Verfassungsprinzipien, Staatsziele, Bundesstaat und Demokratiegrundsatz Flashcards

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Q

A. Verfassungsrechtliche Grundentscheidungen (Verfassungsprinzipien, “VP”) und Staatsziele (“SZ”): Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Relevanz

A

I. Gemeinsamkeiten
VP und SZ begründen objektiv rechtliche Verpflichtungen aller drei Gewalten und sind keine subjektiv öffentlichen Rechte wie zum Beispiel Grundrechte.

II. Unterschiede
VP sind jedenfalls in ihren Kernaussagen unabänderlich wegen Art. 79 III Var. 3 GG (Sog. “Ewigkeitsgarantie”). SZ können jederzeit ohne Beachtung von Art. 79 III GG wieder aufgehoben werden.

III. Relevanz

  1. Im Verhältnis zur Europäischen Union (EU)
    a) Der Bund hat bei der Entwicklung und Fortschreibung der EU darauf hinzuwirken, dass die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderalen Grundsätze und ein effektiver Grundrechtsschutz gewährleistet sind, Art. 23 I 1 GG.
    b) Das BVerfG hat angedeutet, dass es jedenfalls dann Akte der europäischen Gemeinschaft überprüfen will, wenn diese generell im Kernbereich den VP zuwiderlaufen.
  2. Im Verhältnis Bund-Länder und Länder zueinander
    a) Zwischen Bund und Ländern sowie zwischen verschiedenen Ländern gilt wechselseitig das Gebot der Rücksichtnahme, abgeleitet aus dem Bundesstaatsprinzip.
    b) Gem. Art. 28 I 1 TT muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates entsprechen (sog. Homogenitätsprinzip)
  3. Im Verhältnis der 3 Gewalten von Bund und Ländern
    ist jeweils das Prinzip der Gewaltenteilung zu beachten, im Wesentlichen abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III GG sowie aus Art. 20 II 2 Var. 3 GG.
  4. Verhältnis Staat zum Bürger bzw. Bürger untereinander
    a) Die Fallgruppen des Demokratieprinzips gelten mittelbar auch im privatrechtlichen Verhältnis der Partei zu den Parteimitgliedern, vergleiche Art, 21 I 3 GG.
    b) Die Fallgruppen von Demokratie und Rechtsstaatsprinzip sowie die Menschenrechtsgarantie aus Art. 1 II GG sind der wesentliche Inhalt des Begriffs “Freiheitlich demokratische Grundordnung” und verwandter Begriffe.
    c) VP und SZ können als sog. immanente Grundrechtsschranken zulasten (!) des Bürgers gehen; zB ist die Beachtung von Klagefristen als Eingriff in Art. 19 IV 1 GG grds gedeckt durch Art. 20 III GG - Rechtsstaatsprinzip, Prinzip der Rechtssicherheit; das Streikverbot für Beamte als Eingriff in Art. 9 III 1 GG ist grds. gedeckt durch Art. 33 V GG (hergebrachte Grundsätze des Beamtentums).
    d) VP und SZ können sich auch zugunsten des Bürgers auswirken als sogenannte Schranken-Schranken von hoheitlichen Grundrechtseingriffen, wie zB der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, abgeleitet aus Art. 20 III GG Rechtsstaatsprinzip (näher in Grundrechte).
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Q

B. Bundesstaatsprinzip

I. Ableitung, Definition (und Gegenbegriff), Zweck

A
  1. Ableitung
    Aus Art. 20 I GG (“Bundesstaat”), Art. 23 I 1 GG (“föderative Grundsätze”) sowie aus Vorschriften des Grundgesetzes, die vom Vorhandensein von Bund und Ländern ausgehen, insbesondere in denen Zuständigkeiten verteilt werden (zB Art. 30, 70 ff….)
  2. Definition und Gegenbegriff
    Bundesstaat ist ein Gesamtstaat, bei dem die Ausübung der Staatsgewalt auf einen Zentralstaat (Bund) und mehrere Gliedstaaten (Länder) aufgeteilt ist (Art. 79 III Var. 1 GG).
    Nach h.M. gilt ein sog. “zweigliedriger Bundesstaatsbegriff”, d.h., es gibt nur Bund und Länder als 2 staatliche Ebenen mit jeweils eigener Staatsgewalt auf identischem Staatsgebiet mit identischem Staatsvolk (ohne selbstständige Bedeutung eines Gesamtstaates BRD)

(3. Gegenbegriff)
Gegenbegriff ist der Einheitsstaat (zB Frankreich), bei dem nur der Zentralstaat Staatsqualität hat, während die Untergliederungen (zB Departements) nur unselbstständige Verwaltungseinheiten sind.

  1. Zweck
    Zweck des Bundesstaatsprinzips ist die “vertikale Gewaltenteilung” (Art. 79 II Var. 2 GG) sowie die Dezentralisation der Staatsgewalt mit stärkerer Beachtungsmöglichkeit für regionale Besonderheiten.
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3
Q

B. Bundesstaatsprinzip

II. Fallgruppen

A
  1. Trennungsprinzip
    Bedeutet grds. Eigenständigkeit von Bund und Ländern einerseits bzw. der Länder untereinander andererseits; insbes. muss immer genau erkennbar sein, ob es sich bei der Maßnahme um Staatsgewalt des Bundes oder eines bestimmten Landes handelt.
  2. Ausnahmen vom Trennungsprinzip
    a) Gegenseitige Einflussnahme ist möglich und zulässig.
    b) Gegenseitige Kooperation ist zulässig und erwünscht.
    - Bund / Länder: zB Gemeinschaftsaufgaben gem. Art. 91a ff. GG.
    - Länder untereinander: zB Gemeinschaftseinrichtungen (ZDF), Kultusministerkonferenz.
    c) Problematisch insbesondere im Hinblick auf Bundesstaatsprinzip sind Gemeinschaftseinrichtungen der Länder, insbes. dann, wenn sie Hoheitsgewalt gegenüber Bürgern ausüben können. Nach der Rspr. d. BVerwG müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
    aa) Keine gemeinsame öffentlich-rechtliche Anstalt aller Länder (wegen des Bundesstaatsprnizips darf keine dritte Ebene der Staatlichkeit zugelassen werden neben der Staatsgewalt des BUndes und der Staatsgewalt eines Landers);
    bb) Klare Regelung des anwendbaren Landesrechts (Anforderung ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III GG, wegen des Prinzips vom Vorrang des Gesetzes sowie wegen des Grundsatzes der Bestimmtheit);
    cc) Zumindest mittelbare Verantwortlichkeit der Gemeinschaftseinrichtung gegenüber einem oder mehreren Landesparlamenten (diese Anforderung ergibt sich im Wesentlichen aus dem Demokratieprinzip, Art. 20 II GG, und der daraus resultierenden Anforderung einer ununterbrochenen Legitimationskette.
    dd) Die Übertragung von Hoheitsrechten an Gemeinschaftseinrichtungen darf nicht zu einer Preisgabe der Länderstaatlichkeit führen, d.h., wesentliche Bestandteile der Länderverwaltung bzw. wichtige Verwaltungshoheiten dürfen grundsätzlich nicht auf Gemeinschaftseinrichtungen übertragen werden (so etwa bei gemeinsamer Polizeibehörde aller Länder für die Bekämpfung der Schwerstkriminalität).
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4
Q

B. Bundesstaatsprinzip

III. Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens i.w.S.

A

Gegenseitige Rücksichtnahme ist erforderlich.

  • Im Verhältnis des Bundes zu den Ländern gilt der Grundsatz des länderfreundlichen Verhaltens, Art. 23 IV - VI GG.
  • Im Verhältnis der Länder zum Bund gilt der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens im engeren Sinne.
    (Beispielsweise Transformationspflicht von völkerrechtlichen Verträgen des Bundes; keine Volksabstimmung im Bereich ausschließlicher Bundeszuständigkeiten)
  • Im Verhältnis der Länder untereinander gilt das interföderative Gebot der Rücksichtnahme.
    (Bsp Errichtung eines Kernkraftwerkes an der Grenze zu einem anderen Bundesland)
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5
Q

C. Demokratieprinzip

I. Ableitungen aus Art. 20 GG

A
  1. Art. 20 II 1 GG
    Danach darf der Träger der Staatsgewalt nur das Volk sein, nicht etwa nur ein Einzelner (Monarchie) oder eine Minderheit (zB der Adel)
  2. Art. 20 II 2 Var. 1 GG
    Die Staatsgewalt wird vom Volk in Wahlen ausgeübt. Daraus Ableitung insbes. folgender Fallgruppen:
    - Mittelbare oder. repräsentative Demokratie und jedenfalls keine ausschließlich unmittelbare oder direkte Demokratie, beachte auch Art. 23 I 2, 76 ff. GG
    - Mehrparteiensystem
    - Mehrheitsprinzip ( auf Zeit, dh maximal zulässige Dauer einer Legislaturperiode wären 6 Jahre, siehe Art. 39 I 1 GG; angemessener Minderheitenschutz, zB durch Art. 44 GG; Sozialstaatsprinzip; § 6 III 2 BWG)
  3. Art. 20 II 2 Var. 2 GG
    Die Staatsgewalt wird vom Volke in Abstimmungen (Plebiszit oder Referndum) ausgeübt.

Unterfälle sind:

  • Volksentscheid = abschließende verbindliche Entscheidung des Volkes. Der Gesetzesbeschluss des Parlaments, der in der Regel vorher ergeht ist nur deklaratorisch.
  • Volksbegehren = Initiative des Volkes zwecks Erlass, Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes (auf Bundesebene Erweiterung von Art. 76 I GG)
  • Volksbefragung = Befragung des Volkes über Erlass, Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes ohne rechtliche Bindungswirkung für das Parlament.

Verfassungsrechtliche Zulässigkeit:

  • auf Bundesebene nach h.M. unzulässig, sofern nicht das GG ausdrückliche Ausnahmen wie in Art. 29 GG vorsieht (Begründung: Grundsatz der mittelbaren oder repräsentativen Demokratie, s.o.; historische Auslegung)
  • auf Landesebene grds. zulässig (Begründung: das historische Argument gilt nur für die Bundesebene; der Grundsatz der mittelbaren oder repräsentativen Demokratie gilt über Art. 28 I 1 GG nur sehr abgeschwächt; “Homogenität bedeutet nicht Konformität”)

Parallelen:

  • Im Gemeinderecht: Einwohnerantrag, Bürgerbegehren, Bürgerentscheid, Ratsbürgerentscheid.
  • Im Parteienrecht: Mitgliederentscheid, Mitgliederbefragung (auch Art. 21 I 3 GG “demokratische Grundsätze” !).
  1. Art. 20 II 2 Var. 3 GG
    Die Staatsgewalt wird vom Volke durch besondere (!) Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rspr. ausgeübt.
  • Bei Ausübung von Staatsgewalt muss ununterbrochen Legitimationskette vom jeweiligen Organ bis zum Volk hergeleitet werden können.
    (P) EG-Ministerrat erlässt EG-Verordnung, wobei deutscher Minister überstimmt wird.
  1. Sonstige Fallgruppen
    a) Horizontale Gewaltenteilung (auch Art. 20 GG)
    b) Öffentlichkeitsprinzip, zB gem. Art. 42 I GG, § 169 GVG
    c) Transparenzgebot, zB bei Regelung der Diäten für Abgeordnete oder bei den Leistungen an parteinahe Stiftungen.

d) Vorbehalt des Gesetzes
(P) Dynamische Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht

e) Parlamentsvorbehalt, d.h., ganz wesentliche hoheitliche Maßnahmen sind ausschließlich dem Parlament vorbehalten, wie zB Art. 104 I 1 GG i.V.m. Art. 2 II 2 GG; Einsatz der Bundeswehr im Ausland.
f) Parlamentarische Demokratie bzw. parlamentarisches Regierungssystem (unzulässig: Präsidialdemokratie oder Rätedemokratie).

g) “Willensbildung von unten nach oben und nicht umgekehrt”; insbes.:
- Keine Wahlwerbung auf Staatskosten
(abzugrenzen von der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, auch in Wahlkampfzeiten)
- Pflicht aller staatlichen Organe zur parteipolitischen Neutralität
- keine vollständige oder verdeckte Parteienfinanzierung

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