9. Bildung und Bildungsungleichheiten Flashcards
(35 cards)
Historische Entwicklung von Bildung
- Ursprünglich Bildung für Eliten, Bildungsvermittlung durch Kirchen
- Revolutionäre Umwälzungen im 18. Jh. wie Industrielle Revolution, Französische Revolution und Aufklärung transformieren die Gesellschaft: weg von geburtsständisch gegliederten hin zu einer berufsständisch strukturierten Ungleichheiten
- Größere Rolle des Staates bei der Organisation der Bildung: Schulpflicht, Ausweitung der Bildungsinklusion
- Historisch: strikte Trennung von Volksbildung und höherer Bildung, Rolle der Konfessionen
- Grundspannung: Industrialisierung als Antriebsmoment zur Ausweitung von Bildung versus Schicht-, Standes-und Herrschaftsinteressen
- Institutionelle Differenzierung nach Schultypen für unterschiedliche Bildungspfade
Bildungsinstitutionen
•Frühkindliche Bildung
Freiwilligkeit der Teilnahme, z.T. Kosten => Ausweitung in Richtung flächendeckender Angebote
Bildungsinstitutionen
•Allgemeinbildende Schule
verpflichtend, Ausbau der Ganztagsschulen, unterschiedliche Schultypen=> dreigliedriges Schulsystem vs. Gesamtschule, Zunahme höherer Schulabschlüsse bei Fortbestand sozialer und ethnischer Ungleichheiten
Bildungsinstitutionen
•Berufliche Bildung
deutsches Berufsbildungssystem als Sonderfall, Rolle der Arbeitgeber
Bildungsinstitutionen
•Hochschulische Bildung
Tendenz zur Akademisierung, Universitäten und Fachhochschulen, Schwierigkeiten des Zugangs für Kinder aus bildungsfernen Haushalten
Womit beschäftigt sich die Bildungsforschung?
•Makroebene
1) Herausbildung, Entwicklung und Funktionen des Bildungssystems
2) Vergleiche von Bildungssystemen und -institutionen
3) Sozialstrukturelle Wirkungen des Bildungssystems (insbesondere auch auf Chancengleichheit bzw. soziale Ungleichheit)
Womit beschäftigt sich die Bildungsforschung?
•Mikroebene
1) Zugang zu und Nutzen von Bildung für das Individuum
2) Bildungserwerb, Folgen für den Lebensverlauf, Bildungsrendite
Womit beschäftigt sich die Bildungsforschung?
•Mesoebene
1) Analyse von Bildungsorganisationen, z.B. Schulen oder Hochschulen, und wiederum ihrer Wirkungen auf den Einzelnen
2) Steuerung und Gestaltung von Bildungseinrichtungen („Educational governance“)
Bildung in funktionalistischer Perspektive
Durkheim, 1961 [1925];
Erziehung ist laut Emile Durkheim „die Einwirkung, welche die Erwachsenen-generation auf jene ausübt, die für das soziale Leben noch nicht reif sind. Ihr Ziel ist es, im Kinde gewisse […] Zustände zu schaffen und zu entwickeln, die sowohl die politische Gesellschaft in ihrer Einheit als auch das spezielle Milieu, zu dem es in besonderer Weise bestimmt ist, von ihm verlangen“ (Durkheim 1972, S. 30).
Bildung in funktionalistischer Perspektive
Funktionen des Sozialisations-und Bildungssystems (Parsons)
1) Vorbereitung auf das Leben als Erwachsener
2) Transmission grundlegenden Wissens entsprechend autoritativer Standards (Schulcurricula)
3) Spezialisierung in beruflicher Ausbildung entsprechend der Erfordernisse der Arbeitsteilung
4) Identifizierung von Talent und entsprechende Bildung auf dem hochschulischen Niveau
Funktionalistische Theorie der Stratifikation (Davis and Moore, 1945)
1) Moderne Gesellschaften müssen Mitglieder auf Positionen in arbeitsteiligem System verteilen
2) Passung zwischen Person und Position entsprechend Talent und Ausbildung
Annahmen: 1) Knappheit der Talente, 2) differen-ziertes Belohnungssystem schafft Motivationen für Anstrengungen 3) Soziale Positionen werden wettbewerblich vergeben => je bedeutender die Position desto höher sollte die Gratifikation sein
Humankapitaltheorie (Becker 1964, Mincer 1974)
- Arbeitskraft als Kapital: Höher gebildete Menschen sind produktiver und verdienen deshalb mehr
- Verfügung über Bildung als Folge individueller Bildungsentscheidungen => Individuen als Investoren in eigenes Humankapital
- Nutzen und Kosten der Bildungsinvestition: Bildungsrendite vs. Kosten des entgangenen Lohns, Kosten von Schul-und Universitätsbesuch, entgangene Freizeit
- Bei Kindern aus unteren sozialen Schichten wird häufig auf Erwerb höherer Bildung verzichtet, da Ausfall des Einkommens (durch längere Ausbildung) und Ausbildungskosten höher wiegen
Humankapitaltheorie (Becker 1964, Mincer 1974)
Kritik
Gleichsetzung Ak und Kapital, Arbeitslosigkeit als Fehlinvestition, Verständnis von Bildung in Begriffen von Aufwand und Ertrag, Erhöhung von Humankapital führt nicht automatisch zu höherer Produktivität
Die postindustrielle Gesellschaft (Bell 1973)
•Wissen als das “axiale Prinzip” der postindustriellen Gesellschaft
1) Wissen als Fundament von Innovation
2) Technologischer Fortschritt wird teurer
3) Informationstechnologie gewinnt an Bedeutung
•Folge: Wissen ersetzt Rolle von Eigentum als primäre Quelle gesellschaftlicher Macht
1) Dominanz von Wissenschaftlern, Experten, Technikern
2) Verwissenschaftlichung und Rationalisierung
3) Technisches Problemlösen als zentraler Planungsansatz
4) Schub durch Technologisierung und Digitalisierung
Bildungsdebatte und Bildungsforschung
- Beginn der Debatte in den 1950ern: Modernisierung der Gesellschaft, Wirtschaftswachstum, verstärkte Nachfrage nach qualifiziertem Personal
- Sputnikschock: Ende der 1950er
- 1960er: „Die deutsche Bildungskatastrophe“ (Picht 1964)=> Bildungsnotstand als wirtschaftlicher Notstand („Bildungsreserven“)
- „Bildung als Bürgerrecht“ (Dahrendorf 1965) =>
- Mehrfachbenachteiligungen: das katholische Arbeitertochter vom Lande
- gegen einseitig ök.Ausbau des Bildungssystems, sondern als Recht auf Teilhabe
•Bildungsexpansion: mehr Ausgaben für Bildung, längere verpflichtende Schulzeit, Ausbau tertiärer Bildungsinstitutionen
-Bis in die 90er Hauptschule meistbesuchter Schultyp, dann vom Gymnasium abgelöst („Niveaueffekt“)
Bildungsveränderungen und Forschung seit den 1970ern / PISA
- 1970er: schwächeres öffentliches Interesse an dem Thema
- 1990er: Ergebnisse der TIMSS-Studie zeigt Leistungsdefizite
- 2000er: PISA-Studie als „PISA-Schock“, Schaffung international vergleichbarer Bildungsstandards (Kompetenzmessung), Ranking von Ländern und Systemen, starke Benachteiligung von Kindern einkommensschwacher Eltern
- PISA begann mit 43 Ländern (2000 und 2002) und umfasste 2012 65 Länder: 510.000 15-jährige machten den Test (repräsentieren 28 Millionen Gleichaltrige)
- von 2000 zu 2012: Veränderung der Positionierung der Länder
- 2012 erzielten sozioökonomisch bessergestellte Schülerinnen und Schüler in der OECD im Bereich Mathematik durchschnittlich 39 Punkte mehr –was einem Leistungsvorsprung von fast einem Schuljahr entspricht
- Förderung von Leistungsspitzen und Leistungsschwachen nicht unvereinbar
- Kritik: „Lernen für den Test“, enges Verständnis von Bildung
Bildungssoziologie und die Frage der Ungleichheit
•Zentrales Thema der Bildungssoziologie ist die Frage „nach den Ursprüngen der sozialen Ungleichheit und dabei nach den Gründen für die erstaunliche Persistenz dieser sozialen Ungleichheit im historischen Ablauf über die Generationen hinweg.“ (Kopp 2009, S. 16)
Bildungssoziologie und die Frage der Ungleichheit
MeritokratischeNorm: Chancengleichheit und Bezug auf individuelle Leistung; Kontroversen um Zugangschancen und Bildungsgerechtigkeit
Bildungssoziologie und die Frage der Ungleichheit
•Schulen und Bildungseinrichtungen als zentrale Scharniere für die Zuweisung von gesellschaftlichen Positionen und Lebenschancen
Bildungssoziologie und die Frage der Ungleichheit
- Bildung als positionalesGut
* Sinkende Prägekraft von Klassen, Schichten, Beruf, stattdessen Bildung?
Trotz Bildungsexpansion anhaltende Ungleichheiten:
- Schichtspezifische Übergangsraten zu höherer Bildung (Akademikerkinder versus Arbeiterkinder)
- Neue ethnische und soziale Ungleichheiten (von der katholischen Arbeitertochter vom Lande zum migrantischenJungen in der Großstadt)
- Problem der Bildungsarmut=> Mangel an Bildungszertifikaten und/oder Bildungskompetenzen
- Bildungsexpansion als Bildungsinflation?
Wandel und Konstanz der Ungleichheit von Bildungsbeteiligung und Bildungserfolgen: Thesen
- Funktionalistische und modernisierungstheoretische Annahmen
- Macht-und konflikttheoretische Annahmen
Wandel und Konstanz der Ungleichheit von Bildungsbeteiligung und Bildungserfolgen
•Funktionalistische und modernisierungstheoretische Annahmen
Erhöhung der Bedeutung der Bildung durch Technisierung und Rationalisierung => Ausbau der Bildungsinstitutionen, Abbau von Zugangsbarrieren
=> Bildung als meritokratischesPrinzip
Wandel und Konstanz der Ungleichheit von Bildungsbeteiligung und Bildungserfolgen
•Macht-und konflikttheoretische Annahmen
Bildungscredentialsals Vorteilssicherung der Privilegierten
⇒Illusion meritokratischerAuswahl
⇒Unterschiedliche ök., soz. und kult. Ressourcen
⇒Erträge von Bildung unterschiedlich