologisch verstandenen Umwelt durch einen Wechsel ihrer Rolle, ihres Lebensbereichs oder beider verändert.“
Definition VII: „Menschliche Entwicklung ist der Prozeß, durch den die sich entwickelnde Person erweiterte, differenzierte und verläßlichere Vorstellungen über ihre Umwelt erwirbt. Dabei wird sie zu Aktivitäten und Tätigkeiten motiviert und befähigt, die es ihr ermöglichen, die Eigenschaften ihrer Umwelt zu erkennen und zu erhalten oder auf nach Form und Inhalt ähnlich komplexem oder komplexerem Niveau umzubilden“
Sozialgeschichte des Aufwachsens Fend, 1988
Ergebnisse des SfB 23 (1969‐1986)
- Versuch der Entwicklung eines Verständnisses des „Normalentwurfs“ individueller und kollektiver Lebensbewältigung
- Max Webers kulturgeschichtliche Analyse des modernen okzidentalen Rationalismus: Weltbilder und Kulturen der Lebensführung
- Rationalisierung in Form von Methodisierung, Berechenbarkeit und Disziplinierung (vgl. hierzu auch Elias, Über den Prozess der Zivilisation I+II)
- Protestantische Ethik und Leistungsprinzip
- Spannungen in Bezug auf Humanität, Freiheit, Sinnbedürfnis
Sozialgeschichte des Aufwachsens Moderner okzidentaler Rationalismus und Gegenentwürfe
Sozialgeschichte des Aufwachsens Fend, 1988: Befunde
- Spannungsbearbeitung im Edukatop Familie
- Asketische Arbeitszumutungen – hedonistische Konsumanreize
- Gesteigerte wertschätzende Interaktion im Nahbereich – konkurrenzorientierte Wirtschaftsethik und methodische Lebensplanung
- Individualisierung und größere Wertschätzung von Kindern – Erwartungshaltungen und Normen der Gesellschaft
Sozialgeschichte des Aufwachsens Fend, 1988: Befunde II: Generationslage
Zweifel an gültigen Belohnungsmustern (wer sich anstrengt, wird auch was)
- Arbeit – Konsum – Genuss; Gefahr: Wir wollen alle mit Genuss beginnen
- „Personalisierung der Verantwortung für das eigene Schicksal vergrößert die Bedrohung des selbstverschuldeten Verfehlens eines attraktiven Lebensstils
- Entstehung wildwüchsiger Vergesellschaftungsformen, die weder personale Besonderheiten, noch leistungsorientierte Selbstverantwortung ; Ziel: Gemeinsamkeit und Nicht‐Unterscheidbarkeit
- Reduktion von Verantwortung in Räumen des Aufwachsens – Erhöhte Erwartung an Eigenverantwortung
- Risiken der Moderne und der Zweifel an der älteren Generation
Jugend
Handbuch Bildungsforschung, 1998, 495 ff.
- Ausdehnung institutioneller Aufsicht‐ und Angebote (Dauer der Schulbesuchszeit, höherwertige Abschlüsse und Ganztagsschule, siehe auch Kitaentwicklung)
- Erfolg häng stark vom Umfeld der Kinder ab, regional, millieuspezifisch, soziökonomischer Status, etc.
- Die Bedeutung Non‐Formaler‐Bildung
- Jugend wird für alle zu einem Erfahrungs‐ und Erprobungsraum, allerdings mit deutlichen Interventionsanstrengungen des Staates
- Veränderungen in familialen Lebenswelten
- Jugend und neue Medien (Chancen und Risiken entgrenzter Kommunikationsformen)
Kindheit im Wandel Rolff & Zimmermann, 2001
- Reduktion der Eigentätigkeit durch konsumierende Aneignung der materiellen Kultur (vgl. auch M. Spitzer: Lernen)
- Erfahrungen aus zweiter Hand durch mediatisierte Aneignung der symbolischen Kultur
- Expertisierung der Erziehung
- Zeit und Zeiterleben (schneller werden und Zeit „nutzen“; G12, frühere Einschulung, Entwicklungsdruck)
- Rau und Raumerleben (Urbanisierung, Raum als Kultur‐ weniger Naturraum, Naturräume werden konsumiert); Verinselung von Kindheit (Freizeithopping, vom Tennis zum Pferd)
- Kommodifizierung der Lebenswelt – Oder der Sieg der Systeme!?
- Sozialisation durch Massenkultur
- „Wo aber die Masse und ihr Indifferenzprinzip den Ausgangspunkt bilden, dort blockiert das moderne Streben nach Anerkennung durch sich selbst, weil unter diesen Bedingungen Anerkennung nicht Hochachtung oder Würdigung bedeuten kann, sondern […] Tiefachtung oder Gleichachtung im neutralen Raum, gerechte Zubilligung einer niemandem abzustreitenden Unerheblichkeit“ (Sloterdijk, 2010, 88).
- Individualisierung der Kindheit (Planungsbüro, Bastelbiographie); Zwang der Entscheidung (vgl. die Anstrengungen zur Berufs‐ und Studienvorbereitung, Perfektionierung von Entscheidungen)
Der Fall in der Gesellschaft
- Jeder Fall ist Multidimensional eingebettet, neben den genannten Aspekten tritt nun auch die Schule als Organisation und Ort von divergierenden Wertmaßstäben und Menschenbildern hinzu.
- Jede Fallanalyse und –betrachtung sollte vorab die eigenen Prämissen der Beobachtung für die Interpretation klären – Entverselbstverständlichung als Aufgabe.
- Was immer wir auch gerne hätten, Lernen, Verhalten, Störungen sind nicht allein Ausdruck eines monadischen Subjekts! Kausalzuschreibungen (Wenn du weiter lernst, schaffst du es schon) sind Anzeichen mangelnder Profession.
- Eine Analyse der Lebensbereiche (auch Schule) gehört zu einer Fallanalyse genauso, wie die Beobachtung spezifischer Verhaltensweisen.
- Wer selbst nie Fall war, sollte darauf verzichten Fälle zu erzeugen!
Beobachtung und Wahrnehmung
- Beobachtung ist der Versuch einer gezielten Wahrnehmung
- Die Wahrnehmung ist aber u.a. abhängig von
- Unserem Vorwissen (wir sehen was wir erwarten (wissen))
- Unseren Einstellungen und Werthaltungen (wir passen das gesehene in unser Wertesystem)
- Unsern Bedürfnissen (Wer meckern will, wird auch was finden…)
- Ziel von Beobachtung ist häufig die Erkenntnis über Nicht‐beobachtbare‐Sachverhalte (Motivation, Lernen, etc.)
Das Problem der Bedeutung und Ethnographie – ein Ausblick
- „Wir sagen… von einem Menschen, er sei uns durchsichtig. Aber es ist für diese Behauptung wichtig, dass ein Mensch für einen anderen ein völliges Rätsel sein kann. Das erfährt man, wenn man in ein fremdes Land mit gänzlich fremden Traditionen kommt.; und zwar auch dann, wenn man die Sprache des Landes beherrscht. Man „versteht“ die Menschen nicht (Und nicht darum, weil man nicht weiß, was sie zu sich selber sprechen.) Wir können uns nicht in sie finden“ (Wittgenstein, zitiert nach Geertz, 1987, 20)
- Ethnographie – ein (fast) vergessener Zugang der deutschen Schulforschung
- Dichte Beschreibung (Geertz, 1987), Ein Versuch das Fremde zu deuten, zu ordnen
- Deutendes Verfahren
- Gedeutet wird der Ablauf sozialer Diskurse
- Das deuten besteht darin, das „Gesagte“ eines solchen Diskurses dem vergänglichen Augenblick zu entreißen