3. Historische Entwicklung und Charakteristika der Sozialstruktur moderner Gesellschaften Flashcards

(32 cards)

1
Q

Historische Phasen

A

Häufig werden unterschieden:

1) Vormoderne Agrargesellschaft

2) Moderne Industriegesellschaft
-> Vgl. Entstehung/Entwicklung der Soziologie…!
• Mechanische vs. Organische Solidarität (Durkheim)
• Gemeinschaft vs. Gesellschaft (Tönnies)…

3) Moderne ‚postindustrielle‘ Gesellschaft
• (evtl. sogar Postmoderne Gesellschaft?)

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2
Q

Historische Phasen
… als idealtypische Klassifizierungen!
Idealtyp (nach M. Weber):

A
  • ‚reine‘, gedankliche Konstruktion eines theoretisch relevanten Zusammenhang – meist eines komplexen kulturellen oder sozialen Gebildes
  • kommt so in der Realität nicht vor
  • Modell, durch Abstraktion bzw. einseitige Steigerung eines oder mehrerer Gesichtspunkte gewonnen
  • (‚Heuristisches‘) Mittel der Erkenntnis; Abweichung realer Fälle von diesem Modell können bestimmt werden -> Tendenzen
  • NICHT: (normatives) ‚Ideal‘ im alltagssprachlichen Sinn!!

Weber, Max (1988 [1904]): Die “Objektivität” sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. In: Winckelmann, J. (Hrsg.), Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: 146-214.

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3
Q

Historische Phasen, Allgemeines

A
  • reale Entwicklungen hingegen sind i.d.R. stetig -> Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung nicht exakt abgrenzbar
  • gesellschaftliche Strukturen sind i.d.R. kontinuierlicher als politische Ereignisse
  • Auch: perspektivenabhängig -> historische Abgrenzung hängt ab von Betonung bestimmter Dimensionen (und von Definitionsmacht…)
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4
Q

Historische Phasen

-Zwei zentrale historische Übergänge

A

Zwei zentrale historische Übergänge bzw. vergleichende Gegenüberstellungen (idealtypisch, historisch mit großer zeitlicher Streuung):

1) Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft (18./19. (20.) Jhdt.)
2) Übergang von der Industrie- zur postindustriellen Gesellschaft (20./21. Jhdt.)

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5
Q

Agrar- vs. Industriegesellschaft

A
  • Wirtschaft: Landwirtschaft vs. Produktionssektor
  • Haushaltsführung: Integriert (‚Ganzes Haus‘) vs. Trennung von Wohnen und Arbeit ( geschlechterdifferente Arbeitsteilung!)

-Ungleichheit:
•Feudale ständische Differenzierung (Adel, Klerus, Bürgertum, Bauern) nach dem Geburtsprinzip; geringe Durchlässigkeit
vs.
•Klassen und Schichten/berufliche Differenzierung; zunehmend auch nach dem Leistungsprinzip; hohe soziale Mobilität

  • Bevölkerung: u.a. hohe Geburtenrate, geringe Lebenserwartung vs. hohe Lebenserwartung, sinkende Geburtenrate
  • Bildung: Minderheits- vs. (zunehmend) Massenbildung
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6
Q

Industrie- vs. Postindustrielle Gesellschaft

A
  • Wirtschaft: Produktions- vs. Dienstleistungssektor
  • Bevölkerung: 2. demographischer Übergang zu bes. niedrigen Geburtenraten, gesellschaftliche ‚Alterung‘
  • Haushalte und Lebensformen: Kernfamilie vs. Pluralisierung von Lebensformen
  • Bildung: Bildungsexpansion im Sekundar- und Tertiärbereich
  • Ungleichheit: Differenzierung klassischer (erwerbsbezogener) Dimensionen und neue Dimensionen
  • ABER: (noch) nicht so klare Entwicklungen/Unterscheidungen wie beim Übergang zur Industriegesellschaft

vgl. auch Vielzahl der Bezeichnungen …. („Wissens-“, „Dienst-leistungs-“, „Postwachstumsgesellschaft“ (!) …)

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7
Q

Was kommt nach der Industriegesellschaft? …

A

Vielfältige Gesellschaftsdiagnosen/-typisierungen; i.d.R. besonderes Augenmerk auf einem spezifischen Aspekt
-Postindustrielle Gesellschaft (Daniel Bell)
-‚Risikogesellschaft‘ / reflexive Modernisierung (U. Beck)
-‚Erlebnisgesellschaft‘ (Gerhard Schulze)
-Informationsgesellschaft
-Spätkapitalismus (Habermas u.a.)
-Postwachstumsgesellschaft (Jena u.a.)
-Postmoderne (Bauman u.a.)…
…widersprechen sich nicht unbedingt

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8
Q

Grundlagen

zur Theoretisierung gesellschaftlichem Wandels

A
  • Rahmentheorien gesellschaftlichen Wandels, welche eine Vielzahl gesellschaftlicher Teilbereiche umfassen
  • insbes. Theorien der Modernisierung -> bestimmte soziale Entwicklung (Zapf)
  • häufig verbunden mit Idee eines Fortschritts, nicht einfach eines Anders-Seins [„Evolution“ (Parsons)] -> ‚funktionalistische‘ Argumentation wird aber kritisiert!
  • Modellhafte Annahme relativ ähnlicher Entwicklung (‚Modernisierungspfad‘) in allen Gesellschaften (wenngleich i.d.R. zeitversetzt!)
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9
Q

Das Modell der Stadien von Walt W. Rostow

A
  1. Traditionelle Agrargesellschaft
  2. Vorbereitungsstadium
  3. Durchbruchphase (Take-off)
  4. sich selbst erhaltendes Wachstum
  5. Massenkonsum (Trickledown Effekt)
  6. Suche nach neuen Qualitäten / Abschwächen des Wirtschaftswachstums

Walt Whitman Rostow: The stages of economic growth: a non-communist manifesto. 3. Auflage. Cambridge University Press, Cambridge 1990, S. 10-16

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10
Q

Deutschland im Vergleich

A
  • relativ späte Nationalstaatsbildung (1871)
  • relativ späte Industrialisierung (v.a. Ende des 19. Jhdts)
  • relativ späte Demokratisierung (1919 + Rückfall der NS-Zeit)

Nach dem II. Weltkrieg in Westdeutschland:

  • relativ rasche Modernisierung (mit Unterstützung von außen!)
  • föderalistische Konkurrenzdemokratie
  • starker Ausbau des Wohlfahrtsstaates
  • Massenkonsum
  • weiterhin Besonderheiten wie relativ späte ‚Tertiarisierung‘ (Ausbau des Dienstleistungssektors)
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11
Q

Deutschland im Vergleich

A

-Sondersituation durch die deutsche Vereinigung 1990er Jahre –
•Transformationsprozesse in Ostdeutschland
•„nachholende Modernisierung“: tendenzielle Angleichung in vielen Bereichen der Sozialstruktur bei weiterhin bestehenden Unterschieden
•Folgen auch für die Entwicklung in Westdeutschland

-zunehmende Bedeutung übernationaler Regulierungen (EWG/EG/EU…)

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12
Q

Modernisierung

Definition:

A

„…Typus des sozialen Wandels, der seinen Ursprung in der englischen industriellen Revolution von 1760-1830 und in der politischen Französischen Revolution 1789-1794 hat (…). M. (…) besteht im wirtschaftlichen und politischen Fortschritt einiger Pioniergesellschaften und den darauf folgenden Wandlungsprozessen der Nachzügler“

Bendix, Reinhard (1969): Modernisierung in internationaler Perspektive. In: Wolfgang Zapf (Hg.): Theorien des sozialen Wandels. Köln: Kiepenheuer & Witsch, S 505-512.

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13
Q

Modernisierung

verschiedene Bereiche

A

(1) Geistige / ideengeschichtliche Modernisierung (seit dem 16. Jahrhundert)
(2) Politische / programmatische Modernisierung (seit dem 18. Jahrhundert)
(3) Gesellschaftliche Modernisierung (seit 19. Jhd.) (+ ökonomische Modernisierung / Industrialisierung)
(-> vgl. auch Entstehung der Soziologie!)

-> i.d.R. lang ausgedehnte historische Prozesse

Vgl. Hradil 2006: Kapitel 2 und Geißler 2014 Kap. 2 zu Industrialisierung

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14
Q

(1) Geistige/ideengeschichtliche Modernisierung

A

•Kennzeichen ‚modernen‘ (philosophischen und naturwissenschaftlichen) Denkens u.a.:

  • Linearer Zeitbegriff („Geschichte“) statt zyklisch / statisch
  • Fortschrittsglaube
  • Zweck-Rationalität orientierend statt Tradition / Religion
  • Individualismus und eigene Aktivität, „Subjekt“ entsteht
  • Säkularisierung
  • Dualistisches Denken (‚richtig‘ vs. ‚falsch‘ etc.)

Vgl. hier und im Folgenden: Hradil 2006, Kapitel 2

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15
Q

(2) Politische Modernisierung

A

•Politisches Programm der Aufklärung: Konkretisierung der Ideen der Modernisierung u.a.:

  • Idee der natürlichen Gleichheit der Menschen
  • Rationalität Grundlage menschlichen Zusammenlebens
  • Herrschaft muss vernünftig legitimiert sein
  • Trennung Staat – Gesellschaft, Öffentlich – Privat
  • Naturrecht, Gesellschaftsvertrag, Gewaltenteilung
  • Ungleichheit kann nur auf ungleichen Beiträgen beruhen
  • Alle Menschen vor Gesetz gleich …
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16
Q

(3) Gesellschaftliche Modernisierung

A

•Durchsetzung der modernen Prinzipien in der Gesellschaft insgesamt u.a.:

  • Funktionale Differenzierung, fortschreitende Arbeitsteilung, Subsystembildung
  • Integration von gesellschaftlichen Teilsystemen
  • Ausbreitung von Zweckrationalität im alltäglichen Handeln
  • Universalisierung von Normen
17
Q

Merkmale der Modernisierung

Makroebene

A
  • Ausgliederung von gesellschaftlichen Teilsystemen aus Familien und Herrschaftsfamilien
    (z. B. Wirtschaftssystem, Bildung, Politik, Soziale Sicherung)
18
Q

Merkmale der Modernisierung

Mesoebene

A

-Ausbildung von spezifischen Institutionen (z.B. Elementen einer marktbasierten Wirtschaftsordnung) und spezialisierten Organisationen (z.B. Bildungseinrichtungen)

19
Q

Merkmale der Modernisierung

Mikroebene

A

Mikroebene (persönliche Beziehungen, Denken, Handeln)

  • Spezialisierung und Arbeitsteilung
  • Leistungsmotivation, individuelle Konkurrenz, Aufstiegsstreben
  • Individuelles Autonomiebedürfnis
  • unterschiedliche soziale Kontakte
  • Affektive Neutralität, Kontrolle spontaner Leidenschaften
  • Streben nach Effektivität, Rationalisierung des Alltags, effizienter Umgang mit Zeit, Beschleunigung
  • Geistige, regionale und soziale Mobilität
  • Zukunftsorientierung, Planung, Steuerbarkeit der Umwelt …
20
Q

!!!!Merkmale der Modernisierung

wichtigste Folie!

A
  • revolutionärer Prozess, radikale Veränderung aller wesentlichen Bereiche der Gesellschaft
  • verschiedene Einzelprozesse, die sich unterstützen
  • internationale Konkurrenz, moderne Gesellsch. haben Vorteile
  • M. unumkehrbar, keine Rückfälle / Stagnation
  • M. vollzieht sich in allen Ländern
  • m. Gesellschaften behindern die „Nachzügler“ nicht, sondern fördern deren Modernisierung (Aufholtheorie nach Zapf)
  • gemeinsames Ziel: einheitliche modernen Gesellschaft.
  • Fortschrittsgedanke
  • M.theorien: faktisch und normativ (beinhalten Sollvorstellungen)
21
Q

!!!Paradoxien der Modernisierung

auf den Ebenen von…

A
  • Struktur
  • Kultur
  • Person
  • Natur

Original: Van der Loo/van Reijen (1992): Modernisierung: Projekt und Paradox. Sekundärliteratur: Rosa/Strecker/Kottmann (2007): S. 19-28

22
Q

!!!Paradoxien der Modernisierung

STRUKTUR

A

Differenzierung

  • Maßstabsvergrößerung
  • Maßstabsverkleinerung

Pathologie: Desintegration (Auseinanderfallen)

23
Q

!!!Paradoxien der Modernisierung

KULTUR

A

Rationalisierung

  • Pluralisierung
  • Generalisierung

Pathologie: Erosion d. Sinnressourcen

24
Q

!!!Paradoxien der Modernisierung

PERSON

A

Individualisierung

  • Abhängigwerden Individualisierung
  • Verselbsständigung

Pathologie: Vermassung/Vereinsamung

25
!!!Paradoxien der Modernisierung | NATUR
Domestizierung - Konditionierung - Dekonditionierung Pathologie: Ökokatastrophe
26
Kritik an Modernisierungstheorien
- überprüfbare, potenziell falsifizierbare ‚Theorie‘? - idealtypische Konstruktion, faktisch Mischung - Fixierung auf bestimmten Entwicklungstyp (westliche Gesellschaften) – Eurozentrismus! - normative Elemente (liberal/individualistisch) einseitig positiv bewertet; werten anderes ab (Gemeinschaft z.B.) - Heterogenität von Gesellschaften: „multiple Modernities“ - verschiedene Wege (Pfadabhängigkeit) - Konflikte werden vernachlässigt! - kein linearer, positiver Weg – Rückschritte möglich!! - Nebenfolgen nicht berücksichtigt (UW-Zerstörung usw.) - Modernisierung auf Kosten weniger „moderner“ Länder …
27
Methoden II: Sozialstruktur und Zeitlichkeit | grundsätzlich:
Zeitlichkeit zentral für Analyse von Wandel/Stabilität - Strukturen: v.a. historischer Wandel interessant - Individuen: Lebensverlauf zentrales Konzept.
28
Definition: | Lebensverlauf
„…die Abfolge von Aktivitäten und Ereignissen in verschiedenen Lebensbe-reichen / Handlungsfeldern von Geburt bis Tod. Der Lebensverlauf kenn-zeichnet die sozialstrukturelle Einbettung von Individuen im Verlauf ihrer gesamten Lebens-geschichte vornehmlich als Teilhabe an gesellschaft-lichen Positionen (…) Ein wichtiger Aspekt von Lebensverläufen ist ihre zeitliche Binnenstruktur, wie z.B. die Verweildauer in bestimmten Zuständen sowie die Altersverteilung bei Übergangsereignissen“ (Mayer 1998: 438)
29
Methoden II: Sozialstruktur und Zeitlichkeit | Bei der Untersuchung von Wandel / Stabilität unterscheidet man üblicherweise drei Zeitachsen:
1. die historische Zeit oder die Kalenderzeit 2. die individuelle Lebenszeit, also das Alter (oder die Lebensläufe von Gruppen, Organisationen etc.) 3. die Kohortenabfolge (typisch Geburtskohorten, auch Absolvent_innenkohorten; erleben ein bestimmtes Ereignis mehr/weniger gemeinsam)
30
Methoden II: Sozialstruktur und Zeitlichkeit | Generationen
``` Generationen hingegen (nach Mannheim): Weisen ähnliche sozio-historische Lagerungen auf (sie beruhen also auf Kohorten) und weisen ähnliche Erfahrungen sowie tendenzielle Ähnlichkeiten im Denken, Fühlen und Handeln auf (z.B. die Kriegsgeneration oder die „Generation Y“) ```
31
Methoden II: Sozialstruktur und Zeitlichkeit | Kohorten
Unterscheidung in Kohorten ist zentral, denn diese ermöglicht die Unterscheidung zwischen 1) Alters- bzw. Lebenszykluseffekten (beruhend auf der Annahme, dass sich das Verhalten der Menschen mit dem Lebensalter verändert) 2) Kohorteneffekten (beruhend auf der Annahme, dass sich aufeinanderfolgende Kohorten unterscheiden) und 3) Periodeneffekten, die alle Kohorten betreffen und sich durch ein bestimmtes historisches Ereignis einstellen
32
Methoden II: Lexis-Diagramm
- Aus zwei Zeitachsenangaben folgt automatisch die dritte - Veränderungen können analysiert werden! - ABER: nicht immer exakte Abgrenzung möglich siehe Folie 36