Vorlesung 5 - Abwehr und Widerstand Flashcards
(23 cards)
Wie konzipierte Freud den Begriff “Abwehr”?
Sigmund Freud entwickelte das Abwehrkonzept im Rahmen seiner Triebtheorie
Topographisches Modell:
- Abwehr richtet sich gegen das Bewusstwerdung ängstigender unbewusster Triebansprüche (“Abwehr” und “Verdrängung” synonym)
Drei-Instanzen-Modell:
- Abwehr als Ich-Funktion; das Ich als Akteur, der Ängstigendes abwehrt
Was ist die Definition von “Abwehr”?
unbewusstes inneres Regulationssystem, eine Art Filter, mit dessen Hilfe intrapsychisch aufsteigende, bedrohliche oder unangenehme Wünsche und Affekte ganz oder teilweise vom Bewusstsein ferngehalten und an ihrer Realisierung in der Außenwelt gehindert werden können
- das Abwehrsystem bedient sich der Abwehrmechanismen
Welche Abwehrmechanismen gibt es?
Verdrängung
Spaltung
Verleugnung
Verschiebung
Wendung gegen das Selbst
Altruistische Abtretung
Reaktionsbildung
Rationalisierung
Intellektualisierung
Affektisolierung
Projektion
Identifizierung, Introjektion, Inkorporation
Projektive Identifizierung
Somatisierung
Regression
Subliminierung
Was ist “Identifizierung”?
wirkt sich als Anklammerung aus, die z.B. vor einem Verlust schützen soll
häufig bei hysterischen, depressiven und narzisstischen Pathologien
auch Identifikation mit einzelnen Eigenschaften von jemandem, den man ablehnt, um Ablehnung nicht zu spüren
Identifikation mit Erwartungen anderer:
- kann auch als Unterwerfung bezeichnet werden
-häufig bei narzisstischen Störungen zur Sicherung der Zuwendung von anderen
Identifizierung mit dem Aggressor:
- Wendung vom Passiven ins Aktive
- direktes Spiegeln oder vorsätzliche Rollenübernahme des Aggressors
- Identifizierung mit der Aggression durch Agieren der Aggression
- Identifizierung mit der imponierenden Eigenschaft des Aggressors durch Übernahme der Attribute, die sie symbolisieren
Was versteht Freud unter dem Begriff “Regression”?
zur Vermeidung von Konflikten und Erfahrungen, die nicht verarbeitet werden können, wird das aktuelle Strukturniveau zugunsten früherer Erlebnisweisen aufgegeben
Regression des Ich (Fühlen, Denken, kognitive Funktionen), der Bedürfnisse(-befriedigung), Objektbeziehungen und Objektverwendung sowie im Hinblick auf körperliche Funktionen (Einnässen)
Ichregression:
- reife Funktionsweisen des Ich werden zu Gunsten unreiferer aufgegeben
- Verdrängungsabwehr als relativ reife Ichleistung wird durch Spaltungsabwehr ersetzt
- bereits “desomatisierte” Affekte werden wieder “resomatisiert”
- Ichregression kann auch zum Realitätsverlust und zum Verlust des Selbstgefühls führen
Was bedeuten die Begriffe “Verleugnung” und “Gefühlsverdrängung” ?
Verleugnung:
- Realität wird zwar kognitiv wahrgenommen, aber nicht erkannt
- je nach Ausmaß entweder partielle oder totale Verleugnung
- unspezifischer, ubiquitärer Abwehrmechanismus
- kommt auch als Copingmechanismus bei Bewältigung von Belastungen vor
Gefühlsverdrängung:
- Gefühlsreaktion, die mit Erlebnisse verbunden sind, werden durch Intellektualisieren, Rationalisierung oder Affektisolierung unbewusst gemacht
- häufig bei zwanghaften oder schizoiden Persönlichkeiten
Intellektualisierung:
- Fähigkeit des Abstrahierens, um eigenes affektives Erleben oder Erleben andere nicht (zu) bedrohlich stark werden zu lassen
Rationalisierung:
- unbewusstes nachträgliches Umdeuten oder Hinzufügen von Motiven; man redet sich ein, dass eigenes Verhalten und Erleben “guten” Grund hat, um es so zu rechtfertigen
Affektisolierung:
- Trennung von Erlebnis und Affekt; Gefühle bleiben ausgespart
Wie können die Begriffe “Subliminierung”, “Reaktionsbildung” und Verschiebung definiert werden?
Subliminierung:
- negative Triebenergie oder verpönte Wünsche werden auf ein kulturell anerkanntes Ziel umgeleitet
- sexuelle oder aggressive Triebe werden ersatzweise befriedigt
- z.B.: kunstvolle Holzschnitzereien, statt Lust, mit Messer zuzustechen
Reaktionsbildung:
- häufig bei zwanghaften und depressiven Persönlichkeiten
- Beispiel: Ehefrau mit unbewusstem Todeswunsch ihrem Ehemann ggü. kontrolliert penibel das Essen aus Angst, versehentlich giftige Substanzen ins Essen gemischt zu haben
Verschiebung:
- Verschiebung von Ängsten oder Aggressionen auf andere Person oder auf einen anderen Gegenstand
Wie unterscheiden sich reife und unreife Abwehrmechanismen?
Die Auswirkungen reifer und unreifer Abwehrmechanismen unterscheiden sich im Hinblick auf die Realitätswahrnehmung
Bei Konfliktpathologien wird ein “reifes” Ich damit konfrontiert, dass normgebende Instanzen Über-Ich und Ich-Ideal sich gegen die Bewusstwerdung unbewusster Bedürfnisse und Gefühle werden
- Ergebnis einer höher strukturierten Abwehr, die sich reifer Abwehrmechanismen bedient
-komplette Abwehr der verpönten Wünsche und unlustvollen Affekten oder eine inkomplette Abwehr unter Symptombildung
- keine nennenswerte Verzerrung der Realitätswahrnehmung, lediglich Ich-Einschränkungen
Bei Entwicklungspathologien (ich-strukturellen Störungen) können andrängende Impulse nur mit unreifen Abwehrmechanismen und um Preis einer massiv verzerrten Realitätswahrnehmung in Schach gehalten werden
- Scheitern der Abwehr wird durch eine unerträgliche Affektüberflutung angezeigt, massive Überflutung durch Ängste oder andere Affekte
Was sind interpersonelle Abwehrmechanismen?
neben intrapsychischen Abwehrmechanismen auch interpersonelle Abwehrmechanismen
bei unterpersoneller Abwehr werden reale Beziehungspartner entweder so gewählt, dass sie entsprechende Funktionen in der Abwehrbildung schon übernehmen, oder sie dazu gebracht werden, dies zu tun
Beispiel:
Patient kann unerträgliche Schuldgefühle abwehren
- durch magisches Ungeschehenmachen im Waschzwang (intrapsychisch)
- Personen im Umfeld suchen, die ihn schlecht behandeln (interpersonell)
- durch Provokation andere Menschen dazu bringen, dass sie ihn schlecht behandeln (interpersonell)
Was sind Beispiele für reife und unreife Abwehrmechanismen?
eher reife intrapsychische Abwehr:
- Verdrängung
- Reaktionsbildung
- Affektisolierung
- Verschiebung
- Subliminierung
- Intellektualisierung
eher unreife interpersonelle Abwehr:
- Spaltung
- Projektion
- Introjektion
- Idealisierung
- Entwertung
- projektive Identifizierung
- Verleugnung
- Identifizierung mit dem Aggressor
- Wendung gegen das Selbst
Was ist Melanie Kleins Beitrag zur Abwehrtheorie?
“die klinisch wichtigsten Ausdifferenzierungen der Abwehrtheorie aus der Objektbeziehungspsychologie stammen aus der Nachfolge Melanie Kleins”
Projektion:
aus ihrem Verständnis der Projektion der Aggression in das primäre Objekt und Re-Introjektion des “aggressiv aufgeladenen” Objekts leitete sie ihr Verständnis der Entwicklung paranoider Ängste ab
- Angst vor dem anderen, in den die eigene Aggression hineingesehen wird
Wie ist die Spaltung als Abwehrmechanismus konzipiert?
Spaltung:
- Aspekte der guten, nährenden, Geborgenheit spendenden Brust/Mutter
- Abwehr nicht mehr nur Scharnier zwischen Bewusstem und Unbewusstem, sondern auch zwischen subjektiven Erfahrungsbereichen, die nicht in Verbindung treten dürfen
- Spaltungsabwehr, dient dazu, die Überzeugung aufrechtzuerhalten, es gäbe ein ideales Objekt
- “wenn ich das Negative sehe, kann ich das Gute nicht mehr sehen”
Konzept der Spaltung bei Otto Kernberg Schlüsselposition als zentraler Abwehrmechanismus bei Persönlichkeitsstörungen
- nicht möglich, gleichzeitig die guten und schlechten Seiten eines Objekts wahrzunehmen
–> heftige Aggressionen einerseits und verschmelzende Liebe ggü. selbem Objekt andererseits
massive Angst vor der Totalität der Aggressionen
- Aggression wird nicht gepuffert durch liebende Verbindung
massive Angst vor Sehnsucht nach Nähe zu befriedigendem Objekt
- Verlust oder Enttäuschung wäre nicht zu ertragen
Was bedeutet der Begriff “Projektive Identifikation”?
bei der Projektiven Identifikation werden dort, wo intrapsychische Abwehr versagt, unerträgliche, vor allem destruktive Repräsentanzen in den anderen verlagert um diese Teile außerhalb des Selbst zu kontrollieren und bekämpfen
andere Person wird nicht mehr nur durch Projektion verzerrt wahrgenommen, sondern auch dementsprechend negativ behandelt
- Andere Person reagiert darauf gereizt
–> Projektion ist sozusagen “wahr” geworden
im interaktiven Prozess wird der eine, vermittelt durch Spiegelneuronen mehr oder weniger bewusst erleben, was im anderen vorgeht
Projektive Identifikation als Abwehr:
- muss Y seinen eigenen, negativen Affekt abwehren, wird negativer Affekt nicht bei sich selbst, sondern beim Gegenüber (X) wahrgenommen (Projektion)
- X wird zwingend in die Rolle des Aggressors gebracht, z.B. durch Provokation
- reagiert X gereizt, wird sich Y als unschuldiges Opfer erleben
- Y bleibt mit negativem Affekt in Verbindung, muss ihn aber nicht bei sich verrotten und kann sich “unschuldig fühlen”
Wie kann die Funktion der “Projektiven Identifikation” definiert werden?
Der Vorgang der Projektiven Identifikation als Prototyp der interpersonellen Abwehr ist letztlich ein selbstregulatorischer Prozess: Abgelehnte Selbstanteile werden im Gegenüber verortet und greifen so das Selbstwertgefühl nicht an
Darüber hinaus bietet die projektive Identifikation die Chance, mit dem abgewehrten Selbstanteil, der nun im Gegenüber lebendig wird, im Dialog zu bleiben
Was ist “Containing”?
beruht auf dem Prinzip, dass Patienten zeitweise negative Selbstanteile dem Therapeuten zur Aufbewahrung überlassen, um sie später in “metabolisiert”, gereinigter Form zurückzuerhalten
Konzept der Behälterfunktion von Therapeuten
- ursprünglich als Konzept für emotionalen Kontakt zwischen Mutter und Säugling
Aufgabe des Therapeuten:
- Aufnahme von Unverdaulichem, nicht Symbolisierungsfähigem, z.B. unerträgliche Affekte über mit der Übertragung angebotene projektive Identifikation
- Therapeut soll dies verdauen und Patient in Form einer Deutung zur Wiederaufnahme wiedergeben (introjektive Identifikation)
Wie funktioniert die Diagnose von Abwehr nach dem OPD-3
Operationalisierte psychodynamische Diagnostik:
- Abwehr als zentrale Ich-Funktion als eigene Dimension auf der Struktur-Achse (IV)
3 Facetten der Abwehr:
- Erhalt bzw. Aufgabe von Lebens- und Erlebensmöglichkeiten
- intrapsychische bzw. interpersonelle Abwehr
- einzelne Mechanismen, die für die Abwehr eingesetzt werden
Welche Rolle spielen Abwehrmechanismen in der Psychotherapie?
Abwehrmechanismen werden zum Gegenstand der Psychotherapie, weil alle Abwehrmechanismen über ihre ursprünglich adaptive Funktion auch maladaptiv wirken können
höherstrukturierte Abwehrmechanismen können maladaptiv werden, wenn Abwehr unerwünschter Impulse und Affekte nur unter ausgeprägter Symptombildung funktioniert
unreife Abwehrmechanismen können maladaptiv werden, wenn sie durch die bewirkte Verzerrung der Realitätswahrnehmung die Möglichkeiten der Lebensbewältigung beeinträchtigen
Therapeutische Aufgabe:
- Förderung von adaptiven Abwehrmechanismen, Analyse von maladaptiven Abwehrmechanismen
wann werden Abwehrmechanismen analysiert?
- Einschätzung der Ich-Stärke des Patient
- Beurteilung des Reifegrad der Abwehrmechanismen
- Einschätzung, wie adaptiv/maladaptiv die Abwehrmechanismen sind
Analyse kontraindiziert, wenn Patient bereits unter überflutenden Affekten wie Angst oder Wut steht oder durch Abwehranalyse eine Destabilisierung zu erwarten wäre
Abwehrmuster klarifizierend herausarbeiten oder konfrontieren
Wie können Abwehrmechanismen analysiert werden?
Identifikation der Abwehrform/-mechanismen
–>
Identifikation der der Abwehr zugrundeliegenden Affekte
–>
Identifikation der abgewehrten Wünsche oder Bedürfnisse
“von der Oberfläche in die Tiefe”
Abwehrdeutung so formulieren, dass Abwehr und Abgewehrtes miteinander verknüpft werden
Beispiel:
“Möglicherweise verleugnet die Patientin die Wut auf das aggressive Verhalten ihres
Partners, weil sie sich zu sehr schämen würde, wenn sie bemerkte, wie sehr sie an ihm
hängt und in welchem Maße sie seine Demütigungen hinzunehmen bereit ist”
Was ist Widerstand?
Widerstand:
alle Phänomene im Therapieprozess, die dem Erreichen der Therapieziele entgegenstehen
Abwehr vs. Widerstand:
- Abwehr betrifft die Ebene der Inhalte, mit denen sich die Therapie befasst;
Widerstand betrifft die Ebene der therapeutischen Beeinflussung
- Abwehr richtet sich gegen das Bewusstwerden z.B. einer bestimmten Emotion,
Widerstand richtet sich gegen das Wirksamwerden einer Intervention
Widerstand resultiert aus der Auseinandersetzung des Pat. mit schmerzhaften Gefühlen, maladaptiven Verhaltensweisen und negativen Überzeugungen
Therapeutischer Prozess kann dadurch zeitweise beschämend, unangenehm oder ängstigend erscheinen
Widerstand ist ein interpersonelles Phänomen in der Therapie
- Patient vermeidet Auftreten unangenehmer Emotionen ggü. Therapeuten im Hier und Jetzt
- Pat. möchte sich nicht verletzlich zeigen
- Pat. möchte Beziehung zu Therapeuten schützen, beziehungsregulierend
Was sind bewusste und unbewusste Widerstandsphänomene?
bewusster Widerstand:
Pat. ist klar, dass Verhalten den zur Zielerreichung
getroffenen Absprachen und Vereinbarungen zuwiderläuft
unbewusster Widerstand:
es bedarf eines widerstandsanalytischen
Prozesses, um Pat. den Widerstandscharakter des Erlebens und Verhaltens
bewusst zu machen
Wann ist der Zeitpunkt für eine Widerstandsdeutung günstig?
bewegen Pat. sich auf Bedeutsames zu, sollte man sie lassen, bewegen sie sich davon weg, sollte man
- Pat., der lange Zeit seine Affekte zurückgehalten hat und nun Zugang zu ihnen
findet, tut einen bedeutsamen Schritt, auch wenn Widerstände unübersehbar sind
–> bei Arbeit am Affekt unterstützen - bei Patient, der sich über mehrere Stunden hinweg über Dritte ereifert, ohne dass
der therapeutische Prozess dadurch fortschreitet → Widerstandsanalyse
optimales Angstniveau bzw. optimales Widerstandsniveau erforderlich, um
therapeutische Veränderungen herbeizuführen
Welche 5 Arten von Widerstand werden unterschieden?
Verdrängungswiderstand:
- richtet sich gegen das Bewusstwerdung schmerzlicher oder gefährlicher Triebregungen, Erinnerungen und Gefühle
Übertragungswiderstand:
- richtet sich gegen die schmerzhaften und gefährlichen Regungen, die als Folge der Übertragung von Pat. auftreten
- Widerstandsphänomene werden oft erst vor Hintergrund einer spezifischen Übertragung verständlich
Widerstand aus dem sekundären Krankheitsgewinn:
- Vorteile und Befriedigung, die Pat. aus Symptomen zieht, sind so groß, dass kein Motiv bleibt, mithilfe einer Behandlung auf Symptom zu verzichten
Es-Widerstand:
- richtet sich gegen das Aufgeben altvertrauter Gewohnheiten und Verhaltensmuster
Über-Ich-Widerstand:
- entstammt einem unbewussten Schuldgefühl oder Strafbedürfnis
- richtete sich gegen therapeutische Fortschritte
Welche Widerstandsphänomene sind durch den Therapeuten bedingt und können in der Therapie auftreten?
Gegenübertragungsagieren:
- Über- oder Unterschätzung der Möglichkeiten und Begrenzungen des Pat.
- Über-/Unterforderung in der Behandlung
Behandlungstechnische Fehler:
- Widerstand als Folge einer inadäquaten Deutungstechnik
- Deutungen werden zu früh oder zu wenig abwehrschonend gegeben