Tiefenpsychologie Flashcards
(208 cards)
Was zeichnet die Psychoanalyse historisch als erstes psychologisches Therapieverfahren aus?
Sie entstand Anfang des 19. Jahrhunderts, wurde von Sigmund Freud maßgeblich geprägt und war das erste umfassende Therapieverfahren, das seelische Konflikte und unbewusste Prozesse ins Zentrum stellte.
Welche vier in Deutschland anerkannten Psychotherapieverfahren werden genannt?
Psychoanalyse (bzw. tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie), Verhaltenstherapie, systemische Therapie und humanistische Verfahren (z. B. Gesprächspsychotherapie).
Wer war René Descartes und was hat sein Skeptizismus mit Psychoanalyse zu tun?
René Descartes (1596–1650) war ein Rationalist, der darauf hinwies, dass unsere Sinneseindrücke täuschbar sein könnten („Ich denke, also bin ich“). Dieser Zweifel an der Realität und die Betonung möglicher Täuschungen des Bewusstseins beeinflusste spätere Ansätze wie die Psychoanalyse, die sich ebenfalls mit unbewussten und potenziell irreführenden Wahrnehmungen beschäftigt.
Wie entstand die Idee des „Gehirns im Tank“ (brain in a vat), und was hat das mit Psychoanalyse zu tun?
Hilary Putnam entwickelte das Gedankenexperiment, in dem ein Gehirn in einem Tank künstlich am Leben erhalten und über Nervenimpulse eine scheinbare „Realität“ vorgegaukelt bekommt. Die Frage, ob wir jemals sicher sein können, nicht nur eine Illusion zu erleben, knüpft an die psychoanalytische Idee an, dass unsere bewusste Wahrnehmung täuschen kann und unbewusste Prozesse den Blick auf „Realität“ verzerren können.
Wer war Sigmund Freud und welche drei Aspekte definierte er für die Psychoanalyse?
Sigmund Freud (1856–1939) war ein jüdischer Nervenarzt aus Wien und der Begründer der Psychoanalyse. Er definierte Psychoanalyse als
Theorie der Persönlichkeit,
Forschungsmethode für unbewusste Prozesse und
Technik zur Behandlung psychischer Erkrankungen.
„Hysterie“ bei Freud
Eine damals häufig diagnostizierte, v. a. bei Frauen auftretende Störung mit Lähmungen oder anderen somatischen Symptomen ohne offensichtliche körperliche Ursache. Freud sah die Ursache dieser Symptome im „krank gewordenen Gedächtnis“, also in verdrängten psychischen Konflikten.
Warum distanzierte sich Freud von der rein anatomischen Lokalisationstheorie psychischer Störungen?
Er stellte fest, dass sich bei Hysterie keine erkennbare Hirnschädigung nachweisen lässt. Stattdessen entwickelte er die Vorstellung eines „psychischen Apparats“, in dem seelische Konflikte und Erinnerungen Ursachen für Störungen sind, anstatt rein neurologische Läsionen.
Was versteht man unter Freuds „topischem Modell“?
Es ist ein Modell, in dem Freud die Psyche in bewusste, vorbewusste und unbewusste Bereiche unterteilt. Später prägte er in diesem Zusammenhang die Begriffe „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“.
Was besagt Freuds „Traumdeutung“ (1899)?
Freud ging davon aus, dass jeder Traum eine (wenn auch oft verschlüsselte) Wunscherfüllung ist. Im Schlaf werden unterdrückte Wünsche halluzinatorisch erfüllt, um psychische Spannung abzubauen und den Schlaf zu sichern.
„Unbewusste Schablonen“
Nach den Mitschriften frühkindlich erworbene Muster, „Fantasien“, „Skripte“ oder „Objektbeziehungsrepräsentanzen“, die im prozeduralen Gedächtnis gespeichert sind. Sie beeinflussen im Erwachsenenalter, wie wir Menschen und Situationen wahrnehmen und reagieren, ohne dass uns das bewusst ist.
Welche Rolle spielt die frühe Kindheit in der Entstehung dieser Schablonen?
In der frühen Kindheit werden Beziehungsmuster, Bedürfnisse und Konflikte oft noch ohne Sprache oder bewusstes Erinnern abgespeichert. Diese unbewussten Muster wirken später weiter und prägen Identität, Beziehungsgestaltung und emotionale Reaktionen.
Worin sieht die Psychoanalyse den Schlüssel zur Heilung von psychischen Symptomen?
Durch das Bewusstmachen und Verstehen der unbewussten Konflikte und Schablonen können verdrängte Wünsche oder Ängste bearbeitet werden. Dadurch werden Symptome, die als Kompromissbildungen oder Ventile dienten, überflüssig und können sich auflösen.
Welche Funktionen haben Träume laut Freuds Theorie?
Träume sind Wunscherfüllungen, die unerfüllte oder verdrängte Bedürfnisse inszenieren, um die psychische Erregung zu reduzieren („Hüter des Schlafes“).
Was besagt die „Aktivierungs-Synthese-Hypothese“ von Alan Hobson?
Träume entstehen durch zufällige neuronale Impulse (v. a. aus dem Hirnstamm) während des REM-Schlafs, die das Gehirn zu narrativen „Geschichten“ (Träumen) zusammenfügt. Hierbei stünden Bedeutung und Symbolik (im freudschen Sinne) eher im Hintergrund.
Wie ergänzt die Forschung von Mark Solms Freuds Traumtheorie?
Mark Solms fand Belege dafür, dass das dopaminerge Belohnungssystem (Nucleus accumbens) beim Träumen aktiv ist. Dies entspricht Freuds Idee, dass im Traum unbewusste Wünsche erfüllt werden (Wunscherfüllungszentrum), und widerspricht der rein zufallsbasierten Sicht.
Was versteht man unter „Mastery-Konzept“ in der Traumforschung?
Das Gehirn nutzt den Traum, um Probleme oder Ängste symbolisch zu bearbeiten („Meisterung“). Es werden Lösungsansätze und Bewältigungsstrategien erprobt, um reale Konflikte oder Stress im Schlaf zu verarbeiten.
Welche fünf „multiperspektivischen Grundlagen“ einer modernen Persönlichkeit werden erwähnt?
Genetisches Erbe
Prägung durch frühkindliches Umfeld
Etablierung einer „inneren Welt“ (unbewusste Fantasien, Schablonen)
Strukturelle Dynamik (Persönlichkeitsstruktur)
Dominanz des Unbewussten
Wofür steht der Begriff „Wahrnehmungsidentität“ nach Freud?
Er bezeichnet die Tendenz, neue Wahrnehmungen so zu interpretieren, dass sie zu bereits vorhandenen unbewussten Schablonen passen. Das heißt, unsere Wahrnehmung wird (oft verzerrt) an früh gelernte Muster angepasst.
Was ist der Ödipuskomplex nach Freud und wie wurde er erweitert?
Ursprünglich der unbewusste Wunsch des Jungen, die Mutter zu besitzen und den Vater zu beseitigen. Später erweiterte Freud das Konzept auch für Mädchen (Ödipus- bzw. Elektrakomplex) und betonte, dass diese ödipale Phase für alle Geschlechter im Kern bedeutsam ist.
„Übertragung“ (im psychoanalytischen Sinn)
Der Patient projiziert Gefühle, Erwartungen und unbewusste Schablonen aus frühen Beziehungen auf den Therapeuten. Das hilft, unbewusste Konflikte im Hier-und-Jetzt sichtbar zu machen und zu bearbeiten.
„Gegenübertragung“
Die emotionalen Reaktionen des Therapeuten auf die Übertragungen des Patienten, ebenfalls beeinflusst von den eigenen unbewussten Mustern des Therapeuten.
Worin sieht die Verhaltenstherapie den Hauptfokus und wie unterscheidet sie sich von der Psychoanalyse?
Verhaltenstherapie: Fokus auf beobachtbares Verhalten, kognitive Verzerrungen und deren aktive Veränderung (Symptombehebung und -bewältigung).
Psychoanalyse: Fokus auf unbewusste Konflikte, die Entstehung von Symptomen als tiefenpsychologisch bedingtes Phänomen. Langfristige Bearbeitung der Ursachen statt ausschließlich Symptomreduktion.
Was ist der zentrale Kritikpunkt der Psychoanalyse an der reinen Symptombehandlung?
Aus psychoanalytischer Sicht sind Symptome nur Oberflächenmanifestationen eines unbewussten Konflikts. Wenn man ausschließlich das Symptom beseitigt, verlagert sich der Konflikt häufig und kann sich in neuen Symptomen äußern.
Wie versteht die systemische Therapie psychische Symptome?
Als Teil eines (Familien- oder Beziehungs-)Systems, in dem das Symptom eine Funktion erfüllt (z. B. Stabilisieren des Systems). Probleme werden stets im Kontext der Beziehungsdynamiken betrachtet, nicht nur als individuelles Phänomen.