Diagnostische Einschätzung krisenhafter Entwicklung (17.05.25 Flashcards
(77 cards)
Was ist die Definition eine Krise?
“Unter psychosozialen Krisen verstehen wir den Verlust des seelischen Gleichgewichts, den ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie von der Art und vom Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation überfordern.“
(G. Sonneck et. al. 2016)
Was sind die allgemeinen Charakteristika einer Krise im Bezug auf psychische und physische Verfassung?
Das Erleben einer Krise macht uns bewusst, dass etwas getan werden muss!
„Das Tief“ sollten wir daher als Warnreaktion betrachten, um uns mit den Problemen zu beschäftigen
Eine psychosoziale Krise ist ein Ausdruck für das Erreichen oder Überschreiten der Grenze des individuellen Anpassungsvermögens (J. Cullberg, 1978)
Dies wird allgemein deutlich empfunden in Form von Rat- und Hilflosigkeit und ein Gefühl der Spannung
Je nachdem, ob der Krisenanlass subjektiv entweder Verlust, Bedrohung oder Herausforderung bedeutet, kann das Spannungsgefühl auch als Angst (Panik) oder depressive Verstimmung (Depression) erlebt werden (L. Rapoport, 1973)
Diese Gefühle können sich in körperlichen Beschwerden äußern
Körperliche Symptome bei Angst: Herzrasen, Atemnot, Erstickungsanfälle, Schweißausbrüche, motorische Unruhe
Körperliche Symptome bei Depression: Appetitverminderung, Gewichtsverlust, Durchschlafstörung, Verlangsamung der Motorik, Erschöpfung
Körperliche Symptome von Spannung: Einschlafstörung, Kopfschmerzen, Kreislaufbeschwerden, Verdauungsstörungen, Zittern bzw. Nervosität
Was sind die allgemeinen Charakteristika einer Krise im Bezug auf Störungen der Problemlösung/Problembewältigung?
Die häufigsten Schwierigkeiten bei der Krisenbewältigung entstehen…
- aus der Unfähigkeit, das Problem wahrzunehmen bzw. zu definieren
- aus der Unfähigkeit, eine bestimmte, als sinnvoll erkannte Lösung durchzuführen, z. B. wegen falscher oder fehlender Strategien
- wegen fehlender oder mangelnder emotionaler oder realer Unterstützung durch die Umwelt
- aufgrund der sich verschlechternden psychischen Verfassung
- aus dem Krisenanlass:
A) schwere Schicksalsschläge lösen starke Gefühle aus
B) die entstandene Situation ist sehr kompliziert oder unübersichtlich
Was sind die allgemeinen Charakteristika einer Krise im Bezug auf Störungen der Kommuniaktion?
Sofern Störungen der Kommunikation nicht bereits bestehen und Ursache für die Krise sind, wie z. B. bei Beziehungsproblemen, treten sie auf als Folge…
A. des Rückzugs aus der Situation (Vermeidungsverhalten)
B. des In-sich-Zurückziehens aufgrund der psychischen Verfassung
Dadurch wird die Nutzung der von der Gesellschaft angebotenen Hilfsmöglichkeiten, insbesondere auch der emotionalen Unterstützung durch Mitmenschen, erschwert bzw. verhindert
Zudem ist die affektive Belastung in Krisensituationen sehr hoch
Es besteht eine starke Tendenz zur Entlastung, die sich einerseits in destruktiven oft **kurzschlüssig-impulsiven Handlungen ** und andererseits in langwierigen körperlichen und seelischen Störungen sowie Änderung des Sozialverhaltens manifestieren
Was sind die allgemeinen Charakteristika einer Krise im Bezug auf Gefahren von Krisen?
Ob eine Krise Anlass zu innerem Wachstum, zur Heilung oder zur Katastrophe und in den Suizid führen kann, hängt von einer Reihe von Faktoren ab
- Der Krisenanlass (z. B. Veränderungskrise)
- Die subjektive Bedeutung für den Betroffenen (z. B. Pubertätskrise)
- Der individuellen Krisenanfälligkeit (Vulnerabilität)
- Der Reaktion der Umwelt
- Hilfsmöglichkeiten und Bewältigungsstrategien, die der Mensch besitzt (Coping)
- Das Maß seiner sozialen Integration
- Der Verlauf der Krise
Was sind die allgemeinen Charakteristika einer Krise im Bezug auf Gefahren von Krisen - AKUTE GEFÄHRDUNG?
Eine akute Gefährdung kann durch beabsichtigte Handlungen (z. B. suizidale Handlungen oder Racheakte) oder durch einen Kontrollverlust bedingt werden
Zu einer deutlich herabgesetzten Selbstkontrolle kann es in der Schockphase einer Krise durch Drogen-, Medikamenten- oder Alkoholeinfluss, durch Aggressionsausbrüche oder aufgrund einer psychischen Erkrankung (z. B. Psychose oder BPS) kommen
Akute Gefährdungen sind:
- Selbstgefährdung: Suizidalität, Selbstverletzung, Unfälle
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Fremdgefährdung: Die körperliche und seelische Schädigung anderer Personen
- Die aggressive Handlung kann sich gegen Angehörige (Partner, Kinder) oder die Öffentlichkeit (z. B. Vorgesetzte) richten
- Die physische Bedrohung anderer Personen kann zu seiner sofortigen Verschärfung der Krise für alle Beteiligten, also Täter und Opfer, führen (z. B. Folgen einer polizeilichen Anzeige, Krankenhauseinweisung der misshandelten Person)
- Möglich ist auch eine scheinbare Entschärfung der Krise, d. h. die bedrohte Person unterlässt eine unerwünschte oder beängstigende Handlung (bspw. Vollzug einer Trennung) - Akute Verschlechterung einer bestehenden psychischen Störung (z. B. Psychose)
Was sind die allgemeinen Charakteristika einer Krise im Bezug auf Gefahren von Krisen - GEFÄHRDUNG MIT LÄNGERFRISTIGEN FOLGEN?
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Auslösung einer psychischen Störung: Wenn die Disposition zu einer psychischen Störung vorhanden ist (genetisch, embryonal, perinatal, erworben durch ungünstige Erziehungs- und Sozialisationseinflüsse, spätere Schäden)
Es werden dann objektive wie subjektive Belastungen als Auslöser für Krankheiten wirksam - Beginn somatischer wie psychosomatischer Erkrankungen (Somatisierung): Die starke emotionale Belastung in einer Krise ist häufig mit körperlichen Symptomen verbunden
- Beginn von Medikamenten-, Drogen- oder Alkoholmissbrauch
- Verlust sozialer Sicherheit: soziales Abgleiten z. B. durch Schulden, Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung
- Verlust der Beziehungen: Beziehungs- oder Kontaktabbruch des Betroffenen gegenüber Angehörigen oder professionellen Helfern oder umgekehrter Kontaktabbruch durch Angehörige oder Freunde wegen ihrer Überforderung
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Chronifizierung:
Bestimmte soziale oder psychische Faktoren fördern eine Chronifizierung
Soziale Faktoren:
- Sozialer Krankheitsgewinn durch soziale Einordnung mit anerkanntem Status als Patient wird möglich
- Materieller Krankheitsgewinn z. B. ermöglicht die Krankheit eine finanzielle Existenzsicherung (Krankengeld, Rente)
Psychische Faktoren/psychischer Krankheitsgewinn
- Primärer Krankheitsgewinn: Krankheit dient als Lösung eines unerträglichen inneren Konflikts
- Sekundärer Krankheitsgewinn: Krankheit befreit von persönlicher Verantwortung, andere Menschen kümmern sich um Kranke
Vermeidungsverhalten wird als „Problemlösung“ erlebt
- Angstentwicklung kann durch Vermeidung bestimmter Situationen verhindert werden
Welche Formen von Krisen treten im menschlichen Leben auf?
Ereignisse und Lebensumstände bei Menschen können Anlässe für Krisen werden
Sie können auftreten als:
1. Katastrophen- und Massenbelastungen
2. Individuelle Belastungen
3. Traumatische Krisen
4. Veränderungskrisen
5. Chronisch-protrahierte Krisen
Welche Arten von Katastrophen- und Massenbelastungen können als menschliche Krisen auftreten?
Politische und rassistische Verfolgung
Kriegswirren, Terrorismus
Bergwerks-, Eisenbahn-, Schiffs-, Flugzeugkatastrophen
Natur- und Umweltkatastrophen
Unfälle, Epidemien, Pandemien
Welche Individuellen Belastungen können sich als Krisen zeigen
Individuelle Belastungen sind i.d.R. Schicksalsschläge oder Situationen des normalen Lebenslaufs
Sie können hauptsächlich eine Ebene der menschlichen Identität treffen, immer jedoch mit weiterem möglichen Einfluss auf die anderen beiden Ebenen:
1. Die körperlich-biologische Ebene (z. B. Pubertät)
2. Die psychische Ebene (seelische Konflikte)
3. Die soziale Ebene (z. B. Scheidung, längere Arbeitslosigkeit), d. h. Ereignisse, die durch Rollenveränderung oder Statusverlust gekennzeichnet sind
Unter Art und Ausmaß von Krisenanlässen wird nicht (nur) etwas “Objektives” verstanden, sondern vor allem die jeweils subjektive Bedeutung des Geschehens einschließlich seiner möglichen realen und fantasierten Konsequenzen!
Zur Lösung oder Bewältigung benötigt der Mensch sowohl eigene Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten als auch außerhalb seiner Person liegende Hilfsmöglichkeiten
Kurz gesagt: Von der Gemeinschaft zur Verfügung gestellten Hilfsmittel (situationsspezifische Beratung etc.)
Das Wichtigste ist allerdings die emotionale und reale Unterstützung durch Angehörige, Freunde und andere Menschen, die jedoch der Einzelne auch aktivieren und nutzen können muss!
Definiere traumatische Krisen
“Die traumatische Krise ist eine durch einen Krisenanlass mit subjektiver Wertigkeit plötzlich aufkommende Situation von allgemein schmerzlicher Natur, die auf einmal die psychische Existenz, die soziale Identität und Sicherheit und/oder die fundamentalen Befriedigungsmöglichkeiten bedroht.”
(J. Cullberg, 1978)
Was sind Beispiele für eine traumatische Krise?
Tod eines Nahestehenden
(chronische) Krankheit
Bekanntwerden von Diagnosen
Plötzliche Invalidität
Plötzliche Beziehungsbedrohung wie Untreue oder Trennung
Soziale Kränkung und Versagen
Äußere Katastrophen
Wie zeigen sich traumatische Krisen?
Der typische Verlauf erfolgt in vier Phasen
Beschreibe die erste Phase einer traumatischen Krise
Das akute Stadium umfasst dabei die Erste sowie den Beginn der zweiten Phase und dauert bis zu vier bis sechs Wochen
1. Phase - Schock Phase: Die Wirklichkeit wird ferngehalten. Äußerlich kann der Mensch geordnet erscheinen, innerlich ist alles chaotisch. Der seelische Aufruhr führt zu ziellosen Aktivitäten oder zu einem Rückzug bis hin zu einem Zustand der Betäubung.
Dauer: wenige Sekunden bis ca. 24 Stunden
Beschreibe die zweite Phase einer traumatischen Krise
2. Phase - Reaktionsphase: Die Konfrontation mit der Realität ist unvermeidbar. Man versucht, die Wirklichkeit so adaptiv wie möglich zu integrieren unter Einsatz psychischer Bewältigungsstrategien
In dieser Phase treten Perioden auf, welche durch “affektive Turbulenzen” gekennzeichnet sind
Apathie wechselt sich ab mit tiefster Verzweiflung, Depressivität, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Feindseligkeit und Aggression, Wut und Trauer und oft einer schweren körperlichen Begleitsymptomatik, welche den Menschen (zusätzlich) belasten
Dieses Stadium verläuft nicht kontinuierlich ab, sondern schließt Zeiten der Entlastung, durch Bearbeitung und Neuorientierung mit ein!
Dauer: Einige Tage bis Wochen
Intervention: Nicht alleine lassen, Vermittlung eines Gefühls der Geborgenheit
In der Reaktionsphase besteht die Gefahr einer Fehlanpassung durch:
1. Chronifizierung
2. Ausbruch einer Erkrankung
3. Alkohol-, Drogen- und Medikamentenabhängigkeit
4. Psychischer Zusammenbruch und suizidales Verhalten
Beschreibe die dritte Phase einer traumatischen Krise
3. Phase - Bearbeitungsphase: Allmählich löst der Mensch sich vom Trauma und der Vergangenheit, Interessen tauchen auf, Zukunftspläne werden geschmiedet
Reaktionsphase und Bearbeitungsphase wechseln sich einander immer wieder ab!
Interventionen zu diesem Zeitpunkt: Viel über das Ereignis und die dazugehörigen Gefühle explorieren und erzählen lassen
Ggf. Medikamente und Krankschreibung
“Verbotene Gefühle” dürfen zugelassen, erkannt und akzeptiert werden, ggf. behutsame Konfrontation mit der Realität, falls Verleugnungstendenzen auftreten
Wodurch besteht eine Gefahr der Fehlanpassung in der Reaktionsphase während einer traumatischen Krise?
In der Reaktionsphase besteht die Gefahr einer Fehlanpassung durch:
- Chronifizierung
- Ausbruch einer Erkrankung
- Alkohol-, Drogen- und Medikamentenabhängigkeit
- Psychischer Zusammenbruch und suizidales Verhalten
Beschreibe die vierte Phase einer traumatischen Krise
4. Phase - Neuorientierung: Das Selbstwertgefühl ist wieder „aufgerichtet“, neue Beziehungen werden aufgenommen und gehalten.
Lebenserfahrung wurde gewonnen
Was ist eine Veränderungskrise?
Situationen, die allgemein zum Leben gehören und von vielen Menschen auch als etwas Positives erlebt werden
Beispiele: Verlassen des Elternhauses, Heirat, Schwangerschaft, Kinder bekommen, Umzug, Eintritt ins Rentenalter bzw. Bezug von Rente, Konfrontation mit dem eigenen Sterben, berufliche Beförderung, Alltagssituationen jeglicher Art
Veränderungskrisen setzen - entsprechend den Krisenanlässen - nicht schlagartig ein, sondern entwickeln sich innerhalb einiger Tage bis zu max. 6 Wochen
Wie verläuft nach Caplan eine Veränderungskrise?
Nach G. Caplan (1964) nehmen Veränderungskrisen einen typischen Verlauf in vier Phasen
Das akute Stadium beginnt jedoch erst am Ende der dritten Phase und ist in der Vierten voll ausgeprägt
Beschreibe die erste Phase einer Veränderungskrise
1. Phase: in der Konfrontation mit dem problematischen Ereignis bleibt das gewohnte Problemlöseverhalten (persönliche Fähigkeiten und Strategien, übliche Hilfsmittel) wirkungslos
-> Führt zu Spannung und Unbehagen
Beschreibe die zweite Phase einer Veränderungskrise
2. Phase: Der Mensch erlebt, dass er die Belastung nicht bewältigt, d. h. er erlebt sich als Versager; sein Selbstwertgefühl sinkt, während die Spannung steigt