10. Wohlfahrtsstaat und soziale Sicherung Flashcards

(25 cards)

1
Q

Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948

A

„Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genußder für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen.“
[Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948]

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2
Q

Definition Sozialpolitik und Sozialstaat

A

• Sozialpolitik als „politische und verbandliche Aktivitäten sowie
gesetzgeberische Maßnahmen, die sich auf die Absicherung
existenzieller Risiken, die Verbesserung der Lebenssituation sozial
Schwacher, Gefährdeter oder Schutzbedürftiger und die Regelung
der spannungsreichen Interessenunterschiede zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern beziehen.“
(Quelle: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/18242/sozialpolitik)

=> Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik (Aichinger 1971)

• Sozialstaat als Gesamtheit staatlicher Interventionsformen zur
Abfederung von sozialen Risiken und zur Begrenzung von
Ungleichheit

• Begriff des Wohlfahrtsstaats umfassender (welfare state); im
Deutschen oft pejorativ

• Soziale Sicherung als normative Leitidee

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3
Q

Prinzipien des Sozialstaates

A
  • Versicherungsprinzip: Abdeckung sozialer Risiken durch Beiträge, kollektive Organisation
  • Fürsorgeprinzip: Bedürftigkeit (nach Prüfung), wenn keine anderen Hilfen mehr vorhanden, Finanzierung aus Steuermitteln
  • Versorgungsprinzip:für Entschädigungen in besonderen Fällen (z.B. Kriegs-und Katastrophenfolgen)
  • Prävention:soll verhindern, dass Menschen in benachteiligte Positionen gelangen
  • Subsidiaritätsprinzip:„Vorrangigkeit der kleineren Einheit“, Spannungsverhältnis zwischen den Pflichten der Selbstverantwortung und der kollektiven Fremdhilfe
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4
Q

Interventionsformen

A
  • Regulierung:kann unmittelbar (z.B. Verbot von Kinderarbeit) oder mittelbar (z.B. Wettbewerbs-politik, Regulierung der Arbeitsbeziehungen)
  • Geldleistungen: Transfers (gebundene, z.B. Gutscheine, oder freie monetäre Leistungen)
  • Sachleistungen: Infrastruktur, soziale Dienst-leistungen (u.a. Gesundheits-und Bildungsbereich)
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5
Q

Verteilungsperspektiven

A

Primärverteilung: Markteinkommen
=> allerdings ist auch die Primärverteilung durch staatliche Intervention beeinflusst (Regulierung, Rolle der Sozialpartner)

Sekundärverteilung: Redistribution durch Wohlfahrtsstaat
=> horizontale Umverteilung (piggy-bank welfarestate) || 70-80% Umverteilung über Lebensverlauf
=> vertikale Umverteilung (Robin Hood welfarestate)

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6
Q

Historische Entwicklungen

A
  • Beginn Bismarcksche Sozialreformen der 1880er als „defensive Modernisierung“
  • Neue soziale Frage durch Industrialisierung -> Kollektivierung von Risiken
  • Zunächst sozialer Schutz vor allem für den Kern der Industriearbeiter -> mobilisierungsstarke Gruppe
  • Historische Sequenz: Unfallversicherung, Krankenversicherung, Alter und Invalidität, Arbeitslosigkeit, Pflegeversicherung
  • Sozialstaatskompromiss nach 2. WK (Sozialpol. in der DDR stark betrieblich und über Preissubventionen)
  • Neue Professionen, Wohlfahrtsanbieter => „Wohlfahrtsindustrie“
  • Staat als Arbeitgeber
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7
Q

Charakteristika des deutschen Wohlfahrtsstaates

A
  • Etatismus: Zentrale Rolle des Staates
  • Korporatismus: Statusunterschiede zwischen einzelnen Berufszweigen, parastaatliche Organisation, Rolle der Sozialpartner und Wohlfahrtsverbände
  • Paternalismus: Einrichtungen zum Wohle von Betroffenen
  • Zentralität der Sozialversicherung: Äquivalenzprinzip (insb. für Renten –und Arbeitslosenversicherungen)
  • Lohnarbeitszentrierung
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8
Q

Thomas H. Marshall (1950): “Citizenship and social class and other essays.”

Zitat

A

„Staatsbürgerrechte verleihen einen Status, mit dem all jene ausgestattet sind, die volle Mitglieder einer Gemeinschaft sind. Alle, die diesen Status innehaben, sind hinsichtlich der Rechte und Pflichten, mit denen der Status verknüpft ist, gleich. Es gibt kein allgemeines Prinzip, das bestimmt, was dies für Rechte und Pflichten sein werden. Die Gesellschaften aber, in denen sich die Institutionen der Staatsbürgerrechte zu entfalten beginnen, erzeugen die Vorstellung eines idealen Staatsbürgerstatus, an der die Fortschritte gemessen und auf die die Anstrengungen gerichtet werden können“ (Marshall 2007: 45).

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9
Q

Thomas H. Marshall (1950): “Citizenship and social class and other essays.”

A
  • Institutionalisierung von Staatsbürgerrechten als neue Form der Gleichheit (Gleichheit grundlegender Rechte)
  • 2 Typen von Klassen: Klassen des ungleichen Status (verbunden mit Rechten und verbrieften Privilegien) und Klassen der ungleichen Verteilung
  • Gleichheit des Status erlaubt Ungleichheit marktlicher Verteilung
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10
Q

!!!Dimensionen der Staatsbürgerstatus nach T.H. Marshall

A

Historische Phase: 18. Jhd -> Rechtsform: Bürgerliche Rechte-> Rechtsinhalt: Redefreiheit, Gedanken- und Glaubensfreiheit,… Institution: Gerichte

fertig schreiben, siehe Tabelle auf Folie 13

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11
Q

Erklärungsansätze

Entstehung von Sozialpolititk

A

1) Funktionalistische Erklärungen

2) Politische Erklärungen

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12
Q

Entstehung von Sozialpolititk

1) Funktionalistische Erklärungen

A
  • Herausbildung von Sozialpolitik als Reaktion auf soziale Probleme der Industrialisierung (Marktbildung, Bevölkerungswachstum, Urbanisierung)
  • Ökonomisches Wachstum treibt Sozialausgaben, Rolle der Alterung
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13
Q

Entstehung von Sozialpolititk

2)Politische Erklärungen

A
  • Ausweitung des Wahlrechts erzeugt demokratische Nachfrage nach Sozialpolitik
  • Aufbau staatlicher Interventionskapazität
  • Demokratische und staatliche Institutionen als Weichensteller (Demokratietyp, Vetospieler)
  • Machtressourcentheorie: Rolle der Sozialdemokratie und linker Bewegungen
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14
Q

Machtressourcentheorie

A
  • Power resource theory von Walter Korpi (1983): klassenpolitischer Charakter des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit durch demokratische Strukturen transformiert
  • Arbeiterklasse kann demokratische Rechte nutzen um Umverteilung durchzusetzen (Arbeiter als Wahlberechtigte)
  • Empirie: Sozialstaatsausbau (Höhe der Sozialausgaben) abhängig von Stärke linker Parteien und Gewerkschaften
  • Messung der Machtressourcen:
  • Organisationsstärke (Mitgliederbasis)
  • „Kampfkraft“ (Fähigkeit zur Mobilisierung)
  • Inner-und außerparlamentarische Präsenz (Stärke von Gewerkschaften und linken Parteien)
  • Regierungsbeteiligung

(immer wenn das gelingt, dass die Arbeiter_innenschaft Regierungsbeteiligung hat, expandiert der Wohlfahrtsstaat)
(Institutionalisierung des Klassenkonflikts)

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15
Q

Konvergenz oder Pfadabhängigkeit

wohlfahrtsstaatlicher Arrangements?

A
  • Modernisierungstheorie

* Theorem der Pfadabhängigkeit

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16
Q

•Modernisierungstheorie

A

gleichgerichteter sozialer Wandel, unterschiedliche Modernisierungsgrade, langfristige Konvergenz wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung -> beobachtbar anhand der Einführung zentraler sozialpolitischer Programme oder der Höhe der Sozialausgaben

17
Q

•Theorem der Pfadabhängigkeit

A

distinkte institutionelle Profile aufgrund spezifischer sozio-politischer Kompromisse und Traditionen, die in den institutionellen Bauplänen verankert sind

18
Q

Wohlfahrtsstaatstypologien

A

•Bismarck- und Beveridge-Modelle der sozialen
Sicherung (Bonoli, 1997; Ferrera, 1993)  basieren
auf unterschiedlichen historisch bedingten
Architekturen der Sozialpolitik
•Bismarckmodell: Sozialversicherungsmodell, männliche Erwerbstätigkeit als zentral hoher Grad an sozialer Sicherheit für die Personen in Beschäftigung, Sicherungssystem repliziert Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt
•Beveridgemodell: schließt die gesamte Bevölkerung mit ein, Prinzip der uniformen Leistungen (flat rate)Staatliche Mindestsicherung plus Zusatzleistungen privater Versicherungen

19
Q

!!! Esping-Andersen (1990): Three worlds

of welfare capitalism

A

•Varianten des Wohlfahrtskapitalismus: unterschiedliche
Arrangements und Grundprinzipien
•Historische qualitative und quantitativ angelegte
vergleichende Analyse wichtiger OECD-Länder
•Historische Klassenkompromisse als prägend
•Verknüpfung institutioneller Arrangements und
Sozialstruktur
•Dimensionen der Klassifizierung:
1) Dekommodifizierung (heißt Entwarenförmlichung) = Grad der Marktunabhängigkeit sozialer Sicherung
2) Stratifizierung = Sozialpolitik mit Stratifizierungswirkung
3) Dreieck Staat -Markt -Familie

20
Q

Wohlfahrtsstaatsregime

Grundmodell Esping-Andersen (1990)

A
  • Dekommodifizierung (Befreiung von der Marktabhängigkeit)
  • Stratifizierung (Ungleichheiten)

•Verhältnis Staat-Markt-Familie
Grundmodell Esping-Andersen (1990)

siehe auch Folie 19

21
Q

!Liberaler Wohlfahrtsstaat

A
  • Kommodifizierung ausgeprägt
  • Markt als grundlegender Allokationsmechanismus, soziale Sicherung soll Marktallokationen nicht behindern
  • Staat sorgt für Rahmen
  • Soziale Sicherung als Armutspolitik -> Bereitstellung eines sozialen Minimums
  • Orientierung auf Selbsthilfe und Eigenvorsorge
  • Große Rolle von Bedürftigkeitsprüfungen (means-tests)
  • Beispiele: USA, Großbritannien, Neuseeland, Australien
22
Q

!Konservativ-korporatistischer Wohlfahrtsstaat

A
  • Mittleres Niveau der Dekommodifizierung
  • Korporative Akteure mit wichtiger Funktion (Sozialpartner: Gewerkschaften-Arbeitgeber, berufsständische Organisa-tionen, Wohlfahrtsverbände)
  • Starke Regulierung von Arbeitsmarkt (in Verbindung mit Bildungs-und Ausbildungsinstitutionen)
  • Basierte ursprünglich auf den Male-Breadwinner-Modell; Privilegierung den männlichen Vollzeitarbeitnehmers
  • Leitungen an Beiträge und Erwerbsbeteiligung geknüpft
  • Starke Betonung horizontaler (withinclass) Umverteilung, wenig vertikale Redistribution
  • Beispiele: Deutschland, Belgien, Österreich, Frankreich
23
Q

!Sozialdemokratisches Modell

A
  • Hohes Niveau an Dekommodifizierung
  • Orientierung auf Gleichheit
  • Wichtige Rolle des Staatsbürgerstatus = ebnet Zugang zu sozialen Rechten
  • Hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern
  • Allgemein hohes Niveau staatlicher Sicherung
  • Starke Umverteilungswirkung
  • Beispiele: skandinavische Länder, Niederlande
24
Q

Kritiken an Esping-Andersons Modell

A

• Realtypen versus Idealtypen
• Inkonsistente Zuordnung bestimmter Fälle (z.B. Finnland,
Niederlande)
• Keine Erklärung für sozialen Wandel oder Pfadwechsel
• Südeuropäisches, mediterranes Cluster als eigenständig 
Rolle der Familie und sozialer Netzwerke
• Esping-Andersen vernachlässigt Rolle von Gender und
Geschlechterarrangements -> Frauen sind oft nicht
kommodifiziert, sondern familiarisiert
• Kulturelle Vorstellungen zu Familienernährermodell,
Kinderbetreuung usw. vernachlässigt
• Übertragbarkeit auf andere Regionen? z.B. Osteuropa?

25
Neuere Diskurse der Sozialpolitik | nicht im Einzelnen wissen...
* Aktivierende Sozialpolitik:vom passiven zum aktiven Wohlfahrtsstaat, „Fordern und Fördern“, Employability * New SocialRisks: Risiken, die nicht industriegesell-schaftlicheRisiken im engeren Sinne sind, u.a. Pflege, Kinderbetreuung, Bildungsarmut, Alleinerziehung, Migration * Flexicurity: Verbindung von hohem Sozialschutz und liberalem Kündigungsschutz (z.B. Dänemark, EU-Programmatik) * Dualisierung:Insider-Outsider-Theorie, Wachstum und Verfestigung atypischer Beschäftigung * Investive Sozialpolitik: von der Kompensation zur Investition; v.a. Bildungsinvestitionen