4. Genese der Subjektivität in der Kindheit Flashcards
(15 cards)
Welche Ergebnisse der Säuglingsforschung widersprechen den Annahmen Mahlers? (5)
Neugeborene können …
… bereits recht gut sehen -> Sehschärfe zwischen 4. & 6. Monat erreicht beinahe das Niveau Erwachsener
… gut hören & zwischen verschiedenen Stimmen differenzieren
… Wahrnehmungen aus verschiedenen Sinnesbereichen koordinieren zB: Schnuller mit Noppen -> begründet früh ein rudimentäres Selbsterleben (Stern)
… Gefühle differenziert ausdrücken -> 7 Primäraffekte + korrespondierende Gesichtsausdrucke & Fähigkeit zur Wahrnehmung dynamischer Eigenschaften dieser
… aktiv an zwischenmenschlicher Kommunikation teilnehmen & Einfluss auf Austauschprozesse & Umgebung ausüben -> Wirkmächtigkeit/Selbstwirksamkeit (Still Face Experiment)
Inwiefern hat sich das Bild des Säuglings im Vergleich zu früher deutlich gewandelt?
früher: passiv, abhängig, wahrnehmungsdiffus-verschmolzen
heute: aktiv bzw "kompetent" 3 zentrale Bereiche * Wahrnehmungsfähigkeit * Affektregulation * Kommunikationsfähigkeit
Was ist die “Theorie der Momente”?
= Integrationsversuch -> Annahme: Psychoanalytische Theorien haben bestimmte Momente des Erlebens dramatisiert & überbewertet
Momente, in denen sich Säuglinge oral-fixiert, symbiotisch-verschmolzen oder paranoid-schizoid verfolgt erleben -> kommen in jedem Leben vor & erlangen erst durch “interaktionelle Vergrößerung” entwicklungspsychologische oder klinische Relevanz (erst wenn von Bezugspersonen aggraviert)
Welche Aspekte wurden seitens der Psychoanalyse an der Bindungstheorie kritisiert?
- zu mechanisches Bild des Menschen
- triebtheoretische & psychodynamische Gesichtspunkte vernachlässigt
- Einfluss der Ich-Entwicklung auf Fähigkeit zur Affektregulation übersehe
- Bindung insgesamt überschätzt
Wie kann Bindung definiert werden und was macht das Bindungssystem aus?
= universelles menschliches Bedürfnis nach engen affektiven Bindungen -> zeigt sich vor allem in Gefahrensituationen
= besondere Art von Bezogenheit & veranlasst im Fall von objektiv vorhandener oder subjektiv erlebter Gefahr Nähe & Schutz bei Bindungspersonen zu suchen
- > als Motivationssystem relativ unabhängig von sexuellen oder aggressiven Triebbedürfnissen
- > genetisch vorgeprägt & bei allen Primatenkindern
- > von Qualität der Interaktion im 1. LJ abhhängig
Was ist der Unterschied zwischen Bindung & Bindungsverhalten
Bindung = theoretisches Konstrukt -> stellt innere Organisation des Bindungsverhaltenssystems & der zugehörigen Gefühle dar
Bindungsverhalten = variable, austauschbare Verhaltensweisen/Signale, die das Kind mit Bindungsperson in Verbindung bringen sollen zB: Weinen, Lächeln, Festklammer, Suchen der Bezugsperson
-> Signale werden nur geäußert, wenn Bindungsverhaltenssystem aktiviert wird zB bei Angst, Schmerz, Müdigkeit, etc
Wie entwickelt sich Bindung? 4Phasen
Vierphasenmodell (Bowlby, 1969)
- Vorphase (bis ca. 6 W)
- Personenunterscheidende Phase (6. W bis ca 6./7. M)
- eigentliche Bindung (7./8. bis 24. M)
- Zielkorrigierte Partnerschaft (ab 2/3 J)
verschiedene Bindungsmuster zu verschiedenen Personen möglich
-> in ersten 6 M stärkste “Prägung”, aber gewisse Plastizität:
Zusammenhänge zwischen Bindungsverhalten von Kindern & Bindungsrepräsentanzen im Jugendlichen- & EWalter
Transgenerationelle Weitergabe von Bindungsmustern
Wie hängen Bindung & Exploration zusammen?
Neugier & Lernen kann nur entstehen, wenn das Grundbedürfnis nach Bindung & Sicherheit erfüllt ist! Vernachlässigung -> kognitiven Defiziten
Eltern = “secure base” -> Kinder explorierend mit sich & Umwelt beschäftigen
Wie sieht Elterliche Feinfühligkeit aus?
= zentrale Voraussetzung zur Entwicklung sicherer Bindung:
- Wahrnehmung der Verhaltensweisen
- zutreffende Interpretation
- prompte Reaktion
- Angemessenheit der Reaktion
Welche Auswirkungen / Folgen haben Bindungserfahrungen?
Unterschiede in Bindungssicherheit -> langfristige Folgen für die Entwicklung
Bindungserfahrungen -> Repräsentanzenbildung (“inner working models”) = Prototypen für spätere soziale Beziehungen
Bindungssicherheit beeinflusst Affektregulation (Lernen!) -> sichere innere Arbeitsmodelle früherer Beziehungserfahrungen führen dazu, dass Menschen sich später selbst eher beruhigen können
Bindungsbeziehungen sind verhältnismäßig stabil
Wie kann man Bindung untersuchen? (7)
- Fremde-Situations-Test (Mary Ainsworth)
- Manchester Child Attachment Story Task (MCAST)
- Child Attachment Interview (CAI)
- Adult Attachment Interview (AAI)
- Regensburger Auswertungsmethode
- Attachment Q Sort
- Current Relationship Interview
Welche Bindungsarten resultieren aus dem Fremde-Situations-Test & wie sieht das Verhalten der Kinder in der Testsituation aus?
12 bis 18 Monate
~ Sichere Bindung (Typ B) =68%
Kinder, die Nähe & Distanz angemessen regulieren können:
(kurz irritiert & weinen, lassen sich aber trösten & beruhigen sich schnell, freuen sich bei Wiederkehr)
~ Unsicher vermeidende Bindung (Typ A) =20%
Kinder, die ein Pseudounabhängigkeit & auffälliges kontaktvermeidungsverhalten zeigen -> Spielzeug als Copingstrategie
(unbeeindruckt von Trennung, spielen für sich allein, ignorieren Bezugsperson bei Wiederkehr)
~ Unsicher ambivalente Bindung (Typ C) =12%
Kinder, die sich widersprüchlich bzw. sehr anhänglich verhalten
(bei Trennung stark verunsichert, weinen, kaum zu beruhigen, bei Widerkehr abwechselnd anklammernd & aggressiv-abweisendes Verhalten)
~ Desorganisierte/desorientierte Bindung (Typ D) =13%
Kinder, die deutlich desorientiertes, nicht auf eine Bezugsperson bezogenes Verhalten zeigen
(bizarre Verhaltensweisen zB: Erstarren, Stereotypien; Mischform oder rascher Wechsel)
-> Double-Bind-Situation; Trauma
Welche Bindungsarten resultieren aus dem Adult Attachment Interview?
Autonome Bindungseinstellung: “free-autonomous” = F (-> Typ B Kinder)
- Selbstvertrauen, Frustrationstoleranz, Respekt, Empathiefähigkeit
- negative & positive Affekte & Einstellungen sind bewusst
- kaum unbewusste Identifikation mit Eltern
- eigene Eltern-Kind-Beziehung wird realistisch betrachtet
Distanziert-beziehungsabweisende BE: “dismissing” = Ds (-> Typ A Kinder)
- kaum Erinnerung an eigene Kindheit
- idealisieren eigene Eltern
- zwischen den Zeilen mangelnde elterliche Unterstützung
- verleugnen Bedeutung eigenere Erfahrungen
- großes Unabhängigkeitsbestreben
- eigene Kinder: Leistungsdruck & Unabhängigkeit
Präokkuperte, verstrickte BE: “entangled-enmeshed” = E (-> Typ C Kinder)
- von Erinnerungen überflutet
- unverarbeitete Probleme & Konflikte
- abwechselnd Wut & Idealisierung
- Sehnsucht nach Wiedergutmachung
- Kinder “schwacher Mütter”
- gehemmt in Unabhängigkeitsstreben
Von unverarbeitetem Objektverlust beeinflusste BE: “unrelsolved” = U (-> Typ D Kinder)
- unverarbeiteter Trauerprozess oder Misshandlung/Missbrauch
- Bindungsperson war häufig Quelle der Angst
=> “Earned Secure” = verarbeitete problematische Bindungsmuster
Wie sieht die psychotherapeutische bzw pädagogische Relevanz der Bindungstheorie aus?
psychotherapeutische Relevanz:
- tragfähige Bindungserfahrungen erleichtern das Einlassen auf Psychotherapie
- bindungsorientierte Psychotherapie -> “innere Arbeitsmodelle”, “organisierende Prinzipien” & “pathologische Phantasien” reorganisieren um Selbst zu verändern
- therapeutische Beziehung -> Vertrauen in Beziehungen wiederherstellen
- innere Sicherheit -> Funktionsniveau der Affektregulation erhöhen
pädagogische Relevanz:
- hohe Bedeutung für weitere Entwicklung
- Elternschaft & Kindesentwicklung von transgenerationalen Aspekten beeinflusst
- Plastizität in späterer Entwicklung -> pädagogische Bemühungen
- enger Zusammenhang zwischen Erfahrungen, Gefühlen & Verhaltensweisen
- sichere Beziehungen: Rahmen für Explorationsverhalten & lustvolles Lernen
Wie sehen die dynamischen Lerndreiecke in schulischer Beziehung nach Hechler (2018) aus?
sicher gebunden:
- Aufmerksamkeit -> sowohl Beziehung als auch Thema
- “milde Übertragung” -> “Szenen gemeinsam geteilter Aufmerksamkeit
- Raum für Lernen & Entwicklung
unsicher vermeidend:
- wenden sich mehr Thema zu & vermeiden Beziehung zu Lehrenden
- unauffällig, wirken unproblematisch
- meiden Augenkontakt, physische Distanz, fragen nicht um Hilfe
- Gefahr, dass Probleme übersehen werden
unsicher-ambivalent:
- suchen Kontakt (auch konflikthaft zB: Stören)
- Wunsch nach körperlicher Nähe
- fordernd, unersättlich & kontrollierend
- Beziehung sichern statt Exploration (-> Verlustängste)
desorganisiert:
- weder Beschäftigung mit Lehrenden noch mit Sache selbst
- sprunghafte Aufmerksamkeit, Motorik, Gedanken, Affekte
- emotionale Ausnahmezustände
- verhalten sich betont kontrollierend, um innere “frei flottierende” Angst zu regulieren
=> Bedeutung von Reflexivität & Feinfühligkeit
=> eigene Gegenübertragung für Verstehen des “Lerndreiecks” nutzen
=> Sicherung der Beziehung & Anregung der Explorationsfähigkeit als zentraler didaktischer Fokus