Europarecht Rspr. Flashcards
(24 cards)
Costa ENEL
Anwendungsvorrang des Unionsrechts
unmittelbare Wirkung des Primärrechts + im Konfliktfall Anwendungsvorrang vor den Normen des nationalen Rechts
→ nationale Norm nicht nichtig, aber bleibt unangewendet, soweit sie Unionsrecht entgegensteht
→ zur Durchsetzung und Sicherung des Unionsrechts bei Gerichten und Verwaltungsbehörden anzunehmen, da weniger eingriffsintensiv als Geltungsvorrang
Anwendungsvorrang Unionsrecht
Ausnahmen, bei denen sich BVerfG Prüfung vorbehält
- Grundrechtsschutz der Union sinkt unter den des GG ab (Solange II)
- Beeinträchtigung der Verfassungsidentität aus Art. 79 III GG (Identitätskontrolle)
- erhebliche Kompetenzüberschreitung drohen (ultra vires)
Art. 56 AEUV: Gebhard Formel
Beschränkungsverbot: umfasst für In- und Ausländer unterschiedslos geltende Maßnahmen des Staates, die geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistungserbringers
zu unterbinden oder
zu behindern und die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen
weniger attraktiv zu machen
Art. 263 IV AEUV: Plaumann-Formel
“individuell”
streitige Vorschrift muss den Kläger wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebenden Umständen betreffen und ihn daher wie den Adressaten einer Entscheidung individualisieren
→ nicht ausreichend, als Mitglied einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe betroffen zu sein
Art. 34 AEUV: Maßnahmen gleicher Wirkung → Dassonville
= jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern
→ zu weit, grundsätzlich jede staatliche Maßnahme, die den Absatz ausländischer Ware in irgendeiner Weise tangiert erfasst → Keck-Formel
Art. 34 AEUV: Keck-Formel
nationale Maßnahmen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, sind keine grundsätzlich von Art. 34 AEUV verbotenen Maßnahmen mit gleicher Wirkung, sofern sie für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren
→ Regelung knüpft an Eigenschaft der betreffenden Ware an (= Produktmodalität)
→ Abgrenzungsprobleme Produkt- ↔︎ Verkaufsmodalität, zu eng, zu unbestimmt → 3-Stufen-Test
Art. 34 AEUV: Cassis-Formel
- immanente Schranke Art. 34 AEUV: Hemmnisse für den Binnenmarkt müssen hingenommen werden, wenn sie durch mitgliedsstaatliche Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden
→ wirksame steuerliche Kontrolle, Wettbewerbsrecht, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz - str.: Anwendbarkeit auf unterschiedliche, nach dem Herkunftsland der Ware differenzierende Maßnahmen
Bindung der MS an die Unionsgrundrechte: Schmidberger- / ERT-Rspr.
Bindung nationaler Stellen bei einer Beschränkung der Grundfreiheiten:
- Unionsgrundrechte können dann einerseits Eingriffe in die Grundfreiheiten rechtfertigen (“Schranke”) (Schmidberger)
- andererseits müssen die Rechtfertigungsmöglichkeiten für eine Einschränkung der Grundfreiheiten wiederum mit den Unionsgrundrechten vereinbar sein (“Schranken-Schranke”) (ERT)
Art. 267 AEUV: Vorlageberechtigung
Acte-clair-Theorie
Rechtslage durch EuGH hinreichend geklärt
→ greift, wenn EuGH über eine gleichlautende Frage in einem anderen Verfahren bereits entschieden hat, wenn bereits eine gesicherte Rechtsposition des EuGH zu der betreffenden Rechtsfrage besteht oder wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage mehr besteht
→ lediglich Ausnahme zur Vorlagepflicht, um Zeitverzögerung zu verhindern, in jedem Falle Vorlagerecht
→ acte clair, acte éclairé
Alcan-Entscheidung EuGH
→ Beihilfen
EuGH + t. v. A.: grobe Fahrlässigkeit (+), wenn Nachforschungspflicht nicht nachgekommen
→ Nachforschung sorgfältig Gewerbetreibendem möglich + zumutbar
dt. Rspr.: gr. FK (-)
→ überzogene Anforderungen, allein fehlende Nachforschungen reichen für Bejahung nicht aus
EuGH: Kühne und Heitz (2004)
Grundsatz: bestandskräftige unionsrechtswidrige VA müssen überprüft und nach h. M. auch aufgehoben werden
= unmittelbare Durchbrechung Rechtskraft
wenn (kumulativ):
1. innerstaatliche Befugnis zur Rücknahme (§ 48 VwVfG)
2. Bestandskraft des VA
3. Beruhen des Urteils auf unrichtig gewonnener Auslegung des Unionsrechts (keine Vorlage)
4. unmittelbare Geltendmachung des Betroffenen nach Kenntnis (Antrag an Behörde)
vgl Kopp/Schenke § 121 Rn. 21 Fn 40
Kühne und Heitz → Rs. Kempter: Muss der betroffene Bürger sich im Gerichtsverfahren auf die Europarechtswidrigkeit berufen bzw. die Vorlage an den EuGH wenigstens angeregt haben?
EuGH: Beruhen (+), wenn der unionsrechtswidrige Gesichtspunkt vom letztinstanzlichen Gericht geprüft wurde oder hätte geprüft werden müssen, andernfalls mittelbar neuer Fall der Befreiung von der Vorlagepflicht
Solange I (1974)
Grundrechtsschutz im GG darf nicht durch schrankenlose Übertragung von Hoheitsrechten ausgehöhlt werden, kann aber auch durch einen adäquaten Grundrechtsschutz auf eur. Ebene sichergestellt werden
→ Solange dies jedoch nicht gewährleistet ist, behält sich das BVerfG vor, Vorschriften des Unionsrechts wegen eines Verstoßes gegen nationale Grundrechte für unanwendbar zu erklären. (überprüft BVerfG am Maßstab des dt. GG)
Solange II (1986)
wirksamer GR-Schutz auf eur. Ebene generell gewährleistet
→ Solange dies der Fall sei, nehme BVerfG seine Prüfungskompetenz zurück.
Maastricht-Urteil (1993)
Bestätigung von Solange II, BVerfG geht von Kooperationsverhältnis mit EuGH aus, wonach letzterer den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der EU garantiert, das BVerfG sich hingegen auf eine generelle Gewährleistung beschränkt
Beschluss zur Bananenmarktordnung (2000)
VB unzulässig, wenn nicht dargelegt wird, dass eur. Rechtsentwicklung nach Solange II unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei → jeweils als unabdingbar gebotener Grundrechtsschutz darf generell nicht gewährleistet sein
ausbrechende Rechtsakte (= Ultra - vires - Handeln der Union)
solche Rechtsakte der Union, die gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung verstoßen und damit den Ermächtigungsrahmen des dt. Zustimmungsgesetzes überschreiten, also nicht mehr vom Rechtsanwendungsbefehl gedeckt sind
Ultra - vires - Kontrolle
BVerfG prüft, ob deutsche Hoheitsakte, die zur Schaffung von Sekundärrecht führen oder die bereits geschaffenes Sekundärrecht umsetzen, über den durch das deutsche Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon vorgegebenen, auf die EU übertragenen Kompetenzrahmen hinausgehen → wenn (+): Verstoß gegen Art. 23 I i. V. m. Art. 79 III GG
→ Prüfungsgegenstand: nur nationale Hoheitsakte, nur mittelbar Sekundärrecht
→ Prüfungsmaßstab: Art. 23 I i. V. m. Art. 79 III GG: Verbot der Übertragung der Kompetenz-Kompetenz, Volkssouveränität
Honeywell-Beschluss (2010)
BVerfG: Ultra-vires-Kontrolle darf nur europarechtsfreundlich ausgeübt werden
→ EuGH anzurufen, bevor ultra-vires-Akt angenommen werden kann
→ Ersichtlichkeit, dass Verstoß vorliegt, d. h. Kompetenzverstoß muss hinreichend qualifiziert sein: kompetenzwidriges Handeln offensichtlich und fällt erheblich ins Gewicht
Identitätskontrolle
Identität des GG darf nicht verletzt werden, dies wäre der Fall, wenn die Grenzen der Verfassungsstrukturprinzipien (Art. 79 III GG) vom Unionsgesetzgeber überschritten würden
Prüfungsgegenstand: nur nationale Hoheitsakte, mittelbar Primär- und Sekundärrecht
Ultra - vires - Kontrolle ↔︎ Identitätskontrolle
- ultra-vires: Handeln der EU im konkreten Fall nicht vom dt. Zustimmungsgesetz gedeckt, erforderlicher Kompetenztransfer aber grds. möglich
- IK: entspr. Ermächtigung der Union gar nicht möglich, weil durch Übertragung Kernbereich des GG (Art. 79 III GG) verletzt würde
Solange-Rspr. ↔︎ Identitätskontrolle
IK erlaubt keinerlei Fehlertoleranz mehr und ermöglicht es (nur) BVerfG, auch ein einmaliges Absinken unter das grundrechtl. Schutzniveau im Einzelfall zu ahnden
Rs. Costa / Enel
P: Vereinbarkeit der Rspr. des BVerfG mit Unionsrecht
EuGH: MS haben durch Abschluss der Gründungsverträge ihre Souveränitätsrechte dauerhaft beschränkt
→ Unionsrecht muss sich im Konfliktfall immer durchsetzen, auch vor nat. Verfassungsrecht vorrangig
→ Kompetenz nat. Gerichte, unmittelbar auf Unionsrecht beruhende Akte am nat. Verfassungsrecht zu messen, kann es nicht geben
BVerfG: MS entscheiden als Herren der Verträge über Reichweite der Geltung des Unionsrechts → kein Verstoß gegen Art. 4 III EUV
(+) Art. 4 II 1 EUV: bewusst aufgenommen, um Einwirkung des Unionsrechts zu beschränken
treaty override
nat. Recht EMRK-freundlich auszulegen, aber allg. Kollisionsregeln (insb. lex posterior) nicht außer Kraft gesetzt: Gesetzgeber kann ein gegen völkerrechtliche Verpflichtungen verstoßendes Gesetz mit der Folge der Geltung als lex posterior erlassen (= treaty override), sofern nicht gegen eine allg. Regel des Völkerrechts verstoßen wird, die hierarchisch vorginge